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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Aufbruch zum Heimmarsch nach Sansibar.

Falsche Gerüchte von der Anwesenheit Fremder bei Masamboni. – Einiges von dem Elfenbein des Paschas. – Osman Latif Effendi theilt mir seine Ansicht über die Offiziere in Wadelai mit. – Mein Diener Sali der Spion im Lager. – Kapitän Casati's Ansichten über den Fortgang Emin's aus seiner Provinz. – Lieutenant Stairs macht die erste Bewegung heimwärts. – Das Körpergewicht meiner Offiziere zu verschiedenen Zeiten. – Der Ruwenzori sichtbar. – Das von Casati erzogene kleine Mädchen. – Ich fungire als Vermittler zwischen Mohammed Effendi, dessen Gattin und Emin. – Bilal und Serur. – Versuche, Gewehre aus den Hütten der Sansibar-Leute zu stehlen. – Wir hören von Noth und Elend in Wadelai und Mswa. – Ich mache Emin zwei Vorschläge. – Das Signal zur allgemeinen Musterung unter den Waffen. – Emin's Araber werden von den Sansibariten zur Musterung getrieben. – Ansprache an die Aegypter und Sudanesen. – Lieutenant Stairs bringt die Diener des Paschas auf den freien Platz. – Serur und drei andere werden als Hauptverschwörer in Gewahrsam genommen. – Musterung der Begleiter Emin Pascha's. – Osman Latif Effendi und seine Mutter. – Casati und Emin sprechen nicht miteinander. – Vorbereitungen für den Marsch. – Knüppelkampf zwischen dem Nubier Omar und den Sansibariten. – Mein Urtheilsspruch über die Combattanten. – Abmarsch von Kavalli nach Sansibar. – Stärke unserer Colonne. – Halt im Gebiete Masamboni's. – Ich erkranke an einer Magenentzündung. – Dr. Parke's geschickte Pflege. – Ich schaffe in der Phantasie Pläne für den Heimmarsch. – Häufige Berichte über Verschwörungen im Lager. – Lieutenant Stairs und 40 Mann nehmen Rehan und 22 Deserteure gefangen, die mit unsern Gewehren durchgebrannt sind. – Das Urtheil des Gerichts lautet für Rehan auf Tod durch den Strang. – Krankheit Dr. Parke's und Jephson's. – Ein für Wadelai bestimmtes Packet Briefe fällt mir in die Hände; wir ersehen daraus, daß Emin's Offiziere ein wichtiges Complot gegen uns schmieden. – Unterhaltung mit Emin über dasselbe. – Schukri Aga trifft mit zwei Begleitern im Lager ein. – Lieutenant Stairs vergräbt einige Munition. – Fortsetzung des Marsches und Lagerung bei Burjambiri. – Masamboni's Dienste und Gastfreundschaft. – Drei Soldaten treffen mit Briefen ein von Selim Bey. – Ihr Inhalt. – Unterhaltung mit den Soldaten. – Sie nehmen einen Brief Emin's an Selim Bey mit. – Ali Effendi und seine Diener begleiten die Soldaten zu Selim Bey zurück.

 

27. März. Ich hörte heute, daß Fremde, vermuthlich Sansibariten, bei Masamboni eingetroffen seien, und sandte daher Jephson mit 43 Gewehrträgern hin, um die Wahrheit dieses Gerüchts festzustellen, da es möglicherweise Jameson in Begleitung von Selim ben Mohammed und seinen Leuten sein könnte.

29. März. Herr Jephson ist von Undussuma zurückgekehrt und hat 56 eingeborene Träger mitgebracht. Es waren keine Fremden dort, das Gerücht beruhte auf Unwahrheit. Der arme Jameson! Wir sind alle neugierig, was er nach Empfang meiner Briefe gethan hat.

31. März. Kapitän Nelson ist mit 132 Lasten vom Seeufer im Lager eingetroffen und meldet mir, daß nichts mehr übrig ist, als einige große Elefantenzähne im Gewicht von je etwa 150 Pfund, die wir nicht tragen können. Insgesammt sind jetzt 1355 Lasten vom See nach dem Plateau hinaufgeschafft worden. Der Pascha hat 65 Elefantenzähne mitgebracht, von denen ich 45 benutzen wollte, um die Manjema für ihre Dienste zu bezahlen, doch haben diese sie abgelehnt, weil sie lieber ihren Monatslohn in Stoffen bei der Ankunft auf der der Kirchenmissionsgesellschaft gehörenden Station Msalala haben wollen.

Heute Nachmittag kam der Vicegouverneur der Aequatorialprovinz Osman Latif Effendi zu mir und theilte mir seine Ansichten über die Offiziere in Wadelai mit. Er sagt: »Selim Bey wird vielleicht kommen; er ist kein schlechter Mann; er liebt das Bier und ist träge. Wenn er kommt, wird er etwa 350 Soldaten und Offiziere, die seine Partei bilden, bei sich haben. Fadl el Mulla Bey ist das Haupt der Gegenpartei. Seitdem sie die Nachricht von dem Falle Chartums erhalten hat, hat sie jeglichen Gehorsam gegen den Pascha aufgegeben. Das war gerade vor der Abreise Dr. Junker's. In der Meinung, daß seine Gegner ihr Verhalten vielleicht ändern würden, wenn sie von Ihnen hörten, begab der Pascha sich mit Herrn Jephson zu ihnen, doch wurden beide sofort verhaftet. Fadl el Mulla Bey und sein Schreiber sind Mahdisten; sie hofften für die Auslieferung des Paschas an den Khalifen große Ehren von diesem zu bekommen. Sie haben auch den Plan gehabt, Sie zu einem Besuche bei ihnen zu veranlassen, Sie durch süße Worte und weitgehende Versprechungen zu fangen und dann nach Chartum zu senden. Wenn Fadl el Mulla Bey mit seiner Partei hierherkommt, müssen Sie sehr vorsichtig sein. Das ist alles, was ich Ihnen rathen kann. Ich habe das Land satt und wünsche nach Kairo zu gehen; ich will nichts mit ihnen zu thun haben.«

»Wie denken Sie über die Leute hier, Osman Latif?«

»Auasch Effendi würde nicht wagen zurückzubleiben. Als Major des 2. Bataillons soll er sehr streng gewesen sein; die Leute hassen ihn und würden ihn tödten. Fast alle übrigen würden, wenn Selim Bey hierher käme und ihnen zum Bleiben riethe, lieber hier leben als mit dem Pascha gehen. Ich und Auasch Effendi werden Ihnen folgen. Wenn wir unterwegs sterben, würde die Sache damit zu Ende sein. Sicherlich würden wir hier sterben, wenn wir blieben.«

»Weshalb wollen sie den Pascha nicht?«

»Das weiß ich nicht, wenn Schaitan (der Teufel) sie nicht beeinflußt. Er war sehr gerecht gegen alle, allein je mehr er ihnen gestattet, nach ihrem eigenen Belieben zu handeln, um so weiter entfernen sich ihre Herzen von ihm. Sie sagen: ›O, mag er sich mit Käfer- und Vögelsammeln beschäftigen. Wir brauchen ihn nicht.‹ Der Pascha ist sehr glücklich, wenn er sich auf der Reise befindet und allerlei Dinge sammeln kann; er bekümmert sich nicht um die Leute.«

»Glauben Sie, daß er beliebter gewesen wäre, wenn er einige aufgeknüpft hätte?«

»Vielleicht. Das weiß nur Gott.«

»Glauben Sie, daß Sie ihn lieber gehabt hätten, wenn er streng gegen Sie gewesen wäre?«

»Nein, aber ich würde ihn mehr gefürchtet haben.«

»O ja, natürlich.«

»Aber erzählen Sie, bitte, dem Pascha nicht, daß ich etwas gesagt habe, er würde mir das nicht verzeihen.«

»Seien Sie ohne Furcht. Wenn Sie erfahren, was im Lager vorgeht, theilen Sie es mir mit.«

»Ich und mein Sohn stehen Ihnen zu Diensten. Wir werden alles hören was passirt und es Sie wissen lassen.«

Bald darauf sah ich, daß Osman Latif sich nach dem Quartier des Paschas begab, seine Hände küßte und sich ehrfurchtsvoll verneigte, und da ich neugierig war, ging ich ihm sofort nach. Der Pascha saß ernst in seinem Sessel und ertheilte mit der Miene des Machthabers Osman Latif seine Befehle, während letzterer sich bei jeder Ordre unterwürfig verbeugte; ein unschuldiger Fremder hätte glauben können, daß der eine die königliche Autorität, der andere den sklavischen Gehorsam verkörperte. Mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, entfernte ich mich bald darauf.

Mein Bursche Sali ist der geschickteste Spion im Lager. Wie er seine Informationen erhält, weiß ich nicht; er scheint aber sehr viel mehr zu erfahren als Osman Latif, Auasch Effendi oder einer der jungen Aegypter. Er ist bei den Berathungen der Hauptleute zugegen und ist intim mit dem Maschinisten Mohammed. Anscheinend haben ihn der Hauptmann Ibrahim Effendi Elham und dessen Schwiegervater Ali Effendi sehr gern, doch hat er selbstverständlich auch viele untergeordnete Quellen, die ihm helfen. Die Sansibariten sind eingefleischte Händler und stets haben sie etwas zu vertauschen; bei den Präliminarien des Geschäfts werden die Angelegenheiten des Lagers durchgehechelt, die Händler reimen sich dabei dies und jenes von den Einzelheiten zusammen und, nachdem sie es gehörig verdaut haben, theilen sie es Sali mit, von dem ich es wieder höre. Selbstverständlich ist manches reines Geschwätz, aber im großen und ganzen ist doch eine Menge bestimmter und werthvoller Informationen darin enthalten.

siehe Bildunterschrift

Mein Bursche Sali.

Wie ich entdecke, besteht der Plan, sich von der Autorität des Paschas vollständig frei zu machen. Die Zahl der wirklich Treuen beträgt heute neun. Sie wissen, wie man mir erzählt, daß der Pascha so arglos ist, daß sie ihm nur die Hand zu küssen und seine Verzeihung zu erflehen brauchen, um ihn jedem Verschwörer gefügig zu machen.

Wenn ein Mann zum Spotte solcher Spitzbuben wird, ist die Autorität in der That schwach.

Wie Dr. Vita Hassan und der Maschinist Mohammed sagen, gibt der Pascha sehr viel auf die Meinung des Kapitän Casati. Ich halte es für sehr natürlich, daß er die Ansicht des einzigen Europäers hochhält, der von Dr. Junker's Abreise bis zu unserer Ankunft bei ihm gewesen ist. Wenn Casati aber auf seine Freundlichkeit zu rechnen geneigt ist, so weiß der Pascha, wie Herr Jephson erzählt, sehr genau, wann er den Gouverneur zu spielen hat.

Der Pascha erschien heute Morgen in meinem Zelt und theilte mir mit, daß Kapitän Casati mit seiner Abreise aus der Aequatorialprovinz nicht ganz einverstanden, vielmehr der Ansicht sei, daß es seine Pflicht sei, zu bleiben.

»Wo, Pascha?«

»Bei meinen Leuten.«

»Welchen Leuten, bitte?«

»Nun, bei meinen Soldaten.«

»Wirklich. Aber ich bin der Meinung gewesen, daß Sie mir vor einiger Zeit mit eigener Hand geschrieben hätten, was mir auch in dem Briefe Jephson's bestätigt worden ist, daß Sie der Gefangene Ihrer eigenen Soldaten waren, daß diese Sie abgesetzt und gedroht hätten, Sie in Eisen und an Ihre Bettstelle gefesselt nach Chartum zu bringen. Ich glaube, Sie wissen so gut wie ich, was das zu bedeuten hat.«

»Das ist wahr. Aber Sie dürfen nicht glauben, daß ich meinen Sinn zu ändern beabsichtige. Wie ich Ihnen schon gesagt habe, gehe ich am 10. April mit Ihnen fort. Das ist abgemacht, doch möchte ich gern, daß Sie Casati dieserwegen aufsuchen und sprechen würden.«

»Ich würde das mit Vergnügen thun, aber mein Französisch ist jämmerlich und das seinige noch schlechter.«

»Ach, wenn Sie mich nur durch einen Jungen rufen lassen wollen, werde ich gern kommen und als Dolmetscher fungiren.«

Was wir von dem Charakter Casati's beobachtet haben, ist, im allgemeinen betrachtet, ein Abglanz von dem Pascha selbst. Es ist ihm nicht zuwider gewesen zu erklären, daß er Afrika Europa vorziehen würde. Daß der Pascha nach einer Entschuldigung sucht, um hier zu bleiben, ist einigermaßen erklärlich, dagegen sehe ich keine Entschuldigung für Casati, wenngleich er das Recht hat, auszusprechen, was er vorzieht. Allein ich vermag nicht einzusehen, zu welchem guten Zweck der eine oder der andere von ihnen bleiben soll. Als der Pascha noch Macht besaß, lehnte er ein Jahresgehalt von 1500 Pfd. St. und eine jährliche Subsidie von 12 000 Pfd. St. für die Regierung seiner Provinz ab, und zögerte mit der Annahme eines ziemlich ähnlichen Postens unter britischen Auspicien, bis es zu spät war; der Vorschlag, heimzukehren, war ihm so unangenehm, daß er die Entscheidung verschob, bis er die Wünsche seiner Truppen erfahren konnte; bei dem Versuche, diese Wünsche festzustellen, wurde er abgesetzt, gefangen genommen und ist er – um die Wahrheit zu sagen – vor ihrer Macht geflohen.

