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13. All unsere Pferde spurlos verschwunden!

Als wir »die Tafel« an der heißen Kraterquelle beendet hatten, erlebten wir eine Überraschung, wie wir sie uns schrecklicher kaum denken konnten.

Wir hatten vor der Mahlzeit unsere Pferde zu einer kleinen Mulde geführt, wo es Gras gab, nicht weit von unserer Quelle entfernt. Dort sollten die guten Tiere sich ebenfalls stärken und gütlich tun. Daß sie diese wohlgemeinte Freiheit irgendwie mißbrauchen würden, befürchteten wir in keiner Weise, da sie sich bisher immer so treu und artig benommen hatten.

Aber diesmal hatten wir uns getäuscht. – Als wir sie nämlich holen wollten, um wieder aufzubrechen, waren sie alle miteinander spurlos verschwunden!

Im ersten Augenblick lief es uns vor Schrecken kalt über den Rücken: denn ohne Pferde befindet man sich hier, weit drinnen in der vulkanischen Wüste, in einer geradezu verzweifelten Lage, besonders wenn man allerlei Gepäck bei sich hat wie wir.

Wie sollten wir jetzt zu menschlichen Wohnungen gelangen? Wie sollten wir Über die großen, breiten Gletscherflüsse Kommen?

Das kann man nur auf dem Rücken zuverlässiger Pferde.

Wir spähten nach allen Seiten umher. – Aber vergebens; wir sahen nichts.

Zu allem hinzu fing es bereits an, dunkel und neblig zu werden.

Da war guter Rat teuer.

Ein jeder von uns erkannte vollkommen den Ernst der Lage.

Endlich sagte der eine Isländer, indem er nach Südost zeigte:

»Die Pferde können unmöglich anderswohin gelaufen sein als in dieser Richtung.«

Südöstlich von uns sah man nämlich eine große grüne Ebene.

»Durch das Zischen und Brausen der Quellen sind sie von hier verscheucht worden«, fuhr der Isländer fort, »dann haben sie das gute Gras da hinten gesehen und sind ganz sicher dorthin gelaufen.«

Wenn man die Augen anstrengte, konnte man in der Tat auf jener grünen Ebene dunkle Punkte sehen. Das mußten unsere Pferde sein.

Während wir also ruhig in der kurzen Entfernung von ihnen bei der heißen Quelle »gekocht« und gespeist hatten, waren sie über Stock und Stein entflohen, um sich einen besseren Mittagstisch zu verschaffen.

Das war gewiß natürlich und eigentlich selbstverständlich, aber für uns doch im höchsten Grade unangenehm.

 

Es wurde nun beschlossen, daß einer von uns als Wächter beim Gepäck zurückbleiben sollte, die andern dagegen sollten sich aufmachen zu den Pferden.

Zu den letzteren gehörte auch ich.

Die Aufgabe, die wir zu lösen hatten, war nicht leicht. Das erste Notwendige, um zu der fernen Wiese zu gelangen, war ein anstrengender »Dauerlauf« mit vielen Hindernissen. Von einem Weg war hier ja keine Spur: wir mußten beständig über die unzähligen Lavablöcke springen, mit denen die ganze Gegend übersät war.

Als wir dann endlich, ermüdet von diesem Hindernislaufen, die große Ebene erreichten, kam eine neue, außerordentlich ernste Schwierigkeit:

Sobald nämlich die Ausreißer uns gewahr wurden, hörten sie mit einem Male alle auf zu grasen. Sie hoben die Köpfe empor und starrten uns einige Augenblicke an. Dann schüttelten sie ihre Mähnen, schauten aufeinander, warfen mehrmals eigentümlich den Kopf und jagten nun einmütig in wildem Lauf davon, hin über die weite Ebene!

Sie gedachten uns offenbar für immer zu verlassen: denn sie hatten wohl die Entdeckung gemacht, daß es viel bequemer und vorteilhafter für sie wäre, frei in dieser üppigen Gegend zu leben, als uns und unser Gepäck durch das unwegsame Land zu tragen.

