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Titus Flavius Vespasianus.

1. Die unter drei Kaisern, welche durch Aufruhr auf den Thron und durch Ermordung ums Leben gekommen waren, lange Zeit unsichere und gleichsam von einem zum andern schwankende Staatsregierung übernahm und befestigte endlich das Flavische Geschlecht, das zwar von dunkler Herkunft und ohne irgend welchen Glanz der Ahnenbilder war, aber dennoch für den Staat ein Glück genannt werden muß, wenn es auch immerhin Tatsache sein mag, daß Domitian nur erlitten hat, was seine Habgier und seine Grausamkeit verdienten. – Titus Flavius Petro, ein Bürger aus der Munizipalstadt Reate Im Sabinerlande, das heutige Rieti. S. Westphal, Römische Campagna, S. 129-130., im Bürgerkriege als Centurio oder als freiwilliger Veteran D. h. sogenannter evocatus (Aufgerufener). Siehe die Bemerkung zu Augustus 56. auf Pompejus Seite, entkam aus der Pharsalischen Schlacht und kehrte in seine Heimat zurück, wo er später, nachdem er Begnadigung und Abschied erlangt hatte, das Geschäft eines Eintreibers von ausstehenden Geldern für einen Bankier betrieb. Unter anderem auch von Auktionsgeldern. Siehe Realencyklopädie II, 482; I, 717. Sein Sohn, der den Zunamen Sabinus führte, tat keine Kriegsdienste – obgleich einige berichten, er sei Primipilar gewesen, andere, er habe als diensttuender Centurio wegen seiner Kränklichkeit den Abschied erhalten –, sondern versah den Posten eines Steuereinnehmers bei der Auflage des Vierzigsten So hieß der Hafen- oder Eingangszoll nach seinem Betrage, der den vierzigsten Teil des Werts, also 2½ Prozent ausmachte. Realencyklopädie V, 1923. in Asien, und man sah noch später Ehrenbildnisse, die ihm von den Städten (seines Distrikts) mit der griechischen Inschrift: » Dem redlichen Zollverwalter« gesetzt worden waren. Später trieb er ein Bankiergeschäft in der Schweiz und starb daselbst mit Hinterlassung einer Frau, Vespasia Polla, und zweier Kinder, die sie ihm geboren, von denen der ältere, Sabinus, es bis zum Stadtpräfekten von Rom, der jüngere, Vespasianus, sogar bis zur Kaiserherrschaft brachte. Polla war aus Nursia gebürtig, aus einer anständigen Familie; ihr Vater, Vespasianus Pollio, war dreimal Militärtribun, sowie auch Lagerpräfekt Er sorgte für das Aufschlagen und Verschanzen des Lagers, führte die Aufsicht über Zelte und Gepäck, für Krankenpflege und ärztliche Hilfe, für Instandhaltung des Geschützes u. s. w. Jede Legion hatte einen solchen Lagerpräfekten, zu dem nur die tüchtigsten Offiziere genommen wurden. S. Vegetius, Vom Kriegswesen II, 10.; ihr Bruder war Senator mit prätorischem Range. Auch heute noch heißt ein Ort auf einer Anhöhe beim sechsten Meilensteine, wenn man von Nursia nach Spoletium Jetzt Spoleto in Umbrien. geht, Vespasiä, und man sieht dort mehrere Denkmäler der Vespasier, die ein deutliches Zeugnis für den Glanz der Familie und das Alter derselben sind. Ich will nicht in Abrede stellen, daß einige die Behauptung hingeworfen haben: Petros Vater sei aus dem Transpadanischen und ein Vermieter von Tagelöhnern gewesen, wie sie aus Umbrien alljährlich zur Feldarbeit ins Sabinerland zu wandern pflegen, der sich dann in dem Städtchen Reate niedergelassen und daselbst eine Frau genommen habe. Ich meinerseits habe, trotz meiner sorgfältigsten Nachforschungen, auch nicht eine Spur davon aufgefunden.

2. Vespasianus wurde im Sabinerlande in einem kleinen oberhalb Reate gelegenen Flecken, welcher den Namen Phalacrine Westphal hat von diesem Flecken, dem Geburtsort der drei Kaiser des Flavischen Hauses, der unweit Rieti lag, keine Spur mehr gefunden. S. Römische Campagna S. 129-130. führt, am siebzehnten November abends, unter dem Konsulate des Quintus Sulpicius Camerinus und des Gajus Poppäus Sabinus, fünf Jahre vor dem Ableben des Augustus geboren und unter Aufsicht seiner väterlichen Großmutter Tertulla auf deren Landsitz bei Cosa Etrurische Stadt unweit der Küste. erzogen. Daher er denn auch noch als Kaiser nicht nur diesen Ort, wo seine Wiege gestanden, häufig besuchte und die Villa ganz in dem Zustande, wie sie gewesen war, erhalten ließ, damit das Auge keinen der gewohnten Gegenstände vermisse, sondern auch das Andenken an seine Großmutter so lieb und wert hielt, daß er sein Leben lang bei der Gewohnheit verharrte, an Feier- und Festtagen aus ihrem silbernen Mundbecher zu trinken. Nachdem er mit der männlichen Toga bekleidet worden war, wollte er den breiten Purpurstreif, obschon sein Bruder denselben bereits erhalten hatte, erst lange nicht anlegen, und nur seine Mutter war imstande, ihn zu bewegen, daß er denselben zu tragen verlangte. Sie erst brachte ihn mit Gewalt dazu, und zwar mehr durch ein Scheltwort, als durch ihr Bitten oder ihr Ansehen, indem sie ihn nämlich wiederholt damit verhöhnte, daß sie ihn den » Lakaien Im Texte steht: »den Vorläufer« ( anteambulonem); so hieß nämlich der Diener, welcher vor einem, der die Auszeichnung des breiten Purpurstreifs trug, voraus ging und Platz machte. Über die Ehre des »breiten Purpurstreifs« siehe zu August 38. seines Bruders« nannte. Als Militärtribun diente er in Thrakien, als Quästor erhielt er Kreta und Cyrene durchs Los zur Provinz. Als Bewerber um die Ädilität und daraus um die Prätur erhielt er die erstere Würde erst, nachdem er einmal durchgefallen war, mit großer Mühe und als sechster, während er die letztere sofort und als einer der ersten erlangte. Als Prätor trat er, um sich bei dem gegen den Senat erzürnten Caligula Vgl. oben Caligula, Kap. 48. Ich übersetze infensum, nach Dukers Vermutung, statt der Vulgata infensus, die sinnlos ist. auf alle und jede Weise einzuschmeicheln, im Senate mit der Forderung auf, daß für den germanischen Sieg des Kaisers außerordentliche Spiele gefeiert werden sollten, und schärfte die Strafe der Verschworenen Lepidus und Gätulicus. S. oben Claudius, Kap. 9., indem er den Antrag stellte, daß sie unbegraben liegen bleiben sollten. Desgleichen dankte er dem Kaiser in einer Versammlung derselben hohen Körperschaft Des Senats. Vespasian tat das alles, um dem Kaiser durch solche Huldigung, die er ihm im Angesichte des ihm verhaßten Senats darbrachte, noch mehr zu schmeicheln., daß er ihn der Ehre einer Einladung zur Tafel gewürdigt habe.

