Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kriegsgefangen.

Trauer herrschte im Kattenvolke. Die Verluste an Menschenleben waren groß und alles Land von der Lahn bis zu den Bergen verwüstet. Die Häuser waren niedergebrannt, die Saaten niedergetreten, viel Vieh dem Feinde zur Beute gefallen.

Auch das Heim Ingomars, des Fürsten, hatte man fast gänzlich zerstört gefunden.

Aus ihren Schlupfwinkeln in den Wäldern waren Weiber, Kinder und Greise aufgetaucht und sahen mit Betrübnis ihre Heimstätten von der Wut des Feindes vernichtet.

Aber die Volksgebieter und die Freien öffneten die geheimen Stätten, in denen die Feldfrucht für den Notfall aufgespeichert lag, und verteilten sie an die Bedürftigen.

Ingomar hatte seinen Erstgeborenen nach der Heimat führen lassen und erfuhr den Trost, daß dessen Wunde heilte.

Tieferschüttert war die heimkehrende Fürstin von dem Tode ihres Lieblings; ihre Tränen flossen und nichts vermochte sie zu trösten. Sehr betrübt war auch der mit ihr heimkehrende junge Grieche; er trauerte aufrichtig um den Jüngling, dem er mit herzlicher Freundschaft zugetan war. Der ganze Lahngau teilte den Schmerz der Eltern, denn Isko hatte sich tief in das Herz der Katten eingeschrieben.

Die Totenopfer wurden den Gefallenen gebracht und die Frauen weinten um Baldurs Liebling, der so früh zum ewigen Vater aufgestiegen war. Schmerzlich empfand es der Vater, daß seines Isko sterblicher Teil nicht nach Germanengebrauch zur Ruhe bestattet werden konnte, denn auch die Lahn war vergeblich nach seinen Resten durchforscht worden wie der Wald.

Langsam begann dann die alte Ordnung im Gau zurückzukehren und viel gab es der Arbeit für alle.

Da traf eines Tages bei Ingomar ein Gaugenosse ein, den man für tot gehalten hatte: Maldaro, der Sohn Meros, der tapfer an der Lahn gefochten hatte.

Als er vor dem Fürsten stand, sagte er: »Du wirst um deinen Liebling trauern, Fürst, und du hast auch Ursache dazu.«

»Was willst du? Warum sprichst du von dem Toten?«

»Er ist nicht tot, Fürst.«

Ingomar und Athemar sprangen empor.

»Ich sah ihn in Moguntiacum, der Stadt; er war gefangen wie ich –«

»Und – und –?«

»Ach, Herr – während wir anderen eingesperrt wurden, um dem Kaiser zum Triumph nach Rom zu folgen, wurde der Jüngling – als Sklave verkauft –«

»Mein Isko?!« Es klang wie ein herber Wehschrei.

»Ja, er, Herr – o wäre er lieber von der Walküre zum ewigen Vater getragen worden!«

»Sprich – was weißt du mehr?«

»Ach, nichts, Herr. Wir Gefangenen waren eingeschlossen und verstanden nicht die Sprache der Römer; nur durch Legionäre deutscher Zunge erfuhren wir, daß alle jungen Leute von uns als Sklaven verkauft worden seien. Das ist alles. Babilo und mir gelang es, die Wächter zu täuschen und zu entfliehen. Babilo ist im Rhein ertrunken. Mich beschützten die Götter; ich erreichte das Ufer und schlich mich durch die Wälder ins Kattenland.«

»Gefangen? Als Sklave verkauft –? Ja, Meros Sohn, du hast recht – an Heervaters Seite, als Einherier erblühte ihm ein schöneres Los, und er würde mich empfangen, wenn die Walküre mich einst hinaufträgt zur lichten Walhall! – Laß dir Speise geben, Maldaro; du bist willkommen als Gast. Rasch, Athemar, dies muß die Mutter wissen.«

Beide begaben sich zur Fürstin. Bei ihr fanden sie auch Diomedes, mit dem sie gern von ihrem Liebling redete.

Die Kunde, die der Fürst brachte, rief eine gewaltige Wirkung hervor.

Bleich und zitternd vor tiefinnerer Erregung stand die Mutter da. Sie hörte nur eines: Ihr Liebling lebte – lebte!

»O Ingomar, Herzgeliebter, welch glückliche Botschaft!« rief sie aus. »Wie dankbar bin ich den Göttern! Du wirst ihn lösen mit rotem Gold, Ingomar – die Römer nehmen es gern und ich werde den Liebling wiedersehen.«

Traurig erwiderte der Fürst: »Er ist verkauft als Sklave, Berchta, so berichtet Maldaro.«

»O, auch Sklavenfesseln löst man mit rotem Golde.«

»Ach,« sagte seufzend der Fürst, »das Römerreich ist groß; wo suche ich mein Kind?«

»Und wir stehen in Feindschaft mit den Römern.«

»Laß mich nach Moguntiacum gehen, Herr, um zu erkunden, was aus Isko geworden ist,« bat der junge Grieche, der gleichfalls mit großer Freude vernommen hatte, daß der Liebling des Hauses noch im Lichte weilte.

