Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine Meerfahrt.

(Aus »Walseth und Leith«.)

Es war zwei Stunden nach Mitternacht im Juni-Monat 1742. Ein Boot mit drei kleinen Masten, von denen jeder mit einem mächtigen Segel versehen (ein Ottring), war mit acht Mann besetzt. Diese waren in kurze, meist wie Hemden verfertigte Jacken von grober Wolle gekleidet, die Beinkleider von Segeltuch, steif, und glänzend geschwärzt durch Thran, die Hüte, den Kopf eng umschließend, mit breiten Rändern, aus grober, zusammengekneteter Wolle, mit Häuten überzogen, glänzend und schwarz, wie jene. Die meisten waren junge, rüstige Burschen, zwei ältere, mit langem, struppigem, röthlichem Barte geziert. Zwar trug ihr Aussehen das Gepräge der Rohheit ihrer Lebensweise, aber eine gewisse derbe Gutmüthigkeit war dennoch ein unverkennbar herrschender Zug.

Das unabsehbare Meer umgab das Boot, die Meeresfläche schien spiegelglatt, und die kleinen Wellen in der Nähe schaukelten es. Hier wechselte, wie die Farbe, so das Ansehen der See. Strömungen kräuselten das Wasser, unterbrachen die ruhige Fläche, und bildeten breite, dunklere Straßen, die sich in grader Richtung, meist von Norden nach Süden, erstreckten und in derselben Richtung sich in sich bewegten. In fernem Westen erkannte man, tief in das Meer getaucht, das Abendroth, weit in Osten zuckten einzelne Strahlen herauf, und deuteten auf die kaum unter dem Horizonte verborgene Sonne. Ein Nebelstreifen, gleich einem dunkeln Balken, der das feurige Roth quer durchschnitt, bezeichnete die fernen felsigen Ufer der Heimath. Rings umher herrschte feierliche Stille, selten flog ein Vogel durch die Luft, nur schwarze Delphine in Menge wälzten sich, und das Plätschern tönte in die Meeresstille hinein. Ein unermeßliches Heer durchsichtiger, gallertartiger Medusen, größere und kleinere, sah man den runden, scheibenförmigen Leib wechselnd ausdehnen und zusammenziehen; – man glaubte schwimmende Schwämme zu erblicken.

Ruhig saßen die Männer auf der Mitte des Königsrandes (Kongseggen), einer großen Tiefe in der Nordsee, zwölf Meilen von Haram in Soendmoer, und blickten gespannt in den Abgrund hinein. Nur durch einzelne Töne und kurze Befehle der Aelteren wurde das Stillschweigen unterbrochen, wenn sie mit den mächtigen Fischschnüren, die über hundert Faden in die Tiefe reichen (Diubsaagn), einen Kabeljau anzogen und mühsam in das Boot warfen; oder wenn es ihnen gelang, eine mächtige Scholle (Qveite) zu fangen, deren fetter Rücken getrocknet einen seltenen Leckerbissen der Einwohner abgiebt; oder wenn sie jubelnd einen Haifisch fingen, dem sie die Leber ausschnitten und dann das getödtete Thier dem Meere überließen. Bei solchen Gelegenheiten entstand eine augenblickliche allgemeine Bewegung, die einige Zeit fortdauerte. Darauf aber kehrte jeder zu seiner frühern Beschäftigung zurück, und blickte stillschweigend und aufmerksam in die Tiefe. Es wird als ein besonderes Glück betrachtet, wenn das Meer über dieser Untiefe völlig ruhig ist. Dann hangen die starken Fischschnüre senkrecht herunter, und der Fang gelingt vorzüglich. Es war jetzt der Fall; und eben deßwegen war jeder aufmerksam, emsig bemüht, den Augenblick zu benutzen, dessen Vortheile sie bald zu verlieren befürchten mußten. Gewöhnlich herrscht über der Untiefe ein starker Strom, der besonders in der Mitte selten nachläßt, so daß er eben das Zeichen ist, daß man die rechte Stelle gefunden hat. Dieser zeigte sich jetzt, und trieb die Schnur mit sich, daß diese den Grund nicht finden konnte, und die Fischer ließen nun das Boot in der Richtung des Stromes nach Norden treiben. Noch gelang es ihnen, einige Fische zu fangen, aber der Strom nahm so stark zu, daß sie in kurzer Zeit einige Meilen nach Norden trieben. In dieser Richtung entfernten sie sich immer mehr vom Lande, welches hier gegen Osten umbiegt.

