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»Lasse ihn in seiner Ahnung,« sagte Robert, »es dürfte eher sein Gehirn zersprengen, ehe wir ihm begreiflich machen, daß du nicht Sixtus seiest.«
»Bin ich auch nicht Sixtus,« antwortete Heinrich, »so bin ich doch einer von Diesen da – – ich bitte dich, frage jetzt nicht, mir ist Alles sonnenklar, nur zittert jeder Nerv in mir. Ich werde dir Alles – Alles enthüllen, frage nur jetzt nicht.«
Und in der ungeheuren Aufregung, in der er war, ging er gegen Ruprecht, und, als glaube er es selber, sagte er zu ihm: »Sei gepriesen, alter Mann, für das, was du gethan hast – ich danke dir dafür, ich danke dir, und ich werde redlich sorgen für alle deine künftigen Tage.«
Dem Greise war in seiner Schwäche ein kindisches Weinen über diesen Dank angekommen, aber es äußerte sich nur darin, daß ein Zucken und allerlei Bewegungen und Regungen emsig durch die Falten des verfallenen Angesichtes liefen. Er beugte sich mehrmal, und beugte sich tief, und vornehm, wie ein belohnter Diener – es wäre lächerlich gewesen, wäre es nicht schauerlich erschienen. »Ich that nur meine Schuldigkeit,« sagte er, »ich that nur meine Schuldigkeit!« Dann ging er mit allen Zeichen der Befriedigung, und mit einer gewissen Würde in seiner Gestalt gegen das Bild, und sagte: »Zum letzten Male wollen wir es schließen, Erlaucht, daß es nach Kurzem offen strahle vor den Augen aller Menschen, und auf ewige Zeiten. O, ich habe euch gleich gekannt,« fügte er zufrieden lächelnd hinzu, »da ihr heute Einlaß verlangtet!« – Mit diesen letzten fast heimlich gesagten Worten drehte er den Kupferdeckel wieder herum, und fügte ihn ein, so daß keine Spur blieb, wo er sich früher geöffnet.
»So, jetzt ist Alles geschehen, und gesehen,« sagte er, und trat zurück. Wirklich waren nun alle folgenden Nischen in langer Reihe leer, und die Freunde wanderten noch den Rest entlang, dem Thore zu, das sie in die andern Gemächer des Baues führte.
Daß sie dem, was nun folgte, wenig Aufmerksamkeit schenkten, begreift sich. Sie gingen noch durch mehrere Abtheilungen des Sixtusbaues. An den grünen Saal stieß ein rother, gefüllt mit den tausenderlei Arbeiten der Frauen des Rothensteines, namentlich mit einer Unzahl Spielereien der Nonnen. Sonst möchte es nicht ohne Annehmlichkeit sein, diese Zeugen einer vergangenen Abgeschiedenheit zu betrachten, wie sie für den einen ein Glück, für den Andern eine Trauer war, – aber die zwei Männer eilten vorüber, um nur so schnell als möglich Raum und Luft zu gewinnen und ihre Herzen gegenseitig ausschütten zu können. Nur ein Gemach, als sie all die Räume und Zimmer durchwandelt hatten, nahm noch ihre Aufmerksamkeit in Anspruch – es war das letzte, nahe an dem großen Thore gegen die Vorderseite des Baues gelegen, aus dem sie nun hinaustreten sollten. Das Gemach war der im Sechseck gebaute Malersaal, in welchem die Bilder zum grünen Saale verfertigt zu werden pflegten. Und auf eine schaurige Weise legte er jetzt den späten Besuchern diese seine einstige Bestimmung vor Augen; denn Alles lag und stand noch so, als wäre der Künstler vor einem Augenblicke hinweggegangen: aber ausgedorrte Farben, Staub und Spinneweben zeigten, daß hier jahrelang keine menschliche Hand thätig gewesen sei. Dennoch waren noch alle Fenstervorhänge niedergelassen, bis auf einen, um das Licht auf die Leinwand zu sammeln. Eine lebensgroße Gliederpuppe saß da, und schwere, schön geordnete grünseidne Drapperie hing an ihr nieder, um auf das Bild gemalt zu werden; aber die scharfen Seidenfalten derselben lagen voll dichten alten Staubes, und der Glanz des Stoffes war erblindet. Der rothe Sammtsessel, auf dem die saßen, die abgebildet werden sollten, stand leer; aber daneben auf der Staffelei war auch das unvollendete Bild von der, die zuletzt auf dem Stuhle gesessen. Um das Bild war schon im Voraus ein breiter Rahmen von künstlichem Serpentine gemalt, um die Wirkung auf den künftigen Platz berechnen zu können; aber es kam nie auf diesen künftigen Platz. – Das Haupt war zwar vollendet, die Figur und der Grund aber bloß umrissen und untermalt, und die Hände waren weiße, verwischte Flecken. Heinrich jagte mit seinem Tuche den größten Theil des Staubes von dem Bilde, und getrübt durch den noch gebliebenen, sah ein schönes schlankes Weib, wie eine Narcisse, demüthig und selig aus der Fülle der schönsten blonden Locken heraus.