Sobald diese beiden Männer zu einer geselligen Unterhaltung zusammenkommen, ist die Folge, daß der Pascha sich niedergeschlagen fühlt und sich unnöthigerweise mit Befürchtungen quält, man könne ihm die Desertion von seinen rebellischen Truppen zum Vorwurf machen. Casati ist einigermaßen erfreut darüber, diese Zweifel angeregt zu haben. Ob er noch einen weitern Zweck verfolgt, als sich einen Gefährten im Unglück zu sichern, ist mir unbekannt.

Ich begab mich zum Quartier Casati's und nach einem vergeblichen Versuche, mich ihm verständlich zu machen, sandte ich sogleich einen Knaben zu dem Pascha, um ihn um seine Vermittelung zu bitten. Sofort begann Casati dem Pascha im Namen von Ehre und Pflicht eine Vorlesung zu halten und ihn zu überreden, daß er moralisch unrecht thue, seine Truppen zu verlassen, wobei er natürlich auf den erklärten Entschluß des Paschas, am 10. April mit uns abzumarschiren, hindeutete.

»Aber, Kapitän Casati«, sagte ich, »der Pascha hat niemals die Absicht gehabt, seine Truppen zu verlassen, wie niemand besser weiß, als Sie selbst. Diese Truppen sind es, welche ihn abgesetzt und vom 18. August bis ungefähr zum 8. Februar, fast volle sechs Monate, gefangen gehalten haben. Sie haben dreimal revoltirt, haben wiederholt gesagt, daß sie ihn nicht gebrauchen und ihm nicht gehorchen wollen, und gedroht, ihn zu tödten. Sie würden ihn vermuthlich inzwischen bereits nach Chartum geschickt haben, hätten die wahnsinnigen Danagla ihnen nicht gezeigt, wie wenig Barmherzigkeit sie von ihnen zu erwarten hätten.«

»Der Gouverneur einer Festung darf niemals seinen Posten aufgeben«, erwiderte Casati.

»Darin bin ich vollständig mit Ihnen einverstanden, wenn seine Truppen ihm treu bleiben; was kann der arme Gouverneur aber thun, wenn seine Truppen ihn verhaften, die Flagge streichen und die Thore öffnen?«

»Der Kapitän eines Kriegsschiffes muß bis zum letzten Augenblicke mit seinen Geschützen kämpfen.«

»Allerdings. Aber wenn die Mannschaft den Kapitän ergreift, ihn in Eisen in den Schiffsraum wirft und die Flagge streicht, was dann?«

»Nein, ich bin nicht mit Ihnen einverstanden«, entgegnete der Kapitän emphatisch. »Der Pascha sollte bei seinen Leuten bleiben.«

»Wo sind seine Leute aber? Die Rebellen wollen nichts mit ihm zu thun haben, wenn er nicht ihr Gefangener ist. Wollen Sie sagen, daß der Pascha als Gefangener zurückkehren und sich mit dieser erniedrigenden Lage zufrieden geben sollte?«

»Nein, gewiß nicht.«

»Glauben Sie vielleicht, daß jene bereuen und ihn wieder auf den Gouverneurposten erheben werden?«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Glauben Sie, daß sie es thun würden?«

»Vielleicht.«

»Würden Sie dem Pascha rathen, sich nochmals der Macht von Fadl el Mulla Bey und seiner Offiziere anzuvertrauen?«

»Nein.«

»Nun, hier sind Ihre Diener. Angenommen, dieselben ergriffen Sie eines Nachts und wollten Sie tödten und Sie würden nur gerettet, weil Ihr Geschrei Befreier auf den Schauplatz lockt; würden Sie Ihr Leben diesen Händen nochmals anvertrauen?«

»Nein.«

»Angenommen, Ihre Diener kämen heute Nachmittag zu Ihnen und sagten, sie würden Ihnen in Zukunft nicht mehr gehorchen und Sie niederschießen, falls Sie etwa doch weiter Gehorsam von ihnen forderten; würden Sie sich moralisch für verpflichtet halten, ihnen Befehle zu ertheilen?«

»Nein.«

»Nun, mein lieber Casati, Sie haben für den Pascha geantwortet, denn was Sie nicht thun würden, ist er ebenfalls nicht verpflichtet zu thun. Emin Pascha hat zwei Pflichten zu erfüllen, die eine gegen den Khedive, die andere gegen seine Soldaten. Gerade weil er seine Pflicht gegen den Khedive so edel und geduldig erfüllt hat, haben ich und meine jungen Freunde uns freiwillig erboten, ihm zu helfen. Der Khedive befiehlt ihm, die Provinz aufzugeben und schickt ihm zu diesem Zwecke Beistand. Emin wendet sich an seine Truppen und fordert sie auf, ihre Wünsche auszusprechen, worauf sie ihn ergreifen, mit dem Tode bedrohen und schließlich sechs Monate gefangen halten. Er bekommt seine Antwort und die lautet: ›Zum letzten male, wir haben nichts mehr mit dir zu thun‹.«

Casati war nicht überzeugt und der Pascha ist, wie ich sehe, sehr beunruhigt. Sie werden heute Abend wieder zusammenkommen und die moralische Seite nochmals besprechen. Gott weiß, was morgen ihre Absichten sein werden. Keiner von beiden sieht den Zustand der Dinge, wie er wirklich ist. Ich bin überzeugt, ihre Gedanken sind ebenso verworren, wie ihre Lage verzweifelt sein würde, wenn wir sie nur etliche Tage sich selbst überließen.

Ehe der Pascha sich abends zur Ruhe legte, kam er nochmals in mein Zelt, um mir zu versichern, daß er am 10. April mitgehen würde; er sei überzeugt, daß alle Aegypter hier im Lager, mit ihren Begleitern etwa 600 an der Zahl, ihm folgen würden. Allein Nachrichten von anderer Seite beweisen mir, daß der Pascha sich in einem groben Irrthum befindet. Wie sie ihn enttäuschen werden, weiß ich nicht. Bis dahin habe ich mit ihnen allen erst wenige Worte gewechselt und sicherlich mir nicht den Anschein gegeben, als hätte ich irgendwelche Autorität über sie. Ich betrachte den Pascha als meinen Gast und die Aegypter als seine Begleiter; ich versorge die ganze Gesellschaft mit Fleisch und Getreide und Dr. Parke sieht jeden Morgen und Nachmittag nach den Kranken.

1. April. Heute ist der erste Schritt heimwärts gethan. Ich sandte Lieutenant Stairs mit seiner aus 61 tüchtigen Büchsenschützen bestehenden Compagnie zu Masamboni, um dort im voraus für die ungeheuere Colonne, welche am 10. von hier aufbricht, ein Lager zu bauen und Vorräthe u. s. w. aufzuspeichern und bereit zu halten.

In seiner Begleitung befanden sich Major Auasch-Effendi, Ruschdi-Effendi und zwei oder drei andere Aegypter mit ihren Begleitern, sowie 57 Unterthanen Masamboni's, 29 aus Usiri und 30 Leute Mpinga's. Außer den Sachen für die zweite Compagnie nahmen die Träger 88 Lasten Munition für die Remington- und Winchestergewehre, sowie Schießpulver mit.

Folgende seltsame Zusammenstellung dürfte für Mediciner Interesse haben:

tabelle
Zur Vervollständigung der Zusammenstellung hinzugefügt.

2. April. Der Ruwenzori war während der letzten drei Tage sichtbar. Die schneebedeckte Kette bot einen sehr anziehenden, schönen Anblick – rein, blendend, mit den entschwindenden Stunden in Farbe wechselnd, rundherum von einem unbegrenzten tiefen opalfarbigen Blau umgeben, bis die Sonne unterging und dunkle Nacht die Erde bedeckte. Die Eingeborenen behaupteten, der Berg sei nicht zu sehen, weil die Balegga-Hügel im Süden den Blick verhinderten, durch unsere Nivellirungen und Triangulation wußten wir aber, daß er doch zu sehen sein müßte, und thatsächlich war er auch zu sehen. Als wir ihn den Eingeborenen zeigten, wandten sie sich um und fragten: »Wie konntet ihr wissen, daß er von hier zu sehen sei?«

3. April. Dem Pascha gehen langsam die Augen auf. Heute Nachmittag kam er zu mir und erzählte, er habe seinen Haushalt – 51 Personen, Diener, Wachen und Ordonnanzen, die er bisher bei sich gehabt hat – zusammentreten lassen und gefragt, wer von den Leuten ihn am 10. April begleiten wolle. Alle lehnten es ab bis auf vier; die übrigen sagen, sie wollen auf ihre »Brüder« warten.

Einer von diesen vier Getreuen erklärte frech gerade heraus, er gehe nur mit, um ein kleines Mädchen zu bekommen, welches Kapitän Casati ihm mit Gewalt vorenthalte; sobald er dasselbe im Besitz habe, werde er nach Kavalli zurückkehren, um seine »Brüder« zu erwarten.

Als ich den Pascha fragte, welche Ansprüche Casati an dem Mädchen habe, das intensiv schwarz und etwa fünf Jahre alt ist, erwiderte er mir, Casati habe sich vor mehrern Jahren wegen einer Köchin an ihn gewendet. Dieselbe habe Casati nach Unjoro begleitet, während er ihn in diesem Lande vertreten habe. Während ihrer Dienstzeit bei Casati gebar die Köchin dieses Kind, dessen Vater ein sudanesischer Soldat war. Drei Jahre lang wurde das Kind im Hause Casati's erzogen, wo es der Liebling aller war und durch sein argloses Geplauder und kindliches Wesen die Langeweile des einsamen Mannes vertreiben half. Bei seiner Verjagung aus Unjoro durch Kabba-Rega und seiner Rückkehr nach der Aequatorialprovinz verlangte der Gatte die Frau und das Kind, bestritt zugleich aber die Vaterschaft, während Casati sich weigerte, das Kind herauszugeben. Er hat dies auch bis heute hartnäckig abgelehnt.

Der Pascha hielt es für möglich, daß der Soldat finstere Absichten gegen Casati im Schilde führt; er beklagte zugleich Casati's krankhafte Zuneigung zu seinen männlichen und weiblichen Dienstboten. Er ist nicht geneigt, seine Autorität gegen Casati geltend zu machen, der viele Jahre sein Gast und treuer Freund gewesen ist, bedauert aber, daß dieser seinen Rath nicht annehmen will. Diese Unterhaltung fand zwischen 5½ und 6½ Uhr nachmittags statt.

Als ich eine Stunde später im Mondschein einen kurzen Spaziergang vor meinem Zelte machte, hörte ich eine wüthende, scheltende, gutturale Stimme, welche in arabischer Sprache Verwünschungen ausstieß, und unterschied in den lauten, eifrigen und wortschwallreichen Schimpfereien häufig meinen und des Paschas Namen und bestimmte Rufe: »Genug, genug, genug!« Dann vernahm ich andere Stimmen, welche besänftigend riefen: »Um des Propheten willen.« »Habt etwas Geduld!« »Mäßige deinen Zorn«, und Aehnliches, bis gleich darauf tief und kräftig die Stimme des Paschas erklang: »Was ist da los? Frieden, ich befehle es euch, Frieden! Gut, geht hin und sagt es Herrn Stanley, sein Zelt ist nicht weit. Geht!«

Im nächsten Augenblick stürzte infolge dieser Aufforderung ein gewisser Mohammed Effendi, der Maschinist, ein hellfarbiger, nicht unschöner Aegypter, gefolgt von einer großen Menge, auf mich los und sprudelte – das ist der richtige Ausdruck – eine stark durch Eifersucht gefärbte und von wüthenden bittern Anklagen strotzende Geschichte hervor. Er habe, erzählte er, seinem Weibe, mit dem er in Chartum gesetzlich verbunden worden sei, beim Tode der abessinischen Mutter Ferida's gestattet, die Amme des Kindes zu werden. Das sei vor 30 Monaten gewesen. Anfänglich habe seine Gattin die Zeit finden können, nicht nur dem Kinde, sondern auch ihm gegenüber ihre Pflicht zu erfüllen, in den letzten sechs Monaten sei sie ihm aber entfremdet worden und habe ihn bei jeder Gelegenheit, wenn sie zusammengetroffen seien, heftig gescholten. Während der letzten 24 Stunden habe er mehr als ein Dutzend mal zu ihr geschickt, doch habe sie die Boten mit steigender Verachtung zurückgewiesen. Sei das recht? Gäbe es keine Gerechtigkeit für ihn?

»Mein Freund Mohammed«, erwiderte ich, »ich habe wirklich keine Befugniß, so delicate Fragen zu entscheiden. Seid Ihr beim Pascha gewesen? Habt Ihr ihn gebeten, daß er versuchen möge, seine Autorität auszuüben? Da sie Amme in seinem Hause ist, ist er auch die Persönlichkeit, an die Ihr Euch wenden solltet, nicht ich.«

»Geht Ihr zu ihm! Weshalb soll ich zu ihm gehen? Nein, wenn Ihr mir denn keine Gerechtigkeit verschaffen wollt, dann werde ich entweder mich oder mein Weib oder den Pascha tödten. Eins werde ich gewiß thun.«

Laut scheltend, sodaß das ganze Lager seine Drohungen hören konnte, stürmte er fort.

Kaum hatte ich aufgehört, mich zu wundern, was das alles bedeuten sollte, als eine weißgekleidete Gestalt, der Kleidung nach augenscheinlich ein Weib, rasch nach meinem Zelte schlich.

