Rudolph Stratz
Die armen Reichen
Rudolph Stratz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

John Burke stand immer noch wo er war und sah seinem Bruder nach, während er und die weiße, an Wuchs ihn überragende Gestalt seiner Tochter fern im Grün der Anlagen verschwanden. Dann sagte er gedankenvoll zu Robert: »Er hat sich eigentlich wenig verändert . . . in der langen Zeit . . . und trotzdem ist mir's eben klar geworden, daß ich alt geworden bin, wie ich ihn gesehen hab'! . . .«

Und sein Sohn sagte erregt, in einem harten Ton: »Warum bist du denn nun doch gekommen – gegen meine Bitten?«

»Soll ich der einzige sein, der sich nicht an deinem Glück freuen darf?« sagte John Burke einfach. Diese Antwort entwaffnete jenen. Sie beschämte ihn fast im ersten Augenblick, während sie zusammen die Straße zu Roberts Gasthof hinüberschritten, in dem der Alte auch wieder Quartier genommen hatte. Nein – er war in dieser Zeit wohl in dem, was er wegen seines Vaters tat oder was er zu tun verweigerte, ein guter Sohn gewesen – aber nicht in dem, was er dabei über ihn dachte und fühlte. Da war ihm der Vater, er mochte es wollen oder nicht, immer nur als das unabwendbare Hemmnis auf seinen Wegen erschienen, mit dem man sich immer schwerer, mit immer wachsender Verbitterung, ja schon fast Erbitterung abfand. Was halfen alle guten Werke, wenn die Liebe nicht dabei war? Und er hatte seinen Vater doch noch lieb. Er mußte es doch, und so erwiderte er stumm und ernst, aber stark, den Händedruck, mit dem John Burke ihn nochmals zur Verlobung beglückwünschte.

»Ich will dir ehrlich gestehen, Robby!« sagte er dabei. »Ich hatte Angst . . . die ganze Zeit . . . ich war innerlich fast überzeugt, dein Onkel gibt seine Einwilligung nicht . . .«

»Aber ich habe dir doch geschrieben und telegraphiert . . .«

»Ja . . . du! . . . Aber du bist jung und hitzig. Dir hängt der Himmel gleich voll Geigen! . . . Mit dir fertig zu werden, ist nicht schwer. Du glaubst ja noch an das, was dir irgendein anderer Mensch sagt . . .«

»Gott sei Dank tue ich das noch oft genug, Vater!«

»Das ist's ja eben! Damit fängt dich solch ein alter Fuchs wie dein Onkel Otto – und hält dich mit Worten und Versprechungen hin, und schließlich . . . Siehst du, Kind: Eine Weile hatte mich deine Zuversicht auch angesteckt gehabt . . . da hab' ich gelacht und getanzt für dich in London. Und . . . aber nun mache bitte nicht gleich wieder so ein Gesicht . . . es hat überall geklopft bei mir . . . unter dem Sofa . . . an der Decke . . . es hat Sturm geklopft – und ich war wie närrisch vor Freude!«

»Nun also – Vater . . .«

»Aber gestern mittag, wie ich in der City vor meinem Steak saß, da stupft es mich plötzlich von hinten. Da stand hinter mir einer, dem aß ich zu langsam. Der wollte auch auf den Stuhl und an den Tisch heran. Und ringsum war alles voll. Und nach einer Weile stupfte es wieder, wie durch Zufall, ganz unmerklich. Ich hab' mich gar nicht umgedreht. Ich hab' mir aber dabei gedacht: Da hinten warnt dich etwas! Sei auf der Hut! . . . Zum ersten Male, seit Gott weiß wie lange, bist du wieder vertrauensselig gewesen! Das ist dir noch nie gut ausgegangen. Und wenn's der eigene Sohn ist . . . Er hat nicht meinen Blick für die Menschen geerbt. Er kann sich täuschen oder sich täuschen lassen! . . . Robby: Da hat mich plötzlich eine wahnsinnige Angst gepackt.« Der Alte blieb stehen und sah den jungen Mann an seiner Seite mit einem unsteten Aufflackern seiner großen grauen Augen an. »Da bin ich nun in Eile nach Hause und habe mein Bündelchen geschnürt und fort nach der Viktoriastation und hierher . . .«

»Aber nun siehst du doch, daß es wahr ist . . .«

»Ja«, sagte John Burke und atmete tief auf, während sie ihren Weg fortsetzten. »Ich hab's gesehen: Er war im Begriff, mit euch beiden über die Straße zu gehen. Dein Onkel Otto – er in der Mitte und sie rechts und du links – hier in Baden-Baden vor aller Welt – und wenn er das tut, dann ist auch alles in Ordnung – da kann er auch nachträglich nicht mehr zurück – nicht wahr, Robby, mein Junge – das kann er doch gar nicht mehr?« – Wieder huschte die fiebernde Besorgnis über seine verwitterten Züge. – »Dann war meine Angst ganz grundlos – nicht wahr?«

»Ja, Vater.«

Robert antwortete kurz. Er unterdrückte, was er noch hinzusetzen wollte: Und eben weil sie so grundlos ist, hättest du ruhig in London bleiben sollen! – Er wollte den alten Mann, der sich so kindlich, so rührend über das Glück seines Sohnes freute, daß ein Zittern über seinem ganzen Körper war, nicht nutzlos durch zu späte Vorwürfe kränken. Der hatte ihm doch ein Opfer gebracht und ihm zu Liebe und gewiß schweren Herzens seine Luftschlösser in Transvaal fahren lassen.

Und wie er das dachte und seine Schritte beschleunigte, damit sie bald aus dem Gewühl und Wagengerassel kämen, da fiel neben ihm schon das Wort: Die Ridderfountainmine. John Burke hatte es ausgesprochen. Es lag ihm stets auf den Lippen. Es gab da und in seinem Hirn kaum etwas anderes. Er redete nicht mehr von seinem Bruder. Er dachte nicht mehr an die Verlobung und Versöhnung. Er war wieder drüben, jenseits des Ozeans, in einem dunklen Schacht. In dem wühlten Kaffern und Kulis. Sie wühlten im Schlamm. Aber der schmutzige Schlamm war Gold . . . Gold . . . Gold . . . in Menge.

Das Ergebnis der ersten Verzechungen war jetzt eben veröffentlicht! Er berichtete das mit irrendem Blick, mit durstigem Zucken um die Lippen, einem nervösen Sichspreizen und Wiederballen der Hände. Es war glänzend. Es übertraf alle Erwartungen. Eine Unze Gold hatte man auf die Tonne berechnet. Aber es wurde bedeutend mehr. Und das war nur der Anfang. Es kam noch viel besser. Drei Dutzend Stempel liefen von jetzt ab bei Tag und bei Nacht! Und an der Londoner Börse, auf dem Kaffernmarkt, herrschte eine große Meinung für das neue Unternehmen.

Robert wußte, daß das richtig war. Er hatte am Abend vorher zufällig ein paar junge englische Kaufleute getroffen, mit denen er vor Jahren einmal in Gibraltar zusammengewesen. Die kamen eben aus Südafrika und konnten sich, an Johannisburger Verhältnisse gewohnt, gar nicht genug über das billige Leben in Baden-Baden während der großen Rennwoche wundern und erzählten ihm auf sein Befragen, ja, Ridderfountain habe einen gesunden Kern! Es lasse sich unter einer geschickten Hand viel daraus machen. Es sei ein ernsthaftes Papier, nicht nur für Grünhörner bestimmt.