»Geht vorüber, geht nur eilends vorüber,« sagte angstvoll dringend der Greis, »ich bitt' euch inständig, geht vorüber – es ist nur mein armes Kind – was soll ich denn hier stehen bleiben? – ich habe ja ohnedieß schon um sie geweint. – – Sie sollte in den grünen Saal kommen, aber er wurde in dem Lande der Heiden erschlagen – der Maler ging fort – sie starb. – – Seht, der Conterfeier ist hinterlistig wieder erschienen, und wollte das Bild und die Sachen fortnehmen, aber ich sagte zu ihm, daß ich ihn erstechen werde, wenn er es thäte – da ging er, und kam nimmermehr wieder. Ich bitte euch, laßt stehen und gehen – – Alles ist nicht zu Ende; Alles ist falsch, ihre Ehre und ihre Erhebung ist falsch, wie der Stein, den sie um ihr Bildniß gemalt haben. – – O, Vieles, Vieles ist fürchterlich geworden, seit ihr fort waret: Graf Jodok hat seinen Sohn Christoph verflucht, und dieser ist nicht gekommen, bis der Vater todt war, und dann kam er, und war wie eine scheue Amsel auf dem Berge, und gesellte sich zur schlanken Ammer, die immer erschrocken das Köpfchen warf. – – Aber sie Beide waren so schön, wie gar nichts auf Erden, und lauter Friede und Heimlichkeit war auf dem Berge. – – Laßt sie ruhen – laßt sie ruhen! – Hier ist das Thor; ihr könnt ja gleich in den indischen Garten des bösen Jodok kommen. Seht, der Garten ist so schön – geht nur hinaus, geht hinaus, ich bitt' euch.«
Und hastig hatte er bei diesen Worten das Thor der ganzen Breite nach aufgerissen. Feines liebes Grün sah einladend herein. Er zeigte hinaus; er war sichtlich erleichtert, als die Freunde das Gemach verlassen hatten. Dann mit Kraft und Schnelle jagte er die Flügel zu, drehte dreimal den Schlüssel im großen Schlosse um, und schlug noch mit der Faust auf das eiserne Thor, recht freudig, daß es einmal zu sei. – Aber auch die Männer waren erleichtert, als der düstre, schwarze Bau gleichsam hinter ihrem Rücken zurückwich, und die helle, grüne Landschaft glänzend in der Nachmittagssonne vor ihnen lag, und sich die Flut des lieben vertrauten Sonnenlichtes wieder um sie ergoß. Es war ein reicher Garten, durch den sie gingen, voll der sanftesten Sträuche und Bäume nebst Resten verkommener, ausländischer Gewächse. Mitten in dem Garten stand ein großer, weißer Würfel aus dem feinsten Marmor gehauen, mit der Inschrift: »Jodokus und Chelion.« Sie gingen vorüber, dann gelangten sie in den griechischen Säulenbau des Jodok, das sogenannte Parthenon. Die Säulen standen hoch und prächtig in die Lüfte, und Gemächer und Corridore liefen; aber alle die Keuschheit des Marmors war häßlich von Rauch und Flamme geschwärzt und verödet – eine Schicht unreiner Ziegel lag zwischen den beschmutzten Säulen, und schändete die edle Leiche des Gebäudes.
Sie weilten auch hier nicht lange – und es war auch nichts zu sehen, als die leere hohle Hülse einstiger Wohnlichkeit, in der nun die Trauer brütete. – Sie gingen hinter dem Gebäude durch einen weitläufigen Obstgarten nach und nach um die Bergkuppe herum, und stiegen dann durch den erstorbenen Fichtenhain zu dem Thurme des Sterndeuters Prokopus hinan. Der Thurm selber war leer, nur daß noch Trümmer von astronomischen Geräthen, Mappen und Büchern herumlagen.