»Wer ist da?« fragte ich.

»Die Frau des Mohammed Effendi.«

»Um Gottes willen, weshalb kommt Ihr gerade hierher?«

»Ihr müßt auch meine Geschichte hören, nachdem Ihr diejenige Mohammed's gehört habt«, antwortete sie.

»Habt Ihr die Erlaubniß vom Pascha, mich zu besuchen?«

Nachdem sie die Erlaubniß erhalten hatte, führten Herr Jephson und Dr. Parke sie in mein Zelt.

»Nun sprich, meine Ohren sind offen.«

Die Schöne kauerte sich nieder und bildete in der dunkelsten Ecke des nur von einer Kerze erhellten Zeltes eine weiße Masse; das Zelt füllte sich mit einem feinen Duft von Oel aus Schiras oder Stambul, und eine vollkommen klare, angenehme Stimme sprach ein so reines bestimmtes Arabisch, daß ich jedes Wort zu verstehen glaubte. Vierzehntägiges Leben mit einer solchen Stimme würde mich zu einem arabischen Gelehrten machen.

Die Geschichte der Schönen lautete dahin, daß ihr Gatte ihr von ganzem Herzen misfiele, ja daß sie ihn vollständig haßte. Er sei einfach ein Thier von einem Heiden; er stehe zu niedrig, um ihrer Liebe werth zu sein. Er habe sie beraubt, ihre Kleider zerrissen, sie geschlagen und ihr einmal halb den Kopf gespalten. Nein, sie würde niemals in Zukunft wieder etwas mit ihm zu thun haben, nein, nie, nie! u. s. w.

»Seid Ihr mit Euerer Geschichte zu Ende?«

»Ja.«

»Serur! Bringe sie nach dem Hause des Paschas zurück.«

Nachdem einige Minuten verflossen waren, kam der Pascha in mein Zelt und bat um eine Unterredung. Er erzählte, die Frau sei mit Einwilligung ihres Gatten die Amme seiner kleinen Tochter geworden und habe dafür einen reichlichen Lohn an Stoffen erhalten; aber kaum seien diese Sachen in ihren Händen gewesen, als auch schon der Mann gekommen sei, ihr alles weggerissen und sie schändlich geschlagen habe. Auf ihr Bitten habe er, der Pascha, ihr Schutz verliehen, selbst gegen ihren Gatten. Von diesem habe er keinerlei Einwand und von seiner wüthenden Eifersucht auch nicht eher etwas gehört, als bis er an diesem Abend die zornige Stimme Mohammed's gehört habe, der auf ihn gescholten und gedroht habe, ihn zu erschießen. Er müsse daher um meinen Schutz bitten, da der tolle Bursche in einem Anfall von Wahnsinn jemand tödten könne.

»Wollen Sie diese Angelegenheit meinen Händen überlassen, Pascha?«

»Gewiß.«

»Gut. Ich bitte Sie, sich in Ihr Quartier zurückzubegeben; es sollen an jedem Eingang zu demselben Wachen aufgestellt werden und ich verbürge mich für die Sicherheit aller im Hause. Ich werde Mohammed rufen lassen und seine Geschichte geduldig anhören, und Ihnen dann, noch ehe Sie sich schlafen legen, Bescheid geben, welches Arrangement wir getroffen haben.«

Als der Pascha fort war, ließ ich Mohammed kommen.

Er erzählte, er habe, nachdem er seinem Weib Erlaubniß gegeben habe, Ferida als Amme zu dienen, nicht die Absicht gehabt, das kleine Mädchen der Dienste seiner Frau zu berauben; er wünsche nur, daß seine Gattin ihn gelegentlich besuche und sich ihren ehelichen Pflichten zugänglich erweise.

»Wenn Ihr Euch auf einige einfache Bedingungen einlassen wollt, will ich mein Möglichstes versuchen, um Euer Weib wieder zur Vernunft zu bringen; es ist aber nothwendig, daß Ihr morgen früh im Hause des Paschas mit mir zusammenkommt und ihn wegen Euerer schrecklichen Heftigkeit von heute Abend um Verzeihung bittet. Nein, unterbrecht mich nicht«, fuhr ich fort, »Ihr seid von Euern Freunden Dr. Vita Hassan, Bassili Effendi und andern zu diesem rohen Benehmen nur aufgestachelt worden, um eine Scene zu machen. Geht jetzt ruhig nach Hause und hütet Euch heute Abend vor weitern Worten. Morgen früh werden wir uns wiedersehen.«

An diesem Abend traf eine Post aus Wadelai ein mit Briefen, welche von der allergrößten Unordnung und der außerordentlichsten Verwirrung auf jener Station melden.

4. April. Um 8 Uhr früh begab ich mich nach dem Hause des Paschas und theilte ihm mit, ich wünschte Mohammed zu ihm zu rufen. Nachdem ich die Erlaubniß hierzu erhalten hatte, erschien der Mann und entschuldigte sich in unterthänigster Weise, obwol sein ärgerliches Gesicht die Betheuerungen der Reue Lügen strafte. Ich sagte ihm dann, er solle in meiner Gegenwart dem Pascha sagen, unter welchen Bedingungen er gewillt sei, die Frau den Dienst als Amme noch fortsetzen zu lassen, worauf er erklärte, er wolle, daß sein Weib Ferida von der ersten Morgenstunde bis abends zur Schlafenszeit warten solle, das sei alles. Hiermit war der Pascha zufrieden, doch sagte ich nunmehr

»Nur unter den folgenden Bedingungen, Mohammed, erkläre ich mich einverstanden:

1) Euer Weib soll Ferida während der Tageszeit warten;

2) Euer Weib soll nach Sonnenuntergang zu Euerm Hause zurückkehren;

3) Euer Weib darf nicht geschlagen oder verletzt werden;

4) Das persönliche Eigenthum Eueres Weibes soll beim Pascha bleiben;

5) Ihr sollt Euer Weib auf dem Marsche unterstützen, schützen und bewachen und ihr nach Ankunft im Lager gestatten, nach Ferida zu sehen;

6) Ihr sollt Euer Weib während des Tages nicht belästigen und mit Euern Forderungen quälen, außer im Falle Euerer Erkrankung;

7) Der Pascha soll in Anbetracht der Dienste Eueres Weibes es ernähren und kleiden, sowie auch dafür sorgen, daß es während des Marsches getragen wird.«

Sowol der Pascha als auch Mohammed waren damit einverstanden.

Dann wurde die Frau gerufen und der Pascha übersetzte ihr Wort für Wort die obigen Bedingungen. Während sie zuhörte, zog sie den weißen Musselin vom Gesicht; in Abwesenheit größerer Schönheiten schien sie sehr hübsch zu sein und hatte prachtvolle große schwarze Augen, ein entschieden schönes kairinisches Gesicht. Die Hütte füllte sich mit dem Duft ihrer fleckenlos weißen Musselinrobe, unter welcher sie ein scharlachrothes Unterkleid trug. In den Wildnissen Afrikas habe ich nie etwas gesehen, was ihr annähernd gleichgekommen wäre.

Nachdem ihr die Bedingungen übersetzt waren, stieß sie ein kräftiges »Niemals, niemals, nein, niemals!« hervor, sowie reichliche Scheltworte gegen Mohammed, der lächerlich ärgerlich und eifersüchtig aussah, mich aber aufforderte, sie anzuhören.

»Nehmt sie mit Euch, Mohammed.«

Der Mann befahl ihr, sich nach seinem Hause zu begeben, sie achtete aber nicht weiter auf den Befehl.

»Sie muß jetzt nach Euerm Hause gehen«, sagte ich.

Nochmals streckte Mohammed seine Hand gegen sie aus, doch stieß sie dieselbe ärgerlich beiseite. »Niemals, niemals, nein, niemals!« rief sie wild, mit zornigem Funkeln der hübschen Gazellenaugen.

»Befehlen Sie ihr, bitte, daß sie geht, Pascha.«

Der Pascha wiederholte den Befehl mit seiner gewöhnlichen tiefen Stimme, doch blieb sie unbeweglich stehen.

»Sie sehen, sie will nicht«, sagte der Pascha. »Was kann geschehen?«

»Mein lieber Pascha, wir waren auf eine Scene vorbereitet. Dies ist genau das, was, wie wir beide wußten, geschehen würde. Trotz ihrer Halsstarrigkeit muß sie, muß sie absolut mit ihrem Manne gehen und wir wollen, was auch geschehen möge, Nachsicht üben, bis ihr Gatte sie schlägt. Bitte, befehlen Sie ihr nochmals, daß sie ihren angetrauten Gatten begleiten muß, da wir sie sonst nach seinem Hause tragen würden.«

Der Pascha that dies, und nach secundenlangem Zögern, während dessen sie offenbar die Stärke der beiderseitigen Willenskräfte gegeneinander abmaß, ging sie hinaus und nahm den süßen Duft und die Anmuth ihrer Gegenwart mit sich.

»Ihr nach, Mohammed! Wenn Ihr sie aber selbst nur mit einer Feder schlagt, wird sie Euch fremd bleiben, bis Ihr Kairo erreicht. Laßt sie nur weiter schelten, selbst wenn sie vor Ermüdung in Ohnmacht fallen sollte. Fürchtet ein Mann wie Ihr den Wind? Nehmt drei oder vier Tage Rücksicht auf sie, und sie wird – Ihr könnt ohne Sorge sein – sich ändern.«

Zehn Minuten später erschien Mohammed nochmals und rief ängstlich, sie sei vom Teufel besessen und nicht zu regieren, zerreiße ihre Kleider und zerre an ihrem Gesicht, als ob sie dessen Schönheit für immer zerstören wolle u. s. w.

»Ganz recht, ganz recht, Mohammed, gerade das, was wir von ihr erwartet haben. Gehe hin und binde ihr die Hände an den Gelenken auf dem Rücken fest, Mohammed. Thue dies mit zuversichtlichem Lächeln und besänftigenden Worten, Mohammed. Ich kenne kein Gesetz, das Euch daran hindern könnte, Mohammed. Sie ist euer gesetzmäßiges Weib, Mohammed. Aber hütet Euch, daß Ihr sie schlagt, denn wenn Ihr das thut, seid Ihr ein Thier.«

Der Mann entfernte sich und fesselte die ungestüme Schönheit in praktischer Weise. Dann schrie und jammerte sie eine halbe Stunde und die Frauen der Nachbarn kamen herein, um sie zu trösten und zu bitten, doch unterwürfig gegen ihren Herrn und Gebieter zu sein, der sofort sanft und freundlich werden würde, wenn sie ihm nur den schuldigen Gehorsam zeige. »Es ist seine übergroße Liebe für dich«, sagten sie, »die ihn so wüthend und ärgerlich macht. Wenn du nur klug wärest, würde er dein gelehrigster Sklave werden.« Kluge Frauen!

Allein ihr gemeinsamer Rath und die zwischengestreuten schlauen Vorschläge hatten meiner Meinung nach auf die Besänftigung ihres wüthenden Temperaments nicht so viel Einfluß, wie die Fesseln, welche das stolze Weib vollkommen hülflos vor dem höhnischen Gatten erscheinen ließen.

Um 3 Uhr nachmittags schickte sie mir eine jammervolle Botschaft, ich möge veranlassen, daß sie wieder freigelassen werde, doch ließ ich ihr streng sagen, ihre Stimme hätte keine Macht über mich und ihre Schönheit keinen Reiz für mich, sie müsse ihren Gatten bitten. Infolge dessen wandte sie sich an Mohammed und flehte ihren Herrn und Gebieter sanft an, daß er gehen und für sie bitten möge; die Fesseln schmerzten sie und sie würde in Zukunft ihm unterthänig gehorchen.

Nunmehr kam Mohammed, mit vor Triumph und Glück strahlenden Zügen und befreit von den ihn entstellenden Eifersuchtsfalten, um für ihre Freilassung zu bitten. Ich gewährte ihm dieselbe mit dem Rathe, seine Liebe nicht in Thorheit ausarten zu lassen, einige Tage einen befehlenden Ton anzuwenden und sich streng fern von ihr zu halten, weil sie sonst bald die verlorenen Vortheile wiedergewonnen haben würde.

Die Frau erhielt dann Erlaubniß, den Dienst im Haushalt des Paschas fortzusetzen, und kehrte abends aus eigenem Antriebe sanft ins Haus ihres Gatten zurück. Hoffentlich wird in Zukunft der Friede seine Flügel über die gestörte Familie ausbreiten. Amen!

5. April. Heute Morgen theilte Serur, ein zum Haushalt des Paschas gehörender Knabe aus dem Laude der Monbuttu, mir mit, daß nur zwei von den Dienern seines Herrn ihm aus dem Lager zu folgen beabsichtigen. Er erzählte, die Diener seien, nachdem der Pascha sie vorgestern befragt habe, beiseite gegangen und hätten untereinander berathen und schließlich beschlossen, den Pascha ohne sie – Ordonnanzen, Wachen, Schreiber und Diener, alle bis auf Bilal und ihn, Serur – abreisen zu lassen.