Und im selben Ton wie jene schwatzte jetzt der Alte weiter. Nächstens würden die Shares börsenfähig und dann regelmäßig quotiert. Man warte nur die bald stattfindende erste Generalversammlung ab. Die Shares seien ohnedies schon im freien Verkehr in letzter Zeit um beinahe das Doppelte gestiegen. Immerhin könne man sie jetzt noch ungefähr mit elfeinhalb aus dem Markt nehmen und ein glänzendes Geschäft machen. Wer freilich warte, bis die Kurse ihre demnächstige schwindelnde Höhe erst erreicht hätten, der käme zu spät. Das sei nun einmal das Los der Dummen auf Erden. Und dann verbesserte er sich mit einem eigentümlich-finster verbissenen Gesichtsausdruck: »Nein – nicht einmal der Dummen! Denen kann es der liebe Gott noch im Schlaf bescheren. Aber der Unentschlossenen! . . . Das ist das ärgste Übel, wenn man im letzten Augenblick Angst hat . . .«

Sein Sohn hatte ihn ruhig reden lassen. Aber als sie nun in seinem Hotelzimmer angelangt waren und John Burke ihm wieder wie neulich auf dem Sofa gegenüber saß, da unterbrach er dessen Redefluß: »Wenn Terrain G. M. in diesem Jahr dreihundert Prozent Dividende gegeben hat – dreihundert! – das ist kein Traum, Robby, sondern Wirklichkeit, in jedem Kurszettel nachzulesen, warum solle da nicht auch die Ridderfountain Ähnliches geben?« Er sagte nicht unfreundlich, aber bestimmt: »Das mag ja alles sein, Vater – und wenn es dich theoretisch interessiert, ist's ja gut. Aber ich bin doch froh, daß du dich nicht daran beteiligt hast!«

Der Alte rauchte und sah ihn an.

Und jener fuhr fort: »Du mußt dich jetzt an den Gedanken gewöhnen, Vater, daß du bei dem Umschwung, der nun bevorsteht, dir etwas mehr Ruhe gönnst – oder vielmehr, daß du dich endgültig zur Ruhe setzt . . .«

John Burke schwieg. Es zuckte um sein linkes Auge. Er lächelte nur, als er weiter vernahm: »Du hast es jetzt doch nicht mehr nötig, Vater! Wozu dich denn noch mit diesen tausend Geschichten plagen? Es ist ja für dich gesorgt . . .«

»Ich sorge selber für mich!« sagte er endlich trocken. »Ich hab' dazu nie andere Leute gebraucht. Im Gegenteil: ich hab' Hunderte von Mäulern gefüttert . . . früher . . . Und jetzt hab' ich immerhin noch einen Sohn – dich, Robby –, für den ich verantwortlich bin! Ich kann bald sterben. Ich bin alt. Glaubst du denn, ich will dich mit leeren Händen zurücklassen oder wenigstens jetzt ganz von der Gnade deines Onkels Otto abhängig? Das ist ja ganz schön – aber das ist nicht genug. Du sollst für dich groß dastehen. Das kann man nur durch entscheidende Schläge erreichen. Dazu bist du nicht der Mann. Du hast nicht den Weitblick. Da muß schon dieser alte strapazierte Kopf herhalten mit dem letzten, was er hat . . . Weißt du, Robby: so alt ich bin – ich bin doch immer noch im kleinen Finger klüger wie dies ganze junge Volk von heute auf der Börse. Schwärme von Spatzen – weiter nichts! Die Hellseherei läßt sich nicht lernen . . . die ist einem angeboren. Und ich schau', obwohl ich nie dort war, durch die Ridderfountainmine durch und durch . . .«

»Also kurz und gut: du mußt sie dir jetzt aus dem Kopf schlagen!« sagte Robert laut und fest. Die Geduld ließ ihn im Stich.

Sein Vater stand langsam auf. Er traute seinen Ohren nicht. »Dies unerhörte Riesengeschäft fahren lassen?« fragte er leise. »Ja – und was soll denn dann dein Erbteil von mir sein? Und wie soll ich denn vor mir selber in meiner letzten Stunde bestehen? Robby – lästere nicht! Und spiele nicht mit dem, woran für mich alles hängt – du weißt nicht, wieviel . . .«

Jetzt war deutlich eine unerklärliche Angst auf seinem Gesicht zu erkennen. Er atmete schwer und murmelte, durch das Zimmer gehend, mit gesenktem Haupt und ineinandergeschlungenen Händen ein paar hervorgestoßene englische Worte vor sich hin. Es klang aus ihnen wie »the Lord« heraus, wie ein Gebet, zu dem John Burke seine Zuflucht nahm, seit er in letzter Zeit immer mehr in London in eine mystische Sekte der Erleuchteten geraten.

Sein Sohn schüttelte den Kopf und sagte: »Es geht nun einmal nicht anders, Vater! . . . Und nun ist's ja auch für dich zu spät zum Eintritt in das Geschäft geworden! . . .«

John Burke blieb stehen und warf ihm einen mißtrauischen Blick zu. »Ich hab' mir schon noch ein Hintertürchen offen gehalten . . .« sprach er leise und langsam.

»Aber du wirst es nicht benutzen können!«

»Und hast du mir nicht versprochen, daß . . . daß dein Onkel Otto mir beistehen wird? Hab' ich nicht dadurch die kostbarste Zeit verloren?«

Nun war auch Robert aufgestanden. Er trat vor seinen Vater hin und sagte einfach: »Und wenn ich dich hingehalten hab', nun ja . . . ich hab's getan – ich gesteh' es jetzt offen! – du siehst ja: Es war zu unser aller Besten. Es hat sich nur dadurch alles gut gefügt!«

Der alte Geisterseher lächelte. Es war ein bitteres, böses Lächeln und ein Schimmer von einem heimlichen Triumph darin. »Also auch du!« sprach er. »Sieh – ich hab' es vorhin gesagt: Verflucht, wer sich auf Menschen verläßt . . . auch auf den eigenen Sohn! Alles im Leben ist Lug und Trug! Aber Gott sei Dank, mich fängt man nicht mehr!«

»Dazu brauchte es gar keinen Lug und Trug! Bedenke doch einmal selber: wie würde Onkel Otto, der doch die Vorsicht in Person ist, die Hand zu einer solchen Spekulation bieten!«

»Er muß aber!«

»Er wird es nicht!«

»Und das weißt du so bestimmt?«

»Das weiß ich so bestimmt, daß ich dich bitte: Fange gar nicht erst davon an! Es ist ganz umsonst. Du mußt dich nun einmal in das Unvermeidliche fügen, Vater . . .«

Es wurde still zwischen ihnen.

