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Ferien in Berlin

Doch selbst das stärkste Donnerwetter geht vorüber. Der darauffolgende Sonnenschein trocknet auch die größten Pfützen, und der Alltag geht seinen ruhigen Gang weiter.

Hanni gab dem Kaffeekränzchen vorläufig keinen neuen Gesprächsstoff. Nicht etwa deshalb, weil ihre Begeisterung für den »Wassersport« nachgelassen hätte – nein, durchaus nicht, nur Fischer Schalks Kahn war noch immer nicht in Ordnung. Es fiel ihr darum auch gar nicht schwer, das Verbot der Eltern, den Kahn zu benutzen, einzuhalten und sich so mustergültig zu geben, wie man es von einem jungen Mädchen im Alter von fünfzehn Lenzen eben erwarten kann. Es waren nur noch wenige Tage bis zum Beginn der großen Ferien. Hanni zählte bereits die Tage und Stunden und entwarf mit Gretel und Heinz die herrlichsten Ferienpläne. Furchtbar faul wollten sie sein, den ganzen Tag auf der Wiese liegen oder durch die Wälder strolchen und nicht ein einziges Mal in die Schulbücher sehen. Und – Fischer Schalks Kahn mußte doch auch wieder einmal flott werden, denn der Fischer hatte ihn ja schließlich zum Fischen nötig!

Aber all' die schönen Träume wurden zu Wasser, wenigstens soweit sie Hanni angingen. Als sie eines Tages aus der Schule gekommen war und am Mittagstisch erschien und mit dem gewohnten guten Appetit den aufgetragenen Speisen zusprechen wollte, zog ihr Vater aus der Tasche einen Brief hervor und fragte: »Hanni, was hältst du von einem Ferienaufenthalt in Berlin? Von Tante Else kam heute früh dieser Brief, in dem sie uns den Vorschlag macht, dich ihr für ein paar Wochen anzuvertrauen. Ich denke, wir können das ruhig wagen. Du bist schon ein großes, verständiges Mädchen«, – Hanni nahm die väterliche Anerkennung in würdiger Haltung entgegen, – »es könnte dir nicht schaden, wenn du auch mal die Nase über unsere Stadtmauern hinausstecktest. In Berlin muß jeder einmal gewesen sein; und die norddeutsche Tiefebene ist auch schön.«

Hanni war begeistert. Lange überlegen war gewiß nicht am Platze. Hier mußte flott zugegriffen werden, damit diese schöne Ferienreise nicht schließlich doch zu Essig wurde. Stürmisch fiel sie über ihre Eltern her, die sich vor ihren Liebkosungen nur durch schleunigen Rückzug retten konnten. Den erträumten Ferienplänen gab sie leichten Herzens den Abschied. Berlin, das Ziel ihrer Sehnsucht, mit seinen Sehenswürdigkeiten und – Sportmöglichkeiten, überstrahlte alles.

Das konnte auch Gretel Braun verstehen, der natürlich die Neuigkeit sofort ins Doktorhaus hinübergetragen werden mußte. Gemeinsam zogen die Mädels zum Bahnhof, um festzustellen, wann Hanni fahren könnte. Zwar war dazu noch reichlich Zeit, denn noch rief sie die Schule Tag für Tag, aber in dem Stadium der Freude, in dem sich Hanni befand, war die sofortige Ermittlung der Abfahrtszeit sehr wichtig. Dann schrieb sie ihrer Tante nach Berlin einen Dankesbrief und teilte ihr mit, daß sie natürlich gleich am ersten Ferientage die Reise antreten würde.

Frau Hase war, obwohl sie ihrem Töchterchen das große Erleben von Herzen gönnte, insgeheim doch etwas in Sorge. Sie ließ sich zwar nichts anmerken, aber sie hatte ihre Befürchtungen, da sie die sportliche Einstellung ihrer bedeutend jüngeren Schwester Else kannte. Nicht mit Unrecht nahm sie an, daß deren Sportgeist ihre dafür sehr empfängliche Hanni stark beeindrucken würde. Doch die Vorbereitungen für Hannis Reise ließen ihr wenig Zeit, trüben Gedanken nachzuhängen.

Die letzte Schulstunde war vorbei. Kaum war Hanni zu Hause, so versenkte sie mit einem Seufzer der Erleichterung ihre Schulbücher im Schrank, reckte die Arme der Sonne entgegen und rief: »Nun aber auf nach Berlin!« – Schnell wurde der Koffer gepackt, zuunterst der Bade- und der Turnanzug eingeschmuggelt, damit diese Gegenstände Mutter nicht direkt ins Auge fielen. Dann ging sie mit Gretel hinunter zum See, um von ihm für die herrliche Ferienzeit Abschied zu nehmen.