3. Inzwischen heiratete er die Flavia Domitilla, die frühere Geliebte des Statilius Capella, eines römischen Ritters aus der afrikanischen Stadt Sabrata, die eigentlich nur das latinische Bürgerrecht besaß, bald aber durch den Ausspruch des Restitutionsgerichts der Rekuperatoren für eine Freigeborene und römische Bürgerin erklärt wurde, indem Flavius Liberalis, der doch selbst nur ein geborener Florentiner und nichts weiter als ein Quästorschreiber war, sie als seine Tochter anerkannte. Sie gebar ihm den Titus, den Domitianus und die Domitilla. Frau und Tochter überlebte er, und er verlor sie, als er noch im Privatstande war. Nach dem Dahinscheiden seiner Gattin nahm er seine frühere Geliebte Cänis, eine Freigelassene der Antonia Der Mutter des Kaisers Claudius., welche zugleich deren Schreiberin war, wieder ins Haus und hielt sie auch, nachdem er Kaiser geworden war, fast wie eine rechtmäßige Gemahlin.

4. Unter Claudius wurde er auf Empfehlung des Narcissus als Befehlshaber (Legat) einer Legion nach Germanien geschickt und später nach Britannien versetzt, wo er dreißig Treffen gegen den Feind bestand. S. oben Claudius, Kap. 17, und Tacitus, Agricola, Kap. 13. Er unterwarf zwei sehr kriegerische Völkerschaften, über zwanzig Städte und die nahe bei Britannien gelegene Insel Vectis Die heutige Insel Wight.; das Oberkommando führte dabei teils Aulus Plautius als Legat mit konsularischem Range, teils der Kaiser Claudius selbst. Zum Lohne dafür erhielt er die triumphalischen Auszeichnungen und in kurzer Frist zwei Stellen in Priesterkollegien, dazu das Konsulat, das er während der zwei letzten Monate des Jahres (804 der Stadt) bekleidete. Die ganze Zwischenzeit bis zum Prokonsulat verlebte er in Muße und Zurückgezogenheit, weil er die Agrippina fürchtete, die damals noch großen Einfluß auf ihren Sohn besaß und die selbst des toten Narcissus Freunde mit großem Hasse verfolgte. Dann erhielt er durchs Los Afrika zur Provinz, das er höchst rechtschaffen und in allgemeiner Achtung verwaltete, nur daß er ein einziges Mal zu Adrumetum bei einem Krawall mit Rüben beworfen wurde.

Tatsache ist, daß er aus der Provinz, ohne ein Vermögen gemacht zu haben, zurückkehrte, da er sich genötigt sah, aus Mangel selbst an Kredit alle seine Besitzungen seinem Bruder zu verpfänden und sich, um seine äußere Stellung aufrecht zu erhalten, dazu erniedrigen mußte, Geschäfte als Maultierhändler zu machen, weshalb man ihm im Publikum den Namen »Mulio« gab. Mulio ist so viel als Maultiertreiber, »Roßkamm« ( maquignon). Wahrscheinlich verlieh er Maultiere zu großen Transporten, machte also eine Art Speditionsgeschäfte. Auch heißt es, daß er überwiesen wurde, von einem jungen Menschen, dem er wider den Willen seines Vaters die Auszeichnung des breiten Purpurstreifs verschafft hatte, zweimalhunderttausend Sesterzien 43 500 Reichsmark. erpreßt zu haben, wofür er einen schweren Verweis bekommen habe. Er begleitete den Nero auf dessen achäischer Reise S. Nero, Kap. 22 ff. und zog sich, da er, wenn derselbe sang, sich häufig entfernte oder auch wohl, wenn er anwesend blieb, einschlief, dessen allerhöchste Ungnade zu; er wurde nicht nur aus dem ganzen Hofzirkel verwiesen, sondern auch überhaupt von dem öffentlichen Zutritt zum Kaiser ausgeschlossen. Er zog sich deshalb in eine kleine abgelegene Stadt zurück Über die Abweichung Suetons in der chronologischen Bestimmung dieser Periode der Ungnade von dem Bericht des Josephus s. Realencyklopädie VI, 2, S. 2470 ff., wo er sich längere Zeit unter beständiger Furcht, daß es zum äußersten kommen werde, verborgen hielt, als er sich plötzlich den Oberbefehl über eine Provinz und ein Heer übertragen sah. Es hatte im ganzen Orient ein alter und fester Glaube allgemeine Verbreitung gewonnen, daß nach einem Schicksalsschlusse um diese Zeit Leute, welche von Judäa ihren Ausgang nähmen, sich der Weltherrschaft bemächtigen würden. Tacitus, Historien V, 13, gedenkt gleichfalls dieses mit den jüdischen Messiashoffnungen in Verbindung stehenden Glaubens. Diese Weissagung, die, soweit man das später aus dem Erfolge sehen konnte, auf einen römischen Kaiser ging, bezogen die Juden auf sich und standen gegen Rom auf. Sie ermordeten den Landpfleger Gessius Florus. S. Realencyklopädie III, 652. und schlugen obenein den konsularischen Legaten von Syrien Cestius Gallus. Siehe Tacitus, Historien V, 10. Vgl. Salvador, Geschichte der Römerherrschaft in Judäa, Teil I, S. 416 ff. der deutschen Übersetzung., der zur Hilfe heranrückte, in die Flucht, wobei sie ihm einen Adler abnahmen. Die Erwägung, daß zur Unterdrückung dieses Aufstandes eine bedeutende Heeresmacht sowie ein tüchtiger Feldherr not tue, dem man zugleich eine so wichtige Stellung mit Sicherheit anvertrauen könne, leitete die Wahl vorzugsweise auf ihn, als auf einen Mann, der einerseits seine Tüchtigkeit gehörig bewährt hatte, andererseits wegen der Niedrigkeit seiner Geburt und seines Namens in keiner Weise zu Befürchtungen Anlaß zu geben schien. Er verstärkte seine Streitkräfte mit zwei Legionen, acht Reiterschwadronen, zehn Kohorten, machte seinen älteren Sohn zu einem seiner Legaten und zog bei seinem ersten Auftreten in seiner Provinz auch die Aufmerksamkeit der benachbarten Provinzen auf sich, indem er sofort die Kriegszucht wiederherstellte und in mehreren Treffen eine solche persönliche Tapferkeit bewies, daß er bei der Belagerung einer Feste einen Steinwurf am Knie erhielt und sein Schild von mehreren Pfeilen durchbohrt wurde.