»Also so hast du mir vorgearbeitet, mein Sohn!« sagte endlich John Burke. Seine Gesichtsfarbe war noch bleicher geworden. »Mir hat's geahnt! Glaubst du jetzt noch, daß mich jemand von Fleisch und Blut gestern zweimal von hinten angestoßen hat? Tut das überhaupt ein Gentleman?«

»Meinetwegen war es ein Gespenst! Das ändert an der Sache nichts!«

Roberts Vater trat zum Fenster und stützte müde dort den Kopf in die Hand. »Also Verrat . . .« murmelte er. »Verrat . . . Verrat . . .«

Der junge Mann wollte sich ihm nähern. Aber er wehrte ihm mit der Hand und sagte mit abgewandtem Blick: »Gut, daß ich euch allen nicht traue . . . euch Menschen . . .«

Und plötzlich drehte er sich zornig zu ihm herum. »Und wenn ihr mich wenigstens frei ließet . . . Wenn ihr mich handeln ließet – zu eurem eigenen Nutzen – nein – da legen sie einen an die Kette – da soll man so friedlich und kleinlich sein wie sie selber . . .«

Er schluckte ein Würgen des Abscheus hinab. Er wurde immer fahler und sagte halblaut vor dem Spiegel: »Wie ich ausseh'!« und trocknete sich den kalten Schweiß von der Stirne und beherrschte sich und wurde mit einem Male wieder ganz ruhig, und so sagte er zu Robert: »Dann mußt du mir also helfen!«

»Ich?«

»Ja . . . du!«

»Wie kann ich denn das?«

John Burke zuckte die Achseln. »Du hast es doch so leicht«, sagte er. »Als Onkel Ottos Schwiegersohn . . . ich bitte dich . . . bei dem in Polen sind große Verhältnisse! Da rollt dir das Geld nur so durch die Finger!«

»Aber es ist doch nicht mein Geld!«

Sein Vater setzte sich wieder. »Geld ist wie das Licht!« sprach er. »Das wirft einen Schatten. Der heißt Kredit. Der folgt dem Menschen, der Geld hat, auf Schritt und Tritt. Den wirst auch du haben – einen Schatten, der durch halb Polen reicht –, sowie du einmal für die Firma Otto Burck zeichnest!«

Er schaute dabei starr vor sich hin in die Ferne. Seine Stimme bekam immer mehr einen dumpfen, entschlossenen Klang. Ein »Vorwärts um jeden Preis« lag in den harten Furchen eingegraben, die seine herabgezogenen Mundwinkel umrahmten. Er war jetzt geisterhaft bleich, als er fortfuhr: »Dein Onkel Otto war immer ein Kopf vierten, sagen wir dritten Ranges! Für solche zögernde, schwächliche Leute muß man selber handeln – im großen Stil – sie mit sich fortreißen: gib ihm nur einen tüchtigen Stoß ins kalte Wasser – dann wird er schon schwimmen – auf seine alten Tage . . .«

John Burke rieb sich die Hände und lachte leise, mit einem leidenden, gequälten Ausdruck in den Augen, und schluckte ein paarmal heftig, als habe er noch weiterreden wollen und sich im letzten Moment anders besonnen.

Robert sagte nur ruhig: »Ich denke gar nicht an solche Tollheiten, Vater! Da könntest du mich nun doch schon kennen!«

Der Alte sprang auf. »Das ist ja eben eure Pfennigfuchserei! So seid ihr immer: pennywise and poundfoolish . . . ihr tragt immer noch die Eierschalen mit euch herum. Ihr seid immer noch solche Philister wie zur Blümchenkaffee- und Postkutschenzeit, und du bist ein rechter Deutscher . . .«

»Gott sei Dank bin ich's wieder!«

»Wenn man Engländer sein kann – Herr auf der halben Erde – ich begreif' es nicht . . . aber einerlei . . .« Er faßte den Sohn krampfhaft am Arm. »Das gehört nicht hierher! . . . Höre Robert . . . ich hab' dir ja schon gesagt: ich will ja gar kein bares Geld von dir – keinen Pfennig vom Hause Otto Burck . . . wozu denn auch? Eure Unterschrift . . . der bloße bißchen Namenszug ist ja gerade soviel wert . . .«

»Und wo sollte der stehen?«

»Da, wo meine Unterschrift keine sechs Penny gilt, weil ich – augenblicklich noch – ein armer alter Teufel bin – auf einem Wechsel – mit drei Monaten Sicht – mit sechs Monaten Sicht – es ist den Leuten ganz gleich . . . es ist ihnen so gut wie Geld . . .«

»Welchen Leuten?«

»Von der Ridderfountainmine. Sie haben mir versprechen, daß sie noch auf mich warten, daß sie mir noch einen Platz offenhalten, mit fünftausend Pfund . . .«

»Mit hunderttausend Mark?«

Der Alte nickte verstört.

»Vater, ich höre wohl nicht recht . . . was sind das für Summen . . .«

»Für euch sind sie nichts. Sie bedeuten für euch keine Gefahr! Das Geschäft ist doch glänzend. Sie stehen doch nur auf dem Papier! Bis es zum Zahlen kommt, sind die Shares längst mit hundert, mit zweihundert Prozent Nutzen verkauft, wenn jetzt erst der Boom einsetzt: kein Hahn kräht nach der Geschichte. Und ich habe ein Vermögen im Schrank – ein bescheidenes noch – aber es ist doch der Grundstock für die neuen Millionen – die erbst du denn doch auch einmal von mir – höchstens das Tierasyl bekommt von mir ein Legat – kein Mensch auf der weiten Welt einen Penny außer dir – und das alles haben wir schon in der Hand – durch die paar armseligen Buchstaben: ›Otto Burck‹. Es ist ja nur eine Formalität, Robert . . . ihr braucht den Wechsel nicht einmal auszustellen! Schon das Giro genügt . . . Robert . . . stelle dir vor . . . das Giro, nur das Giro . . .«

Seine Stimme erstickte in der Erregung. Robert nahm stumm seinen Hut vom Tisch.

Der Vater sah ihn betroffen an: »Wo willst du hin?«

»Ich lasse dich jetzt lieber vorerst allein. Vater!«

»Warum?«

»Weil dies Gespräch ganz nutzlos ist! Weil es allem ins Gesicht schlägt, was ich mit kaufmännischer Ehre und Anstand verantworten kann.« Jetzt kam auch über Robert allmählich der Zorn. »Keinen anderen außer dir hätte ich überhaupt so lange angehört. Da kannst du sicher sein. Aber nun ist es genug!«

»Also begreifst du in deiner Verblendung immer noch nicht, daß da das Gold geradezu auf der Straße liegt?«

»Und wenn es mir vor den Füßen liegt – ich bücke mich nicht danach um diesen Preis, hinter dem Rücken meines künftigen Schwiegervaters seinen Namen zu mißbrauchen! Und nun, bitte, beruhige dich und gib diese Pläne auf! Gott sei Dank ist das ja alles nur wie ein böser Traum!«

Er wandte sich zur Tür. Da ertönte es hinter ihm: »Bleib!«

Das klang so schneidend, daß ihm ein leises Frösteln über den Rücken hinablief. Er konnte nicht anders, er mußte sich noch einmal nach John Burke umdrehen. Der stand drüben am Fenster. Seine kleine dürftige Gestalt mit dem viel zu großen Haupte hob sich hell von dem Sonnenlicht dahinter ab. Er sagte: »Es nutzt dir gar nichts, wenn du vor den Ereignissen davonläufst, Robby! Die kommen doch – so wie ich will! Ihr seid alle wie die Kinder! Ich lasse mich durch Kinder auf meinen Wegen nicht beirren . . . ich muß meine Bahn gehen, ob ihr sie versteht oder nicht . . . die ist mir vorgezeichnet, und euch nehm' ich mit, trotz eurem Widerstand . . .«

»Willst du mich etwa zu der Unterschrift zwingen?«

John Burke schwieg. Er zitterte heftig. Aber das verächtliche Lächeln schwand nicht von seinen Lippen.

Sein Sohn trat näher: »Also was heißt denn das? Das sind doch alles nur leere Worte, Vater . . .«

»Worte . . .« sagte John Burke und wandte sich ab, daß jener sein Gesicht nicht mehr sehen sollte, »Worte . . .«

Das war ganz mechanisch gemurmelt. Es hatte gar keinen Sinn. Und Robert wiederholte erregt: »Ja . . . Worte . . . was denn sonst? Die Unterschrift ist nicht da und wird nie da sein . . .«

»Sie ist doch schon da . . .«

John Burke sprach das in die Scheibe hinein, in einem trotzigen und doch kleinlauten Ton und zuckte dabei unwillkürlich zusammen, als erwartete er einen Schlag von hinten.

