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Vorwort

Wenn wir in Zukunft Deutschland in Schmerzen und darum noch viel heißer lieben sollen – wenn wir es so lieben sollen, wie man seine kranke Mutter liebt und pflegt, dann gibt es für diese deutsche Liebe keine Schlagbäume und Grenzpfähle, am wenigsten die des bisherigen Deutschen Reiches. Weit über die schwarz-weiß-roten Schranken hinaus soll unser Herz alles umfassen, was deutsch ist, deutsch lebt, denkt, spricht, atmet. So führe ich, selbst einer durch vier Menschenalter in Rußland kerndeutsch gebliebenen Familie entsprossen, in diesem Werk den Leser nach dem äußersten Thule deutscher Artung am Baltenstrand, in die nordischste der früheren Ostseeprovinzen.

Diese einsame Küste Esthlands soll die Warte sein, von der aus sich das Rundbild des russischen Ostens entrollt. Daß die gen Westen drängenden blinden zaristischen und panslawistischen Mächte der russischen Völkerwanderung den Untergang des festländischen Europas verschuldet haben, ist, nach meiner Kenntnis Rußlands, meine feste Überzeugung. Ich habe ihr schon vor Jahren in meinem Buch »Das deutsche Wunder« Ausdruck verliehen. Daß auf die Entfesselung der russischen Unterwelt der Ausbruch des feuerspeienden Kraters französischer Vergeltungs- und Rachelust für Elsaß-Lothringen folgen mußte wie der Donner dem Blitz, suchte ich in meinem Roman »Der Eiserne Mann« – daß England unter dieser ihm unheimlich günstigen Stellung der Gestirne zum entscheidenden Schlag gegen deutsche Weltgeltung ausholen würde, suchte ich in »Das freie Meer« in seinen seelischen Triebkräften darzustellen. Wenn ich in diesem vierten Werk nochmals auf das Rußland des Weltkriegs zurückgreife, so geschieht dies, weil die Lava des Ostens inzwischen verglüht und erstarrt ist. Zwischen Ural und Beresina können wir, während im Westen noch alles im Werden ist, das ungeheuere Zertrümmerungswerk Europas, das wir den Weltkrieg von 1914 bis 1919 nennen, bereits einigermaßen übersehen. Viele Nachrichten und Schilderungen des Rußlands der Kriegsjahre gingen mir von Augen- und Ohrenzeugen zu und befestigten mich in der Anschauung, daß die Hauptschuldigen der Völkerdämmerung über Europa der gekrönte Schwächling auf dem Thron der Romanows und seine allrussischen Berater waren.

Der Zarenthron zerschellte. Die Flammenzeichen des Nordens rauchten. Zum drittenmal in anderthalb Jahrhunderten wiederholte sich, wie beim Tode der Kaiserin Elisabeth und nach dem Brande Moskaus, für Preußen-Deutschland das »Mirakel der Hohenzollern«, die Rettung aus höchster Not in letzter Stunde durch eine unerwartete Schicksalswendung im Osten. Haben wir das Licht von Osten, das Licht von 1917, richtig gedeutet und zum Heile unseres Vaterlandes gewertet? Haben wir das nachzaristische Rußland richtig behandelt? In den hier folgenden Blättern suche ich diese, nächst unserer Stellung zu Amerika schwerste deutsche Lebensfrage des Weltkriegs zu erhellen.

Ich schreibe keine Kriegsromane! Ich vermeide in meinen Büchern beinahe völlig die Darstellung von Kampfhandlungen und Heeresereignissen der mir im Osten und Westen bekannt gewordenen Front. Ich verschmähe es durchaus, den Weltbrand des Völkerkriegs zum Hintergrund für beliebige Menschenhändel und äußere Begebnisse herabzuwürdigen, die sich ebenso gut auch unter friedlichen Umständen hätten vollenden können. Die Menschen, die ich schildere, sind unlösbar mit ihrem kleinen Schicksal in den großen Gang der Weltgeschichte verflochten. Sie sind Geschöpfe des Kriegs. Mein Wille ist, aus Menschen unserer Zeit heraus unsere Zeit selbst zu erklären, soweit man sie jetzt schon erklären kann und soweit der beschränkte Blick eines Einzelnen reicht, der immerhin Europa im Lauf seines Lebens genauer kennengelernt zu haben glaubt als viele andere unserer Landsleute. Daß es da gewißlich heißt: »Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit!« – das weiß niemand besser als ich. Aber ich glaube doch: Auch ein Fünkchen Wahrheit ist in der Nacht, die über Deutschland lastet, besser als nichts. So wage ich es, auch dieses Stück Spiegelbild des Weltkriegs zu veröffentlichen. Das Licht von Osten ist erloschen. Möge das Licht von Oben über unserem Vaterlande aufgehen!

Deutschland, im Frühjahr 1919

Rudolph Stratz


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