»Aber weißt du gewiß, daß du mit ihm gehen wirst?«

»Das weiß ich noch nicht. Wenn alle meine Freunde zurückbleiben, was soll ich dann allein machen?«

»Gut denn, nur Bilal wird bestimmt mitgehen?«

»Ja.«

Nach der üblichen Morgenmusterung um 10½ Uhr meldete mir Sali, die Sansibariten hätten davon gesprochen, daß in mehrern Abtheilungen des Lagers der Versuch, die Gewehre aus den Hütten zu stehlen, gemacht, überall aber durch die prompte Wachsamkeit unserer Leute vereitelt worden sei. Es freute mich zu hören, daß endlich die Sansibariten gelernt hatten, wie wichtig es war, die Gewehre zur Nachtzeit ganz in ihrer Nähe sicher unterzubringen. Im Lager herrscht allgemein das Gefühl, daß irgendetwas sich ereignen wird. Die flüsternden Versammlungen, die man alle Tage bemerkte, die Sorgfalt, mit der dieselben darauf achteten, daß ein Fremder ihnen nicht zu nahe käme, die Entdeckung, daß die Diener des Paschas diesem tatsächlich offen erklärt hatten, sie würden ihn nicht begleiten, die ungeheuern Packete von Briefen, welche die Aegypter an ihre ewig zaudernden Gefährten in Wadelai sandten, die umfangreichen Posten, die als Antwort aus Wadelai eintrafen, die heimlichen Warnungen, den Aegyptern kein Vertrauen zu schenken, in Verbindung mit dem frühern Diebstahl eines Gewehrs durch die zurückkehrenden Offiziere, und die kecken Versuche, noch weitere Gewehre zu stehlen: alles das vereinigte sich zu einem überzeugenden Beweise, daß zwischen jetzt und dem 10. April die Ausführung irgendeines kühnen Plans versucht werden sollte.

Bis zum heutigen Tage habe ich den Pascha und seine Leute als unsere Gäste, die mit aller Höflichkeit und Zuvorkommenheit behandelt werden müssen, und mich nur als Wirth und Führer betrachtet, ausgenommen wenn eine bestimmte Angelegenheit meiner Erledigung unterbreitet und zugewiesen wurde. Für den Pascha persönlich hegen wir alle die größte Hochachtung und Sympathie. Es ist kein Tag vorübergegangen, an welchem ich und die Offiziere nicht diesem Gefühl Ausdruck verliehen haben; nichtsdestoweniger wissen wir aber, daß die Methode des Paschas vollständig unzureichend ist, um Gehorsam zu erzwingen. Nicht ein einziger seiner Befehle von irgendwelcher Bedeutung ist befolgt, keine seiner Bitten beachtet worden. So oft wir dies bemerkten, haben wir uns geärgert und bedauert, daß der Pascha jedesmal, wenn wir uns erkühnten, mit ihm darüber zu sprechen, sich wegen seiner dreizehnjährigen Erfahrungen mit ihnen in seinem Urtheile für unfehlbar hielt. Als nun aber die Aegypter aus unserer ruhigen, harmlosen Weise zu schließen begonnen hatten, daß alle Weißen ähnlich wie ihr Pascha seien, und ein Project zur Ausführung zu bringen beabsichtigten, das unsere Rechte und Freiheiten bedrohte, war die Zeit zum Handeln gekommen.

Ich begab mich zum Hause des Paschas.

Derselbe legte gerade die letzte Hand an einige von seinem Secretär ausgestopfte Vögel, nahm aber sofort seine gewöhnliche Würde an und bereitete sich ernsthaft vor, mir zuzuhören.

»Emin Pascha«, sagte ich, »gestern Abend sind Boten aus Wadelai und Mswa eingetroffen. Dieselben haben ein großes Packet Briefe von Selim Bey, den ägyptischen Beamten und andern überbracht, und alle Schreiben, welche Sie erhielten, schilderten die Unordnung und Noth. Es bestehen dort jetzt ein halbes Dutzend Parteien, die sich einander gegenüberstehen. Ein koptischer Beamter schrieb Ihnen, keiner schiene zu wissen, was er wolle, die Soldaten seien in die Regierungsmagazine eingebrochen und hätten genommen, was ihnen beliebte; die Offiziere seien nicht im Stande die Soldaten zurückzuhalten; Wadelai sei wie eine Niederlassung von Wahnsinnigen; Selim Bey habe noch nicht einmal mit der Einschiffung seiner eigenen Familie begonnen; er habe nur wenig Anhänger und diese seien vollständig unbotmäßig.

»Auch Ihre Leute haben zahlreiche Briefe von ihren Brüdern erhalten, und als ob dies im Zusammenhang mit dieser Thatsache stände, ist gestern Abend der Versuch gemacht worden, unsere Waffen wegzunehmen. Zu drei verschiedenen malen sind sie in die Hütten der Sansibariten gedrungen und haben versucht, die Gewehre zu stehlen, doch hatten die Sansibariten nach meiner Instruction die Waffen an ihrem Gürtel befestigt und wurden, als man daran zog, aufgeweckt, worauf die Diebe ihre Absicht aufgaben und entflohen. Während Sie mit Ihren Sammlungen und Studien beschäftigt waren, habe ich beobachtet.

»Sie haben noch fünf Nächte bis zu unserm Abmarsche am 10. März vor sich. Gestern Abend ist der Versuch, uns unserer Vertheidigungswaffen zu berauben, fehlgeschlagen, aber sie werden neue Versuche machen, und da ich sie für schlau genug halte, vielleicht Glück dabei haben, und es ist ganz klar, daß sie irgendeinen Zweck verfolgen. Selbstverständlich wird, wenn es ihnen gelingt, sich auch nur ein Gewehr anzueignen, die Bestrafung eine summarische sein, da ich dann vergessen werde, was ich ihnen als Ihren Leuten und meinen Gästen schuldig bin. Das ist aber gerade, was ich vermeiden möchte. Ich würde ungern Blut vergießen und gewaltsame Scenen herbeiführen, wenn sich ein besserer Weg finden läßt, um unsere Waffen und Munition sicherzustellen und einen ruhigen und friedlichen Abmarsch zu bewirken. Ich schlage Ihnen eins von zwei Dingen vor. Lassen Sie das Signal für alle bei Ihnen befindlichen Araber und Sudanesen zum Mustern blasen und dann finden Sie in aller Ruhe heraus, wer mit Ihnen zu gehen gewillt ist. Denjenigen, welche nicht wollen, werde ich befehlen, das Lager zu verlassen; gehorchen sie nicht, so würde es an mir sein, Zwang anzuwenden. Da diese Leute aber unsere Sansibariten verachten, werden sie höchst wahrscheinlich versuchen, Widerstand zu leisten. Nun, in einem Lande, wo wir keine andere Berufung haben, als an unsere Feuerwaffen, wird es sicherlich zu gewaltsamen Scenen kommen, und wir würden dies beide später bedauern.

»Der zweite Vorschlag ist noch wirksamer und unblutiger. Befehlen Sie in aller Ruhe, daß Ihr Gepäck zusammengepackt werde, und mit Tagesanbruch sollen meine Leute sämmtlich bereit sein, Sie nach einem etwa 5 km von hier entfernten Lager zu geleiten. Von diesem Lager würden wir die Aufforderung hierher ergehen lassen, daß alle diejenigen, welche Ihnen zu folgen beabsichtigen, kommen und uns willkommen sein sollen, alle übrigen aber bei Todesstrafe sich ohne Erlaubniß nicht nähern dürfen.«

»Hm! Darf ich Casati hiervon Mittheilung machen?« fragte der Pascha.

»Nein. Casati befindet sich nicht in Gefahr; ihm werden sie nichts zu Leide thun, weil er nicht ihr Gouverneur oder Offizier, sondern nur Reisender ist. Er kann am nächsten Tage, oder wann es ihm beliebt nachkommen. Wenn er zurückgehalten wird, werde ich das Rebellenlager angreifen und Casati schon rasch genug befreien.«

Während ich sprach, schüttelte der Pascha den Kopf in der ihm eigenen melancholischen, resignirten Weise, welche mir stets bedauernswerthe Unentschlossenheit zu verrathen schien.

»Sie mögen beide Pläne nicht, wie ich sehe, Pascha. Machen Sie dann selbst einen andern Vorschlag, wie ich einen Conflict mit diesen elenden, irregeleiteten Leuten vermeiden kann, denn daß derselbe nahe bevorsteht, ist so sicher wie das Licht des Tages. In meinem Lager soll keine Disciplinlosigkeit und Unbotmäßigkeit herrschen.«

Nach einer Weile erwiderte der Pascha: »Ihr Plan ist nicht schlecht, aber es ist nicht genügend Zeit dazu.«

»Nun, Pascha, Sie haben mir gesagt, daß Sie während der letzten 15 Tage gepackt hätten. Wollen Sie sagen, daß Sie von jetzt bis übermorgen früh nicht mit dem Einpacken Ihrer Sachen fertig werden können? Meine Expedition kann in einer halben Stunde aufbrechen. Wenn Sie die Gefahr des Blutvergießens nicht erkennen können, meinen Plan nicht annehmen wollen und nichts vorzuschlagen vermögen, was uns von der Nothwendigkeit befreit, uns gegenseitig zu vernichten, dann muß ich sofort Maßregeln für die allgemeine Sicherheit ergreifen. Und sollte nur ein einziger Tropfen Blut vergossen werden, so wird die Schuld davon auf Ihr Haupt fallen müssen. Adieu.«

Ich erhob mich und bald ertönte das Signal zur allgemeinen Musterung unter Waffen. Ich und die Offiziere trugen unsere Waffen, und als die Sansibariten, Manjema, Sudanesen und Eingeborenen dies sahen, wußten sie, daß der Fall dringend war und eilten mit wunderbarer Schnelligkeit auf den freien Platz. Die Eingeborenen von Kavalli gaben das Alarmsignal weiter und alsbald stürzten mehrere hundert Eingeborene heran, um an dem ihrer Meinung nach bevorstehenden Kampfe theilzunehmen.

Innerhalb fünf Minuten waren die Compagnien unter Waffen an den drei Seiten des freien Platzes entlang aufgestellt. Als der Pascha sah, daß ich Ernst machte, kam er heraus und bat mich, ihm einen Augenblick Gehör zu schenken.

»Gern, was gibt es?« fragte ich.

»Sagen Sie mir nur, was ich jetzt thun soll.«

»Es ist jetzt zu spät, Pascha, um den friedlichen Weg einzuschlagen, den ich Ihnen angedeutet habe. Jetzt ist überall das Alarmsignal gegeben und ich beabsichtige daher, nun selbst die Gefahr hier aufzudecken und ihr hier gegenüberzutreten. Bitte lassen Sie das Signal geben, daß Ihre Araber hier vor mir zur Musterung antreten.«

»Sogleich«, antwortete der Pascha, und ertheilte seinem Trompeter den Befehl.

Wir warteten ruhig zehn Minuten, und als wir sahen, daß dem Signal wenig Beachtung geschenkt wurde, ersuchte ich Herrn Jephson, die erste Compagnie mit Knitteln und Stöcken zu bewaffnen, alle Araber, Aegypter und Sudanesen ohne Rücksicht auf ihren Rang auf den freien Platz zu treiben, jedes Haus zu durchzusuchen und die vorgefundenen Männer herauszuschleppen.

Die Sansibariten vertheilten sich sofort im Lager, gingen im Laufschritt vor und ließen ohne weiteres auf jeden Nachzügler und Zauderer, den sie trafen, einen Schauer von Hieben herabsausen, daß selbst der größte Skeptiker zugeben mußte, daß die Sansibariten auf Befehl doch noch zu etwas Besserm geeignet seien als zu Lastthieren und Sklaven fauler Aegypter.

Zum ersten male bildeten die Aegypter und Sudanesen eine anständige Linie; ehe dieselbe jedoch nicht ganz mit militärischer Genauigkeit und Sorgfalt hergestellt war, sprach ich kein Wort zu ihnen. Es war höchst amüsant zu sehen, wie ein gewöhnlicher Sansibarite mit seinem Stocke, den er mit grimmigem Gesichte schwang, die Linie der Majore, Wekils, Hauptleute, Lieutenants, Schreiber und Lagerverwalter richtete.

Als die Linie mir befriedigend erschien, trat ich an sie heran und theilte ihnen mit, ich hätte gehört, sie wollten kämpfen und wünschten dringend zu erfahren, was die Sansibariten eigentlich für Leute seien. Sie hätten gesehen, wie gut dieselben arbeiten könnten, es wäre schade, wenn sie nicht auch sich davon überzeugen könnten, wie sie kämpften.

»Aber wir wollen gar nicht kämpfen«, erwiderte der Wekil oder Vicegouverneur.

»Was bedeutet es dann, daß, wie ich höre, einer von euch so gut ist wie zehn von meinen Leuten, daß Gewehre gestohlen, jeden Tag, den ihr hier gewesen seid, Pläne und Gegenpläne geschmiedet werden, daß ihr beschlossen habt, dem Pascha nicht zu folgen, nachdem ihr uns habt Häuser für euch bauen, Lebensmittel für euch sammeln und während der letzten beiden Monate Hunderte von Lasten vom See nach diesem Berge herauf habt schleppen lassen, und daß in letzter Nacht in drei unserer Häuser eingebrochen worden ist und ihr Hand an unsere Waffen gelegt habt? Sprecht und sagt, was das alles zu bedeuten hat.«

»Ach, Pascha, keiner von uns wünscht zu kämpfen. Laßt die Diebe, wenn sie gefunden sind, sterben.«

»Wenn sie gefunden sind! Wird irgendein Dieb den Diebstahl eingestehen und sich selbst dem Erschießen überliefern? Werdet ihr, die ihr alle eines Sinnes seid, euch gegenseitig verrathen und euch der Bestrafung überantworten? Beabsichtigt ihr euerm Pascha zu folgen?«

»Ja, wir alle«, antworteten sie.