5. Als nach Nero und Galba Otho und Vitellius den Kampf um die Herrschaft begannen, verstärkte sich bei ihm die Hoffnung auf den Thron, die schon lange in seiner Seele durch folgende Vorzeichen erweckt worden war. Auf einem Landgute der Flavischen Familie trieb eine alte, dem Mars geheiligte Eiche bei den drei Entbindungen der Vespasia plötzlich immer je einen neuen Wurzelschößling, und diese erwiesen sich als unzweideutige Zeichen von dem Geschicke eines jeden der Kinder. Der erste Schößling nämlich war schwach und vertrocknete bald, weshalb denn auch das Mädchen, welches Vespasia gebar, kein Jahr alt wurde; der zweite war sehr kräftig und üppig und versprach glückliches Fortkommen; der dritte erschien gar fast einem Baume gleich. Deshalb soll denn auch der Vater Sabinus, der obenein noch durch den Ausspruch eines Opferschauers in seiner Ansicht bestärkt worden war, seiner Mutter die Meldung gebracht haben: » ihr sei ein Enkel geboren, der einst Kaiser sein werde«. Diese aber habe bloß darüber ein Gelächter aufgeschlagen und ihre Verwunderung darüber geäußert: » daß, während sie selbst noch bei gesundem Verstande sei, ihr Sohn bereits schwachköpfig werde.« In der Folge, als Kaiser Gajus einmal gegen den Vespasian, der das Amt eines Ädilen bekleidete, aufgebracht war, weil derselbe für das Fegen der Straßen nicht gehörig gesorgt hatte, und ihm deshalb den Faltenbausch seiner Toga Prätexta Die Vespasian als Amtsgewand trug. durch Soldaten mit aufgesammeltem Gassenkot füllen ließ, fehlte es nicht an Leuten, welche darin eine Vorbedeutung sahen: daß der einst mit Füßen getretene und verwahrloste Staat bei irgend einer Revolution sich in seinen Schutz und – sozusagen – in seinen Schoß begeben werde. Als er einmal beim Frühmahl war, schleppte ein fremder Hund eine Menschenhand, die er auf einem Kreuzwege Dorthin warf man im alten Rom allerlei Unrat, wie noch heute in Rom sich die bekannten Immondezzaji an solchen Stellen finden. Die Hand bedeutete die Herrschaft, und manus (Hand) ist oft so viel als potestas. Eine Hand befand sich auch auf den Feldzeichen der Manipeln. gefunden haben mochte, ins Zimmer und ließ sie unter dem Tische fallen. Ein andermal, als er bei der Hauptmahlzeit war, brach ein Pflugstier, der sein Joch abgeworfen hatte, ins Speisezimmer, jagte die aufwartenden Diener in die Flucht und warf sich dann, als wäre er plötzlich müde, ihm zu Füßen vor sein Lager hin und beugte vor ihm das Genick zur Erde. Ein Cypressenbaum ferner auf seinem großväterlichen Landgute, der, ohne daß ein Unwetter vorhergegangen, mit den Wurzeln ausgerissen und zu Boden geworfen worden war, richtete sich tags darauf noch frischer und kräftiger wieder empor. Von den Vorbedeutungen, die man an solche umfallende und wieder festwurzelnde Bäume knüpfte, spricht ausführlich Plinius, Naturgeschichte XVI, 56. In Achaja träumte ihm gar, sein und seiner Familie Glück würde beginnen, wenn dem Nero ein Zahn ausgenommen würde, und richtig traf es sich, daß am folgenden Tage, als er dem Kaiser aufwartete, ein Arzt aus dessen Kabinett ins Atrium heraustrat und ihm einen Zahn zeigte, den er in diesem Augenblicke dem Kaiser ausgenommen habe. In der Nähe von Judäa, als er einmal das Orakel des Gottes Carmel befragte, gaben ihm die Lose das sichere Versprechen: alles, was er in Gedanken habe und womit seine Seele beschäftigt sei, wie groß es auch sein möge, werde in Erfüllung gehen. Ausführlicher Tacitus, Historien II, 78. Und einer von seinen edlen (jüdischen) Kriegsgefangenen, Josephus, sprach, als man ihn in Ketten legte, die feste Versicherung aus: er werde von ihm selbst binnen kurzem wieder in Freiheit gesetzt werden, doch erst, nachdem er (Vespasian) bereits Kaiser geworden sei. Dazu wurden ihm auch wiederholt aus Rom ähnliche Vorzeichen gemeldet, wie z. B.: Nero sei in seinen letzten Tagen durch ein Traumgesicht aufgefordert worden, den Prachtwagen des Jupiter Optimus Maximus aus dessen Heiligtume in das Haus des Vespasian und von da in den Cirkus zu führen; und nicht lange darauf, als Galba in der Volksversammlung sein zweites Konsulat antrat, habe sich die Statue des vergötterten Julius von selbst nach Osten herumgedreht. Ferner hätten kurz vor dem Beginn der Schlacht bei Betriacum zwei Adler vor aller Augen miteinander zu kämpfen begonnen, und als der eine besiegt worden, sei ein dritter von Osten her darüber zugekommen und habe den Sieger verjagt.

6. Dennoch unternahm er nichts eher, so sehr ihn sein Heer auch ermunterte und drängte, als bis zufällig Truppen, die er nicht kannte und die entfernt von ihm standen, sich für ihn erklärten. Von dem mösischen Heere waren je zweitausend Mann aus jeder der drei Legionen dem Otho zu Hilfe abgesendet worden und hatten bereits den Marsch angetreten, als die Kunde zu ihnen kam, daß er besiegt sei und sich selbst das Leben genommen habe. Sie setzten indessen trotzdem ihren Marsch bis Aquileja fort, als wenn sie dem Gerüchte keinen Glauben schenkten. Tacitus, Historien II, 46 und 85. Dort ließen sie sich durch die günstige Gelegenheit und den Mangel an Mannszucht zu allen möglichen Ausschweifungen und Plünderungen verleiten, worauf sie, aus Furcht, daß man sie nach ihrer Rückkehr zur Rechenschaft ziehen möchte, den Entschluß faßten, selbst einen Kaiser zu erwählen und zu ernennen. » Seien sie doch um nichts schlechter, als das spanische Heer, das den Galba, oder als das Prätorianercorps, das den Otho, oder als das germanische Heer, das den Vitellius zum Kaiser gemacht habe.« Sie stellten also die Namenliste aller damals bei den verschiedenen Heeren befindlichen konsularischen Legaten zusammen, und während sie bei allen übrigen bald dies, bald das auszusetzen fanden, geschah es, daß einige Soldaten von der dritten Legion Die Vespasian wie seine eigene ansah. Tacitus, Historien II, 74., welche um die Zeit von Neros Tode von Syrien nach Mösien versetzt worden war, den Vespasian sehr herausstrichen, worauf alle beifielen und seinen Namen unverzüglich auf alle Feldzeichen schrieben. Nun wurde zwar damals die Sache unterdrückt, indem die Kohorten einigermaßen wieder zum Gehorsam zurückgebracht wurden. Allein das Gerücht von dem Geschehenen hatte sich verbreitet, und Tiberius Alexander, der Präfekt von Ägypten, war der erste, der, dadurch bewogen, seine Legionen am ersten Juli dem Vespasian den Huldigungseid leisten ließ. Dieser Tag ward denn auch später als der Tag seiner Thronbesteigung betrachtet. Darauf leistete ihm selbst das in Judäa bei ihm stehende Heer am elften Juli den Eid. Hauptsächlich begünstigten folgende Umstände sein Unternehmen: zunächst ein in vielen Abschriften verbreiteter echter oder unechter Brief Othos an den Vespasian, in welchem jener ihn auf das leidenschaftlichste beschwor, seinen Tod zu rächen, und den Wunsch aussprach, daß er (Vespasian) sich des Staates annehmen möge; ferner ein zugleich damit verbreitetes Gerücht, daß Vitellius nach seinem Siege beschlossen habe, die Winterlager der Legionen zu ändern und die germanischen in den Orient, wo der Dienst gefahr- und müheloser war, zu versetzen. Dazu kam noch, daß von den Präfekten der Provinzen Licinius Mucianus Vitellius' Nachbar, Präfekt von Syrien. S. Tacitus, Historien II, 80. Über seine Eifersucht gegen Vespasian s. Historien I, 10; II, 4 und 5., und von den Königen Vologesus der Partherkönig auf Vespasians Seite traten. Jener versprach ihm, mit Beiseitesetzung seiner Feindschaft, die er bis dahin infolge der Eifersucht gegen ihn offen zur Schau getragen hatte, das in Syrien stehende Heer, dieser vierzigtausend Bogenschützen.