»Droht dir nicht selbst dort Gefahr?«

»Mag es sein; ich werde ihr zu entgehen suchen. In dem wilden Kriegstreiben wird man mich, den Gelehrten, wenig beachten. Laß mich gehen; mein Herz bangt um Isko.«

»O, wie gut du bist, Diomed,« sagte die Fürstin. »Laß ihn ziehen, Ingomar; du hörst es, wie er Isko liebt.«

»Nun, Griechenjüngling, so sei es; in der Götter Namen, geh und forsche nach Ingomars Sohn! Du bist klug, kennst Römerbrauch und Römerstädte. Nimm ein Pferd, nimm Geld, und kehre zurück mit guter Botschaft!«

Noch am Abend ritt Diomedes den Rheinbergen zu, eine Mutter, die um den Liebling geweint hatte, in glückseliger Stimmung zurücklassend. Ihr Isko lebte; er würde zurückkehren an ihr Mutterherz.

Die Aufgabe, zu der Diomedes sich aus Liebe zu dem Sohne Ingomars gedrängt hatte, war durchaus nicht ungefährlich, denn der tödliche Zorn des Kaisers schwebte über dem ganzen Hause des Legaten Saturninus und all seinen Anhängern und Hörigen, zu denen auch Diomedes gehört hatte.

Der junge Grieche gelangte glücklich nach dem festen Moguntiacum. Die Wachen, denen er begegnete, achteten des jungen unbewaffneten Menschen im Gelehrtenkleide nicht.

Er kannte die Stadt und stieg in einer Herberge ab, in der er nicht der Gefahr ausgesetzt war, Bekannte zu treffen.

Noch wimmelte es hier von Truppen, denn es waren noch keine Befehle eingetroffen, wohin die zum Kampfe gegen die Katten herbeigezogenen Legionen marschieren sollten. Die Krieger des Saturninus aber und alle unter ihm dienenden Beamten waren längst entfernt und unter die asiatischen Legionen verteilt worden.

Dem am Oberrhein jeweils gebietenden Legaten war ein Haus in der Nähe des Forums zugewiesen; auch Antonius Saturninus hatte dort gewohnt und mit ihm Diomed. Wahrscheinlich hauste dort jetzt auch der neuernannte Legat.

Diomed entsann sich der alten Hausmeisterin Sempronia, die seit vielen Jahren dort den Dienst versah und zum Hause zu gehören schien. Die Frau war redlich und gutmütig; er glaubte daher, es wagen zu dürfen, sie aufzusuchen – vorausgesetzt, daß sie überhaupt noch dort weilte.

Als es dunkel wurde, schlich er nach dem Forum. Offiziere gingen im Palatium ein und aus und Wachen standen herum. Der neue Legat Trajan aber war nicht anwesend; er lag krank in Argentoratum.

Diomed umschritt das Haus, bis er zu einer kleinen Pforte kam, in deren Nähe Frau Sempronia früher ihre Wohnung hatte.

Als ein Sklave heraustrat, fragte er ihn nach der Hausmeisterin und zu seiner Freude erfuhr er, daß die Alte in ihrer Zelle sei.

Er trat in das Haus und rief: »Mutter Sempronia!«

Der Vorhang wurde zurückgeschlagen und Diomed sah die kleine, dicke Frau im Schein einer Lampe vor sich.

Er trat ein und grüßte sie.

»Kennt Mutter Sempronia den Diomedes noch?«

Die Alte erschrak. »Bei den Göttern, das ist der junge Grieche. O Jüngling, was willst du hier? Man wird dich töten wie die anderen. Kehre eilig um!«

»Die gute Mutter Sempronia wird mich nicht verraten; auch glaube ich nicht, daß mir Gefahr droht. Ich komme nach langer Abwesenheit zurück.«

»Der Kaiser hat alles töten oder verkaufen lassen,« sagte sie leise, »was zum Hause des Antonius Saturninus gehörte. Laß dich nicht sehen, Diomed; sie ergreifen dich sonst auch. O, wie haben sie nach Sentius Saturninus, dem Erstgeborenen des Legaten, gesucht – mögen ihn die Götter schützen! Geh gleich fort, kleiner Grieche; sie töten dich.«

»Es werden, denke ich, nur noch wenig Leute hier sein, die sich des Griechen entsinnen.«

»Da sprichst du wahr,« sagte sie ruhiger. »Hier im Hause bin ich die einzige. Aber was willst du hier? Was treibt dich, die Gefahr aufzusuchen? Bist du den Barbaren entflohen? Ich wundere mich, daß sie dich am Leben gelassen haben.«

