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»Oh, ich verlassenes Weib!« seufzte Arina. Sie blieb stehen und sah ihren Sohn zornig an. David machte sofort kehrt, schob seinen dicken Fuß in dem riesigen, schmutzigen Bastschuh über die Schwelle und verschwand in der entgegengesetzten Tür.
»Was werde ich mit ihm anfangen, Väterchen?« fuhr Arina zum Herrn gewandt fort; »du siehst ja, wie er ist! Er ist nicht schlecht, er trinkt nicht und ist ein gutmütiger Mensch, der niemand was zuleide tut, es wäre Sünde, ihm etwas nachzusagen. Nein, es ist nichts Böses an ihm, aber weiß Gott, was mit ihm passiert ist, daß er so geworden ist. Er ist ja selber unzufrieden mit sich. Glaub' mir, Väterchen, das Herz blutet mir, wenn ich mit ansehe, wie er sich quält. Mag er sein, wie er will, ich hab' ihn doch unter meinem Herzen getragen, ich hab' Mitleid mit ihm, großes Mitleid! Er ist ja nicht widerspenstig gegen mich oder den Vater oder die Obrigkeit, er ist ein ängstlicher Bursche, fast wie ein kleines Kind. Wie soll er als Witwer leben? Hilf uns doch, Wohltäter!« wiederholte sie mit dem sichtlichen Bestreben, den schlechten Eindruck zu verwischen, den ihr Schelten auf den Herrn gemacht haben konnte. »Väterchen Durchlaucht,« fuhr sie in zutraulichem Flüstertone fort, »was hab' ich nicht schon alles versucht! Mir steht der Verstand still, wodurch er so geworden ist. Es kann nicht anders sein: böse Menschen haben ihn behext.«
Sie schwieg eine Weile. »Wenn man den Betreffenden finden würde, könnte man ihn gesund machen.«
»Was du für einen Unsinn sprichst, Arina! Wie kann man jemand behexen?«
»Ach, du mein Vater, sie behexen einen so, daß er sein Lebtag kein rechter Mensch mehr wird! Gibt's denn nicht genug böse Leute auf der Welt? Es nimmt zum Beispiel einer aus Bosheit eine Handvoll Erde aus deinem Fußstapfen – oder sonst was – und du bist für alle Zeiten kein Mensch mehr! Wie leicht ist eine Sünde vollbracht! Ich denke mir manchmal, ob ich nicht zum alten Dunduk sollte, der in Worobjowka wohnt; der kennt mancherlei Sprüche, mancherlei Kräuter, heilt alle Gebrechen, – vielleicht kann er helfen, vielleicht kann er ihn gesund machen!« sprach das Weib.
Der junge Gutsherr ließ den Kopf traurig hängen und ging mit großen Schritten die Straße hinab. »Armut und Unwissenheit, das ist's!« dachte er. »Was soll ich anfangen? Ihn in dieser Lage lassen ist unmöglich, um meinetwillen, um des schlechten Beispiels und um seiner selbst willen, – unmöglich!« sprach er zu sich selbst, die drei Gründe an den Fingern herzählend. »Ich kann ihn in dieser Lage nicht lassen, wie aber ihn daraus befreien? Er vereitelt meine schönsten Pläne für die Wirtschaft! Solange die Bauern so sind, werden meine Träume nie in Erfüllung gehen!« dachte er voll Ärger über den Bauern, der seine Pläne störte. »Soll ich ihn zur Ansiedelung verschicken, wie Jakob empfiehlt, oder unter die Soldaten stecken, wenn ihm an seinem eigenen Wohl nichts liegt? Wirklich, wenigstens befreie ich mich von ihm und tausche einen tüchtigen Bauern ein!«
Er dachte mit Vergnügen daran, aber ein unklares Etwas in ihm flüsterte ihm zu, daß er nur einseitig, nur mit dem Verstande urteile, und daß das nicht richtig sei. Er blieb stehen. »Halt! woran denke ich?« fragte er sich; »ja so, unter die Soldaten oder zur Ansiedelung. Wofür? Er ist ein guter Mensch, besser als viele andere, wie kann ich wissen – – Oder ihn freilassen?« (Jetzt suchte er die Frage nicht mehr nur mit dem Verstande zu lösen.) »Das wäre ungerecht, sogar unmöglich!« Plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihn sehr froh machte; er lächelte wie ein Mensch, dem die Lösung einer schweren Aufgabe gelungen ist. »Ich nehme ihn zu mir auf den Gutshof!« sagte er sich; »ich will selbst auf ihn sehen, will ihn durch liebevolle Behandlung, durch Ermahnungen, durch sorgfältige Auswahl der Beschäftigung an die Arbeit gewöhnen und bessern.«