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Mit der Hofübergabe hat sich in Lohe nicht viel geändert, nur daß die Last der Verantwortlichkeit auf den jüngeren Schultern liegt. Die Alten und Jungen leben nach wie vor in gemeinsamem Haushalt, und das Verhältnis ist niemals ernstlich getrübt worden.

Wenn Hinrich Lohmann etwas wichtiges vorhat, berät er sich erst mit seiner Frau und darauf mit seinem Vater, oder auch in umgekehrter Reihenfolge. Erstere ist die vorwärtstreibende, letztere die zurückhaltende Kraft. Und beim Zusammenwirken beider Kräfte trifft Hinrich meist das Richtige.

Hinrich Lohmann ist ein niedersächsischer Bauer geblieben, und Else Lohmann, geborene Riewitz, ist eine niedersächsische Bauernfrau geworden. Freilich, das läßt sich nicht leugnen, in diesem und jenem sind sie anders als die auf Rungen-, Dierks-, Swiebertshof, und wie die Vollhöfe der Umgegend sonst heißen. Aber »lateinische Bauern« schimpft sie deshalb doch kein Mensch, denn jedermann weiß, schlichte, kernhaft tüchtige und fromme Heidjerleute sind auch sie.

In jedem Jahr lockt so ein schöner, warmer Sonntagnachmittag im Blütenmond sie mit ihren Kindern in den Wald, zum Thymianhügel am Bach. Da lauschen sie auf die lieben alten Lieder der Nachtigall, die nach wie vor die Loher Büsche mit ihrem süßen Schall, im Hall und Widerhall, erfüllt. Aber noch lieberer Schall ist ihnen das Gejauchze ihrer Kinder, die mit ihrem treuen Gefährten Jung-Karo – der alte treue Ehestifter ist nicht mehr – im Walde spielen. Wenn die beiden da an ihrer alten, lieben Stätte weilen, brauchen sie sich keine Gedichte mehr vorzulesen, um das Glück dieser Stunden zu genießen. Ihr ganzes Leben kommt ihnen ja vor wie ein einziges wunderschönes Gedicht. Auch reden sie meist nicht viel. Die Zeiten, da sie alles, was sie wußten und nicht wußten, auspacken mußten, um Eindruck aufeinander zu machen, sind vorüber, und die gegenseitige Erziehungsarbeit ist zur Hauptsache getan. Jedes weiß, was es an dem Gottesgeschenk da neben sich auf der Thymianbank hat, und an den Gottesgeschenken, die drüben im Walde jubeln. Wenn sie sich einmal in die Augen sehen, ist darin ein stilles, glückliches Leuchten. Und Gottes Sonne, die in den heimlichen Waldwinkel schaut, sieht das Schönste, was sie auf ihrer weiten Reise um die Welt zu sehen bekommt, zufriedene, glückliche Menschen, die durch gleiches Lieben, Glauben und Hoffen verbunden sind und mit keinem Glücklichen tauschen würden, weil sie sich selbst für die Glücklichsten halten.

Großmutter Lohmann hat viel Unruhe. Das kleine Volk hat sie nun einmal so schrecklich lieb und setzt ihr mit Zärtlichkeiten, Fragen und allen möglichen Anliegen arg zu. Trotzdem sieht Großmutter Lohmann frischer und jünger aus als einst Mutter Lohmann in den kritischen Jahren vor dieser Würde. Das böse Hartpuckern ist fast ganz verschwunden, und das »Achjajija« ist zwar häufiger denn je, hat aber meistens einen humoristischen Beigeschmack. Denn fast immer sind's die Kleinen, die's ihr abzwingen.

Großvater Lohmann redet nicht mehr so viel von der guten alten Zeit. Er findet, daß sich auch in der neuen Zeit, wenigstens auf Hof Lohe, ganz gut leben läßt. Das kommt wohl vor allem von den Enkelkindern, die seine ganze Freude sind. Daß ihre Mutter sie etwas feiner herausputzt, als bisher in Lohe Mode gewesen ist, ärgert ihn nicht. Er freut sich, daß sie die netten Höschen tüchtig kaputtreißen, und seine Schwiegertochter viel mit Nadel und Zwirn umgehen muß. Das hat sie dafür! Wenn er dem Ältesten, der schon in die Schule geht, abends vorm Zubettgehen seine Lektion abhört, muß er sich immer wieder über seinen offenen Kopf wundern. So begabt sind seine eigenen Jungens nicht gewesen. Der selige Pastor, dem sein Herzenswunsch, in den Sielen zu sterben, in Erfüllung gegangen ist, hat also mit seiner Prophezeiung recht behalten: das fremde Blut hat den alten Lohestamm aufgefrischt. Was von dem Großvater Anton Riewitz in dem jungen Jürgen Lohmann drin ist, das wird ihn durchaus nicht hindern, einmal ein tüchtiger Lohbauer zu werden. Davon ist Großvater Lohmann jetzt fest überzeugt.

Von der Politik hat Vater Lohmann sich mehr zurückgezogen. Er will auf seine alten Tage Ruhe haben. Die Stelle des Vertrauensmannes der althannoverschen Partei hat der Sohn nicht übernehmen wollen. Er interessiert sich auch jetzt noch nicht recht für Politik, und seine Frau, die einst dafür schwärmte, hat dieser Schwärmerei längst entsagt.

Der einst verwachsene Fußpfad zwischen den Nachbarhöfen ist wieder gangbar. Mit dem neuen Besitzer von Delmsloh halten Lohmanns gute Nachbarschaft, obgleich er nicht plattdeutsch spricht und kein geborener Heidjer ist. Delmsloh ist unter ihm recht in die Höhe gekommen. Auch der alte Lohmann geht gern mal hinüber und hat seine Ansichten über »düsse Art« sehr korrigieren müssen. Er hat eingesehen, daß auch das Land des bösen Bismarck ausnahmsweise Menschen hervorbringen kann, mit denen leidlich zu leben ist.

Sonst führt der Heidehof Lohe unter seinen alten Eichen wie von jeher sein Eigenleben für sich, das von Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht geregelt wird. Ein »großes«, ein »bedeutendes« Leben ist es ja nicht, aber dennoch ein reiches Leben. Reich an Mühe und Arbeit, aber auch reich an Frieden und Fröhlichkeit, was die da draußen, wo die Welt anfängt, schreien und schreiben, lieben und hassen, hoffen und fürchten, es dringt nicht in seine weltferne Heideeinsamkeit. Wer weiß aber? Vielleicht sendet der uralte Heidehof einmal ein paar stramme, braune Jungens hinaus in die Welt, die Mark in den Knochen und Kraft und Treue in der Seele haben. Die werden dann schon ihren Mann stehen und auch im Getümmel der Welt dem Hof ihrer Väter in der Heide Ehre machen.

Und wohl manchen Hof gibt's noch in der braunen Heide, im schwarzen Moor und in der grünen Marsch, auf dem deutsche Bauersleute hausen, die am guten Alten in Treue halten, aber doch sich kein Brett vor den Kopf binden, um das gute Neue nicht zu sehen. Und solange das so bleibt, wird's auch bei dem bleiben, was an jenem leuchtenden Septembernachmittag, als auf der Haltestelle Elldingen der junge Ulanenreservist Hinrich Tohmann aus dem Zuge in den gelben Kies des Bahnsteiges sprang, der alte, so fein und stolz lächelnde Herr in der zweiten Klasse der alten Dame ihm gegenüber zuträllerte:

Lieb Vaterland, magst ruhig sein. –


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