7. So begann er denn den Bürgerkrieg und schickte einen Teil seiner Truppen und Generale nach Italien voraus, während er selbst unterdessen nach Alexandria hinüberging, um sich in den Besitz des Schlüssels von Ägypten zu setzen. Was dies bedeutet, lehrt Tacitus, Annalen II, 59: »Augustus hatte – und dies war einer der politischen Grundsätze seines monarchischen Regiments – Ägypten sich selbst vorbehalten, mit dem Verbote für Ritter und Senatoren, das Land zu betreten, damit nicht etwa einer Italien durch Hungersnot bedrängte, der diese Provinz mit den Schlüsseln zum Meere und zum Lande schon mit unbedeutender Macht gegen starke Heere halten könnte.« Als er hier, um ein Orakel über den Bestand seiner Herrschaft einzuholen, ohne Begleitung ganz allein den Tempel des Serapis betrat und, nachdem er ein langes und brünstiges Gebet an den Gott gerichtet, sich endlich umwandte Das, was ihm dabei in die Augen fiel, galt nämlich als Orakel und Vorzeichen. Über den Kultus des Serapis s. Tacitus, Historien IV, 83., glaubte er seinen Freigelassenen Basilides zu erblicken, der ihm, wie es dort Sitte ist, heilige Kräuter nebst Kränzen und Opferkuchen darbot, obschon es feststand, daß niemand denselben in den Tempel hineingelassen hatte, ja, daß derselbe auch wegen einer Nervenkrankheit seit langer Zeit kaum zu gehen vermochte und obenein sich weit von Alexandria entfernt »Vierundachtzig Millien weit«, sagt Tacitus, der die Sache in Bezug auf die Persönlichkeit des Basilides etwas anders erzählt. Das günstige Vorzeichen lag übrigens in dem Namen des letzteren, der von Basileus (König) gebildet ist. Nach Tacitus war dieser Basilides ein vornehmer ägyptischer Priester, und es ist wohl möglich, daß Suetonius gleichfalls sacerdos (Priester) statt libertus geschrieben hat, wie es jetzt in den Ausgaben steht. befand. Und unmittelbar darauf kam die briefliche Nachricht, daß bei Cremona die Truppen des Vitellius geschlagen und er selbst zu Rom ermordet sei. Noch fehlte ihm, als einem wider alles Erwarten auf den Thron gekommenen und zur Stunde noch neuen Fürsten, die Majestät, welche durch göttliches Zeugnis verliehen wird; auch diese ward ihm zuteil. Zwei Menschen aus dem geringen Volke, ein Blinder und ein an Lahmheit Leidender, traten an ihn heran, als er auf dem Tribunal saß, und flehten ihn um Heilung an, die ihnen vom Serapis in einem Traumgesichte mit den Worten verheißen sei: » Er (Vespasian) werde dem Blinden das Augenlicht wiedergeben, wenn er die Augen mit seinem Speichel benetzen, und dem Lahmen das Bein heilen, wenn er so gnädig sein wolle, es mit seiner Ferse zu berühren.« Obschon er nun kaum daran glaubte, daß die Sache irgend einen Erfolg haben werde, und deshalb sich nicht entschließen konnte, auch nur den Versuch zu wagen, so ließ er sich doch endlich von seinen Freunden erbitten und versuchte beides inmitten der öffentlichen Versammlung, und siehe, der Erfolg fehlte nicht. Um dieselbe Zeit wurden zu Tegea in Arkadien auf Angabe der Wahrsager an einem geheiligten Orte Nachgrabungen angestellt und bei denselben Gefäße von uralter Arbeit ausgegraben, auf denen sich ein dem Vespasian völlig ähnliches Bildnis befand. Beide Wunderzeichen erwähnt auch Tacitus, Historien IV, 81, aber mit sehr rationalistischen Zusätzen, wie denn überhaupt Tacitus zu dem Wunderaberglauben seiner Zeit und seines Volks ein unendlich verständigeres Verhältnis bewährt, als der in diesen Dingen kindisch gläubige Sueton. Vgl. die treffliche Schrift von K. Hoffmeister, Die Weltanschauung des Tacitus, S. 100-105.

