Adalbert Stifter
Die Narrenburg
Adalbert Stifter

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»Wer ist die Plumi?«

»Ei, Appolonia, die alte schwäbische Amme Thrinens, die sie bekommen hat, weil ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist, und die nach ihrer Heirath mit in die Stadt gezogen ist. Sie erzählte uns von Goldfischchen, die gefangen war, und Prinz Heuschreck, der klein und grasgrün war, und sieben Jahre durch fremde Länder hüpfen mußte, bis er Beide erlöste, wo er dann ein schöner Prinz ward, und die schöne Prinzessin Goldfischchen heirathete – und von andern Prinzen in Sammt und Seide, in Sammt und rothem Gold, so schön, wie Milch und Blut – dann von klingenden Wäldern, redenden Karfunkeln – von den sieben klugen Hähnen – von dem armen Huhn, das auf dem hohen Nußberge erdurstete – und von tausend und tausend andern Dingen, täglich etwas Neues und täglich das Alte. – – Denkt nur, als ihr vor dreizehn Wochen zum ersten Male in unser Haus tratet, hielt ich euch im ersten Schreck selber für einen solchen Prinzen – weil ihr so jung und mit so närrischem Zeuge beladen waret – – und wie wir größer wurden, bekam ich vom Vater schöne Fabelbücher, und oben eine eigene Kammer mit schneeweißen Vorhängen und Simsen, und Tischen von schönem rothem Steine. Er verbot mir in die Schenkstube zu kommen, und von der Stadt erschien eine Frau, die uns die Fabelbücher lesen und selber schöne Dinge schreiben lehrte – nur leider ist diese Frau zu früh gestorben, und ließ uns nur einige Bücher zurück, die wir dann immer lasen, – ach, da standen euch Dinge darinnen, daß mir oft das Herz zerspringen mochte vor lauter Schmerz und Sehnsucht – und die alte Plumi kroch auch wieder aus ihrer Hinterstube hervor, in die sie sich seit der Ankunft der fremden Frau versteckt hatte, und erzählte wieder, und ging mit uns in's Gebirge, die einsamen, heißen Steinriesen empor, Erdbeeren oder Haselnüsse suchend, oder Blumen, deren oft eine bei diesem oder jenem Steine stand, so prachtvoll und wildfremd, daß ihr erschrocken wäret, ihr habt vielleicht gar keine solche in euren großen Blumenbüchern – und wenn wir tief genug in der Grahnswiese zurückgingen, daß wir weder den Bach noch die Schmiede und Sägemühle hören konnten, und bei dem wilden Schlehenbusche kauerten, und sie nun erzählte, und immer tiefer hineinkam, und unter den grauen Haaren hervor die pechschwarzen Augen in unsre Gesichter bohrte: da fuhr ich euch oft entsetzt zusammen, wenn sich von der Wand daneben ein Steinchen lös'te, und zu dem andern Gerölle niederfiel – und es hätte mich gar nicht gewundert, wenn die Krüppelföhren zu reden begonnen hätten, und der Fels sich zu neigen, namentlich wenn gar zuweilen der schwache weinende Ton durch die Luft herüberschnitt, da der alte, todte Graf Prokopus auf dem Sternenthurme musicirte – – aber was wollte ich euch denn eigentlich erzählen?«

»Wie es kam, daß du mir so gut geworden bist.«

»Ach, die arme Thrine mußte den Stadtschreiber heirathen – sie that es wohl gerne, und ging gerne mit, und die Plumi auch: aber ich war dann so arm, daß ich es euch gar nicht beschreiben kann – – – und da kamet ihr und habt mich mit so guten Augen angeschaut, und mit so schönen, und seid dann wieder so traurig geworden, daß es ordentlich ein Schmerz und eine Seligkeit war – – höret, wenn ihr falsch sein könntet, das wäre nun recht abscheulich .... «

»Nein, Anna, du unschuldsvoller Engel, sei mir gut, so lange mir dieses Leben währt; ich kann mir kein größeres Glück und keine größere Freude denken und wünschen, als dich. Du bist viel besser als ich – und wenn du mein Weib bist, und wenn wir immer und immer beisammen sein werden, dann will ich ihnen in der Stadt zeigen – – nein, wir gehen gar nicht in eine Stadt, – unter Blumen und Bäumen will ich dich hüten, daß du bleibst, wie du bist, du holde, liebe Dichtung ....«