»Halt! Diejenigen, welche dem Pascha zu folgen beabsichtigen, stellen sich dort an der andern Seite auf, wie Soldaten, jeder an seinem Platze.«

Sofort fand eine allgemeine rasche Bewegung in regelrechter Weise statt; dann machten die Leute kehrt und bildeten wieder Front gegen mich.

»So! Ist niemand unter euch, der mit Selim Bey in diesem schönen Lande zu bleiben wünscht, wo ihr die Eingeborenen für euch arbeiten, kochen und euch ernähren lassen könnt?«

»Niemand, nicht ein einziger. La il Allah il Allah!«

»Nun, Pascha, Sie sind sicherlich falsch unterrichtet gewesen. Diese Leute behaupten sämmtlich, daß sie treu sind. Es ist nicht ein einziger Verräther unter ihnen.«

»Ich sehe meine Diener und Ordonnanzen hier nicht«, entgegnete der Pascha.

»Ach, Lieutenant Stairs, nehmen Sie, bitte, eine Abtheilung und treiben Sie alle sämmtlich heraus. Bei dem geringsten Widerstande wissen Sie, was Sie zu thun haben.«

»Sehr wohl.«

Lieutenant Stairs nahm seine Compagnie, ertheilte derselben einige Befehle, und nach wenigen Minuten waren die Diener des Paschas auf den freien Platz gebracht. Waffen und Ausrüstung waren denselben abgenommen worden.

»Nun, Pascha, fragen Sie, bitte, die Leute hier vor mir einzeln, was sie zu thun beabsichtigen.«

Auf die Frage des Paschas erwiderten alle, sie seien bereit, ihrem Herrn bis ans Ende der Welt zu folgen, bis auf einen, Serur.

»Das ist der Hauptverschwörer in meinem Haushalt«, bemerkte der Pascha, auf Serur zeigend.

»O es bedarf nur einer Patrone, um seine Angelegenheit zu erledigen.«

»Um Gottes willen; aber hoffentlich werden Sie erst eine Untersuchung anstellen und nicht auf meine Worte hin handeln.«

»Ohne Zweifel, mein lieber Pascha. Wir lassen stets solchen Leuten eine gerechte Untersuchung zutheil werden.«

Serur wurde nebst drei andern, welche der Pascha bezeichnet hatte, unter Bewachung gestellt.

»Wollen Sie nun, Pascha, nachdem dies Geschäft in befriedigender Weise erledigt ist, die Güte haben, diesen Offizieren zu sagen, daß die Streiche von Wadelai vollständig aufhören müssen und sie in Zukunft unter meinem Befehl stehen. Wenn ich irgendwelche verrätherische Schliche entdecke, werde ich gezwungen sein, die Leute vollständig zu vernichten. In meinem Lager darf kein Mahdist, Arabist oder Rebell leben. Denjenigen, welche sich gut aufführen und den Befehlen Gehorsam leisten, wird weder von ihren Gefährten noch von uns ein Leid geschehen. Ich habe die Pflicht, sie nach Aegypten zu führen, und werde sie nicht verlassen, bis wir in Kairo eintreffen. Was ich thun kann, um es ihnen bequem zu machen, wird geschehen, aber auf Empörung und Diebstahl von Waffen steht nur der Tod.«

Der Pascha übersetzte den Arabern meine Worte, denen sie durch Verneigung ihre Zustimmung gaben, worauf sie durch den Wekil und zwei Offiziere gelobten, sie würden ihrem Vater gewissenhaft gehorchen.

»Gut«, erwiderte ich; »und da ich jetzt den Befehl übernehme, muß ich eine Liste euerer Namen und die genaue Zahl euerer Familienmitglieder haben; je nach dieser Zahl werden euch Träger zugetheilt werden, und am fünften Tage von heute ab brechen wir auf.«

Armer Pascha! Es war so klar wie das Sonnenlicht um Mittag, weshalb die Zahl der 10 000 Begleiter bis auf einen einzigen Mann, Bilal, zusammengeschrumpft war! Nach geduldiger und gewissenhafter Analyse des Weshalb und Wozu dieser Ereignisse ist das Resultat unzweifelhaft, und es ist begreiflich, daß der wissenschaftliche Forscher, der Mann mit dem arglosen Herzen vollständig ungeeignet ist, diese speichelleckenden, hinterlistigen Schurken zu bekämpfen, die Betrug und Treulosigkeit zu ihrem Geschäft gemacht haben. Andererseits ist es aber nicht so klar, ob seine Lage, wenn er ihre heuchlerischen Ränke durchschaut, mit diesen bösen Menschen kühn gerungen und die Häupter dieser Veteranen von Falschheit und Hinterlist zermalmt hätte, eine sicherere gewesen wäre als jetzt. Jeder Mensch gehorcht jedoch seiner eigenen Natur und muß die Folgen seiner Meinungen und Handlungen tragen, indeß werden alle zugeben, daß alles, was ich bisjetzt geschrieben habe, dem Herzen des Paschas zum unbegrenzten Lobe gereicht.

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Die Liste ist nicht ganz vollständig, da die Moslemin nur mit großem Widerstreben ihre Frauen öffentlich zeigen und andere angeblich die Nothwendigkeit der Musterung nicht verstanden.

6. April. Heute trafen 65 Eingeborene hier ein, die Masamboni als Träger für den Abmarsch am 10. April geschickt hat.

Osman Latif Effendi, der Vicegouverneur der Provinz, war früher dem Trunke sehr ergeben, hat sich aber in neuester Zeit aufs strengste enthalten und ist ein so eifriger Koranleser geworden, daß vor kurzem seine Kleidungsstücke in Brand geriethen, ohne daß er es merkte.

Während der vorgestrigen plötzlichen Musterung und der bestimmten Erklärung meiner Absichten wurde er sogar energisch, und ich fand, daß ebenso wie Krankheit auch Energie ansteckend wirkt. Er hat sich für den sofortigen Aufbruch gleich nach uns vorbereitet. Seine Mutter, eine alte Dame von 75 Jahren mit einer Million Runzeln in ihrem geisterbleichen, weißen Gesicht, hatte keinen sehr glücklichen Augenblick gewählt, um sich mir vorzustellen, da sie sich, während ich fast in Weißgluthitze war, mitten auf dem freien Platze mir zu Füßen warf und mir auf Arabisch etwas vorschwatzte, worauf ich mit einem ungeduldigen Winken der Hand ihr zurief: »Fort von hier; dies ist kein Ort für alte Weiber.« Sie hob die Arme und Augen zum Himmel, stieß einen leisen Schrei aus und rief: »O, Allah!« in so tragischem Tone, daß ich kaum meine Würde bewahren konnte. Jeder auf dem Platze beobachtete die magere, eingeschrumpfte Gestalt und begann laut zu lachen, als das arme alte Geschöpf schleunigst das Weite suchte.

Eine alte ägyptische Dame.

Während Osman Latif Effendi seine elf Lasten, bestehend aus Körben mit Lebensmitteln, Teppichen, Kochtöpfen und Familienbettstellen, zusammenpackte, hielt er den Koran zwischen Daumen und Zeigefinger und wandte sich abwechselnd den arabischen Versen und den arabischen Laren und Penaten in den Körben zu.

Gestern fand ich unter den Leuten 49 unbewaffnete junge Burschen, die, als sie in Linie vor mir aufgestellt waren, die Bitte an mich richteten, sie mit Waffen zu versehen. Da ich ihren Charakter nicht kannte, schickte ich zum Pascha und bat ihn um eine Liste der Verdienstvollsten, damit sie bei der Vertheidigung der Colonne auf dem Marsche Beistand leisten könnten, allein er entschuldigte sich, weil er sich nicht wohl genug fühle. Der arme Casati spricht nicht mit dem Pascha, da dieser neulich in der Angelegenheit des kleinen schwarzen Mädchens sein Urtheil gegen ihn abgegeben hat, und vermuthlich wird der Pascha wegen des gestrigen Aergernisses nun auch mit mir nicht mehr sprechen.

Der Marsch wird ihnen allen gut thun. Wenn der Pascha sich erst im Anblick des Ruwenzori, des Mondgebirges, befindet, wird er die Sprache wiedergewinnen.

7. April. Die Aegypter bereiten sich jetzt ernstlich für den Marsch vor. Ich habe angeordnet, daß jede Familie beständig Lebensmittel auf mindestens sechs Tage vorräthig haben soll, ohne Rücksicht auf den etwa in der Nachbarschaft vorhandenen Ueberfluß. Den Sansibariten ist endlich die Nothwendigkeit hiervon begreiflich geworden, obwol es 18 Monate der traurigsten Erfahrungen und beständiger Ermahnungen bedurfte, um sie dies Geheimniß des Reisens in Afrika zu lehren.

8. April. Die Eingeborenen Masamboni's, welche wir hier für unsern Abmarsch gesammelt haben, tanzten heute fast den ganzen Tag und die Bavira-Frauen kamen in großen Scharen, um uns zum Abschied ein Schauspiel zu bieten. Die Eitelkeit veranlaßt mich, die Thatsache mitzutheilen, daß die Gesänge nur extemporirte Ergüsse zu unsern Ehren waren, weil wir, wie sie sagen, »die Ordnung im Lande befestigt haben«.

Heute Nachmittag verursachte Omar, der Sergeant unserer Sudanesen, eine Scene wegen einer angeblich von den Sansibariten seinem Weibe zugefügten Beleidigung. Da die Affaire ernsthaft wurde, ließ ich die einen Kampf beabsichtigenden streitenden Parteien nach dem freien Platze bringen und sie fragen, ob sie den Zwist nicht vor mir als Schiedsrichter auskämpfen wollten. Nun ist Omar ein Bild prächtiger Männlichkeit und ein vorzüglicher Soldat und Offizier, doch waren er wie auch die streitsüchtigen Sansibariten über Gebühr von einheimischem Bier angeregt. Omar und seine sansibaritischen Gegner forderten laut einen Zweikampf. »Mit den Fäusten oder mit Knitteln?« »Knittel für Männer«, schrien die Sansibariten – wie sich später herausstellte, eine sehr unglückliche Wahl für sie.

Omar hatte die Aermel seines Rocks aufgerollt und stand da wie ein Koloß. Nun sprang ein Sansibarite vor die Front und rief: »Ich bin Asmani aus Maskat; paßt auf, wie ich diesen Nubier zu Boden strecken werde!« Sie machten zwei Gänge, dann wurde Asmani bewußtlos zu Boden geschlagen; er wurde fortgebracht und dem Dr. Parke zur Behandlung übergeben.

»Der Nächste von euch, der sich durch Omar gekränkt fühlt!« Hierauf meldete sich Hadji, ein großer Sansibarite, der seinen Knittel schwang und einen derben Seitenhieb führte, welcher aber von Omar geschickt parirt wurde; ehe Hadji dann seine deckende Stellung wieder annehmen konnte, maß er bereits mit seiner Länge den Rasen. Der Beifall war fürchterlich; es waren etwa 900 Leute zugegen. Hadji wurde wie ein beim Stierkampf durchbohrtes Pferd fortgeschleppt und ebenfalls zum Arzt geschickt, damit derselbe seinen geborstenen Schädel heile.

»Der Nächste!« Bei diesem Ruf stürzte ein vierschrötiger behender kleiner Bursche Namens Ulaija oder England vor. »Ho, Jungens, ich bin England, dieser türkische Soldat soll sterben!« In seiner tapfern Zuversichtlichkeit warf er seinen Turban fort und entblößte seinen kahlen Kopf. Eins, zwei, drei, und o weh! der arme Ulaija; der Knippel Omar's sauste auf seinen unbedeckten Schädel herab mit einem Schlage, der einen Weißen getödtet haben würde, hier aber nur die Wirkung hatte, daß Ulaija zusammenbrach und so betäubt wurde, daß er den Kampf nicht mehr fortsetzen konnte. Der Anblick des von seinem Kopfe herabströmenden Blutes brachte seine Kameraden in Wuth, sie stürzten sich in großer Zahl auf Omar, und ehe man diesen befreien konnte, hatte auch er durch die Menge der auf ihn herabsausenden Hiebe einen außerordentlich schmerzenden Rücken; Sieger und Besiegte hatten also die gleiche Strafe erhalten. Nun erklärten sie sich, vollständig befriedigt, da der Ehre beider durch den Kampf Genüge geschehen sei; nachdem ihre Wunden verbunden waren, wurden sie jedoch nach dem Wachthause gebracht.

9. April. Heute Morgen bei der Musterung wurden die Combattanten von gestern mir vorgeführt. Ich theilte dem Sergeanten Omar mit, daß, da er als Offizier sich im Trunke übernommen habe, sein Urtheil dahin laute, auf dem Marsche eine Kiste Munition zu tragen, bis die Köpfe der Sansibariten wieder geheilt seien; außerdem sollte er, solange sie beim activen Dienst fehlten, degradirt werden. Drei andere Sudanesen wurden für eine ähnliche Zeit zu Trägerdiensten verurtheilt, weil sie während des Kampfes ihre Stahlwaffen gezogen hatten, um Körperverletzungen zu begehen, und ein Sudanese erhielt ein Dutzend Hiebe, weil er eine Patrone in den Lauf gesteckt hatte, in der Absicht zu schießen. Der Monbuttu Serur, der Diener des Paschas, bekam mit Erlaubniß seines Herrn 24 Hiebe, weil er aus Rache für die Ereignisse am 5. April eine Schaufel benutzt hatte, um auf die Kämpfenden loszuschlagen.