8. So kehrte er nach Rom zurück, begleitet von einem großen Rufe, hielt über die Juden einen Triumph und bekleidete, außer seinem früheren Konsulat, diese Würde noch achtmal. Er übernahm auch das Censoramt, und die höchste Aufgabe während der ganzen Zeit seiner Regierung war: dem schwer zerrütteten und fast am Rande des Verderbens schwankenden Staate zuerst wieder Festigkeit zu geben, dann ihm Schmuck zu verleihen. Die Soldaten, teilweise durch den Sieg übermütig gemacht, teilweise durch die Schmach der erlittenen Niederlage erbittert, hatten sich zu aller möglichen Zügellosigkeit und Frechheit verstiegen. Aber auch die Provinzen und freien Städte, ingleichen einige Königreiche, lagen untereinander vielfach in ungebührlichem Hader. Er entließ daher von den vitellianischen Truppen eine große Zahl aus dem Dienste und hielt die übrigen in strenger Zucht; und weit entfernt, seinen eigenen Truppen, die ihm zum Siege verholfen hatten, das geringste außer der Ordnung nachzusehen, zahlte er ihnen selbst die ihnen von Rechts wegen gebührenden Belohnungen nur erst lange nachher aus. Auf die Sittenzucht hielt er bei jeder Gelegenheit dergestalt, daß er z. B. einen nach Salben duftenden jungen Menschen, der ihm für eine ihm bewilligte Präfektenstelle seinen Dank abstatten wollte, nicht bloß durch seine verachtende Gebärde von sich wies, sondern ihn auch mit den heftigen Worten ausschalt: » Ich hätte lieber gewollt, du röchest nach Knoblauch!« und zugleich das Ernennungsdekret zurücknahm. Und als gar die Matrosen, die noch jetzt abwechselnd von Ostia und Puteoli nach Rom zu Fuß hin und her marschieren Es sind das die Schiffsmannschaften, die in Puteoli und Ostia als Feuerlöschmannschaften stationiert waren, und deren Abteilungen abwechselnd ihre Garnison bald in einer dieser beiden Städte, bald in Rom hatten. Siehe oben Claudius Kap. 25., die Bitte an ihn stellten: daß ihnen unter dem Namen Schuhgeld eine Zulage festgesetzt werden möchte, begnügte er sich nicht damit, sie ohne Antwort abzuweisen, sondern gab noch dazu den Befehl: » Künftig sollten sie ihre Märsche ohne Schuhe machen«, und seitdem marschieren sie so noch heute. Achaja, Lycien, Rhodus, Byzantium, Samos verloren ihre Freiheit und wurden, sowie Thracien, Cilicien und Kommagene, die bis dahin unter ihren eigenen Königen gestanden halten, zu römischen Provinzen gemacht. Kappadokien verstärkte er, weil es fortwährenden Einfällen von seiten der Barbaren ausgesetzt war, mit mehreren Legionen und setzte ihm zum Präfekten einen Konsularen, während früher ein römischer Ritter diese Stellung bekleidet hatte. Rom selbst war entstellt durch die Trümmer und den Schutt früherer Feuersbrünste; er erlaubte jedermann, die leeren Baustellen in Besitz zu nehmen und Gebäude darauf zu errichten, wenn die rechtmäßigen Besitzer dieselben noch länger unbenutzt ließen. Er selbst nahm die Wiederherstellung des Kapitols in Angriff, legte als der erste Hand an bei der Wegräumung des Schuttes und trug ein paar Trachten auf seinen eigenen Schultern Im Texte steht: »auf seinem Halse« ( suo coIIo), weil man Körbe mit Last auf dem Kopfe trug. – Übrigens erzählt Tacitus, Historien IV, 53, daß das Fundament dieses Neubaues in Abwesenheit Vespasians gelegt wurde. hinweg. Ferner unternahm er die Wiederherstellung des herrlichen, in die ältesten Zeiten hinaufreichenden Staatsarchivs von dreitausend Erztafeln, welche mit verbrannt waren, indem er von überall her Kopieen aufsuchen ließ. Dieses Reichsarchiv enthielt fast von Anfang der Stadt die Senatsbeschlüsse, die Volksbeschlüsse über die abgeschlossenen Verträge, Bündnisse und über die je den verschiedenen Staaten und Individuen gewährten Privilegien. Über die verschiedenen Staatsarchive in Rom stehe Realencyklopädie VI, 2, unter dem Worte: Tabularium.

9. Er errichtete auch neue Bauwerke: den Tempel des Friedens, der dicht am Forum liegt, den des vergötterten Claudius auf dem Cöliusberge, den Agrippina zwar schon zu bauen begonnen, aber Nero fast völlig wieder niedergerissen hatte; desgleichen das Amphitheater in der Mitte der Stadt, an der Stelle, wo, wie er in Erfahrung gebracht, Augustus dasselbe hatte bauen wollen. Den Senator- und Ritterstand, die teils durch vielfältige Hinrichtungen an Zahl verringert, teils durch langjährige, mit der Verleihung dieser Würden getriebene Mißbräuche in Unehre geraten waren, säuberte und ergänzte er, indem er eine Musterung beider Stände vornahm, die unwürdigsten Mitglieder ausstieß und tüchtige Individuen, teils aus Italien, teils aus den Provinzen, an ihre Stelle setzte. Und um bekannt zu geben, daß jeder der beiden Stände nicht sowohl durch irgend ein Vorrecht, als vielmehr nur durch den Rang unter sich verschieden seien, gab er bei einem Streithandel zwischen einem Senator und einem römischen Ritter seine Entscheidung dahin ab: » man dürfe einen Senator nicht schimpfen, wiederschimpfen aber sei bürgerlich Recht D. h. jeder Bürger habe als solcher das Recht, Schimpfworte, die man gegen ihn gebraucht, mit gleichen zurückzugeben, auch wenn der zuerst Schimpfende ein Senator sei. und erlaubt.«

10. Die Prozesse hatten sich überall in ungewöhnlichem Maße aufgehäuft, indem die alten durch den Stillstand der Rechtspflege schwebend geblieben waren und infolge der verwirrten und unruhigen Zeitverhältnisse fort und fort neue dazu kamen. Er setzte also eine Kommission von durchs Los erwählten Richtern nieder, welche das im Kriege Geraubte den Eigentümern wieder zuerkennen und zugleich die Geschäfte der Centumviralgerichte, deren Abwickelung augenscheinlich sonst die streitenden Parteien nicht mehr erlebt haben würden, durch außerordentliche Entscheidungen abmachen und auf das möglichste vermindern sollten.

11. Ausschweifungen und Luxus hatten, da niemand ihnen Einhalt tat, über die Maßen zugenommen. Er veranlaßte den Senat zu dem Beschlusse: daß jede Frauensperson, die sich mit einem nicht ihr gehörigen Sklaven verbunden hätte, als Magd D. h. als Sklavin des Herrn, dem der Sklave gehörte. Schon Claudius hatte ein ähnliches Gesetz gegeben. S. Tacitus, Annalen XI, 13. gelten sollte, und daß die Geldwucherer kein Recht haben sollten, Geld, welches sie Familiensöhnen D. h. Söhnen, die noch in der Gewalt des Vaters standen. Vgl. Dirksen a. a. O. S. 55. geborgt, jemals wieder einzufordern, d. h. selbst nicht nach dem Tode der Väter solcher Schuldner. In allen übrigen Dingen zeigte er sich gleich von Beginn bis zum Ende seiner Regierung bürgerlich rechtlich und gütevoll.

12. Seine frühere geringe Stellung zu verdecken war er so weit entfernt, daß er sich derselben sogar oftmals rühmte. Ja, als einmal gewisse Personen es unternahmen, den Ursprung der Flavischen Familie auf die Gründer der Stadt Reate und auf einen Gefährten des Herkules, dessen Denkmal noch jetzt auf der Salarischen Straße vorhanden ist, zurückzuführen, lachte er sie ohne weiteres aus. Und so wenig war er begierig, sich mit äußerlichen Ehrenbezeigungen zu schmücken, daß er am Tage seines Triumphs, ermüdet und gelangweilt von dem endlosen Festgepränge des Zuges, kein Hehl daraus machte: » ihm geschehe schon recht dafür, daß er so töricht gewesen sei, sich als alter Mann noch nach einem Triumphe gelüsten zu lassen, den er doch weder seinen Vorfahren schuldig gewesen, noch selbst jemals gehofft habe.« Ja, selbst die Tribunengewalt und den Namen Vater des Vaterlandes nahm er erst spät an, und was gar die Sitte betrifft, die bei ihm zur Audienz Eintretenden durchsuchen zu lassen Vgl. oben Claudius Kap. 33., so hatte er dieselbe bereits unterlassen, als der bürgerliche Krieg noch fortwährte.