Ja, wahrhaftig, unsere Lage wurde verzweifelt! –

Zwei von uns wollten nun sogleich hinter den Pferden hersetzen, wie Fußballspieler hinter dem fliegenden Ball: aber unser isländischer Freund, der einzige, der die Eigenheiten dieser kleinen Ponys genau kannte, hielt uns entschieden davon zurück. Mit ernster Miene erklärte er uns:

»Wir befinden uns in einer großen Gefahr, die dürfen wir nicht durch Unbesonnenheit größer machen, sonst bekommen wir die Pferde vielleicht niemals wieder! Es hat keinen Zweck, hinter ihnen herzulaufen. Sie sind viel schneller als wir und verstehen es, sich in der nötigen Entfernung zu halten. Auch wird es bald dunkler, und der Nebel wird dichter werden. Da gibt es nur ein einziges Mittel, sie zu fangen: wir müssen mit List vorgehen, nicht mit Gewalt.«

Das leuchtete uns ein, und wir erkannten, daß der Isländer allein der Sachlage vollständig gewachsen war. Er wurde deshalb ganz von selbst unser Anführer.

 

Die Pferde liefen unterdessen immer weiter von uns fort über die Ebene hin. – Endlich machten sie halt, sahen sich einige Augenblicke wieder an und begannen dann zu weiden.

Sie waren jetzt wohl fünf- bis sechshundert Ellen von uns entfernt.

Nun wurde »Kriegsrat« gehalten. Die Verhandlungen leitete unser Isländer, der folgenden Plan entwarf:

»Die Gefahr, die uns bedroht«, sagte er, »besteht darin, daß uns die Pferde ins Land hineinlaufen, wo wir sie vielleicht niemals wiederfinden, oder sie entfernen sich so weit, daß wir sie im Nebel nicht mehr sehen können. Wir müssen sie daher mit einer List umgehen.

»Wir müssen uns so verteilen, daß einer von uns gegen Süden geht, ohne dabei auf die Pferde hinzuschauen; er beschreibt dann einen großen Bogen und sucht hinter sie zu kommen. Der andere geht nach Norden und tut dasselbe von der entgegengesetzten Seite her. Der dritte bleibt hier.

»Wenn wir dann so stehen, daß wir ein Dreieck um die Tiere bilden, so gehen wir mit der äußersten Vorsicht auf sie zu und achten beständig darauf, daß wir nicht ihre Aufmerksamkeit erregen.

»Sobald sie einen von uns erblicken, wirft er sich ins Gras nieder und wartet, bis sie wieder ruhig geworden sind.

»Sind wir ihnen dann so nahe gekommen, daß sie uns hören können, dann fangen wir alle auf einmal an zu flöten, so laut wir können.«

Hier zeigte er uns, indem er selbst flötete, wie wir es machen sollten: langgezogene Töne, und immer in derselben Höhe.

»So«, fuhr er dann fort, »müssen wir vorgehen, sonst mißglückt alles.«

 

Ich wußte von meiner Jugend her, daß dieses Mittel immer angewendet wird, wenn man ein wildgewordenes Pferd einfangen will. Hören die isländischen Pferde diese Töne, so geschieht das Merkwürdige, daß sie wie verzaubert stehen bleiben, ganz unbeweglich. Es wirkt wie eine Hypnose, wie eine magnetische Kraft auf sie.

Wir übten nun sofort ein paarmal dieses eigentümliche Flöten, dann trennten wir uns.

 

Der Plan wurde genau ausgeführt. Die Umgehung von zwei Seiten glückte vortrefflich. Zwar sahen die Pferde häufig auf; aber im selben Augenblick lagen wir dann in dem hohen Gras, und sie wurden gleich wieder ruhig.