Bei dieser Gelegenheit theilte ich den Leuten mit, daß wir am nächsten Morgen den Marsch nach Sansibar antreten würden, welche Ankündigung mit »wahnsinnigem Beifall« ausgenommen wurde.

Mpinga, Msiri, Mwite, Malai, Babiassi, Masamboni und Balegga haben uns 350 Träger geliefert, die heute Abend versammelt sind und tanzen, singen und essen.

Schukri Aga, der Befehlshaber von Mswa, ist noch nicht angekommen, obwol er seine Frauen und Kinder geschickt hat.

10. April. Vierstündiger Marsch von Kavalli nach Mpinga.

Um 7½ Uhr morgens strömte die Colonne aus dem Lager, geführt von der ersten Compagnie, welcher der Pascha und seine Leute sowie die ihnen zugewiesene Zahl von Trägern folgten.

Im allgemeinen setzte sich die Colonne folgendermaßen zusammen:

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Es herrschte keinerlei Unordnung oder Störung, die Colonne hielt sich so nahe zusammen, als ob sie aus lauter Veteranen bestanden hätte. Die Berge und Anhöhen des Landes waren von Frauen und Kindern besetzt, die uns ihr Lebewohl zusangen. Jeder war angeregt und glücklich.

Kapitän Nelson, welcher die Nachhut befehligte, setzte die aus Strohhütten bestehende Stadt, welche uns während so vieler Wochen der Sorge beherbergt hatte, in Brand. Das Feuer war großartig, die Flammen schienen von unserm Standpunkte gesehen bis zum Himmel emporzulecken und die große schwarze Rauchwolke kündigte dem umliegenden Lande bis zum Berge Pisgah hin an, daß die Expedition die Heimreise angetreten habe.

11. April. Rast.

12. April. 4½ ständiger Marsch bis Masamboni.

Setzten die Reise durch das Gebiet unsers guten Freundes Masamboni fort, doch war die feste Ordnung vielfach unterbrochen. Die Leute des Paschas hatten sich auf dem Wege in langer Linie zerstreut; das muß abgeändert werden, um Unfälle im großen zu verhindern. Hier in diesem Lande brauchen wir keine Furcht zu hegen, weil dasselbe uns gehört und die Eingeborenen sich auf dem besten Wege befinden, civilisirt zu werden.

Wir fanden Lieutenant Stairs, der reichliche Lebensmittel für den Bedarf der Colonne gesammelt und uns nur angenehme Meldungen zu machen hatte.

13. April. Ich schreibe dies im Bette und leide große Schmerzen. Dr. Parke sagt, ich litte an subacuter Gastritis, was meiner Meinung nach etwas wie eine Magenentzündung ist. Ich befinde mich unter dem Einfluß von Morphium. Die ersten Symptome zeigten sich heute Nacht um 2 Uhr morgens. Ich habe einen Halt angeordnet, der, wie ich fürchte, von langer Dauer sein wird. Diese Zwangspause muß nothwendigerweise die Frist ausdehnen, welche ich den irregeleiteten Leuten der Aequatorialprovinz gegeben habe, die vielleicht von unserm Abmarsch von Kavalli hören und diesen Halt als eine weitere ihnen gebotene Gunst betrachten werden.

Es folgten nun Tage der höchsten Schmerzen und fast gänzlichen Lebensüberdrusses. Der Körper sehnte sich nach Nahrung, welche der geschwächte Magen immer wieder zurückwies. Ich konnte nichts als Milch und Wasser genießen, und die durch die Verdauung entstehenden Schmerzen mußten durch Morphiumeinspritzungen gelindert werden. Während der ersten wenigen Tage ließ unser aufopferungsvoller Arzt mich hoffen, daß ich mit Hülfe seiner geschickten Pflege bald wiederhergestellt sein würde. Meine Gedanken beschäftigten sich lebhaft mit den Plänen des Heimmarsches, den Bildern damit verknüpfter unglücklicher Zufälle und mit den zu treffenden nothwendigen Maßregeln. Ich stellte mir vor, daß Kabba-Rega von dem Rückzuge des Paschas und seiner Leute gehört habe und sein Aeußerstes thun würde, um unser Vorwärtskommen zu verhindern, trat ihm in meiner Phantasie 100 Gewehre ab, sah in Gedanken Tausende mit Speeren Bewaffnete und deren Bundesgenossen, welche die langen Bogen der Wahuma führten, und bildete mir ein, daß wir nach ihnen auf die tapfern, kriegerischen Wasongora stoßen, von denen ich im Jahre 1875 gehört hatte, und dann die Wanjankori mit ihrem König, dem »Löwen«, treffen würden und daß ein Opfer nach dem andern aus unsern Reihen zu Boden sänke. Und dann dachte ich an den Marsch am Alexandra-Nil unter dem Regen von Pfeilen, an den Zusammenstoß mit der nicht weniger feindlichen, von den Waganda unterstützten Bevölkerung von Karagwe und stellte mir vor, daß die Colonne täglich an Stärke und Zahl abnehme, bis endlich nach unendlichen Kämpfen einige wenige Mitglieder eines Tages Msalala erreichen und dem Missionar Mackay die schrecklichen Unglücksscenen erzählen würden, welche uns verfolgt und endlich vernichtet hätten. Hülflos auf meinem Bette liegend, mit dem Geräusch des großen Lagers um mich herum, mußte ich alle diese Schwierigkeiten, die meine lebhafte Phantasie sich ausmalte, bekämpfen, bis ich mich in eingebildete Scenen endloser Gefechte und Kriegslisten am Fuße des Schneegebirges verlor, jeden vortheilhaften Punkt besetzte, in ein mit Palissaden umgebenes Dorf stürzte, jeden Schuß mit zwei gutgezielten tödlichen Kugeln erwiderte, den Abhang eines Hügels erklomm und den Feind mit solcher Tollheit verfolgte, daß er mit Freuden unsere Belästigung aufgeben würde. Ich sah mich nach langwierigem Suchen nach Mitteln zum Uebergange und nach den bei den Fähren angelegten Hinterhalten über breite Flüsse hinwegsetzen, oder mit äußerster Energie beim Bau von Seriben, wobei alles, Männer und Frauen, helfen mußte, die Gewehre der Scharfschützen ein unaufhörliches, verderbenbringendes Feuer unterhielten, Stairs, Nelson, Jephson und Parke die Leute mit ermunternden Worten ermuthigten und jede Stimme von dem glühenden Wunsche zeugte, die unserer Obhut anvertrauten Leute zu vertheidigen. Oder ich stellte mir Kampfscenen in dem Unterholz des tropischen Waldes vor ohne alle Rücksicht aus die göttliche Schönheit der Blüten, die kühlen Schatten und klaren Bäche, nur von den blutigen Erfordernissen des Augenblicks in Anspruch genommen. Manchmal arbeitete ich mich in solch hochgradige Erregung hinein, daß Fieber eintrat und alles verhüllte, sodaß ich nur verworrenes Zeug schwatzte und der Doctor mit sanftem Kopfschütteln mir ein Opiat geben mußte.

Und diese Schreckgespenster waren es nicht allein, welche mein Gemüth beschäftigten. Morgen für Morgen liefen die üblichen Meldungen von Complotten und aufrührerischen Versammlungen ein, die neue hinterlistige Pläne anzettelten, um etwas, ich wußte nicht was, zu gewinnen, und ihren grausamen Herzen dadurch eine Freude bereiteten, daß sie die schrecklichsten Ereignisse prophezeiten. Manchmal waren auch Gerüchte im Umlauf, daß die Rebellen mit einer zerstörungslustigen Soldateska im Anrücken seien, und immer größer wurde die Zahl der nächtlichen Deserteure aus dem Lager, bis ich schließlich 80 zusammenrechnete. Und dann wurde mir gesagt, daß jemand sehr thätig im Verbreiten falscher Nachrichten und der Erfindung schrecklicher Hungerscenen sei, daß wir nichts als Gras zu essen haben würden, sodaß wirklich etwas Großes geschehen müsse, weil diese Fabeln eine so allgemeine Verbreitung gefunden hatten, daß eine Art Panik die Leute ergriffen hatte.

Der Pascha hatte denjenigen seiner Leute entdeckt, der am eifrigsten bei diesem schlimmen Werke war, sodann die Sache untersuchen, den Mann verurtheilen lassen und nun nach einer Abtheilung unserer Leute gesandt, um ihn zum warnenden Beispiel für die andern erschießen zu lassen. »Sansibariten dürfen nicht hingeschickt werden«, gelang es mir Stairs zuzuflüstern. »Der Pascha mag den Schuldigen durch seine eigenen Leute erschießen lassen. Wenn er eine Wache zu seinem Schutze gebraucht, dann gebt ihm die Leute, aber wir sind hierher gekommen, um Menschenleben zu retten, nicht um sie zu zerstören.« Und da seine eigenen Leute nicht mit der Ausführung des Befehls betraut werden konnten, wurde das Leben des Mannes geschont.

Dann erfuhr ich, daß einer von den Leuten des Vicegouverneurs einen freundlichen Eingeborenen durch den Kopf geschossen hatte, weil der arme Teufel nach der Ansicht des hartherzigen Sklaven beim Sammeln von Brennmaterial nicht rasch genug gewesen war. »Legt den Mann in Ketten«, befahl ich, »aber tödtet ihn nicht. Gebt ihm zu essen und mästet ihn für den Marsch; er ist gut zum Tragen der Reservemunition.«

»In einigen Tagen werden nur noch wenige Offiziere übrig sein«, bemerkte Nelson. »Sie gehen sämmtlich rasch davon und unsere Arbeit ist umsonst gewesen.« »Lassen Sie sie gehen«, antwortete ich; »wenn sie ihrem Pascha nicht folgen wollen, lassen Sie sie zufrieden.«

Dann traf die Meldung ein, daß Rehan sich mit 22 Leuten entfernt und einige uns gehörende Gewehre mitgenommen habe.

»Ach Stairs, gut daß Sie da sind, mein lieber Junge, nehmen Sie 40 gute Leute und marschiren Sie nach dem Njansa. Sie werden den Rendezvousplatz dieser Leute im Lager am Seeufer finden. Seien Sie sehr behutsam, nehmen Sie sie plötzlich gefangen und bringen Sie sie zurück. Durch die Mitnahme unserer Gewehre haben sie sich straffällig gemacht.«

Am vierten Tage kehrte Stairs zurück, der vortreffliche Beute an sorgfältig bewachten Gefangenen, darunter den Rädelsführer Rehan, gemacht hatte.

Ich ließ die Offiziere zu einem Gerichte zusammentreten, welches die Zeugen vernahm und aus deren Aussagen feststellte, daß seine Flucht das Vorspiel zu einem allgemeinen Auszug der Sudanesen, Männer, Frauen und Kinder, bilden sollte, und daß es zu ihrem wohlüberlegten Plane gehörte, sich auf unsere Kosten zu bewaffnen, damit wir bei der Ankunft Selim Bey's, die täglich erwartet wurde, nicht im Stande wären, einen längern Widerstand zu leisten. Es wurde Rehan nachgewiesen, daß er seine aufrührerische Thätigkeit, bald nachdem es bekannt geworden war, daß ich ernstlich erkrankt sei, angefangen, und seine Intriguen mit der Verbreitung der kecksten Behauptungen über unsere Grausamkeit auf dem Marsche begonnen habe. Jeder Offizier und Sudanese werde jetzt erdrückende Lasten auf dem Kopfe zu tragen haben, sie würden keine Lebensmittel mehr bekommen und aufgefordert werden, Gras zu essen. Der endgültige Fall der Regierung von Aequatoria war die Folge der skandalösen Unwahrheiten eines ägyptischen Beamten und Lieutenants. Die Offiziere und Soldaten des Paschas wurden herbeigerufen, um auszusagen, was sie für Aeußerungen von diesem Mann gehört hatten, und auf diese Weise wurde eine Menge Material gesammelt für den vollständigen, unzweifelhaften Beweis, daß Rehan sich der abscheulichsten, jede Disciplin zu Schanden machenden und die Sicherheit der Expedition und der ihr Anvertrauten gefährdenden Handlungen schuldig gemacht habe. Ferner wurde Rehan bewiesen, daß er sich mehrere Gewehre der Expedition angeeignet hatte, in der Absicht, sich Selim Bey anzuschließen und die Waffen und Munition dann gegen Leute zu verwenden, welche ihm und seinen Freunden nur Gutes und Liebes erwiesen hatten. Drittens wurde er überführt, mit mehrern zu den Harems der ägyptischen Offiziere gehörenden Frauen entflohen zu sein; viertens, daß er desertirt war, und fünftens, daß er auf der Flucht zwischen unserm Lager und dem Njansa einige gutgesinnte Eingeborene erschossen hatte. Das Gericht entschied, daß Rehan für jeden einzelnen dieser Fälle den Tod verdient habe.

Meinem Vorschlag gegenüber, daß vielleicht ein milderer Richterspruch, wie Fesselung in Ketten oder Einschließung in einen gabelförmigen Balken mit einer Kiste Munition auf dem Kopfe, vorzuziehen sei, blieb das Gericht unbeweglich, und so erklärte ich mich denn, nachdem ich den Fall nochmals sorgfältig erwogen hatte, mit dem Urtheil einverstanden und befahl, daß die ganze Colonne antreten sollte, um die Anklagen, den Befund und das Urtheil anzuhören.