Wir müssen aus dem Strom heraus, sagte Ola.

Ei freilich, antwortete Thorwald, und dann ausruhen.

Mit Anstrengung gelang es. Der Morgenwind war vorüber, das ganze Meer, auf dessen unermeßlicher Fläche das Boot schwamm, noch immer ruhig, die Segel zusammengerollt, die Ruder lagen unberührt in dem Boote, und die Fischer verzehrten als Frühstück getrocknete Fische, etwas alten Käse und flaches trocknes Gerstenbrod. Ihr Trank war eine Mischung von Wasser und saurer Milch.

Als wir gestern früh ausfuhren, fing Thorwald an, sah ich in dem dicken Nebel den Seedrou leibhaftig am Seehause stehen. Wir hatten eben das Boot aus der Scheune gezogen, ich ging zurück, die Ruder zu holen; da stand er, als Seemann gekleidet, in der Thüre, und war verschwunden, als ich hinkam.

Da du das erzählst, unterbrach ihn Ola, so will ich dir auch sagen, daß ich den Drouspeichel als einen Schaum in dem Boote fand, nachdem wir einige Meilen gesegelt waren. Svend sah es auch, wir wollten aber nicht, daß ihr es wissen solltet.

Gott stehe uns bei! das ist ein schlimmes Zeichen, antwortete Thorwald.

Ei nun – sagte jetzt Svend, ein schöner junger Fischer, der Drou bedeutet zwar Unglück; aber ob es uns gilt, können wir nicht wissen. Wir werden bald etwas anders zu thun haben, als unglücklichen Vorbedeutungen nachzugrübeln. Ich sage euch, in einer Stunde haben wir Südenwind, jetzt können wir die Segel nicht brauchen, der Strom treibt uns mit Gewalt gegen Norden und das Rudern wird wenig helfen.

Die Fischer blickten ängstlich nach Süden, und mußten Svend Recht geben.

Wir werden sobald nicht nach Hause kommen, fuhr Svend fort.

Wenn wir überhaupt Soendmoer je wiedersehen, sagte Ola trübe.

Warum nicht? erwiederte Svend, verdrießlich, wie es schien, über den Kleinmuth des Alten; noch geht ja alles wohl, das Boot ist tüchtig, es fehlt uns nicht an Speise und Trank, wer möchte gleich die Hoffnung aufgeben?

