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18. Auf dem Wege nach Kalmanstunga – Ein gefahrvoller Flußübergang

Unser Aufenthalt auf dem Hofe Haukadal ging zu Ende. Ein Bote brachte uns die Meldung, daß der Bauer Gudjón, der uns nach Kalmanstunga führen sollte, heimgekehrt sei. Wir machten uns daher gleich bereit, die so lange unterbrochene Reise fortzusetzen.

Spät am Abend desselben Tages kam auch noch Gudjón selbst nach Haukadal geritten. Er hatte zwei gute Pferde bei sich, denn eines allein könnte einen so beschwerlichen Weg hin und zurück kaum aushalten.

Als Entgelt für die Führung wurden zwanzig Kronen vereinbart, der übliche Preis bei einer so langen Reise. Gudjón verlor nämlich durch die Abwesenheit von seinem Hofe zwei volle Arbeitstage gerade in der drängenden Zeit, wo das Heu eingebracht werden sollte.

Die Abreise wurde auf den folgenden Morgen 6 Uhr festgesetzt.

Bei unserem Abschied von dem gastlichen Haukadal machten wir die gleiche Erfahrung wie immer: Greipur wollte mir keine Bezahlung erlauben, obwohl wir mehrere Tage bei ihm gewesen waren. Ich mußte ihn geradezu bitten, etwas anzunehmen.

Nachdem er sich zögernd endlich dazu hatte bewegen lassen, wandte er sich mit einer auffälligen Haftigkeit um und eilte aus dem Zimmer.

Ich verstand anfangs nicht, was dies bedeuten sollte, und fragte mich, ob er sich wohl beleidigt fühlte.

Jedoch er kam bald wieder zurück, aber jetzt zusammen mit seiner Frau; und nun dankten sie mir beide aufs herzlichste, als hätten sie die größte Wohltat von mir empfangen. Für die geringen Dienste, die sie uns erwiesen, sagten sie, hätte ich viel zu viel bezahlt. –

So betrachten es die guten Leute überall in Island als ihre heiligste Pflicht, umsonst jeden aufzunehmen und zu verpflegen, den der liebe Gott ihnen sendet, besonders wenn es sich um Landsleute handelt.

Es tat mir deshalb leid, als ich hörte, wie sie zuweilen von Reisenden behandelt werden.

Auf einem Hof wurde mir Folgendes erzählt:

»Vor Ihnen waren Fremde hier, die uns sozusagen für alles schalten, was wir ihnen gaben. Das eine war nicht genau nach Wunsch, das andere war nicht reinlich genug, und so ging es weiter.

»Zum Schluß forderten sie ihre Rechnung, an die wir aber gar nicht gedacht hatten. Als wir dann zwei Kronen für die Person verlangten, bekamen wir aufs neue grobe Worte: nämlich über den ›unverschämt hohen Preis‹; und doch hatten wir einen ganzen Tag die notwendigste Arbeit auf dem Felde versäumen müssen und das Beste hergegeben, was wir besaßen.«

Solche Reisende bedenken nicht, wie teuer für diese Leute oft die einfachsten Dinge sind. Alles – Kaffee, Zucker, Korn, Bier – muß mühsam zu Pferd aus weiter Ferne herbeigeschafft werden, nicht selten viele Tagereisen weit.

Von hohen oder gar von unverschämt hohen Preisen wird da kaum einmal die Rede sein können.

 

Auf Haukadal waren jetzt unsere Pferde gesattelt, es war Zeit zum Aufbruch geworden.

Zwischen 6 und 7 Uhr morgens verließen wir den Hof.

Gudjón mit seinen zwei Reitpferden ritt voran, Friedrich und ich sowie unser Packpferd folgten.

Während wir den nächsten Berg hinaufritten, sahen wir in der Ferne den Geysir springen.

Schade, daß wir nicht näher dort waren!

Aber wir hatten keine Stunde zu verlieren. Wir mußten diesmal hoch hinauf zu den Gletschern. Das war ein beschwerlicher Weg: bald die steilen Berge hinan, bald hinab in tiefe Täler, dann wieder über eine Sandwüste, und abermals einen Bergrücken hinauf.

So ging es fort den ganzen Tag.

Wir ritten durch das sogenannte Kaldatal, mit Gletschern zu beiden Seiten, die ganz bis zu uns herniederreichten. Einmal stiegen wir daher im Schnee ab und vergnügten uns eine Weile mit einem lustigen Schneeballenkampf, was in seiner Art um diese Jahreszeit – wir hatten Anfang August! – ungefähr dasselbe war, wie wenn man zu Weihnachten frischgepflückte Erdbeeren ißt.