Ich ließ mich aus dem Bette vor die Leute tragen, und obwol ich allen Anwesenden rasch der dunkeln unbekannten Welt entgegenzutreiben schien, aus der es keine Wiederkehr gibt, fand ich doch Kraft genug, um den Verurtheilten folgendermaßen anzureden:

»Rehan, wir stehen beide vor Gott, aber es ist im Buche des Schicksals geschrieben, daß du mir voran ins Grab gehen sollst. Du bist ein böser Mensch und nicht würdig, die Luft unter andern Menschen zu athmen. Ich fand dich als Sklaven des Auasch Effendi und habe dich frei und allen übrigen Soldaten hier gleichgemacht. Ich erinnere mich, daß, als wir im Walde waren und unsere Freunde täglich vor Schwäche und Hunger starben, ich dich gefragt habe, ob du die Munition für deinen Pascha tragen helfen wolltest, und du hast dich gegen Lohn freiwillig dazu bereit erklärt. Als die Leute ihre Kraft wiedergewonnen hatten, haben wir dir die Last wieder abgenommen. Als du krank warst, habe ich nach dir gesehen und dir gegeben, was dich wiederherstellte. Du weißt, daß wir alle die Leiden ertragen haben, während wir Munition für dich und deine Freunde beförderten. Als unser Werk beendet war, wurde dein Herz schwarz und du hast täglich gesucht uns zu schaden. Du hast uns der Mittel zur Heimkehr berauben wollen; du hast in der Böswilligkeit deines Herzens dein Möglichstes gethan, um uns unrecht zu thun; du hast uns verleumdet; du bist in die Häuser der Aegypter eingedrungen und hast ihre Frauen gestohlen; du hast unsere eingeborenen Freunde gemordet, welche uns unentgeltlich während der letzten drei Monate Lebensmittel gegeben haben, und für alles das verdienst du den Tod durch Aufhängen an jenem Baume. Eine Anzahl Männer, welche früher deine Freunde gewesen sind, haben in geduldiger und gerechter Weise deinen Fall untersucht und sie antworten mir einstimmig, daß du sterben sollst.

»Nun will ich dir noch eine Möglichkeit zum Leben offen lassen. Schau um dich und sieh diese Leute, mit denen du gegessen und getrunken hast. Wenn einer unter ihnen ist, der für dich bittet, dann sei das Leben dir geschenkt.

»Was sagt ihr Sudanesen und Sansibariten? Soll dieser Mann leben oder sterben?«

»Sterben!« erscholl es einstimmig.

»Dann Jallah rabuna! Gehe zu Gott!«

Die Sudanesen, mit denen er im Walde brüderlich gelebt und sich unterhalten hatte, traten rasch vor und ergriffen ihn, während die Sansibariten ihm die Todesschlinge um den Hals legten. Ein Mann erkletterte einen Baum und warf das Tauende einem paar hundert in die Höhe gestreckter Hände zu, auf ein gegebenes Zeichen marschirten die Leute fort und Rehan war ein zwischen Himmel und Erde schwebender stiller Mann.

Ich bekam in der Nacht einen Rückfall und tagelang schien es, als ob nur wenig Hoffnung für mich vorhanden sei. Dann wurde auch mein guter Doctor von einem gefährlichen Fieber, das an der afrikanischen Küste des Atlantischen Oceans sich schon so oft als tödlich erwiesen hat, schwer betroffen. Viele Tage lang blieb auch er der Gegenstand unserer Sorge, doch war der Pascha, der in frühern Zeiten die ärztliche Praxis ausgeübt hat, in freundlichster Weise thätig, um seinem Freunde zu helfen. Darauf erkrankte Herr Mounteney Jephson so schwer, daß wir eine Nacht an seinem Leben verzweifelten. Als er dem Tode nahe gesagt wurde, erhob sich unser unschätzbarer Doctor von seinem Krankenbette und eilte, gestützt von seinen Leuten, an das Lager seines leidenden Gefährten, brachte ihm stärkende Mittel bei und befreite uns von der außerordentlichen Angst, worauf er, ehe er sich wieder niederlegte, erst noch zu mir kam, um meine Krämpfe zu lindern. Auf diese Weise vergingen uns diese fürchterlichen Tage.

Am 23. April war ich wieder im Stande, aufrecht im Bett zu sitzen, und von da bis zum 7. Mai fand eine stetige und sichere Besserung statt, obwol die Zunge, welche die Entzündung der Magenschleimhäute erkennen ließ, noch hartnäckig schlimm aussah.

3. Mai. Heute wurden mir von Eingeborenen aus der Nachbarschaft des Seeufers zwei Packete Briefe überbracht und da dieselben in arabischer Sprache geschrieben waren, sandte ich sie dem Pascha. Gleich darauf erschien dieser selbst und bat mich um eine Unterredung. Nachdem er Platz genommen hatte, theilte er mir mit, daß mit den Schreiben ein Irrthum begangen sei, da eins der Packete die vor einigen Tagen aus dem Lager nach Wadelai abgesandte Post sei, während das andere die von dort gekommenen Briefe enthielte.

Da mir nicht bekannt war, daß eine Post abgesandt worden war, seitdem wir bei Masamboni eingetroffen waren, mußte das Packet insgeheim befördert worden sein und wahrscheinlich finstere Anschläge gegen uns enthalten. »Ich bitte Sie daher, Pascha, da wir uns offenbar im Kriegszustande gegenüber ihren böswilligen Leuten befinden, um die Güte, mir einige dieser Briefe vorzulesen, denn im Kriege ist, wie Sie wissen, alles erlaubt.«

Der erste Brief war von Schukri Aga und ein freundschaftliches Schreiben an seinen Freund Selim Bey; es enthielt keine Silbe, welche nicht die reinste Ehrenhaftigkeit und die ehrliche Hoffnung auf ein baldiges Zusammentreffen aussprach.

Das zweite Schreiben war von Ibrahim Effendi Elham, einem im Lager befindlichen Hauptmann, und lautete:

»Hoffentlich werden Sie uns sofort nach Empfang dieses Schreibens 50 Soldaten schicken. Wir sind aufgebrochen und warten jetzt seit einigen Tagen hier. Ich bitte Sie im Namen Gottes mit der Absendung der Leute nicht zu zögern, weil wir, wenn wir sie zur Hülfe haben, den Marsch der Expedition in mancher Weise aufhalten können; wenn Sie aber selbst mit 200 Soldaten kämen, könnten wir alles erreichen, was Sie und ich wünschen. Unsere Freunde warten jeden Tag ängstlich auf Nachrichten von Ihnen. Die Nothwendigkeit ist dringend.«

»Das ist eine Entdeckung, Pascha! Sind Sie jetzt überzeugt, daß diese Leute unverbesserliche Verräther sind?«

»Nun, ich würde das von Ibrahim Effendi Elham nicht erwartet haben. Ich bin stets freundlich gegen ihn gewesen. Was Selim Bey anbelangt, so weiß ich nicht, was er wollen kann.«

»Es ist Folgendes, Pascha. In Wirklichkeit wollen nur wenige von diesen Leuten nach Aegypten gehen. Selbst Selim Bey hat trotz aller seiner Versprechungen niemals beabsichtigt, nach Aegypten zu gehen. Sie wollten Sie begleiten, bis sie ein viel verheißendes Land fänden, wo Ueberfluß an Lebensmitteln und Vieh und keine Furcht vor den Mahdisten wäre; alsdann würden sie Ihnen gesagt haben, sie seien des Marsches müde und würden sterben, wenn sie noch weiter gingen, und Sie würden, nachdem Sie mit mir berathschlagt hätten, ihnen Munition gegeben und versprochen haben, später noch mehr zu schicken. Allein diese Munition würde, wie reichlich sie auch von Ihnen bemessen worden wäre, in ihren Augen nicht genügt haben. Sie würden zu wenig Schußwaffen gehabt haben, und nichts hätte sie zufrieden gestellt, als alle Gewehre, alle Munition und was wir sonst besaßen. Warten Sie noch einen Augenblick, Pascha, und ich werde Ihnen das ganze Complot enthüllen.

»Nachdem Herr Jephson meinen Befehl im vorigen Januar erhalten hatte, war die Nachricht natürlich bald bis hinauf zu Ihrer nördlichsten Station verbreitet worden, daß ich mit allen meinen Leuten und Vorräthen angekommen sei. Sie wußten, obwol sie sich den Anschein gaben, es nicht zu glauben, daß der Khedive Ihnen Munition geschickt hatte; sie waren aber schlau genug, um einzusehen, daß sie ohne eine Anweisung von Ihnen nichts von mir bekommen könnten. Als jedoch Jephson geflohen war und mir die Nachricht von Ihrer Absetzung und Gefangennahme überbracht hatte, genügte eine Anweisung kaum noch, und sie sandten, da sie Ihren zum Verzeihen bereiten Sinn kannten, eine Deputation zu Ihnen, um ihr Bedauern und Ihre Reue zu betheuern. Sie küssen Ihre Hand und machen große Versprechungen, die Sie annehmen, worauf Sie sich zum Zeichen der Freundschaft und Vergebung in ihrer Begleitung zu mir begeben und sie mir vorstellen. Sie bitten um eine hinlängliche Zeit für sie, und ich gewähre sie ihnen, allein die Versuchung ist so stark, daß sie sich nicht enthalten können, ein Gewehr zu stehlen. Wenn sie mit uns zu gehen beabsichtigen, was wollen sie dann auf der Fahrt den See hinauf mit diesem Gewehr? Ist es nicht eine nutzlose Last für sie? Ich nehme an, daß das Schwanken der Gewalt und des Einflusses der einzelnen Parteien sie länger aufgehalten hat, als sie erwartet haben, und daß wir nur durch ihren Zwiespalt davor bewahrt worden sind, zum Aeußersten zu schreiten.

»Seitdem ich die Schilderung des Herrn Jephson, Ihren eigenen, von ersterer nur wenig abweichenden Bericht und die verschiedenen Versionen von Auasch Effendi, Osman Latif Effendi und der Sansibariten gehört habe, bin ich mir längst darüber klar, was ich zu thun habe. Diese Leute sind nicht derart, daß man mit Erfolg auf sie einreden und mit ihnen argumentiren kann; ihre Köpfe sind zu dick und ihre Herzen vom Lügen zu sehr verhärtet. Sie können nur verstehen, was sie fühlen, und damit Leute, wie sie, fühlen, müssen sie harte Püffe erhalten. Als ich die Tiefen ihrer Natur gründlich sondirt hatte, begann mein Geist die Methode zu entdecken, vermittelst welcher sie zu bemeistern waren. Es gab ein halbes Dutzend solcher Methoden, die anscheinend anwendbar waren, schließlich war aber doch bei allen ein Hinderniß im Wege.

»Sie können wol nicht rathen, Pascha, was das für ein Hinderniß war?«

»Nein, das kann ich nicht.«

»Dieses Hinderniß, welches sich schließlich bei einer jeden wohl überlegten Methode aufstellte, waren Sie selbst.«

»Ich, wie so?«

»Am 5. April hörten Sie auf, es zu sein, aber bis dahin konnte ich keinen Plan zur Ausführung bringen, ohne Rücksicht auf Sie zu nehmen. Sie waren in unsern Augen noch der Pascha, waren der Gouverneur und Befehlshaber dieser Truppen. Ich konnte Ihnen nicht vorschlagen, sie zu bekämpfen. Sie glaubten fest an sie und sagten jeden Tag: ›Sie werden kommen‹. Dennoch kam es Ihnen niemals in den Sinn, sich die Frage vorzulegen: ›Was werden sie thun, wenn sie kommen und finden, daß sie dreimal so stark sind wie wir?‹ Wären sie vor dem 5. April gekommen, so beabsichtigte ich mich von Ihnen zu trennen, Sie bei ihnen zu lassen, und mir 10-12 km von Ihnen ein Lager zu bauen, bei dem alle Einzelheiten der Vertheidigung in Betracht gezogen waren. Aller Verkehr sollte nur brieflich stattfinden, und ich wollte, nachdem wir den Marsch angetreten hatten und eine Tagereise vorauf waren, Ihnen Führer senden, welche Ihnen den Weg bis zu unserm letzten Lagerplatz zeigten. Ich würde keiner Truppe, gleichviel von welcher Stärke, ohne Kampf gestattet haben, sich meinem Lager zu nähern.

»Allein nach dem 5. April änderte sich die Sachlage. Ich würde unrecht gethan haben, hätte ich mich von Ihnen getrennt, da ich für mich und meine Offiziere genügenden Beweis hatte, daß Sie kein Volk, keine Soldaten oder Diener hatten, sondern allein waren. Ich hatte damals die Absicht, wie ich sie auch jetzt habe, wenn Selim Bey uns erreichen sollte, weder ihm noch einem einzigen seiner Kameraden zu gestatten, sich bewaffnet dem Lager zu nähern. Lange bevor sie zu uns herankommen, werden wir am Wege Aufstellung genommen haben, und wenn sie auf den Befehl nicht sofort die Gewehre niederlegen, nun, dann fallen die Folgen auf ihre eigenen Häupter. Sie begreifen also, daß ich seit dem 5. April eigentlich gewünscht habe, daß sie kommen möchten. Ich würde nichts so gern thun, als diesen unbotmäßigen Pöbel in denselben geordneten und disciplinirten Zustand zu versetzen, in welchem er sich befunden hat, ehe er sich von Arabi, Mahdismus und chronischer Rebellion bethören ließ. Wenn die Leute aber hierherkommen, müssen sie zuerst entwaffnet werden; ihre Gewehre werden dann in Lasten zusammengepackt und von uns weiter befördert. Ihr Lager soll mindestens 500 m von uns entfernt sein. Jeder Marsch, welcher sie weiter von Wadelai entfernt, wird uns helfen, sie in die richtige Gemüthsverfassung zu bringen; später werden sie dann ihre Waffen zurückerhalten und nicht nur sich selbst, sondern auch uns von Nutzen sein.«

Am Tage nach unserer Ankunft bei Masamboni war endlich Schukri Aga, der Befehlshaber von Mswa, erschienen. Er war von seiner Station mit 20 Soldaten aufgebrochen; bei der Ankunft in Kavalli auf dem Plateau hatte er nur noch 10 und beim Eintreffen in unserm Lager war er nur noch von 2 begleitet, dem Trompeter und dem Fahnenträger. Alle übrigen waren ihrem Hauptmann desertirt. Eines Commentars bedarf das nicht.