Sie ergriffen die Ruder, und suchten völlig aus dem Strome heraus, und, so viel möglich, gegen Süden zu kommen. Während sie alle mit großer Anstrengung ruderten, die Richtung des Boots durch den Compaß bestimmend, bewölkte sich der Himmel, die Sonne trat unter dicke Wolken, die schwarze Meeresfläche kräuselte sich immer mehr, und ein Wind blies aus Südosten. Eilig wurden die Ruder eingezogen, alle Segel aufgespannt, und sie suchten, den Wind bis auf wenige Grade durchschneidend, und so hin und her kreuzend, die Höhe, die sie erreicht hatten, zu behaupten, und zu verhindern, daß sie nicht immer weiter gegen Norden trieben. Indessen erhob sich der Wind immer stärker, die Wellen wurden mächtiger, das Meer immer unruhiger, und fortdauernd strebten die kühnen Fischer dem Winde zum Trotz ihre Richtung zu behaupten. Die Wellen spielten an dem Rande des schiefsegelnden Boots, überströmten es oft, und als der Wind sich bis zum Sturme steigerte, spritzte der wilde Schaum vorn und an dem bis auf die Wasserfläche geneigten Rande hoch empor. Das Boot war in der Mitte des tobenden Elements schwer zu erkennen. Nur die Worte – schöpft das Wasser aus – reef die Segel ein – das Ruder nach der Leeseite, (Roer i Läe) – tönten zuweilen aus den Wellen hervor, und würden einem nahen Schiffe verrathen haben, daß hier ein offnes Boot in dem wüsten Oceane mit den empörten Wellen kämpfte. Gegen Mittag brach ein wüthender Sturm los. Die Wellen tobten immer furchtbarer, es bildeten sich unermeßliche, nach unten gerundete Gewölbe, deren Seitenwände in großer Höhe sich verengten. Auf dieser Schärfe brachen sich die Wellen, sich zersplitternd in schneeweißen Schaum, der hoch in die Luft spritzte, während ein Theil des Wassers von dieser Höhe, auf die geneigte Fläche, wie auf eine feste abschüssige Wand herablief. Aber die große riesenhafte Wassermasse hob sich, indem sie sank, sank, während sie sich hob, und so schien sie, betrachtete man die einzelnen Wellen, immer die nämliche Gestalt zu behalten, während der innere Grund in furchtbarer Hast von dem Oceane gepeitscht, nach Norden gejagt wurde. Die Fischer eilten, als der Sturm sich so gewaltig erhob, die Segel, die Masten herunterzuziehen, schnell griff jeder nach seinem Ruder, nur bemüht, dem Boote eine solche Richtung zu geben, daß es die immer wachsenden Wellen durchschneiden mußte. Während von der Oberfläche der aufwärtssteigenden Wellen das Wasser neben dem Boote abwärts lief, wurde dieses selbst, von der mächtigen Woge, an welcher es schwebte, wie an einen schroffen Hügel hinauf nach der schäumenden Spitze getragen, um wieder mit Blitzesschnelle herunterzustürzen. Die Hälfte der Mannschaft ruderte ohne Unterlaß, während Einer steuerte, und die Uebrigen, die Ruder in Bereitschaft, aufmerksam da saßen, um die Rudernden, wenn sie ermüdeten, abzulösen. So gespannt waren sie auf das Nächste, auf das Nothwendigste, daß die Furcht keine Gewalt über sie erhielt. Der Himmel ward immer finsterer, das Meer, die brausenden Wellen immer schwärzer, der Sturm heulte, der Regen goß in Strömen herunter, und füllte das Boot, zwei Männer mußten ununterbrochen das Wasser ausschöpfen.

Sie entdeckten einen Nordlandsfahrer, schwebend auf dem hohen Schaumgipfel einer fernen Welle, kaum erkennbar. Der große Mast trug das eine mächtige Segel aufgerieft. Aber nur einen Augenblick erblickten sie das Schiff; der nächste tauchte es zwischen die Wellen hinein, als wäre es von ihnen verschlungen. Plötzlich erschien es wieder, und jetzt sah man es von der Höhe der Welle in die gewölbte Vertiefung schwebend. Jetzt war es ihnen nah. Es flog dem Boote pfeilschnell vorüber, und sie sahen, wie das Schiffervolk das Entsetzen auf mannichfaltige Weise äußerte, als sie Fischer in einer so gefährlichen Lage, mitten im Meere, den tobenden Wellen preisgegeben erblickten. Aber wie eine augenblickliche Erscheinung eilte ihnen das Schiff mit der Mannschaft vorüber, bald sahen sie es in der düstern Ferne wie einen dunklen Punkt auf der Schaumspitze tanzend verschwinden, und fühlten sich doppelt verlassen.

Mehre Stunden waren schon verflossen, die Mannschaft erschöpft, als gegen Abend der Sturm nachließ. Die Wellen brachen sich, einzelne Wassermassen erhoben sich kugelförmig mit schäumendem Gipfel, und von der regellosen Bewegung der Wogen ergriffen, schwankte das Boot unbestimmt in allen Richtungen. Schon war es spät geworden, noch immer mußten sie mit Anstrengung rudern, als Svend jauchzend bemerkte, daß der Wind sich in Nordwest erhob. Dieser nahm fortdauernd zu, die Wellen fingen allmählig an, eine regelmäßige Bewegung zu erhalten. Die Masten wurden aufgerichtet, die Segel ausgespannt, und das Boot flog mit dem Winde der Heimath entgegen, während die Fischer, die sich jetzt völlig ausruhen konnten, die Gefahr, der sie entgangen waren, kaum erwähnend, theils Hunger und Durst stillten, theils einschliefen.

Der Wind ist zwar gut, sagte Ola, aber wir sind noch weit vom Lande; und da der Südsturm sich gegen Abend legte, so können wir ihn gegen Mittag wieder erwarten, und so Alles verlieren, was wir gewonnen haben. Der Drou ist nicht umsonst erschienen. Ich sehe ihn noch, wie er drohend vor mir stand, und darauf verschwand.