Das Wetter war in keiner Weise winterlich, sondern mild und schön.

Auf einen eigentlichen Weg kamen wir erst gegen 9 Uhr abends, also nach einem vierzehnstündigen Ritt.

Nun konnten wir wenigstens ohne Schwierigkeiten auch wieder im Galopp reiten, und schließlich fing es an, langsam bergab zu gehen, auf ein großes, mehrere Meilen breites Tal zu.

Zwischen 1 und 2 Uhr in der Nacht kamen wir endlich an die Furt des Weißen Flusses (Hvítá).

Hier sollten wir etwas erleben, was wir nicht so leicht vergessen werden:

Schon der erste Blick auf den reißenden, über unzählige Felsblöcke hinbrausenden Strom verursachte uns ein gewisses unbehagliches Gefühl. Selbst unser Führer hielt an und überlegte eine Weile. – Dann sagte er:

»Hier dürfen wir den Übergang nicht wagen. Überhaupt läßt sich das heute nacht schwer machen; der Fluß ist ungewöhnlich angeschwollen.«

Darauf schaute er wieder über die schäumenden Wassermassen bin. – Zuletzt, als ich ihn fragte, was wir nun tun sollten, antwortete er:

»Wir müssen weiter hinunterreiten und eine Stelle suchen, wo wir mit geringerer Gefahr hinüberkommen.« –

Ja, hier sah es in Wahrheit nicht verlockend aus; das konnten auch Friedrich und ich sehr wohl erkennen.

Wir ritten also ein gutes Stück den Fluß entlang.

Als wir wieder haltmachten, sprang Gudjón von seinem Pferd, nahm ihm den Sattel herunter und befestigte ihn gut auf dem andern Pferde, das stärker war und zugleich ausgeruhter. Dann forderte er uns auf, ruhig am Ufer zu warten, während er zunächst allein den Übergang versuchen wolle.

Der Fluß toste und schäumte.

Gudjón aber schwang sich in den Sattel und ritt ganz nah an den Rand des Ufers hin.

Friedrich wurde leichenblaß.

Gudjón trieb jetzt das Pferd an. Jedoch es tat keinen Schritt vorwärts, sondern es wehrte sich standhaft gegen seinen Reiter. Auch nicht durch scharfe Peitschenhiebe ließ es sich bewegen, in das reißende, eiskalte Gletscherwasser hineinzugehen.

Allein Gudjón gab nicht nach. Mit Hilfe der Peitsche und durch unermüdliches Zurufen brachte er es fertig, daß das kräftige Tier zuletzt doch, wenn auch höchst unwillig und schnaubend, in den tosenden, reißenden Fluß hineinschritt.

Friedrich und ich wandten kein Auge mehr von Roß und Reiter.

Auf einmal, noch nicht weitab von dem Ufer, schlug die schäumende Flut hoch am Pferde hinauf und riß es mit sich fort!

Entsetzt stieß Friedrich einen Schrei aus. Das Pferd war plötzlich in den Fluten verschwunden und von Gudjón ragte nur noch der Oberkörper aus dem Wasser hervor.

So trieb auch der Mann mit dem rasenden Strom dahin.

Wir waren starr vor Schrecken.

Fiel Gudjón vom Pferde herunter, so war er rettungslos verloren! – Zum Glück saß er jedoch noch immer im Sattel, und auf einmal tauchte auch das Pferd wieder aus den Fluten heraus und fand wieder Boden. Es kam aber nicht mehr vorwärts nach dem andern Ufer hin, und so entschloß sich Gudjón, umzukehren und wieder zu uns ans Land zu kommen. –

Wir ritten abermals ein Stück weiter am Fluß hinunter. Kein Wort wurde gesprochen. Gudjón schaute beständig forschend in die wilden Fluten.

Schließlich machte er einen neuen Versuch, überzusetzen.

Aber wiederum vergebens. Das Pferd konnte sich gegen die gewaltige Strömung nicht halten, es wurde auch hier mit fortgerissen. Auf dem Grund des Wassers vermochte es nicht Fuß zu fassen, denn er war entweder zu uneben oder zu tief.

Mit genauer Not kam Gudjón wieder zu uns zurück, vollständig durchnäßt.

Aber das machte ihm wenig aus. Wir ritten noch einmal weiter flußabwärts und spähten nach einem neuen Übergang.

Jetzt unternahm der unerschrockene Mann seinen Versuch an einer Stelle, wo der Fluß breiter und daher vermutlich weniger tief war.

Diesmal schien es besser zu gelingen.

Mit Mühe erreichte das Pferd die Mitte des Flusses.

Kräftig und sicher schwamm es quer gegen die wilde Strömung.