13. Die Freimütigkeit der Freunde, die verblümten Sticheleien der Sachwalter und den Trotz der Philosophen ertrug er mit größter Milde. Dem Licinius Mucianus, der wegen seiner Unkeuschheit verrufen war, sich aber, auf seine geleisteten Dienste trotzend Er rühmte sich, wie Tacitus sagt, daß Vespasian aus seinen Händen die Herrschaft empfangen habe., fortwährend Mängel an Ehrerbietung gegen ihn zu schulden kommen ließ, erlaubte er sich nie anders als insgeheim und nur insoweit wieder etwas abzugeben, daß er, wenn er sich über ihn gegen irgend einen gemeinsamen Freund beklagte, am Schluß hinzufügte: » Und ich bin doch wenigstens ein Mann!« Anspielung auf die zuvor erwähnte Unzüchtigkeit des Mucianus. Dem Salvius Liberalis, der in seiner Verteidigungsrede für einen angeklagten Reichen die Worte zu brauchen wagte: » Was geht es den Kaiser an, wenn Hipparchus hundert Millionen Sesterzien besitzt? erteilte er dafür sogar selbst einen Lobspruch. Den cynischen Philosophen Demetrius, der nach seiner Verurteilung ihm auf einer Reise begegnete und dabei weder vor ihm aufstand, noch ihn grüßte, ja sogar noch irgend welche Schimpfreden gegen ihn hervorbellte, begnügte er sich, einen » Hund« zu nennen. Dieser Demetrius war ein cynischer Philosoph aus Sunium oder Korinth, Schüler des Sophisten Rhodius, und, wie es scheint, mit anderen Philosophen von Vespasian aus Rom verwiesen. Nach den Zeugnissen Senecas (Von den Wohltaten VII, 1, 8) und anderer Alten war er seines unerschrockenen Freimuts wegen bekannt und selbst von den Großen gefürchtet.

14. Für Beleidigungen und Feindschaften hatte er so wenig Gedächtnis oder Neigung, sie zu rächen, daß er seines Feindes Vitellius Tochter auf das glänzendste verheiratete und ihr sogar eine Aussteuer an Geld und Hausgerät gab. Als er einst, bestürzt über seine unter Nero erfolgte Verweisung vom Hofe, bei einem der Kammerherren Im Texte steht: »einer von denen, die mit dem Geschäfte der Vorlassung (der Audienzsuchenden) betraut waren.« Es war ein Hofamt wie das der modernen Kammerjunker oder Kammerherren. anfragte: » was er denn tun oder wohin er sich begeben solle?« hatte ihm dieser, indem er ihm zugleich die Tür wies, zugerufen: » er möge ins Pfefferland Im Original steht: nach Morbovia, d. h. ins Krankenland. gehen!« Als dieser ihn nachmals um Verzeihung bat, machte er seinem Zorne gegen ihn nur in Worten Luft, und zwar in ebensoviel Worten des gleichen Inhalts. Sich gar durch bloßen Verdacht oder durch Befürchtungen bewegen zu lassen, jemand zu verderben, war er so weit entfernt, daß, als seine Freunde ihn baten, sich ja vor dem Metius Pomposianus zu hüten, weil man allgemein glaube, demselben verheiße die ihm von den Astrologen gestellte Nativität den Thron, er den Mann sogar zum Konsul machte, indem er hinzufügte: » er bürge dafür, daß derselbe einmal dieser ihm erzeigten Gnade eingedenk sein werde.«

15. Nicht leicht wird man finden, daß unter ihm irgend jemand unschuldig bestraft worden ist, außer wenn er selbst abwesend war und nichts davon wußte, oder jedenfalls gegen seinen Willen und auf falschen Bericht. Gegen den Helvidius Priscus Über diesen merkwürdigen stoischen Republikaner mit lakonischen Sitten unter dem Regimente römischer Kaisertyrannen siehe Realencyklopädie Bd. III, S. 1122-1124., der ihn, als er aus Syrien nach Rom zurückkam, allein bloß mit seinem Privatnamen Vespasianus gegrüßt und als Prätor in allen seinen Edikten des Kaisers nie mit irgend einer Achtungsbezeigung oder auch nur überhaupt Erwähnung getan hatte, erzürnte er sich doch erst an dem Tage, wo er sich von ihm bei einem heftigen Wortwechsel auf die unverschämteste Weise sozusagen zur Ordnung gewiesen sah. Doch auch diesen Mann, obschon er ihn zuerst verbannte und später den Befehl zu seiner Hinrichtung gab, wollte er unmittelbar darauf überaus gern am Leben erhalten und schickte sogar aus, um die mit der Hinrichtung Beauftragten zurückzurufen; und er würde ihn am Leben erhalten haben, wenn man ihm nicht fälschlich berichtet hätte, das Todesurteil sei bereits vollstreckt. Kurz, Vespasian hatte nie Freude am Blutvergießen, ja, er vollzog selbst ein gerechtes Todesurteil nur mit Tränen und Seufzen.

16. Das einzige, was man ihm mit Recht vorwerfen kann, ist Geldgier. Nicht genug, daß er die unter Vitellius aufgehobenen Abgaben wieder einführte, neue sehr drückende hinzufügte, die Tribute der Provinzen erhöhte, bei einigen sogar verdoppelte, trieb er auch sogar öffentlich Finanzgeschäfte, deren sich selbst ein Privatmann zu schämen gehabt haben würde, indem er gewisse Waren bloß deshalb aufkaufte, um sie nachher mit großem Gewinn wieder auszuhökern. Auch trug er gar kein Bedenken, sich sogar von Bewerbern die Ehrenstellungen und von Angeklagten, schuldigen wie unschuldigen, die Freisprechungen abkaufen zu lassen. Man sagt ihm auch nach, daß er absichtlich seine Prokuratoren, je habsüchtiger sie verfuhren, umsomehr zu immer größeren Stellen zu befördern gepflegt, damit er sie dann später zu desto größeren Geldbußen verurteilen könnte. Es hieß allgemein: » er bediene sich ihrer als Schwämme, weil er sie sozusagen anfeuchte, wenn sie trocken, und ausdrücke, wenn sie vollgesogen wären.« Einige berichten, diese große Habgier sei ein Naturfehler gewesen, und ein alter Rinderhirt habe ihm das einmal ins Gesicht gesagt. Der Mann habe nämlich den Vespasian, als derselbe Kaiser geworden, wiederholt flehentlich gebeten, ihm ohne Loskaufgeld Wie es geizige Herren von ihren Sklaven, wenn sie denselben die Freilassung bewilligten, wohl zu verlangen pflegten. die Freilassung zu gewähren, und habe, als der Kaiser es ihm abschlug, laut ausgerufen: » Der Fuchs ändert zwar das Haar, aber nicht die Art!« Dagegen sind andere der Meinung: er sei bei der unerhörten Erschöpfung des Staatsschatzes und des Fiskus zu seinen gewalttätigen Eingriffen in das Eigentum durch die Notwendigkeit gezwungen worden; wie er denn auch gleich beim Anfänge seiner Regierung in Bezug hierauf öffentlich erklärt habe: » Viertausend Millionen Sesterzien In den Texten steht: » vierzigtausend Millionen Sesterzien«. Wir übersetzen nach der Conjectur quadragies für quadringenties. Auch so noch ist die Summe, welche nach unserem Gelde 870 100 000 Reichsmark beträgt, ungeheuer. seien nötig, um den Staat vor dem Bankerott zu bewahren.« – Diese Ansicht von Vespasians Charakter ist umso eher für die richtige zu halten, da er jedenfalls auch von den nicht sehr löblich erworbenen Geldmitteln den besten Gebrauch gemacht hat.