Ich erblicke jetzt etwas Besseres, Ola, erwiederte Svend, erkennst du dort nicht die drei Schwestern? Wir haben den richtigen Cours gehalten, und gehen grade auf das Land zu.

Ola strengte sich an. Nur das geübte Auge der Fischer konnte in der großen Ferne in dem bewölkten Morgenrothe drei schwarze Punkte wahrnehmen.

Indessen dauerte der Nordwind fort, das Boot flog durch die Wellen, und die Sonne erhob sich am fernen Horizont. Die Schlafenden wurden aufgeweckt. Ruhig setzten die Fischer sich hin, entblößten die Häupter, und stimmten mit rauhen Kehlen einen geistlichen Gesang an, dessen harte Töne sich mit dem Brausen des Meeres verbanden und in das weite Meer hineinschallten. Ola sprach darauf ein einfältiges Morgengebet, in welchem in schlichten Worten Gott für die Rettung aus drohender Gefahr gedankt und er um fernere gnädige Hilfe angefleht wurde. Die Fischer murmelten das allen wohlbekannte Gebet leise nach, und die zwar stumme, aber doch tiefe Freude über die Rettung bewegte, eben weil sie keine eignen Worte finden konnte, die rauhen Gemüther in hingebender Andacht. Der Cours ging nun immer mehr gegen Süden, der Mittag war vorüber, das Land lag mit den rauhen Felsenspitzen und Inseln, die wie chaotisch unter einander geworfene, mannichfaltig zerrissene Riesenmassen sich darstellten, wenn auch fern, doch erkennbar, vor ihnen.

Erkennst du, Godöe, siehst du, Ola, wie der Nebel sich an den nördlichen Abhang gelagert hat? wir werden guten Wind behalten, und dießmal, mit Gottes Hilfe, nach einem guten Fange glücklich zurückkommen.

Sprich nicht so, erwiederte verdrießlich Ola, du kannst den Wind besprechen, daß er umschlägt. Bis der Fischer in dem Hafen ist, muß er fürchten, ohne furchtsam zu seyn. Die Jugend wird immer tollkühner, sie will nicht mehr erkennen, wie wir ganz in der geheimen Gewalt des wüsten Meeres sind, wenn wir uns seinen Wellen mit so zerbrechlichen Fahrzeugen preisgeben. Vorzeiten sah dieß jeder ein, und nahm's zu Herzen. Wenn unsere Väter, von solcher Gefahr bedroht, dem Leben nur noch halb zugehörten, scheuten sie sich, auch die gemeinsten Dinge mit den gewöhnlichen Worten zu bezeichnen, in so ungewohnter, unsichrer Lage. Das war der alte stille Ernst; doch jetzt sieht jeder leicht darüber hinweg.

Du hast wohl nicht Unrecht, erwiederte Svend, wenn nicht oft auch eine recht trübselige Angst daraus entstünde, daß der Seemann unmännlich zittert, wenn ein zufälliges Wort die abergläubige Regel verletzt. Aber wo starrst du so hin, Thorwald?

Ich habe lange in Süden etwas Schwarzes entdeckt, mitten auf dem Meere, erwiederte dieser. Erst erschien es als ein kleiner schwarzer Punkt, der immer wieder verschwand, daß ich mich zu täuschen glaubte; aber nun blieb es. Seht ihr es nicht?

Lange suchten sie mit den Augen nach der bezeichneten Gegend vergebens, endlich entdeckten sie es nach und nach Alle, und in der That trat es immer deutlicher hervor.

Es ist ein Wrack, rief plötzlich Svend, nachdem er aufmerksam hingesehen hatte. – Wir müssen darauf zu, vielleicht ist dort noch etwas zu retten –

Und zu verdienen, riefen Andere, Svend beistimmend.

Sie steuerten grade auf den Punkt zu. Da glaubten sie auf einmal in weiter Ferne einen Blitz von diesem Punkte ausfahren zu sehen, der Rauch wirbelte, kaum wahrnehmbar, über das Wasser empor, und bald darauf glaubten sie nun auch einen kaum hörbaren Schuß zu vernehmen.