Dann aber wurde es, gerade wie vorher, wieder von den Wassermassen fortgerissen!

Es gab ein angestrengtes Ringen.

Aber Reiter und Pferd kämpften sich tapfer voran.

Das Pferd wandte sich bald hierhin, bald dorthin. Plötzlich stemmte es sich quer gegen den Strom, seine starke Brust zerteilte die schäumenden Wellen, die sich ihm unaufhörlich entgegenstürzten.

Endlich hatte es den Sieg errungen!

Es kam glücklich an das jenseitige Ufer, indem es zuletzt wie ein richtiger Turner den Seitengang anwandte. –

Drüben durfte das wackere Tier sich aber nicht lange ausruhen. Sein Reiter klatschte ihm zum Lohn ein paarmal auf die nasse Haut, das war alles. Dann trieb er es wieder in das eisige Wasser hinein, um auf dem gleichen Wege zu uns zurückzukehren.

 

Jetzt begannen die Vorbereitungen zu unserem eigenen Übergang:

Wir sahen sorgfältig die Sättel und das Gepäck nach und schnallten sie fester. Dann wurde die Überquerung des Flusses besprochen. Wir kamen überein, daß Gudjón den kleinen Friedrich vor sich auf sein gutes Pferd nehmen und zunächst ihn allein hinüberbringen sollte. War der Knabe in Sicherheit, dann sollte Gudjón zurückkommen und wir beide mit der ganzen Pferdekarawane übersetzen.

.

Ich hob also Friedrich zu Gudjón auf sein Pferd empor. Gudjón nahm ihn entgegen und setzte ihn vor sich auf den Sattel. Seinen linken Arm legte er so um den Knaben, daß er unmöglich herunterfallen konnte. Die Zügel hielt er ebenfalls mit der linken Hand, die Peitsche faßte er mit der rechten.

Nachdem in dieser Weise alles vorbereitet war, fragte ich Gudjón:

»Sind Sie jetzt sicher, daß es gut geht?«

»Ja, ich bin ganz sicher: Sie können unbesorgt sein.«

»Aber wenn das Pferd jetzt wieder unter dem Wasser verschwindet wie vorhin, was dann?«

»Dann kommt es wieder herauf«, antwortete der Mann mit der größten Gelassenheit. »Es ist nicht das erste Mal, daß so was geschieht.«

»Aber können Sie nicht selbst herunterfallen, wenn das Pferd stolpert oder in ein Loch gerät?«

»Nein«, erwiderte Gudjón und lachte laut, »das ist mir noch nie passiert. Ich sitze hier so sicher wie auf einem Stuhl.«

»Sie stehen also für alles ein?«

»Ja, das sind nur Kleinigkeiten. Sie kennen das noch zu wenig. Der Fluß ist allerdings jetzt in der Nacht etwas angeschwollen, aber an dieser Stelle kommt jedes Pferd hinüber.«

Friedrich sagte nichts, er schien vollauf zufrieden zu sein. Er hatte offenbar großes Vertrauen, denn er fühlte, daß er bei einem starken Manne saß.

Das Pferd ging nun langsam, aber mutig mit seinen zwei Reitern ins Wasser hinein. Die doppelte Bürde auf seinem Rücken hatte den Vorteil, daß es selber durch die Schwere kräftiger und sicherer wurde, dem brausenden Strom zu widerstehen.

Anfangs wurde es auch diesmal ein gutes Stück den Fluß hinunter mitgerissen; in der Mitte aber wandte es sich wieder quer gegen die Strömung, teilte sie mit der gleichen Kraft und gelangte ruhig und sicher, zuletzt in dem bewährten Seitengang, hinüber an das andere Ufer.

Ich atmete erleichtert auf, denn ganz ohne Sorge war ich wegen Friedrich nicht gewesen. –

Friedrich wurde an Land sogleich von Gudjón aus dem Sattel gehoben und sprang frisch und munter zu Boden. Gudjón selbst kam unverzüglich wieder zu mir herüber.

In der rücksichtsvollsten Weise bot er nun sein eigenes, kräftiges Pferd mir an, weil es sicherer war als das meinige. Ich dankte ihm von Herzen und ließ überhaupt alles geschehen, wie er es für gut fand, denn ich erkannte immer mehr, welch ein tüchtiger Führer er war.

Wir wechselten also die Pferde und richteten die Sättel danach ein. Dann banden wir die übrigen Pferde der Reihe nach aneinander, immer eines an den Schwanz des vorderen.

Gudjón übernahm die Führung an der Spitze der kleinen Karawane, ich sollte den Nachtrab leiten. –

Der Zug setzte sich in Bewegung, langsam in den Fluß hinein.