Als wir ihnen schließlich so nahe gekommen waren, daß sie uns hören konnten, fingen wir an, unser Zaubermittel anzuwenden: das bestrickende Flöten. – Und merkwürdig: sobald sie diese langgezogenen Töne hörten, standen sie wie festgewurzelt. Sie spitzten die Ohren, blieben unbeweglich und stierten wie versteinert vor sich hin.

Man sah, wie alle ihre Sehnen und Muskeln gespannt waren.

Sobald aber der bezaubernde Laut nur einen Augenblick aufhörte, verschwand die Spannung gleich wieder, und sie begannen dann, den Kopf zu uns herzuwenden. Jedoch wir setzten das Flöten immer von neuem fort und bannten sie damit wieder an ihren Platz. –

Diese eigentümliche Erscheinung kann ich mir nicht anders erklären als eine Art hypnotischen Zustand. Es ist bekannt, wie feine Nerven gerade die Pferde haben, und so müssen sie wohl leicht nach dieser Seite zu beeinflussen sein. –

Bei unserem Vorgehen ersahen wir uns nun alle das Pferd aus, welches der offenbare Anführer der andern war; denn hatten wir dieses, so würden die andern sich ohne Zweifel von selbst fangen lassen.

Dem Anführer näherten wir uns also so vorsichtig wie möglich, beständig flötend und mit dem freundlichsten, gewinnendsten Gesicht, das wir aufzusetzen vermochten. Die Arme hielten wir immer ausgebreitet, bis wir schließlich so weit waren, daß wir fast gleichzeitig die Hände auf seine dichte Mähne legen konnten.

Sobald dies geschehen, war der Sieg unser. Das Pferd war gefangen. Wir waren gerettet! –

Wie ein Stein fiel es uns jetzt vom Herzen, da wir endlich das unentbehrliche Tier festhielten. Wir fühlten es lebhaft, aus welcher Gefahr wir nun mit einem Schlag befreit waren.

Inzwischen war nämlich auch der Nebel so dicht geworden, daß wir nicht einmal die dampfenden Quellen mehr sehen konnten, welche die Pferde in die Flucht getrieben hatten. Wir hätten jetzt zu Fuß, ohne die Pferde, den Weg dahin kaum wiederfinden können. –

Nachdem wir das führende Pferd in unsere Hand gebracht hatten, fingen wir mit Leichtigkeit auch die andern Pferde.

Wir stiegen nun unverzüglich auf und ritten, so schnell es die Schwierigkeit des Weges erlaubte, zurück zu unserem Kameraden, der bereits höchst bekümmert um uns geworden war. Nur der Sicherheit der Tiere hatten wir es zu verdanken, daß wir bei dem dichten Nebel in dieser steinigen Lavawildnis nicht völlig in die Irre gerieten.

An der Lagerstätte bei der heißen Quelle wurde sofort alles zusammengepackt. Jeder sattelte eilig sein Pferd, denn es war immer dunkler geworden.

 

Wegen unserer großen Verspätung mußten wir nunmehr in dem kalten, feuchten Nebel fast die ganze Nacht hindurch reiten. Erst gegen 3 Uhr morgens kamen wir, müde und schläfrig, zu dem Hof, wo wir nach unserem Reiseplan übernachten wollten.

Die Leute nahmen uns, wie überall, mit offenen Armen auf. Sie ließen uns nicht bloß bereitwilligst die nassen Kleider wechseln, sondern setzten uns sogar zu dieser späten Stunde noch eine ausgezeichnete Mahlzeit vor und plauderten mit uns in der freundlichsten Weise.

Den Schlaf hätten wir darüber beinahe vergessen: wir dehnten ihn aber dann, als wir zu Bett gegangen waren, bis weit in den Nachmittag hinein aus.

Unsern Pferden wurden diesmal die Vorderbeine wieder mit einem dicken Strick zusammengebunden, um jeden neuen Fluchtversuch unmöglich zu machen. Die armen Tiere taten mir deswegen leid, aber es ging nicht gut anders. Mühsam sich bewegend, mußten sie so auf einer nahen Graswiese sich ihre wohlverdiente, verspätete Nahrung suchen.


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