Und von dort klang ein gedämpftes, atemloses: »Wessen Unterschrift, Vater?«

Der Alte schwieg.

»Deine?«

Er schüttelte den Kopf.

»Also was hast du unterzeichnet?«

». . . ›Otto Burck‹ . . . sagte John Burke und wandte sich herum und sah seinem Sohn, während der zwei, drei Schritte zurücktaumelte und ungläubig und entsetzt die Hände gegen ihn ausstreckte, fest Auge in Auge. Jetzt war es heraus und entschieden! Er stand wieder außerhalb des Gesetzes wie einst . . .

Vor Roberts Blicken flimmerte es. Es waren keine schwarzen Pünktchen, die da tanzten, es war wie ein weißer Schein, das Flattern eines Papierstreifens, ein gefälschter Wechsel – und er flüsterte: »Nein . . . Vater . . . das hast du nicht getan . . .«

»Ich hab's ja schon einmal getan . . .«

John Burke sprach das gleichgültig. Er hatte seine Schiffe hinter sich verbrannt. Jetzt ging es um Tod und Leben.

»Merk, Robert!« sagte er. »Kein Mensch ändert sich. Man bleibt, wie man ist! Ich muß auf den Platz hinkommen, auf den ich gehöre! Wie – das ist mir gleichgültig! Zu erklären gibt es da nichts weiter . . . oder zu entschuldigen . . . vor mir bin ich gerechtfertigt . . .«

Und nach einer Weile setzte er hinzu: »Und euch anderen kann ich nicht helfen. Ihr habt mir ja nicht anders helfen wollen.«

»Vater . . . Vater . . .« Robert schluchzte auf. Er hatte sich auf einen Stuhl am Tische hingeworfen und die Stirn auf die Platte gelegt und faßte seinen Kopf mit beiden Händen, als hätte das, was jener gesagt, in dem nicht Platz, als wolle der zerspringen. Und vom Fenster her murmelte es: »Du hast mich gehindert, meine Rechte gegen Otto Burck geltend zu machen, du hast mich hinterlistig hingehalten mit der Hoffnung auf seine Unterstützung! . . . Vorgestern erst hab' ich es gemerkt: Man spielt mit dir! . . . Und wer mich zu betrügen versucht, mein Sohn, der wird selber betrogen! Das hat er dann sich zuzuschreiben – nicht mir! . . . Das ist dann die Geschichte von dem irdenen Topf und dem eisernen! . . . Der zertrümmert, was sich ihm in den Weg stellt! . . . Ihr dürftet eben das Letzte in mir nicht loslassen – wenn ihr klüger wäret, als ihr nun einmal seid! Denn dann bin ich stärker als ihr. Dann hab' ich euch in der Gewalt . . . so wie ich jetzt dich . . .«

»Du mich?« Zum ersten Male hob Robert sein verstörtes Gesicht. Aber er sah nicht nach seinem Vater. Er konnte dessen Anblick nicht ertragen. Er stand schwer auf und wich von ihm weg, soweit er konnte – bis zur Tür.

Und vom Fenster her sagte der Vater: »Bis der Wechsel präsentiert wird – in einem halben Jahre – hast du längst das Geld von mir in Händen, ihn einzulösen! Du tust es! Fertig! Abgemacht! . . . Das ist nach Neujahr! Da brennen bei euch alle Öfen! Und in einem Ofen verbrennt ein winziges Blatt Papier. Das ist dann so, als ob es überhaupt nie dagewesen wäre. Niemand erfährt davon, am wenigsten dein Schwiegervater!«

Er trat bis in die Mitte des Zimmers. Dort machte er wieder halt. »Ich hab' dir's schon gesagt: Kein Pfennig der Firma Otto Burck wird dabei angerührt! . . . Sie wird um nichts geschädigt! . . . Wir benutzen nur eine Weile ihren Namen! Das ist ein Notbehelf! Der ist erlaubt . . .«

Sein Sohn antwortete ihm nicht. Er lehnte an der Tür und hielt die Hand ans Herz.

John Burke tat wieder ein paar Schritte auf ihn zu, vorsichtig, er wollte ihm nur langsam als Versucher nahe kommen. So fuhr er fort: »Du denkst anders darüber, ich weiß, und ihr anderen alle. Deswegen hätte ich gern Rücksicht auf dich genommen. Ich hätte dich geschont! Aber du wolltest ja nicht! . . . Nun mußt du mit mir durch dick und dünn . . .«

»Ich soll helfen, Wechsel fälschen!«

»Ach, das sind Worte! Deine ganze Zukunft steht auf dem Spiel! . . . Wo du doch nur zu schweigen brauchst, und alles bleibt beim alten! Nein, Robby, da reden und sich mutwillig um sein ganzes Glück bringen, das bringt kein Mensch fertig und du auch nicht . . . dessen bin ich sicher!«

Es war eine lange, schwere Stille zwischen ihnen.

Dann versuchte John Burke sich weiter seinem Sohn zu nähern. Der streckte entsetzt die Hand gegen ihn aus. »Komm mir nicht nahe!« keuchte er. Der Alte sagte kaltblütig: »Du wirst dich doch an den Gedanken gewöhnen müssen!«

»Nie – nie – nie!« Es war, als ob Robert Burck jetzt erst auf einmal ganz zum Bewußtsein der Wirklichkeit gelangte. Jetzt floh er nicht mehr vor dem Vater. Er ging auf ihn zu, mit raschen Schritten. Der wich vor ihm zurück, fast bis an das Fenster. Dort blieb der junge Mann vor ihm stehen – verstört – zitternd – und wiederholte: »Nie! . . . Ich kann das alles noch gar nicht übersehen . . . es ist mir noch, als träumte ich das alles . . . daß du mir Glück und Ehre zunichte machst . . . ich kann noch gar nicht daran glauben . . . ich weiß noch gar nicht, was ich alles tun muß . . . es geht zu weit hinaus über das, was ein Mensch sich ausdenken kann – aber was ich nicht tun muß – das weiß ich . . . Nicht mit dem leisesten Gedanken darf ich an deinem Verbrechen teilhaben – außer mit Abscheu – mit Ekel – oh Gott . . . Vater . . . was hast du mir getan? . . . Und uns allen . . .«

Erst allmählich dämmerte vor seinen Augen der ganze Umfang des Schicksalsschlages, ein Grauen, daß alles, alles verloren war. Er konnte sich kaum mehr aufrecht halten. Er stützte sich mit der Hand auf eine Stuhllehne, und so murmelte er in gebrochenem Ton: »Uns alle stürzt du ins Unglück! . . . Und dich zuerst . . .«

Der alte Burke hatte Angst vor seinem Sohn. Er war durch den in die Enge des schmalen Raumes am Fenster getrieben. Aber die verzweifelte Ruhe des Vabanque-Spielers verließ ihn nicht, und er sagte: »Wir wollen abwarten. Ein halbes Jahr ist lang. Bis dahin ist noch viel Zeit, sich zu besinnen . . .«

»Und du glaubst, daß ich bis dahin still sein werde! Auf der Stelle gehe ich und . . .«