Ich richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf die Pferde vor mir und auf die reißenden Fluten.

Zuerst wurden auch wir ein gutes Stück mit dem Strome abwärts getrieben, sogar noch weiter, als es die beiden Male vorher geschehen war.

Dieses Forttreiben der ganzen Pferdekette muß sehr gefährlich ausgesehen haben, denn ich konnte zwischenhinein beobachten, wie Friedrich auf der andern Seite des Flusses in Angst und Verzweiflung uns Zeichen mit den Händen gab.

In der Mitte des Wassers jedoch wandten sich die Pferde nun ebenfalls quer gegen den brausenden Strom, alle in Reih und Glied hintereinander. Ohne die geringste Unordnung und zum Schluß im gewöhnlichen, langsamen Seitengang gelangten die tapferen Tiere jenseits an das trockene Land.

Voll Freude kam jetzt Friedrich auf uns zu und erzählte uns wie bange er um uns gewesen sei.

Doch nun war ja alles überstanden, – das heißt, wir hatten den ersten Arm des Flusses überquert.

Außer ihm waren es aber noch zwölf!

Überstanden war das Gefühl einer gewissen ersten Furcht vor der Wildheit und Gefährlichkeit des reißenden, eiskalten Stromes. Jetzt nach diesem wohlgelungenen Übergang hatten wir eine große Sicherheit gewonnen und vertrauten auf die unvergleichliche Tüchtigkeit unserer ausgezeichneten Reittiere.

Ein Pferd ertrinkt nie bei einer solchen Unternehmung, und versteht es der Reiter, sich fest an sein Tier zu klammern, wenn es strauchelt, so wird mit Sicherheit das Land erreicht.

Die Gefahr ist deshalb nicht so groß, wie sie aussieht. Wer darin umkommt, ist entweder betrunken, oder es sind Leute, die sich in größere Tiefen hinauswagen, wo die Pferde gezwungen sind, mit dem Reiter auf dem Rücken zu schwimmen. –

Die übrigen zwölf Flußarme machten uns also keine besondere Sorge mehr. Sie mußten zwar ähnlich überschritten werden wie der erste, aber das Ganze erschien uns jetzt kaum noch gefährlich.

Bei jedem dieser folgenden Übergänge ritt ich nahe an der Seite Friedrichs und hielt ihn an einem Arm fest. Man wird nämlich in einem so reißenden Strom leicht schwindelig, weil alles ringsumher sich bewegt.

Jedoch Friedrich machte sich wenig mehr daraus.

Nach einer guten Stunde hatten wir sämtliche zwölf Flußarme ohne Unfall überschritten.

Am Ende, da es geschafft war und wir noch einmal zurückblickten, stellte ich mir vor, welch ein großartiges Bild dieses mächtige Tal wohl im Frühling darbieten müsse, wenn das Wasser zu einem einzigen ungeheuren Strom anschwillt, der das ganze breite Bett des Flusses füllt und Berge von Eis mit sich hinabtreibt!

 

Nach einer kurzen Ruhepause setzten wir dann unsere Reise zusammen mit Gudjón fort.

Die letzte Strecke nach Kalmanstunga, die wir jetzt noch vor uns hatten, führte durch eine Sandwüste ohne irgendwelchen Weg.

Das wäre an sich nicht schlimm gewesen, denn wir waren seit unserem Ritt durch das Innere Islands bereits an allerlei Unwegsamkeiten gewohnt. Unangenehmer war es, daß unser Führer nicht mehr bestimmt wußte, wo der Hof Kalmanstunga lag.

Irgendwo vor uns mußte er wohl liegen; aber wo?

Jedenfalls stieg in uns der Gedanke auf, daß wir vielleicht den ganzen Rest der Nacht nach dem Hofe suchen müßten.

Dieser Gedanke war nicht sonderlich geeignet, uns in eine fröhliche Stimmung zu versetzen.

Um so glücklicher fühlten wir uns deshalb, als wir endlich gegen 3 Uhr morgens zu einem großen, anmutigen »Tún« gelangten, das heißt zu einer freundlichen grünen Hofflur.

Kalmanstunga lag gerade vor uns!

Wir gingen sofort zum Dache hinauf und riefen kräftig das landesübliche »Hier sei Gott!« das bald von drinnen beantwortet wurde.

Die Leute kamen heraus, und wir fanden die liebenswürdigste Aufnahme wie überall auf jedem Hof.

Unser Geleitsmann Gudjón, dem wir für immer dankbar bleiben, ruhte am folgenden Tag einige Stunden mit uns auf Kalmanstunga aus und kehrte dann allein mit seinen guten, tüchtigen Pferden wieder heim.


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