Das Reisefieber ließ Hanni in der letzten Nacht kaum zur Ruhe kommen, und auch das Frühstück, dem sie sonst reichlich zusprach, war heute Nebensache. Viel zu früh war die Familie auf dem Bahnhof, denn Hanni hatte zum Aufbruch gedrängt. Gretel und Heinz stellten sich auch ein und brachten der Freundin die übliche Tafel Schokolade. Endlich nahte der Zug, und Hanni konnte einsteigen. Es waren nur wenige Minuten Aufenthalt, der Vater besorgte ihr einen Fensterplatz, und dann – fuhr der Zug ab. Hanni winkte, solange sie noch ein Pünktchen von den Zurückbleibenden sah. Nun fuhr sie neuen Erlebnissen entgegen. Noch hundert Ermahnungen mindestens hatte ihr die Mutter auf dem Bahnhof gegeben! Eine wußte sie davon noch, nämlich, daß sie gleich nach der Ankunft schreiben sollte.

Todmüde war das Mädel, als sie nach vielen Stunden Bahnfahrt von Tante und Onkel in Berlin am Bahnhof in Empfang genommen wurde. Elegant und jung sah Tante Else aus, nett und lustig der Onkel, den Hanni noch nicht kannte. Ehe sie sich recht besinnen konnte, saßen sie schon in einem kleinen Auto, das der Onkel selbst steuerte. »Das ist unser Wagen«, meinte Tante Else. »Gleich morgen, wenn du ausgeschlafen hast, werden wir mal eine Rundfahrt durch Berlin machen.« – »Hat Onkel Richard dann schon Zeit, daß er uns fahren kann?« – »Nein«, lachte Tante Else, »Onkel Richard kann uns wochentags kaum begleiten, ich fahre uns dann, und du darfst vorn neben mir sitzen.« Begeistert stimmte Hanni zu, die forsche Tante, die sogar ein Auto steuern konnte, gefiel ihr immer besser. Jetzt waren sie daheim angelangt. Beim Abendessen fielen Hanni fast die Augen zu. Darum brachte sie gleich danach die Tante in das freundliche Stübchen, das sie während ihres Aufenthaltes bewohnen sollte.

Munter und ausgeschlafen erschien Hanni am nächsten Morgen am Kaffeetisch, der im Garten gedeckt war. Die Verwandten wohnten in einem netten Häuschen in einer Siedlung, wie sie in den letzten Jahren rings um Berlin entstanden sind. »Wovon seid ihr nur so braun?« fragte Hanni. »Ich bin zu Hause doch auch viel draußen, aber solche Indianerfarbe habe ich doch nicht. Wart ihr denn jetzt an der See?« – »Nicht an der See, aber auf der Spree!« scherzte der Onkel. »Ich bin doch im Ruderverein, und wir sind sehr viel mit unserem eigenen Ruderboot auf dem Wasser. Auf Reisen gehen wir lieber im Winter, um Ski zu laufen.« Diese Mitteilung war für Hanni etwas ganz Neues, denn Frau Hase hatte ihrer Tochter absichtlich verschwiegen, daß die Berliner Verwandten einem Ruderverein angehörten. Jetzt gab es für Hanni kein Halten mehr. Stürmisch fiel sie der Tante um den Hals. »Famos, nun wird wohl auch mein Wunsch, einmal in einem richtigen Sportboot zu fahren, in Erfüllung gehen.« – »Ja, Hanni, ich bin ja ganz erstaunt, ich wußte gar nicht, daß du eine solche Wasserratte bist! Woher hast du denn diese Neigung?« fragte die Tante. »Ich weiß es auch nicht. Jedenfalls kenne ich nichts Herrlicheres, als mit dem alten Fischerkahn auf unserem kleinen See zu fahren. Bloß Mutter und leider auch der alte Fischer wollen das nicht haben. Und doch ist's nirgends so schön wie auf dem Wasser. In der reinen, staubfreien Luft fühle ich mich frei und wohl, viel mehr als selbst im Walde, der ja bei uns auch nicht zu verachten ist. Ich finde es wunderbar, auf den See hinauszurudern, dann die Ruder einzuziehen, mich lang in den Kahn zu legen und in den Himmel zu gucken.« – »Das ist gewiß sehr schön, aber es ist nicht der Sinn des Wassersports. Naturschönheiten allein tun es nicht. Das Rudern hat vor allem große Bedeutung für die Gesundheit, Schade, daß du zu Hause nicht die Möglichkeit hast, sportlich zu rudern, denn gerade durch die planmäßige Ruderarbeit wird der Körper so gleichmäßig in Anspruch genommen, wie es bei keiner anderen Sportart der Fall ist«, sagte der Onkel. »Wir können ja heute unseren Nachmittagskaffee im Bootshaus trinken, und Onkel Richard kommt abends nach und holt uns ab«, schlug die Tante dann vor. Freudig stimmte Hanni zu. Zuerst wollte sie ins Bootshaus, die Sehenswürdigkeiten von Berlin liefen ihr nicht davon. Vier Wochen hatte sie noch Zeit dafür.


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