»Zu wem?«

»Zu Onkel Otto . . .«

». . . und bringst mich ins Gefängnis . . . das heißt, so alt und krank wie ich bin, in den sicheren Tod innerhalb weniger Monate . . .? Ich halt' es nicht noch einmal aus, wie damals . . . das weiß ich . . . Oder glaubst du, daß dein Onkel Otto mir eine Ehrenpforte bauen wird? – Wenn der hört, seine Unterschrift ist auf dem Markt, und er weiß von nichts. Er schickt sofort im ersten Schrecken nach der Polizei! . . . Also rede nur! . . . Morde deinen Vater, wenn es dir beliebt . . .«

Robert konnte nicht mehr antworten. Das dürftige Hotelzimmer tanzte vor seinen Augen. Und mitten darin stand etwas fest . . . ein fremder, kleiner Mann – sein Vater . . . und der fuhr fort: »Und wenn er es auch nicht tut und seinerzeit die Unterschrift nicht anerkennt – das Gefängnis kommt dann noch ein halbes Jahr später – und bringt mich um! Also auch wenn du schweigst, ohne mir zu helfen, bist du ein Mörder! Da finde dich dann mit deinem Gewissen ab, wie du kannst! Aber du kannst es nicht, und ich halte mich an meine Hoffnung . . .«

»Und deine Hoffnung ist ein Verbrechen, ist ein Wahnsinn, ist eine Dummheit . . . Umsonst – ganz umsonst hast du alles in Scherben geschlagen! Denn dazu bringst du mich nicht!«

»Rede nur!« sagte John Burke. »Ihr redet immer! So seid ihr alle! Nachher tut ihr's doch!«

Robert murmelte nun mit zuckenden Lippen: »Und das ist mein Vater! Er hat das von mir geglaubt!«

Der Alte seufzte und schüttelte den Kopf. Dann sprach er leise: »Verzeih mir, Robby! Nimm nun das Unabänderliche hin! Gönne mir altem Mann diesen letzten Lichtblick im Leben! . . . Hab Mitleid mit mir! . . . Ich bin dir doch immer ein guter Vater gewesen . . .« Und dabei hielt er zögernd die Hand hin. Er wußte ja – jener würde sie noch nicht nehmen – diesmal noch nicht. Aber er erschrak doch selber vor dem Schrecken, mit dem sein Sohn vor seiner ausgestreckten Rechten wie vor der eines Pestkranken zurückwich. Dann konnte sich Robert nicht mehr aufrecht halten. Er stürzte auf seinem Bett hin, das Antlitz in die Kissen. John Burke sah an seinem Zucken, daß er krampfhaft schluchzte. Aber er rührte sich sonst nicht mehr und gab keine Antwort.

Es wurde ganz still, und der Alte stand einsam mitten im Zimmer, und ein erkältendes Grauen beschlich ihn, daß sein Spiel am Ende doch verloren sei! Es war da am Ende ein Fehler in seiner Menschenkenntnis der letzten zwanzig Jahre . . . jetzt dämmerte da etwas in ihm . . . das waren immer die Verbrauchten, die Zerbrochenen, die Ausgestoßenen gewesen, mit denen er sich umgeben hatte! Ihresgleichen und seinesgleichen – das war sein Maßstab! Vielleicht versagte der gerade bei den Jungen und Gesunden.

Und aus dieser tödlichen Möglichkeit heraus erwuchs in ihm auch der Trotz dagegen. Die Fata Morgana tauchte wieder auf: das mächtige Kontor in der City, die Schwärme von Clerks und Maklern und Depeschenboten – die Reihen von geduldig Wartenden in den Vorzimmern und drinnen er, der John Burke von einst – auf geheimnisvolle Weise wieder zu dem früheren Reichtum gelangt – dies Zukunftsbild gab ihm die alte Spannkraft und Entschlossenheit wieder. Er lächelte und legte nähertretend dem jungen Mann, der auf dem Bette lag, leicht die Fingerspitzen auf die Schulter, und der wandte sich mit einer jähen Bewegung noch mehr ab, um der Berührung zu entgehen.

John Burke sagte: »Höre, Robby. Ich gehe jetzt und versuche das Letzte! Ich bin bald wieder bei dir! Ich finde dich ja wohl hier! Du bist jetzt doch nicht in der Laune, das Zimmer zu verlassen! Mein armer! lieber Junge . . . Du tust mir so leid! . . . Aber paß auf! Es wird doch noch alles gut . . . Und bald! . . . Ich hab' auch nicht die Kraft, monatelang zu warten und zu zittern und die Nächte wachzuliegen, was du tun wirst oder nicht tun wirst! Das frißt mich auf. Ich spür' es jetzt schon! – Ich hab' nicht soviel Nervenkraft mehr in mir wie in meinen jungen Jahren . . . Ich will auch eine schnelle Entscheidung! Vor die stell' ich uns jetzt! Ich will es wenigstens versuchen! . . . Es ist die letzte Probe, die mir übrigbleibt . . .«

Er bekam keine Antwort. Er hatte sie auch nicht erwartet. Stumm nahm er seinen abgeschabten Hut von der Wand, bürstete – was er sonst nie tat – flüchtig mit der Hand Staub und Fasern von dem verschossenen Rock und verließ leise auf den Fußspitzen, wie um einen Schlafenden nicht zu stören, das Gemach.

Unten fragte er den Portier nach dem Weg zu der Villa Burck und ging dorthin. Es war heller Abendsonnenschein. Die Parkanlagen um die Lichtentaler Allee wimmelten von geputzten Menschen, die nach der Schwüle des Tages da Luft schöpften, bis es Zeit war, Toilette für das Abendessen zu machen. Einige befremdete Blicke folgten dem herabgekommenen alten Mann, der sich durch die eleganten Gruppen seine Bahn suchte. Ihn kümmerte das nicht. Er stieg den Berg empor und stand vor dem Hause seines Bruders und trat in den Garten und schritt entschlossen durch den bis zu dem Tor und zog so kräftig an der Klingel, daß es überlaut durch das große, leere Haus schallte.

Er hatte die Absicht, sich durch den öffnenden Dienstboten bei Barbara melden zu lassen. Aber sie machte ihm selbst auf. In der herrschenden Unordnung waren Diener und Mädchen fast nie mehr, wenn man sie brauchte, zur Stelle. Und seinem Aberglauben erschien das als ein gutes Vorzeichen, daß er sofort den Menschen traf, den er suchte. So mußte es sein. Er mußte die Dinge zu sich heranzwingen. Ein freundliches Lächeln erhellte sein Gesicht, und während seine Nichte ihn betroffen und etwas erschrocken ansah, sagte er sanft: »Ja – nicht wahr . . . das wundert dich, Barbara? . . . Mich auch! Ich hätte nicht gedacht, daß ich je noch zu deinem Vater kommen würde, um ihn um Versöhnung . . . oder um Verzeihung zu bitten! . . . Wegen mir hätt' ich es auch nie getan! . . . Es ist mir nur um Robert . . . um euch beide . . . Ich bin ja so froh über euer Glück . . . es löst sich jetzt alles so unerwartet in Frieden und Freundschaft auf . . . Ihr Jungen gebt uns Alten die Lehre, wie man zueinander sein soll . . . Ich leb' ja nicht mehr lange, Barbara! . . . Ich möchte ja nur, daß ihr mir vorher noch vergebt . . . und vor allem dein Vater . . .«

Barbara fand nicht gleich eine Antwort. Sie war zu sehr überrascht, zwischen Freude und Angst, und er forschte gedämpft und bescheiden, seinen alten Hut in der Hand, mit der anderen auf seinen Stock gestützt: »Ist dein Vater zu Hause, Barbara?«

»Ja. Oben.«

»Willst du mich bei ihm anmelden?«

Sie musterte ihn bang und zweifelnd.