Ein Nothschuß, sagte Ola, und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit verfolgten sie den ihnen jetzt so wichtigen Gegenstand. Immer entschiedener wurde Svends Vermuthung bestätigt. Man war schon einig, daß es eine Brigg seyn müßte, man erkannte den abgebrochenen Fockmast, den fast verschwundenen Boegspriet, und sah, wie die zerrissenen Taue um den einen kahlen Mast herumflatterten. Jetzt kam man immer näher, die Mannschaft des Schiffs hatte das Boot erkannt, alle bewegten sich lebhaft, streckten die Arme, wie um Hilfe flehend, heraus, während das Schiff, den Wellen preisgegeben, unsicher hin- und herschwankte. Früher hätten sie es schon erreicht, wenn es sich nicht mit dem Winde fortbewegt hätte. Als sie näher kamen, sahen sie das Ruder zerbrochen, das Hinterkastell zerstört, und hörten das Jammergeschrei der Männer. Endlich legten sie an das Schiff an. Es war schwer, weil die unstäte Bewegung desselben ein ruhiges Anlegen nicht erlaubte. Stricke wurden von dem Schiffe in das Boot geworfen, wie es schien, von äußerst kraftlosen Armen. Svend war der Erste, der sich durch den Strick auf das Schiff hinaufschwang. Andere folgten, und Alle erschraken, als sie den Jammer erblickten, der auf diesem halbzertrümmerten Fahrzeuge herrschte. Zehn bis zwölf Menschen schwankten, Leichen ähnlich, auf dem Schiffe herum, die Augen starr und tief in den blassen, abgemagerten Gesichtern liegend. Kaum vermochten sie zu reden. Ein einziger junger Mensch schien mehr Kräfte, als die Uebrigen, behalten zu haben. Er sprach Dänisch. Man erfuhr durch ihn, daß sie Grönlandfahrer, und daß ihre jetzige dringendste Noth der furchtbarste Hunger wäre. Kaum hatte Svend dieses gehört, als er eilig sich in das Boot schwang. Alles, was dort an Lebensmitteln übrig war, und eine beträchtliche Menge der gefangenen und zubereiteten Fische, wurden auf das Schiff gebracht, dann eine kleine Tonne frisches Wasser. Wie grimmige Thiere stürzten die Matrosen über die rohen Fische her. Vergebens beschwur man sie, zu warten, bis sie gekocht wären.

Da entdeckte Svend vorn im Schiffe eine hochschwangere Frau, die wie in Ohnmacht lag. Eine Todtenblässe hatte sich über das hagere Antlitz verbreitet; aber die zarte Haut, die feinen Züge bewiesen, daß sie bessere Tage erlebt hatte. Sie lag mit gefalteten Händen, die Augen geschlossen, da. Eine einfache, weiße Mütze schloß sich dicht an den Kopf an, ein weißes, breites, leinenes Band ging quer über die Stirn, und ähnliche Bänder waren unter dem Kinn zu einer großen Schleife vereinigt. Sie trug eine Jacke und einen Rock von grauem Tuch, ein weißes, leinenes Tuch war über Hals und Schultern geworfen, und verhüllte dicht und züchtig die Brust. Neben ihr lag ein ältlicher Mann mit starken Gesichtszügen, wie es schien, dem Tode nah. Er trug eine runde, ungepuderte Perücke, und der braune Rock mit breiten Schößen, die Aermel mit herunterhängenden Klappen, war durch eine Reihe großer Knöpfe bis dicht unter den Hals zugeknöpft. Um dieses war ein schwarzseidenes Tuch eng geschlungen, so daß die Enden weit über den Rock herunterhingen. Svend eilte zuerst auf die Frau zu. Noch war der Branntwein im hohen Norden selten. Man führte ihn nur als Stärkungsmittel gegen die völlige Erschöpfung mit sich, und die rüstigen Fischer hatten es noch nicht nöthig gefunden, zu diesem kostbaren und seltenen Mittel zu greifen, obgleich ein Jeder ein kleines Fläschchen bei sich trug. Mit Wasser verdünnt flößte Svend der ohnmächtigen Frau einige Tropfen ein. Sie erholte sich etwas, und ihr erster Blick war nach dem Manne gewandt, der neben ihr lag. Beide ruhten auf einem Lager von Segeltuch. Auch den Mann versuchte Svend durch dieses Mittel zu stärken.