17. Überaus freigebig gegen alle Arten Menschen, wie er war, ersetzte er, was einem Senator an dem standesmäßigen Vermögen Seit Augustus war das Vermögen, welches ein Senator gesetzlich haben mußte, um seinen Stand behaupten und in demselben bleiben zu können, 1,200,090 Sesterzien (d. i. genau 261,039,58 Reichsmark). – 500 000 Sesterzien = 108 760 Reichsmark, 100 000 Sesterzien = 21 750 Reichsmark. fehlte; mittellose Konsularen unterstützte er durch jährliche Pensionen von fünfmalhunderttausend Sesterzien, zahlreichen Städten im ganzen Gebiete des Reichs, die durch Erdbeben oder Brandunglück gelitten hatten, half er wieder auf.

18. Talente und Künste pflegte er vorzugsweise. Er zuerst setzte aus Staatsmitteln den lateinischen und griechischen Rhetoren Jahresbesoldungen von hunderttausend Sesterzien aus. Ausgezeichnete Dichter und nicht minder selbst Künstler, wie z. B. der, welcher die Koische Venus, und der, welcher den Koloß Über diesen Koloß des Nero von Zenodoros siehe Torso T. II, S. 460 fg. Er hieß, wie wir aus dieser Stelle Suetons sehen, »der Koloß« schlechtweg. Von einer herrlichen, des größten alten Meisters würdigen Venusstatue, die Vespasian in seinen Friedenstempel weihte, deren Namen man aber nicht kannte, erzählt Plinius, Naturgeschichte 36, 5. Über die Koische Venus, die Praxiteles für die Bewohner der Insel Kos schuf, siehe Torso I, S. 320. [Neros] restaurierte, erhielten bei ansehnlicher Bezahlung noch reiche Geschenke. Auch einem Mechaniker, der sich erbot, riesige Säulen mit geringer Kosten auf das Kapitol zu schaffen, gab er für seine Erfindung freiwillig eine reichliche Belohnung, erließ ihm aber die Ausführung mit dem Bemerken: » er möge ihm erlauben, dem armen Volke Brot zu geben.« Vespasian wäre also kein Freund der Dampfkraft, der Maschinen und Eisenbahnen gewesen! Wie er dachten aber auch noch in unserer Zeit manche Fürsten.

19. Bei den Spielen, mit welchen er das wieder neu hergestellte Theater des Marcellus einweihte, hatte er auch die alten Schauspieler und Sänger wieder auftreten lassen. Welche früher daselbst ihre Kunstleistungen produziert hatten. Von ihnen gab er dem Tragöden Apollinaris viermalhunderttausend, einigen hunderttausend, und denen, welche den geringsten Satz erhielten, je vierzigtausend Sesterzien D. h. 87 010, bzw. 21 750 und 8 701 Reichsmark., ungerechnet die zahlreichen goldenen Kränze, welche er austeilte. Auch hielt er beständig Tafel, und zwar gab er sehr häufig große und reiche Gastgelage, um den Speisehändlern Verdienst zuzuwenden. Tafelgeschenke S. Caligula Kap. 5. gab er gewöhnlich den Männern an dem Saturnalienfest, den Frauen am ersten März; und trotz alledem blieb der alte Vorwurf der Habgier an ihm haften. So fuhren die Alexandriner fort, ihm den Spitznamen Cybiosactes D. h. »Heringshändler«. Die Alexandriner waren ihrer bösen Zunge wegen bekannt. zu geben, den früher einer ihrer Könige, welcher wegen schmutzigen Geizes verrufen war, geführt hatte. Ja, selbst bei seinem Leichenbegängnisse rief der Vorstand der Pantomimen, Favor, der die Person des Kaisers maskiert vorstellte und, wie es Sitte ist, dessen Behaben und Reden bei Lebzeiten nachahmte, als er auf seine laute Frage an den Intendanten: » wie hoch das Begräbnis und der Leichenzug zu stehen käme?« die Antwort erhielt: » Zehn Millionen Sesterzien«, vor allem Volke aus: » Sie möchten ihm hunderttausend Sesterzien 2 175 000 bzw. 21 750 Reichsmark. geben und ihn dann seinetwegen ohne weiteres in den Tiber werfen!«

20. Er war von mittlerer, wohlproportionierter Statur, von muskulösem und kräftigem Gliederbau, und sein Gesichtsausdruck hatte etwas angestrengt Drängendes, daher ein bekannter Witzbold, den er aufforderte, auch auf ihn einmal einen Witz zu machen, ihm die nicht üble Antwort gab: » Sehr gern, sobald du mit deiner Verrichtung fertig sein wirst!« Er besaß eine überaus glückliche Gesundheit, obschon er zur Erhaltung derselben nichts weiter tat, als daß er sich den Hals und die übrigen Teile des Körpers in dem Ballspielsaale So hieß ein Raum, der sich bei dem Bade befand, in welchem man außer dem Ballspiel auch andere körperliche Übungen vornahm. taktmäßig selbst frottierte und alle Monate einmal Fasttag hielt.

21. Seine Lebensordnung war etwa folgende. Als Kaiser pflegte er immer früh und noch vor Tagesanbruch aufzustehen, worauf er die eingelaufenen Briefe und kurzen Berichte der Behörden durchlas und darauf Freunde vorließ. Während der Audienz zog er sich selbst Schuhe und Kleider an. Nach Abfertigung aller laufenden Geschäfte machte er sich Bewegung durch eine Spazierfahrt und hielt dann Mittagsruhe, wobei eine der Kebsfrauen, deren er an die Stelle der verstorbenen Cänis sich mehrere zugelegt hatte, bei ihm ruhte. Aus seinem Schlafkabinett begab er sich ins Bad und dann zu Tische. Um diese Zeit war er am gnädigsten und am leichtesten zu behandeln, weshalb denn auch seine Hofleute, wenn sie etwas zu erbitten hatten, diese Augenblicke vorzugsweise wahrnahmen.