»Wenn du nicht willst, Barbara – dann geh' ich wieder. Ohne einen Vorwurf! Da sei unbesorgt! Ich bin zu alt, um noch viel zu klagen! . . . Ich werd' schon noch einmal einen Stein hinter einer Hecke finden, wo ich mein Haupt darauf leg' und hinüberschlaf' und mir denk': Gott sei Dank, es ist vorbei! . . . Ich will euch, weiß Gott, nicht im Wege sein, Kinder . . . im Gegenteil – ich will euch ja nur den Weg ebnen . . . und versuchen, ob dein Vater und ich uns nicht doch noch auf unsere alten Tage erinnern können, daß wir Brüder sind . . .«

Und da sie immer noch zögerte, setzte er hastig hinzu: »Ach so . . . du fürchtest, es gibt Szenen! Sieh mich doch an! . . . Schaut jemand so aus, der noch Streit anfangen will? Nein – sage deinem Vater: Ich will nichts mehr! – Ich erhebe keine Ansprüche mehr! . . . Ich berühre Geschäftliches mit keinem Wort! . . . Ich bin mit allem zufrieden, was geschieht, und füge mich in alles, nun, wo ihr meinen Robby so glücklich macht! Das war doch noch mein letzter Wunsch auf der Welt, meinen Jungen noch glücklich zu sehen. Er verdient's . . . sieh, Barbara . . . mehr kann ich nicht sagen! . . .«

»Ich fürchte mich nur so . . . Wenn Papa nun nicht will . . .«

»Du mußt ihn recht herzlich bitten. Barbara! Er soll es ja nicht um meinetwillen tun, sondern um deinetwillen! Ich komm' ja auch wegen meines Sohnes. Wir Alten müssen uns vertragen – wegen euch Jungen! Das ist euer Recht. Das ist unsere Pflicht gegen euch, sag deinem Vater, das hätt' ich gesagt – und ich stünde demütig hier unten im Flur, mit bloßem Kopf – und wartete – und wisse wohl, daß es an mir sei, den ersten Schritt zu tun, und an ihm, zu vergessen . . . was gewesen ist . . . und worunter ich, weiß Gott, doch am meisten gelitten hab' . . .«

Er seufzte tief auf. Barbara ergriff seine Hand. »Du bist so gut, Onkel!« sagte sie scheu. »Und so anders wie sonst . . . Ich fürchte mich beinahe . . .«

»Vor was denn, Barbara?«

»Ich weiß nicht . . .«

Jetzt umspielte ein trübes Lächeln seine Lippen. »Vor mir fürchtet sich niemand mehr!« sagte er. »Ich bin ungefährlich geworden. Ich beiße schon lange nicht mehr. Eine alte Vogelscheuche bin ich, ein Spatzenschreck – weiter nichts. Und so müde. Barbara . . . so müde! Ich will ja nur noch ein bißchen Frieden!«

Das war dasselbe, was ihr Vater immer sagte. Da kamen sie zusammen! . . . Da war eine Hoffnung möglich! Und sie bezwang das unerklärliche Mißtrauen, das sich wieder in ihr regte, und sprach hastig: »Ich danke dir von Herzen, Onkel! . . . Bitte, setze dich – wart einen Augenblick! Ich spring' hinauf zu Papa . . . ich will tun, was ich nur kann . . .«

Die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters oben war der Hitze wegen offen. Er saß still da, die Hände im Schoß gefaltet und darüber hin auf den Boden schauend, und rührte sich nicht. Erst als sie dicht vor ihm stand und zu reden anfangen wollte, hob er den Kopf und wehrte ihr. »Laß nur, Barbara! . . . Ich hab' es schon gehört! Ihr habt euch ja laut genug unterhalten. Ich weiß, wer unten ist . . .«

»Ja. Onkel Joseph ist's. Papa . . . und . . .«

»Und sag ihm, er soll nur wieder gehen . . .«

Indem der alte Burck das aussprach, hatte er schon Angst vor dem Kommenden, vor Bitten und Tränen. Er sah gramvoll, aber hartnäckig aus und schnitt ihr mit ungewohnter Heftigkeit das Wort ab.

»Genug, Barbara . . .«

»Aber ich habe ja noch gar nichts gesagt . . .«

»Ich weiß schon, was du sagen willst . . .« Er blickte absichtlich an ihr vorbei ins Leere und redete sich in Erregung und Festigkeit hinein. »Ich soll nur immer weiter nachgeben . . . immerzu . . . immerzu . . . ganz blindlings, da rutscht man auf einer schiefen Ebene hinunter . . . ja, wohin denn schließlich? Irgendwo muß doch einmal ein Halt sein! . . . Irgendwo muß doch meine Schwäche gegen euch eine Grenze haben . . . sag ihm, er solle gehen . . . ich hab' ihm nichts zu sagen . . .«

»Aber er dir, Papa . . . Ich bitte dich . . . um Gottes willen . . . sei jetzt nicht hartherzig . . . tu jetzt auch noch dies Letzte – es gehört zu allem anderen, was du für uns getan hast! Es wird dich nicht gereuen! . . . Es ist ja doch auch zu deiner eigenen Ruhe . . .«

». . . wenn ich eine Hand in meine nehme, die schon einmal fremde Unterschriften nachgemacht hat? . . . Und wenn es zwanzig Jahre her sind . . .« Otto Burck schüttelte mit einem Ausdruck von Bitterkeit und Widerwillen das Haupt. »Nein – Barbara – solch eine Berührung tut nie gut! . . . Schmutz bleibt Schmutz!«

Sie war zur Tür gegangen und drückte die vorsichtig in das Schloß, damit man draußen von ihrem Gespräch nichts hören sollte. Dann kehrte sie zu ihrem Vater zurück und sagte: »Ich mein' es auch nicht so, Papa! . . . Aber du sehnst dich doch immer so nach Frieden! Jetzt ist die Gelegenheit, daß Onkel Joseph endgültig Frieden hält! Du hast's ja gehört. Er hat's versprochen! . . . Schickst du ihn aber jetzt weg, so geht der alte Streit von neuem los . . . und doppelt. Dann kennt er gar keine Rücksicht mehr! . . .«

Sie kam sich sehr weltgewandt und überlegen vor, daß sie, ihre Aufregung und Sorge niederkämpfend, ruhig, vom Standpunkt der Vernunft, zu ihrem Vater sprach. Aber es wirkte nicht so auf ihn, wie sie hoffte. Im Gegenteil – jetzt erwachte sein Trotz. Dies war sein Haus! Da war er Herr! Was hatte John Burke da einzudringen und sich mit seiner Tochter im Flur zu bereden und an seine Tür zu klopfen, ehe man ihn gerufen? Nein – zwingen ließ er sich nicht! . . . Er mußte seinen Kindern zeigen, daß er doch noch nicht ganz altersschwach war, und seinem Bruder auch. Otto Burck sprang von seinem Sitz auf und ging erregt, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer hin und her und zündete sich, wie gewöhnlich, wenn es ihm zuviel wurde, eine Zigarre an, um sie gleich darauf, nach den ersten Beruhigungszügen wieder beiseitezulegen, und sagte dann fest zu seiner Tochter: »Er mag mir schreiben! . . . Will er auf diesem Weg mit mir ins reine kommen, ist mir's recht. Das ist aber auch das Äußerste. Mehr kann ich nicht. Sehen will ich ihn nicht . . .«