»Laßt diese Dinge, und hört nur« – fiel sie ihm in die Rede. »Es war fast närrisch, wie sehr ich euch gut ward – die Hühner, und die Blumen, und die Tauben halfen doch alles nichts, ich konnte die Thrine nicht vergessen, und sie kam kaum jeden Sonntag heraus. – Der Vater ließ mich fast nichts arbeiten, und ich that auch nichts im Hause, als unnützes Zeug, höchstens die Küchlein füttern, weil sie meinten, ich sei ihre zweite Mutter, und die Blumen begießen, und diese Laube zimmern lassen. – – Und wenn ich dann in meiner Kammer das Abendgebet verrichtet hatte, und der Wind in die Fenstervorhänge blies, da war ich recht traurig. – Die Bücher, welche mir Thrine immer schickte – – sagt, habt ihr auch schon einmal bei einem Buche geweint?«

»Wohl, Anna, wohl.«

»Seht, ich hab' es gleich gedacht, daß ihr das gethan habt – wie ihr so die allerlei Steine in unser Haus truget, und mit ihnen lateinisch redetet, und wie ihr die Blumen, wie Augen so schön, in die großen Bücher legen konntet, und sie oft recht lange ansahet, so dachte ich: sie können ihn doch nicht wieder lieben, weil sie trotz ihrer Schönheit nur unvernünftige Dinge sind – und wer weiß, wie weit seine Mutter entfernt ist – und ihr sahet aus, als müßtet ihr gar so unendlich gut sein, noch besser, als Thrine selber – und wenn sie euch schalten, daß ihr so unnütze Dinge treibt, so dachte ich: ich weiß es schon, weßhalb er dieses thut; denn die Leute hier, wisset ihr, kennen die Blumen und Steine nicht – und wenn mein Vater auf die Bücher Thrinens schmälte, und sagte, es sei lauter Narrheit in ihnen, und wenn ich es auch schon selber zu glauben anhob, so war mir doch dazumal – – – aber das ist zu lächerlich. – – «

»Nun, Anna, nun?«

»Es war mir öfters, als seid ihr in einem solchen Buche gestanden, und daraus in unsern Garten getreten – und wenn ihr hinten saßet, und das Antlitz so wie nachdenkend in eure beiden Hände drücktet, so dachte ich, dieß sei meinetwegen.«

»Es war auch deinetwegen – es war auch deinetwegen.«

»Seht ihr? – und darum war's auch so: da ich mir dachte, ich will ihm recht gut werden, war ich es schon, mehr war ich es, als es nur ein Mensch aussprechen kann, und ich dachte, ihr müßtet mich ja auch unaussprechlich lieben, es könne ja gar nicht anders sein, es sei so gewiß, als wenn ihr es schon selber gesagt hättet.«

»Und wenn es nun nicht gewesen wäre?«

»Es mußte ja, weil sonst alles ein Unding gewesen wäre, das nicht sein kann – ich weiß nicht, warum der Bach in die Pernitz fließen muß, aber ich weiß, daß er es muß.«

»O, du ahnungsreiches Herz! er muß es, und er ist selig, daß er es muß. Das Ziel und Ende seiner Wanderung findet er dort – was weiter sein wird, ist ungewiß; nur Eins ist sicher, das Beisammensein, und dieses Eine ist Alles, ob nun gezählte Jahre fließen, oder die ungezählte Ewigkeit, ob die Körper sich berühren, ob nicht, es bleibt so – – Die Leute nennen's sonst auch Treue – – Aber siehe, der häßliche Fliederschatten deckt dir deine Stirne, und das süße Auge – neige das Haupt – so – noch ein wenig, mehr gegen mich – so –. Ich möchte den Mond dort an jenes blaue Fleckchen fest bannen, daß er immer herschiene und immer deine reine Stirne, und das rührend schöne Auge beleuchtete – –.«


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