Wir haben jetzt den 7. Mai. Wie ich heute Abend höre, befindet sich in dem Lager am Seeufer eine ganze Truppe. Während der letzten vier Tage haben wir die Vorbereitungen zum Abmarsch getroffen, morgen brechen wir auf. Wir sind seit dem 18. Januar in diesem Lande gewesen, 118 Tage. Wenn jene Truppe uns zu folgen beabsichtigt, kann sie eine Colonne wie die unserige leicht einholen, und wenn ich den Eindruck gewinne, daß die Leute uns wirklich zu begleiten wünschen, werden wir uns nicht weigern, ihnen noch weitere Zeit zu gewähren.

Am 7. Mai ersuchte ich Lieutenant Stairs, 25 Kisten Munition in der Erde unter seinem Hause zu vergraben, damit, wenn die Rebellenoffiziere erschienen und ernstliche Reue zeigten und um Erlaubniß bäten, bei Masamboni bleiben zu dürfen, sie die Mittel zu ihrer Vertheidigung erhielten. Herr Stairs führte diese Arbeit insgeheim in befriedigender Weise aus.

8. Mai. Da ich noch zu schwach war, um weiter als 50 Schritte zu gehen, wurde ich in eine Hängematte gelegt und an die Spitze der Colonne getragen, um die Führung zu übernehmen. Wir marschirten einige Kilometer nach Westen, verließen dann aber unsere alte Route nach dem Walde, wandten uns auf einem wohlbegangenen Pfade nach Süden und marschirten dem Fuße des westlichen Abhanges der als Undussuma bekannten Hügelgruppe entlang. Bald darauf befanden wir uns zwischen den ungemein üppigen Feldern, Paradiesfeigen- und Bananenpflanzungen des Dorfes Bundegunda. Mais und Bohnen gediehen aufs allerbeste und dehnten sich weit zwischen den Thälern und Vertiefungen der Berge aus, ein vollständiges Wunder überschwänglicher Fülle. Dieselbe machte einen großen und günstigen Eindruck auf die Aegypter und ihre Begleiter, und selbst wir wunderten uns über die überreiche Fruchtbarkeit des Bodens und den glücklichen Zustand des Districts. Ein Grund für den außerordentlichen Ueberfluß war die vor den vom See her wehenden kalten Winden geschützte Lage.

Nach einstündigem Marsche jenseit der Grenzen der bebauten Felder von Bundegunda durch weitere Strecken von gleicher Bebauung und Fruchtbarkeit schlugen wir das Lager auf oder richtiger quartierten wir uns in dem Dorfe Burjambiri ein, das die Bewohner auf Veranlassung Masamboni's verlassen hatten, um uns Platz zu machen.

Da Masamboni uns mit 300 von seinen Leuten begleitete und persönlich sich bei uns befand, erhielt jedes Mitglied der Colonne die Erlaubniß, nach eigenem Belieben in den Pflanzungen und Feldern umherzustreifen. Die Leute hielten daher buchstäblich ein Festmahl an den reifen Früchten der Bananen, jungen Bohnen, Jams, süßen Kartoffeln, Colocasien u. s. w. Als Gegenleistung für seine Dienste und Gastfreundschaft erhielt Masamboni 40 Rinder und 16 Elefantenzähne im Gewichte von durchschnittlich 23 kg. Zu unserer Schande beklagte sich der Häuptling aber darüber, daß seine Leute als Sklaven zurückgehalten würden, sodaß Lieutenant Stairs und die übrigen Offiziere sie aufsuchen, um die Dörfer begleiten und sie ihm zurückbringen mußten. Es war so richtig ägyptisch, jeden geleisteten Dienst als ein zukommendes Recht zu betrachten für etwaige Tugenden und gute Eigenschaften, die, wenn sie den Aegyptern vielleicht angeboren waren, bisher noch nicht zu Tage getreten waren.

Nachmittags erschienen drei Soldaten in Begleitung eines ägyptischen Beamten Namens Ajub Effendi mit Briefen von Selim Bey. Dieselben enthielten eine außergewöhnliche Menge von Neuigkeiten, welche erzählt zu werden verdienen, da sie nur noch einen weitern endgültigen Beweis liefern, wie völlig den Offizieren und Soldaten der Aequatorialprovinz Sinn und Verstand verloren gegangen und wie gänzlich unfähig sie sind, die Natur ihres frühern Paschas und Gouverneurs zu würdigen.

Die Briefe berichten, daß Fadl el Mulla Bey und seine Partei eine Zeit lang scheinbar damit einverstanden gewesen seien, alle Befehle von Emin Pascha und mir durch Selim Bey Mator zu empfangen, und sich mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt hätten. Selim Bey hatte die ganze Garnison von Dufilé mit den Dampfern »Khedive« und »Nyanza« nach Wadelai befördert und dadurch nicht nur das uns gegebene Versprechen gebrochen, sondern auch den Befehl nicht beachtet, dem er beim Empfange buchstäblich zu gehorchen geschworen hatte. Man wird sich erinnern, daß er angewiesen worden war, mit dem Transport der Leute von Wadelai nach dem Lager am Seeufer zu beginnen, damit wir ihnen bei dem Hinauftragen des Gepäcks nach dem Plateau behülflich sein könnten, während der Dampfer die Ueberführung der Flüchtlinge auf dem See fortsetzte. Gleichzeitig konnten die Garnisonen der nördlichsten Stationen mit ihren Familien den Marsch zu Lande antreten und sich in Wadelai sammeln. Auf diese Weise hatten wir vom 25. Februar bis zum 8. Mai, eine Periode von 92 Tagen, unthätig in der Nähe des Sees auf das Erscheinen etlicher ihrer Leute gewartet, die uns als Beweis dienen sollten, daß es wirklich ihr ernster Wille sei, mit uns zu gehen.

Während Selim Bey nun die Truppen und ihre Familien von den untern Stationen nach Wadelai beförderte, hatte er unbewußt die Macht der gegnerischen Partei, der von Fadl el Mulla Bey, verstärkt, der die Maske abzuwerfen beschloß, sobald jene sich seinen Leuten angeschlossen hatten. Mitten in der Nacht marschirte er mit seinen Truppen nach den Magazinen, setzte sich in den Besitz der dort aufgespeicherten Munition und verließ Wadelai, um sich nordwestwärts nach dem Lande der Makraka zu begeben. Als Selim Bey am nächsten Morgen erwachte, fand er, daß sein Gefolge nur aus 200 Offizieren, Soldaten und Schreibern bestand, die Magazine leer und an Munition nichts weiter vorhanden war, als 40 Patronen Pro Kopf, welche er einige Tage vorher seinen Soldaten ausgetheilt hatte. Sein Schicksal und Unglück bitter verfluchend begann er seine Leute auf den Dampfern einzuschiffen und fuhr, um sich soweit wie möglich aus der Gefahr der Mahdisten zu begeben, mit ihnen südwärts nach Mswa, wo er am 22. April eintraf. Er hatte noch Ueberfluß an Zeit, wenn er seine Lage nur richtig aufgefaßt hätte, denn in einer Stunde würde er in der verlassenen Station genügend Heizmaterial gesammelt haben, worauf der Dampfer ihn in neun Stunden bequem nach unserm Lager am Seeufer gebracht hätte. Erst am 7. Mai fallen ihm unsere Expedition und Emin Pascha wieder ein und er dictirt einen Brief an uns, der uns beim Durchlesen nur ein Lächeln abzwingt.

Derselbe sagt: »Wir wünschen zu wissen, weshalb Sie ägyptische Offiziere und Soldaten in Lastthiere umwandeln. Es ist uns berichtet worden, daß Sie alle in grausamer Weise mit Gepäck beladen haben und die Soldaten zu Trägern machen. Das ist schmachvoll und wir werden die Sache streng untersuchen.«

Ein zweites Schreiben war in einem ganz andern Tone gehalten. Es schilderte die Verrätherei des Fadl el Mulla Bey, durch den er getäuscht und verlassen worden sei, und bat uns, auf ihn und seine Leute zu warten, da der gänzliche Ruin ihnen ins Antlitz starre. Sie hätten nur je 30 Patronen und müßten, wenn Kabba-Rega sie angriffe, unvermeidlich vernichtet werden.

Ich ließ die Soldaten rufen, die uns weitere Einzelheiten erzählten. Es waren 20 Soldaten bei Masamboni eingetroffen, aber nur diese drei hatten sich freiwillig bereit erklärt, uns zu folgen. Auch sie flehten ganz kläglich um einen weitern Aufschub, sodaß der Pascha und ich Blicke austauschten.

»Aber meine Freunde«, fragte ich, »wie können wir die Gewißheit haben, daß Selim Bey überhaupt zu kommen beabsichtigt?«

»Diesmal wird er ganz bestimmt kommen.«

»Aber weshalb wartet er in Mswa? Weshalb ist er nicht selbst mit dem Dampfer nach dem Lager am Seeufer gereist? Es ist nur neun Stunden Fahrt.«

»Er hat von einigen Deserteuren gehört, daß Ihr schon abmarschirt wäret.«

»Mit den wenigen Leuten, die er hat, wäre es ihm leicht gewesen, eine große Karavane wie diese einzuholen.«

»Es geht aber alles verkehrt. Selim Bey hat zu viele Rathgeber und die ägyptischen Beamten füllten ihm die Ohren mit allerhand Geschichten. Er ist ehrlich in seinem Wunsche, das Land zu verlassen, aber die andern verwirren uns mit all ihren Lügen.«

»Nun, wir können hier nicht bleiben, um auf Selim Bey zu warten. Ich werde langsam vorwärtsziehen und täglich nur ein paar Stunden marschiren. Ich muß diese Leute aber im Gange halten, weil sonst der Pascha allein übrigbleiben würde. Nachdem wir den Semliki überschritten haben, werden wir auf dem andern Ufer einen Platz aussuchen und ein paar Tage warten, dann einen oder zwei Tage langsam weiter marschiren und wieder halt machen. Wenn Selim Bey ernstliche Absichten hat, wird er uns bald einholen; außerdem wollen wir ihm, wenn wir den Fluß erreichen, einen Führer senden, sodaß er in vier Tagen dieselbe Strecke marschiren kann, zu der wir zwölf gebrauchen müßten. Ihr werdet einen Brief des Paschas für ihn mitnehmen, der alles dies erklärt. Ihr müßt aber jedenfalls freundlich gegen die Eingeborenen sein, da sie euch sonst nicht helfen werden.«

Befreite Aegypter mit ihren Familien.

Unter unsern Aegyptern befand sich ein Hauptmann Namens Ali Effendi, der über Herzkrankheit klagte und schon seit Monaten leidend gewesen war. Er hatte 9 männliche und ebenso viele weibliche Dienstboten bei sich und außerdem waren ihm noch 12 Träger zugewiesen worden. Sein Gepäck zählte 20 Lasten. Er selbst konnte keine 100 m marschiren und hatte auch ein sechsjähriges Kind bei sich, das noch zu klein war, um gehen zu können. Er verlangte noch weitere 6 Träger, während nicht ein einziger zu erhalten war, wenn ich nicht Befehl gab, die Eingeborenen mit Gewalt zum Tragen zu zwingen, was sich von Tag zu Tag wiederholen würde. Da einige wenige Tagemärsche diesen Mann getödtet haben würden, überredeten wir ihn zur Umkehr, und da er nicht ohne seine aus 15 Personen bestehende Familie gehen wollte, so übergaben wir sie alle der Obhut der Boten Selim Bey's, die sie zu ihrem Hauptmann zurückbegleiten sollten.

Unserm Versprechen gemäß sandten wir die diesem zaudernden dummen sudanesischen Offizier zugesagten Führer mit einem Briefe des Paschas ab, allein obwol wir noch einen ganzen Monat zögerten, halt machten, und dann wieder kurze Märsche von 1-3 Stunden täglich zurücklegten, war dies doch die letzte Nachricht gewesen, die wir von Selim Bey bekamen. Was aus ihm geworden ist, haben wir nie erfahren, und es ist auch nutzlos, Muthmaßungen darüber anzustellen. Er war einer von den Menschen, mit denen sich nicht argumentiren läßt und auf deren Verständniß die Vernunft keinen Einfluß übt. Er war nicht schlecht und kein Ränkeschmied, aber so dumm, daß er einen Befehl nur verstand, wenn derselbe von einer Drohung begleitet war und mit Gewalt durchgesetzt wurde; indeß konnte einem Manne von seinem Range und dem ihm angeborenen Muthe ein solcher Befehl nicht ertheilt werden. Er mußte daher als ein Mensch, der unmöglich überredet und noch weniger gezwungen werden kann, aufgegeben werden.



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