22. Über Tafel nun liebte er es, wie er denn auch sonst überhaupt höchst leutselig Das hierfür im Texte stehende Wort ( communissimus) ist genau unser deutsches »gemein«, in seiner alten, nur noch im Volke erhaltenen Bedeutung für: leutselig. war, allerlei Scherze und Witze zu machen. Er hatte nämlich einen großen Hang zum Witz, der zuweilen so possenhaft und gemein war, daß er sich selbst der Zoten nicht enthielt. Dennoch gibt es auch einige vortreffliche Witzworte von ihm, wie z. B. die folgenden. Der Konsular Mestrius Florus hatte ihm einmal bemerklich gemacht: man müsse nicht plostra plaustrum heißt so viel als Wagen., sondern plaustra sagen; dafür nannte Vespasian ihn am folgenden Tage bei der Begrüßung Flaurus. Ein andermal, als er einem Frauenzimmer, das sterblich in ihn verliebt zu sein vorgab, nachdem er ihre Gunst genossen, vierzigtausend Sesterzien 8701 Reichsmark. schenkte und sein Intendant bei ihm anfragte: unter welchem Titel er befehle, daß diese Summe in die Rechnungsbücher eingetragen werde, gab er zur Antwort: » Für übergroße Liebe zum Vespasian.«

23. Auch griechische Verse wußte er recht artig Dies Urteil ist bezeichnend für den Geschmack Suetons und der Zeit. anzubringen. So z. B. brauchte er von einem sehr hoch gewachsenen und mit einem unmäßig großen Glieds begabten Manne den Homerischen Vers Ilias VII, 213.:

» Mächtig schreitet er aus und schwingt die gewaltige Lanze!«

Und von dem sehr reichen Freigelassenen Cerulus, der einmal, um sich den Ansprüchen des Fiskus zu entziehen, sich für einen Freigeborenen ausgegeben und mit Veränderung seines Namens in Laches umgetauft hatte, sagte er:

– »o Laches, Laches,
Wenn einst du gestorben, wirst du dennoch wieder sein.
Wie früher, Cerulus
. Die Verse sind aus dem griechischen Komödiendichter Menander. Den Witz verstehe ich nicht ganz. Vielleicht liegt er in dem Namen Cerulus, der an die bläuliche Totenfarbe erinnert.

Ganz besonders jedoch machte er gern Witze bei Gelegenheit seiner nicht eben sauberen Finanzoperationen. Er beabsichtigte damit, das Verhaßte derselben durch einen scherzhaften Einfall zu mildern und einen guten Witz daraus zu machen. So bat einmal einer seiner ihm besonders werten Hofbedienten für jemand um eine Intendantenstelle, unter dem Vorgeben, der Mann sei sein Bruder. Da verschob Vespasian die Entscheidung auf den folgenden Tag, ließ aber inzwischen den Kandidaten zu sich rufen, ließ sich selber die Summe auszahlen, die jener seinem Beschützer versprochen hatte, und verlieh ihm unverzüglich die Stelle. Als darauf der Hofbediente wieder bei ihm anfragte, gab er ihm die Antwort: » Suche dir einen anderen Bruder; der, den du für den deinen hältst, ist der meine!« Auf einer Reise faßte er einmal gegen seinen Kutscher den Verdacht, daß derselbe abgestiegen sei, um die Mauleselinnen beschlagen zu lassen, bloß damit ein Supplikant Zeit hätte, den Kaiser anzugehen; er fragte ihn also sofort: » wie viel er mit dem Beschlagen verdient habe?« und bedang sich einen Teil seines Verdienstes aus. Als sein Sohn Titus ihn tadelte, daß er auch eine Urinsteuer ausgesonnen hätte, hielt er ihm ein Stück Geld von der ersten Erhebung derselben unter die Nase mit der Frage: » ob er einen üblen Geruch verspüre?« und als jener es verneinte, sagte er: » Und doch ist es vom Urin!« Den Deputierten einer Stadt, welche ihm anzeigten: es sei beschlossen, ihm auf gemeine Kosten eine Kolossalstatue für eine beträchtliche Geldsumme zu setzen, hielt er die hohle Hand hin und forderte sie auf, »dieselbe nur gleich auf der Stelle zu setzen, die Basis sei schon bereit.« Ja, selbst nicht einmal die Furcht und die unmittelbare Nähe des Todes hielten ihn von seinen Scherzen ab. Denn als unter anderen schlimmen Vorzeichen die Türen des Mausoleums sich plötzlich geöffnet und am Himmel ein Haarstern sich gezeigt hatte, sagte er: das erstere gehe die Julia Calvina an, die aus Augustus Familie sei, das letztere aber den Partherkönig, der langes Haar trage. Und bei dem ersten Anfall der tödlichen Krankheit rief er aus: » Weh' mir, ich glaube, ich werde ein Gott!« Witzige Anspielung auf die Vergötterung der römischen Kaiser nach ihrem Ableben.

24. Es war in seinem neunten Konsulate, als er in Campanien die ersten leichten Anfälle erfuhr. Er ging eiligst nach Rom zurück und begab sich von dort nach Cutiliä Ein im Altertum berühmtes kaltes Bad im Sabinergebirge. Plinius, Naturgeschichte 31, 6. und seinen reatinischen Landgütern, wo er den Sommer zuzubringen pflegte. Hier verschlimmerte sich sein Zustand, da er sich obenein durch den übertriebenen Gebrauch des kalten Wassers auch den Magen verdarb. Nichtsdestoweniger besorgte er fort und fort, wie sonst, alle seine Regierungsgeschäfte, ja, er gab sogar, obwohl im Bette liegend, den Gesandten Audienz, als ihn plötzlich ein furchtbarer Durchfall fast aller Kräfte beraubte. Mit den Worten: » Ein Kaiser muß stehend sterben!« versuchte er mit aller Anstrengung sich aufzurichten, und bei diesem Versuche starb er unter den Händen derer, welche ihm emporhelfen wollten, am 23. Juni im Alter von 69 Jahren, einem Monat und sieben Tagen.

25. Alle stimmten darin überein, daß er über sein und der Seinigen in den Sternen geschriebenes Geschick so ruhig und sicher gewesen sei, daß er, trotz der unaufhörlichen gegen ihn gerichteten Verschwörungen, doch kühn genug war, dem Senate die feste Versicherung auszusprechen: » entweder seine Söhne würden ihm in der Regierung folgen, oder niemand.« Auch wird erzählt, er habe einmal im Traume eine vollkommen im Gleichgewicht stehende Wage mitten im Vorhofe des palatinischen Kaiserhauses aufgestellt gesehen, in deren einer Schale Claudius und Nero, in der anderen er selbst und seine Söhne standen. Und so ist es denn auch eingetroffen, sintemal beide Teile ganz ebensoviele Jahre und eine völlig gleiche Zeit hindurch regiert haben. Nero und Claudius hatten zusammen 27 Jahre auf dem Throne gesessen, und ebenso lange regierten Vespasianus und seine beiden Söhne.


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