Während er hier beschäftigt war, hatten einige Fischer die Fische gekocht, diese und Gerstenbrot ward den Hinfälligen geboten. Sie genossen gierig, und schauderhaft erschien es dem guten jungen Manne, als er diese feine, edle Gestalt von einem fast thierischen Heißhunger ergriffen sah. Die Frau richtete sich auf, und fühlte sich sichtbar gestärkt. Sie schien weniger, als die Uebrigen, gelitten zu haben, und bald erfuhr man, daß der Mann, der neben ihr lag, als noch einige Lebensmittel im Schiffe waren, auf jede Weise die Frau getäuscht hätte, um von den seinigen ihr einen bedeutenden Theil zu geben. Sie hatte es nur zu spät gemerkt, und daher war der Mann früher schon, als die meisten Uebrigen, von dem Hunger ergriffen worden. Es schien ihnen ein Räthsel, daß er noch lebte. So elend indeß die Mannschaft auch war, so wurden sie doch durch die frohe, unerwartete Hoffnung aufgerichtet.

Schnell hinunter in das Boot, rief Ola, und Svend setzte schon zwei Ruder in Bewegung. Das Boot zog nun das Schiff nach dem Lande zu, indem man sowohl Segel als Ruder benutzte. Svend war durch den Jammer auf dem Schiffe sichtbar erschüttert.

Mein Gott, rief er ungeduldig, wie langsam geht es!

In der That ging das Schiff sehr langsam nach der, noch neun bis zehn Meilen entfernten Küste zu. Während die Fischer mit großer Anstrengung ruderten, und schon zweifelten, daß sie Kräfte genug haben würden, um das Schiff so weit zu schleppen, entdeckten sie in der Ferne zwei Boote. Man rief der Mannschaft zu, daß sie eine Kanone lösen sollte. Aber das Schiffstau war lang, der Wind noch immer stark, sie schienen den Ruf nicht zu verstehen. Man war genöthigt, wieder auf das Schiff zuzurudern. Svend bestieg es, er sah nur flüchtig die Frau, die erschöpft da lag, den Mann, der mit dem Tode zu ringen schien, und eilte, die drei Kanonen, die hinten standen, zu laden, und alle drei abzufeuern. Mit Vergnügen merkte er, daß die fernen Boote ihren Lauf änderten. Er eilte nun in das Boot, die beiden übrigen kamen bald heran. Einige brachten Lebensmittel, die nun für die kurze Zeit in hinreichender Menge da waren. Die Boote verbanden sich mit dem ersten, und das Schiff ging jetzt schon schneller nach dem Lande zu.

Indessen neigte sich der Tag, der Wind hörte auf, in der stillen Nacht tönten die vereinigten Ruderschläge, die Wellen brachen sich an den Seiten des Wracks, und immer eiliger suchte man das Land zu erreichen. Man glaubte auf dem Schiffe zuweilen ein Wimmern zu hören.

Auf Godöe erhob sich der hohe Berg gegen Norden. Sie näherten sich dem Ufer immer mehr, und als sie gegen Morgen in Breesund hineinruderten, erblickten sie eine große Menge Boote. Schon in der Nacht entdeckten rudernde Schiffer ein Wrack, welches am Schlepptau dem Lande zugeführt wurde. Das Gerücht verbreitete sich schnell, Boote strömten von allen Seiten zu, die Anzahl derer, die das Schiff hineinschleppten, konnte vermehrt werden, die erschöpften Fischer wechselten mit andern ab; und nach wenigen Stunden lag das Schiff bei Kalvestad, dicht unter einer steilen, drohend herunterhängenden Felsenwand fest angebunden.

Am Ufer war eine große Menge Menschen versammelt. Mehre von der Mannschaft des Schiffes hatten sich so weit erholt, daß sie ohne Hilfe das Schiff verlassen konnten. Sie lachten, weinten, umarmten sich wechselseitig, stürzten auf die Kniee, und die gewaltsamen Aeußerungen der Freude ergriffen die Zuschauer, die sie neugierig umgaben.