Und als sie ihn nur stumm anschaute, erzürnte ihn der Vorwurf in ihrem Blick, und er herrschte sie an: »Nein, Barbara! Ich hab' genug für euch getan . . . alles, was möglich ist . . . ich hab' ja hergegeben, was ich hab'! . . . Bedenke doch, Kind: Mein Haus ist leer, meine Frau ist fort – meine Töchter sind weg . . . mein Vermögen bekommt ihr zur Verwaltung . . . ich hab' kein Heim mehr . . . ja, aber das Hemd am Leibe, Kinder, das müßt ihr mir doch lassen . . . ich meine die Selbstachtung . . . daß man weiß, wem man die Hand gibt und wem nicht, und sich nicht hinterher vor sich selber schämt.«

»Es ist doch dein Bruder, Papa!«

»Ach, zehnmal Bruder! . . .« Otto Burck nahm wieder in seinem Lehnstuhl Platz und drehte den so, daß er Barbara den Rücken zuwandte. Und so murmelte er verächtlich zwischen den Zähnen vor sich hin: »Bilanzenfälscher sind nicht meine Brüder!«

»Aber wie lange ist das her, Papa . . .«

»Wird es dadurch besser? Was geschehen ist, bleibt! Das stempelt einen Menschen! . . . Wohin kämen wir denn mit dem allgemeinen Verzeihen? . . . Was hätte denn dann noch ein Mensch davon, wenn er anständig ist? . . . Nur Spott und Schaden! . . . Dadurch gäben wir ja nur den unanständigen Menschen zehn Schritte Vorsprung vor uns, im Geschäft und im Leben . . .«

Da war wieder die Starrheit des ehrbaren Kaufmannes; der dachte an sich und die, die seines Geistes waren, in berechtigter Selbstsucht, in instinktiver Abwehr der Welt von drüben, jenseits der Moral. Und die Erbitterung über diese Feinde und Schädlinge des soliden Handels und Wandels, die den anderen den Wurzelboden ihres Seins unter den Füßen untergruben, machte ihn förmlich wieder kampflustig, und er sagte trocken: »Wenn ich solange den Streit mit meinem Bruder ausgehalten habe, werde ich das Päckchen wohl auch noch bis zu meinem seligen Ende tragen können. Damit schreckt ihr mich nicht, Kinder! Ich bin gar nicht furchtsam im Geschäft . . . da habe ich schon manchem die Zähne gezeigt . . .«

Sie begriff: so kam sie ihrem Vater nicht bei. Der Weg zu ihm ging durch sein altes Herz, nicht durch seinen klaren Kopf. Sie trat vor ihn hin und rang die Hände. »Und ich, Papa! . . . Wie wird denn das mit uns, wenn neuer Streit zwischen euch entsteht! Du hast doch Robert versprochen, ein Auge zuzudrücken . . .«

»Aber beide Augen nicht . . .«

»Er kann ja auch nichts dafür! . . . Es ist ja auch ihm unerwartet gekommen . . . sollen wir denn unschuldig darunter leiden, wo wir gehofft haben, daß nun alles gut ist . . . durch deine Güte . . .?« Sie kauerte neben dem Sessel ihres Vaters nieder und schlang ihren Arm um seine Schulter. Und so, an seiner Seite kniend und ihn halb zu sich herabziehend, fuhr sie, Tränen in den Augen, fort: »Man muß doch nicht nur richten, Papa . . . man muß doch auch verzeihen können . . . und ein wenig an andere denken . . .«

»Ja, ich bin ein Egoist«, sagte der alte Herr bitter. »Ich denke immer bloß an mich! . . . Das ist ja eine bekannte Geschichte . . .«

»Nein, du bist so gut . . . so furchtbar gut . . . deswegen kannst du ja auf die Dauer nicht bei deinem Nein bleiben . . . Wenn du siehst, wie weh du mir damit tust . . . und Robert . . . das hältst du ja gar nicht aus, Papa . . .«

»Es tut mir selber weh, Kind . . . aber es muß sein.«

Ihr feines Ohr unterschied ein leises, kaum merkliches Schwanken in seiner Stimme. Das gab ihr Mut. Sie bat und drängte. Sie kniete neben ihm und drückte einen Kuß auf seine rechte Hand und hielt die fest, damit er sie nicht unwillig wegziehen konnte, und beteuerte mit nassen Wimpern: »Ich steh' nicht auf, Papa . . . ich laß dich nicht los . . . ich gehe keinen Schritt weg . . . ich bleib' so, bis du anfängst, ein bißchen an mich zu denken, und nicht nur an die alten Geschichten von damals, wie ich noch kaum auf der Welt war. Ich hab' doch damals als Kind das Unheil nicht angerichtet – warum soll ich denn jetzt als erwachsener Mensch dafür büßen?«

Ihr Vater schwieg. Er verneinte wenigstens nicht mehr. Sie glaubte eine Art Hoffnungslosigkeit in seinem Blick zu entdecken – das Gefühl, daß man ja doch immer wieder mit ihm mache, was man wolle, und sie flüsterte weiter auf ihn ein: »Onkel Joseph ist ganz anders, wie man ihn sich vorstellt – gar nicht der schwarze Mann, mit dem man immer die Familie geschreckt hat . . . Er ist ganz still und sanft . . . er hat auch genug von dem allen . . . er tut niemandem mehr etwas zuleide . . . Er will nur auf seine alten Tage geduldet sein von dir . . . weiter nichts . . .«

»Ja . . . der . . .« Ein bitteres Lächeln ging über Otto Burcks Gesicht.

»Aber er sagt es doch, Papa . . .«

»Und du glaubst es ihm natürlich . . .«

»Wenn du ihn hörtest, würdest du es auch glauben. Wenn du ihn nur siehst . . . bitte . . . bitte . . . wirf nur einen Blick auf ihn, damit du dich selber überzeugst . . . nur von da oben . . . er bemerkt dich nicht . . .« Sie versuchte, ihren Vater vom Stuhl emporzuziehen, und im Bestreben, sich ihr zu entwinden, stand er von selbst auf und legte hilflos und ärgerlich die Hand auf die Lehne, und sie eilte zur Tür und öffnete die lautlos und machte ihm von der Schwelle her ein flehendes Zeichen, doch zu ihm zu kommen, und er konnte sich zu seinem Zorn ihrem jugendlichen Willen nicht mehr entziehen. »Ich werde wirklich alt!« murmelte er, und legte dabei die zehn Schritte bis zum Flur zurück und trat mit Barbara hinaus, während sie stumm nach unten wies.

Da, in der Tiefe, stand John Burke und wartete, den Hut in der Hand, den schäbigen Rock säuberlich bis zum Halse zugeknöpft, wartete geduldig, wie ein armer Teufel von Bittsteller im Vorzimmer eines Reichen. Und wenn man die beiden sah, den kleinen, aber wohlgepflegten und selbstbewußten Otto Burck da oben und den hageren, dürftigen, von Zeit und Not und Sorge gezeichneten Abenteurer da unten – dann war es klar, wer von den beiden nur geben und wer nur nehmen konnte. Und Barbara sagte noch einmal: »Stoße seine Hand nicht zurück, Papa . . .! Ich hab' ihm meine auch schon gereicht, und es ist mir deswegen doch kein Unglück widerfahren. Denk, wie du darunter gelitten hast, daß andere lieblos gegen dich waren! . . . Das hast du doch neulich Mama ins Gewissen hinein gesagt . . .«

Sie hatte die letzten Sätze absichtlich so laut gesprochen, daß der unten sie hören konnte. John Burke schaute auf und erkannte die beiden. Er schien zu glauben, daß sein Bruder ihm auf dem Flur oben entgegengetreten sei – er faßte das als eine Einladung auf, zu kommen, und nickte hastig – es war wie ein geschäftsmäßiges, diensteifriges: »All right« – und eilte die Stufen hinauf, zwei auf einmal nehmend, vornübergebeugt, und drängte sich an Barbara vorbei durch die offene Tür in das Zimmer, in das sich der alte Herr wieder zurückgezogen hatte.

