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Vater wurde immer wohlhäbiger, lebte aber nicht auf größerem Fuß, sondern stellte womöglich seine Wirtschaftsführung noch knapper ein. Er hatte einen höheren Genuß darin gefunden, Reichtümer anzuhäufen, als gesellschaftliche Veranstaltungen mitzumachen. Erfinderisch war er nur im Bau von Luftschlössern; aber seine Planungen waren kerniger als die gewöhnlichen Gehirnblähungen der Wachträumer. Nicht das Blendwerk zauberhaften Märchenglücks fand eine Stätte in seinem Herzen: nur Barren, Geld, Ländereien, Häuser, Pachtungen waren seine Gedankenspiele.
Er wurde ein gewaltiger Rechenkünstler dank einer Zahlentafel, die er ständig bei sich trug. Den Geldwert all seiner Verwandten und derer seiner Frau knobelte er nach Alter und Gesundheitszustand bis auf einen Bruchteil aus. Um die Bargeltung ihres Lebens zu veranschlagen, zog er sogar die Sterbeliste einer Versicherungsgesellschaft bei. Außerdem setzte er alle Möglichkeiten angeerbter oder sonstiger Leiden ein, vergaß freilich stets die eigne Gicht. Demgemäß beschloß er, sich mit seinen reichen Verwandten aufs beste zu stellen und sich die Armen drei Schritt vom Leibe zu halten. Da er selber nichts zu borgen brauchte, stieg seine Abneigung dagegen bis zum Widerwillen. Alle Unterhaltungen mit solchen, die er im Verdacht der Bedürftigkeit hatte, waren gespickt mit Weisheitssprüchen vorsichtiger, knausriger Leute. Mißtrauen, Abscheu, wie er sie bei den leisesten Anspielungen auf Darlehen ohne Sicherheit und Zinsen äußerte, schreckten die Unverschämtesten, Verwegensten ab; lieber blieben sie in ihrer Klemme, bettelten, raubten, verhungerten, als daß sie sich an ihn wandten. Bevor er reich wurde, war er hierin weniger hart gewesen.
Nie setzten wir uns zu Tisch, ohne daß eine Vorlesung über Sparsamkeit stattfand. Natürlich wurde ich, eingezwängt von allen Seiten, schon aus Widerborstigkeit unbildsam, freigebig, großzügig. Ich wurde recht eigentlich angestachelt, seine Knickrigkeit gegen mich und andere zu überlisten. Ich wurde über mehreren Vergehen ertappt, die wenig Achtung vor fremdem Eigentum bekundeten: der gewöhnliche Fehler derer, die keins haben. Die Fressalien schmolzen auf der Anrichte, in der Speisekammer zusammen; Wein, Süßigkeiten, Obst, die mich als verpönt besonders reizten, verkrümelten sich wunderbar. Aber endlich überführte man mich einer Sünde, die so abgründig, beispiellos erschien, daß sie niemals vergeben noch vergessen wurde. Vater verfluchte sein Los, einen so entarteten Sohn zu haben; damit ich nicht andere mit meinem Beispiele anstecke und ihn nachgerade an den Bettelstab bringe, beschloß er spornstreichs, sich meiner zu entledigen.
Worin meine Schuld bestand? Ich hatte eine ganze Taubenpastete, die Schüssel einbegriffen, aus dem Tempelschrein geholt und einem Bettelweib geschenkt. Vielleicht wäre der Frevel nie entdeckt worden, hätte sich nicht die übergewissenhafte Altsche mit der leeren Platte wiedereingefunden. Ich war außer mir über ihre Ehrlichkeit und konnte hinfort die alten Weiber nicht verknusen. Das arme Geschöpf wurde vorgeladen. Vater drohte mit Fußblöcken, mit dem Zuchthaus, mit einer Anklage wegen peinlichen Verbrechens, mit Strafverschickung. Sie verpetzte mich nicht. Er hätte ihr auch kaum die Wahrheit entlockt, wäre ich nicht vorgetreten, um alles zu gestehen. Nie werde ich seinen Grimm vergessen. Er schalt mich einen ausgekochten Dieb und ließ einen Teil seiner Raserei in Fausthieben und Fußtritten aus. Ich stellte mich fest hin wie einst gegen meinen Lehrer: ich hatte dulden gelernt, meine Haut war hürnen von Schlägen geworden. Ich weinte nicht, noch bat ich um Gnade. Als Hände und Füße müde waren, herrschte er: »Aus meinen Augen, Lump!« Ich rührte kein Glied, sondern starrte ihn finster, furchtlos an.
In meinem Wesen hat beileibe nicht etwas besonders Verruchtes gelegen, was diese Überstrenge gerechtfertigt hätte; meine Geschwister standen unter der nämlichen eisernen Zuchtrute. Einziger Unterschied war, daß ich mich nicht davon beherrschen ließ; deshalb ging's mit mir nicht. Hier nur ein Beispiel seiner grausamen Härte, das sich mehrere Jahre später in London zutrug: Er behielt sich in seinem Hause ein Gemach für allerlei vor, das er besonders schätzte: Eingemachtes aus dem Ausland, feine Weine, andre herzstärkende Sachen. Dies Allerheiligste lag im Erdgeschoß unter einem Oberlichtfenster. Einmal vertrieben sich die Nachbarn die Zeit mit Ballspielen. Ein Ball blieb an dem Bleidach des geweihten Raumes hängen. Zwei meiner Schwestern, die eine vierzehn, die andre sechzehn, beide jedoch dem Aussehen nach eher Frauen, rannten von dem Hinterfenster des Wohnzimmers weg, nach dem Ausreißer zu suchen. Die jüngere glitt auf dem Blei aus und stürzte durch die Luke auf die Flaschen und Kruken unten auf dem Tisch. Sie wurde schrecklich zugerichtet: Hände, Beine, Gesicht zerschnitten, so daß sie immer noch die Narben trägt. Die ältre schlug Lärm. Mutter wurde gerufen. Sie eilte nach der Tür. Das Kind schrie ihr zu, sie möge um Gotteswillen öffnen: sie verblute sich.
Sie jammerte weiter, während Mutter sich mühte, sie zu trösten. Das Schloß aufzubrechen, wagte sie freilich nicht. Vater hatte ja wie Ritter Blaubart streng verboten, seine Geheimkammer zu betreten; was schlimmer war: er hatte den Schlüssel! Andre wurden versucht, – keiner paßte. Wäre ich dabei gewesen, ich hätte mit dem Fuß gedietricht! Ist es zu glauben, daß meine Schwester in dieser verzweifelten Lage die Heimkehr des Vaters aus dem Unterhause abwarten mußte, dessen Mitglied er war? Was für ein ehrfurchtgebietender Gesetzgeber! Als er endlich da war, unterrichtete ihn Mutter und suchte das Gewitter zu beschwören, das auf seiner Stirn heraufzog. Er beachtete sie nicht, sondern schritt dem Tatort zu, wo die arme Sünderin, eingeschüchtert durch sein Donnern, ihr Schluchzen unterdrückte. Er sperrte auf, fand sie bibbernd, weinend, kaum fähig zu stehen. Wortlos prügelte er sie hinaus und goß verdrießlich die Neigen aus den zerbrochnen Flaschen um.