Unser Schiffer verließ, gefährlich krank, Grönland, erzählte einer an die sich zudrängenden Zuschauer, die sie mit Fragen bestürmten, und war schon gestorben, ehe der wüthende Sturm losbrach, der unseren großen Mast zersplitterte, auch unser Steuermann, jetzt todt, lag krank in seiner Koye, und wir Anderen wußten uns kaum zu helfen. Das Schiff trieb hin und her, das Steuerruder war, ehe wir es uns versahen, zerschmettert, und seit zehn Wochen trieben wir in dem wilden Meere herum. Einmal war ein Schiff uns nahe, wir erwarteten sicher Hilfe; aber es eilte uns, mit gutem Winde pfeilschnell vorüber. Seit acht Tagen nahmen die Lebensmittel so ab, daß wir den Hungertod vor Augen sahen, in den drei letzten kaueten wir das Leder, und schon fingen Einige an, das Schauderhafteste vorzuschlagen, als wir durch euch gerettet wurden.

Man umringte nun die Frau, Svend näherte sich, und sie erkannte den jungen Mann, der sie so freundlich unterstützt hatte. Aber sie sprach Deutsch, und Keiner verstand sie. Sie pflegte mit angstvoller Sorge ihren Mann, kniete neben seinem Lager hin, und betete. Jede Hilfe wurde versucht; allein sie kam zu spät. Mit einem matten Blicke nach seiner Frau, dann nach oben gewandt, mit gefalteten Händen, wie in stilles Gebet versunken, athmete er zum letzten Male. Die Frau war ohnmächtig auf das harte Lager hingestürzt. Nach einiger Zeit schlug sie die großen Augen auf, sie schien ganz in innere Betrachtung vertieft, sie blickte ruhig nach oben, und die von Schmerzen krampfhaft bewegten Züge beruhigten sich, ein klares Licht schien die hellen Augen zu erleuchten, eine wehmüthige Freude spielte um die blassen Lippen, und mit einer innerlich zitternden, bewegten, aber unendlich rührenden Stimme sang sie:

Er wird es thun, der gute, fromme Gott;
Er läßt nicht ohne Maß versuchet werden,
Er bleibet noch ein Vater in der Noth,
Sein Trost erleichtert seines Kind's Beschwerden.
Ei, höre nur, wie er so freundlich spricht:
Verzage nicht.

Und also bricht das Herz ihm gegen dich,
Er spricht: ich muß mich über dich erbarmen.
Du armes Kind hast Niemand, außer mich,
D'rum halt' ich dich in meinen treuen Armen;
Sey gutes Muths, die Hilf ist dir schon nah',
Der Trost ist da.

Die Fischer hatten sich mit ihren Frauen, Söhnen, Töchtern und Mägden um die Leiche und um die trauernde Frau gestellt, und als sie zu singen anfing, waren ihnen freilich die Töne der fremden Sprache unverständlich; aber die rührende Andacht, die sich durch die Stimme und mehr noch durch die verklärten Züge aussprach, erregte eine andächtige Stille. Die Männer entblößten die Häupter, die Frauen falteten die Hände, und während des Gesanges hörte man nichts, als ein tiefes Schluchzen in der Versammlung.

Lange dauerte die feierliche Stille. Die fremde Frau hatte sich gefaßt aufgerichtet, die rührende Andacht, die alle Zuschauer zeigten, schien das Vertrauen gestärkt zu haben, sie blickte mild um sich her, reichte, mit Thränen in den Augen, den Nächststehenden die Hände und es war ihr, als fühlte sie sich heimathlich unter diesen wohlwollenden Menschen, die ihren Kummer theilten, obgleich sie nicht vermochte, sich ihnen verständlich zu machen. Noch einmal kniete sie, betete über der Leiche des Mannes, und sprach: Du hast dich für mich und für dein Kind geopfert, treu bis in den Tod.

Alle Frauen drängten sich um sie herum, jede bot ihr Hilfe, Pflege, Herberge an, und die Schiffsleute erhoben die Theilnahme durch ihre Erzählung.

Sie ist die Frau des deutschen frommen Predigers, dessen Tod sie beweint. Sie waren nach Grönland gegangen, um die Heiden zu bekehren. Die Wilden haben sie wie eine Heilige angebetet; denn allen erschien sie hilfreich, und verschmähte es nicht, lehrend und helfend, in ihre niedrigen, schmutzigen Hütten einzukehren. Auf dem Schiffe war sie ein tröstender Engel, wenige Männer so muthig, wie sie, und wenn die Noth wilde Leidenschaften unter uns erregte: so war ein Wort, ein Blick von ihr hinreichend, um die Wildesten zum Stillschweigen zu bringen.


 << zurück weiter >>