Die beiden Brüder standen sich gegenüber. Sie schwiegen und suchten sich jeder mit den Augen einen anderen Punkt auf dem Boden, und zehn Schritt von ihnen, auf der Schwelle, hielt Barbara den Atem an.

Und endlich sagte John Burke weich und demütig, immer noch die abgegriffene Hutkrempe zwischen den Händen drehend und den Blick scheu zur Seite: »Da bin ich, Otto . . .«

Der andere nickte nur.

Und jener holte tief Atem und sagte dann plötzlich laut, aus gepreßter Brust heraus: »Vergib mir . . .«

John Burke trat einen Schritt näher zu ihm heran und sagte leiser: »Früher war ich nicht sehr fromm, Otto . . . aber ich bin's jetzt! Erinnere dich! Es steht geschrieben: Liebe deinen Nächsten – der bin ich . . . ich bin sogar dein Bruder . . .«

Es war eine Pause. Dann fuhr er ebenso gedämpft und zerknirscht fort: »Und es steht geschrieben: ›Wie wir vergeben unsern Schuldigern . . .‹ Ich bin schuldig . . . das weiß ich . . . und dafür bin ich gestraft . . . meine Frau ist tot . . . meine Tochter übers Meer . . . mein einer Sohn ist ein Lump . . . ich habe keinen Penny Vermögen . . . ich habe keine Freude . . . ich bin geistig und körperlich eine Ruine – wer mich sieht, speit vor mir aus . . . Gottes Wille, Otto – Gottes Wille . . .«

Es war etwas Feierliches in dieser Selbstanklage. Otto Burck dünkte es fast etwas Furchtbares. So leidenschaftslos ruhten die Augen des anderen auf ihm. In denen war keine Bitte, kein Vorwurf – nur das Geständnis eines hoffnungslos verfehlten, dem Abschluß nahen Lebens. Ein Frösteln überlief ihn – eine Erkenntnis, daß es ihm in seinem an friedlicher Arbeit reichen Sein trotz allem doch soviel besser ergangen war. Das war eigentlich kein Mitleid gegen jenen – eher ein Gefühl der Gerechtigkeit. Ein Mensch durfte auch nicht mehr leiden, als er verschuldet hatte . . .

Und weiter sagte John Burke und etwas von dem, womit er früher die anderen zwang, ging von seiner großen, reuevollen Ruhe aus: »Nun sei mein Bruder . . . oder sei mein Richter . . . das steht bei dir! . . . Bedenke nur: du triffst nicht mich . . . ich bin über das alles hinaus – ich seh' schon meinen Grabhügel vor mir und sehn' mich danach, sehn' mich danach, Otto! . . . und bin dann bald einem Höheren Rechenschaft schuldig für das Viele, was ich hier unten falsch und schlecht angefangen hab'! . . . Nein, mich triffst du nicht . . . ich denke nur noch an das Glück unserer Kinder . . . tu du es auch . . .«

Otto Burck wollte etwas erwidern. Aber er brachte es noch nicht über die Lippen. Und jener schloß: »Die beiden werden, so Gott will, noch lange leben – wir beiden Alten nicht mehr – also mach es ihnen nicht zu schwer. Vergiß, Otto, was gewesen ist . . .«

Und nun sagte Otto Burck leise und mühsam: »Vergessen kann ich es nicht . . . das steht nicht in meiner Macht.«

Der andere zuckte zusammen und Barbara auch. Und Otto Burck fuhr schweratmend fort: »Aber ich will's . . . ich will's in Gottes Namen vergeben! . . . Das . . . bring' ich schließlich noch fertig . . . für die beiden Jungen . . . dann haben die aber auch alles von mir . . .«

Und plötzlich ruhiger geworden, nachdem das erlösende Wort gefallen, sagte er: »Also, da setz dich . . . wir wollen klar miteinander sprechen, geschäftlich gewissermaßen. Nein, ich will deine Hand nicht . . . das ist nicht nötig . . . und ich will keine Szene, Barbara . . .« Er wehrte ihr eilig, in Angst vor neuen, leidenschaftlichen Auftritten der Freude, als sie sich ihm nähern wollte. »Es ist gar keine Rührung nötig . . . ich halte nichts von Rührung . . . sei so gut und laß uns allein . . .«

Da schlüpfte sie hinaus, Jubel im Herzen und, trotz seines Verbots, mit einem innig-dankbaren Blick nach dem Vater, und setzte sich unten in den kleinen Salon und wartete atemlos, bis die Unterredung zu Ende sei. Es dauerte nicht lange. Sie vernahm immer nur undeutlich von oben die Stimme des Hausherrn. John Burke schien überhaupt nichts zu sagen, sondern nur durch ein fortwährendes bescheidenes Kopfnicken seine Fügsamkeit zu beweisen. Er war offenbar mit allem – aber auch mit allem, was jener vorschrieb, zufrieden.

Und da kamen sie auch schon nach einer Viertelstunde die Treppe herunter, mit ruhigen Mienen, wie nach einem abgemachten Geschäft, und Otto Burck sagte: »Nun, Barbara, du hast recht gehabt. Dein Onkel Joseph gibt sich Mühe, mir die Einigung zu erleichtern, mehr, als ich erwartete . . . Er sieht ein, daß er besser auch in Zukunft in England bleibt und ihr ihn da besucht . . . statt umgedreht in Polen, und auch sonst alles . . . Du weißt ja, was ich da von jeher für richtig befunden und zur Bedingung gemacht hab'! . . . Nein . . . bitte, jauchze jetzt nicht und falle mir nicht um den Hals . . . Du kannst nachher tanzen und springen, wenn du mit Robert zusammen bist . . . mir ist nicht danach zumute . . .«

Aber sie ließ sich nicht abhalten, sie drückte ihm doch einen Kuß in den grauen Bart, und John Burke stand daneben und lächelte sanft und still. Dann nickte er ihr zu und sah über sich empor, zum Himmel hinauf. Er murmelte andächtig: »Thy will be done!« – und dies gläubige: »Dein Wille geschehe!« – dies Dankgebet des alten Mannes ergriff sie, so daß ihre Augen von neuem feucht glänzten. Und auch jener wandte sich ab und führte eine Sekunde, wie um seine Rührung zu unterdrücken, ein seltsames, schon viel gebrauchtes Taschentuch an das Gesicht.

Otto Burck hatte davon nichts bemerkt. Er nahm inzwischen seinen Hut vom Haken und sagte auf den erstaunten Blick seiner Tochter: »Dein Onkel Joseph hatte die einzige Bitte, daß wir zusammen gleich zu Robert gehen, um ihn zu benachrichtigen, daß eine Versöhnung zustande gekommen ist.«

Und John Burke erklärte das mit einem leidvollen Lächeln: »Mir allein glaubt er das doch nicht! . . . Er denkt, ich werde doch abgewiesen, wenn wir zusammen herkommen – und er mit mir . . . da geht er erst gar nicht mit . . . Er muß es von euch beiden hören . . .«

Dies Letzte war eine Aufforderung für sie, und sie fragte hastig: »Papa, kann ich euch denn nicht begleiten?« Ihr Vater nickte. Alle drei traten vor das Haus und machten sich auf den Weg.

 


 << zurück weiter >>