»Sie sind nicht so schlimm, wie du denkst, Mutter.«

»Aber was willst du hier, Diomed?«

»Ich komme im Namen einer Mutter, die ihren Sohn sucht, Sempronia.«

»Was meinst du?«

»Sieh, der Kattenfürst, dessen Gast ich war, erwies sich sehr gütig gegen mich. Nun wurde sein Jüngster, mein Schüler, fast ein Knabe noch, gefangen fortgeschleppt und es kam die Botschaft, er sei hier als Sklave verkauft worden. Da will ich ausfindig machen, wo der Jüngling weilt, damit der Vater ihn mit viel Geld lösen kann. Denn die Mutter weint um ihren Liebling. Kannst du mir mit deinem Rat beistehen, Mutter Sempronia, so tue es. Du hörst und siehst manches hier; hilf die Tränen einer Mutter trocknen.«

»Hm,« sagte die Alte, der es nicht an Gutmütigkeit fehlte, »es sind junge Germanen hier verkauft worden. Ich habe es vom Quästor Lepidus gehört, der sie versteigern ließ und vor meinen Ohren sagte, er habe mit den jungen Kattenwölfen ein gutes Geschäft gemacht.«

Das war ein Fingerzeig, den man weiter verfolgen mußte.

»Und welcher Legion gehört der Quästor an?«

»Ja, hm, es sind gar viel Kriegsleute hier gewesen und noch hier. Doch jetzt weiß ich's, der achtzehnten; er wohnt in den Castra, wenn du ihn sprechen willst. Aber sei sehr vorsichtig – und nenne ja nicht den Namen Saturninus; es könnte dir Unheil bringen.«

Diomed verabschiedete sich von der Alten mit herzlichem Dank. »Ich wußte ja, daß Mutter Sempronia mir helfen würde.«

Diomed beschloß, den Quästor der achtzehnten Legion, die nur für den Krieg an den Oberrhein gezogen worden war, aufzusuchen, und begab sich nach den Castra.

Er fand auch den Beamten in seiner Wohnung. Diomed stellte sich ihm einfach als Geheimschreiber des Legaten vor, was auf den Quästor, der natürlich an Trajan, den jetzigen Machthaber am Oberrhein, dachte, einen großen Eindruck machte. Das Äußere und die Haltung des jungen Griechen ließen auch keinen Zweifel in seine Worte setzen.

Als dann Diomed äußerte, er wolle ihm einige Fragen in Bezug auf die verkauften germanischen Kriegsgefangenen vorlegen, erschrak der Mann sichtlich, denn auch die Legionsquästoren sorgten oft für ihren Beutel.

Diomed beruhigte ihn aber gleich durch die Mitteilung, daß es sich um den Verbleib eines dieser Gefangenen, eines jungen kattischen Adeligen handle, für den reiches Lösegeld geboten werde; er schilderte ihm Isko und fragte, ob der Quästor eine Ahnung habe, wohin er gekommen sei.

»O, da meinst du sicher den Prachtburschen, schön wie Apoll, mit Gliedern eines jungen Herkules, einer Brust wie ein Schild, den die anderen alle mit großer Achtung behandelten! Ja, ja, er war ein Barbarenprinz – ich entsinne mich seiner wohl.«

Diomed zweifelte nicht, daß der Quästor von Isko sprach.

»An wen hast du ihn verkauft, Herr?«

»Ja, sieh, an einen riesenhaften, ungeschlachten Gesellen – er bot am meisten und bezahlte sofort – und ich wie die anderen hielten ihn für einen ehemaligen Gladiator, der jetzt als Sklavenhändler oder Lanista (Inhaber einer Fechterschule) sein Dasein fristet. Auch sein Geschwätz ließ darauf schließen. Er war auf den hübschen goldhaarigen Jungen ganz versessen.«

»Und wo stammte er her?«

»Sicher von jenseits der Alpen, denn seinesgleichen gedeihen hier oben nicht; sie erscheinen nur, um Sklaven zu kaufen. Ein römischer Mann war es sicher, und jenseits der Berge muß er zu Hause sein. Er bezahlte, ich gab ihm den Schein – und – mehr weiß ich nicht. Du darfst nicht vergessen, ich hatte zweiunddreißig Burschen zu versteigern.«

Das war eine spärliche Kunde.

Der Quästor ließ einen der ihm beigegebenen Soldaten holen, der bei der Auktion mitgewirkt hatte.

Der Mann entsann sich sehr wohl des jungen schönen Katten, der den höchsten Preis beim Verkauf erzielte.

Der Käufer, meinte er, sei sicher ein ehemaliger Kämpfer der Arena gewesen; er habe drei junge Leute gekauft und fortgeführt, zweifellos über die Alpen, wo allein solche Sklaven gehalten und preiswürdig bezahlt würden. War er aber ein Lanista, dann würde er seine Sklaven wohl für die Arena abrichten.

Das war alles, was Diomed erfahren konnte. Am liebsten hätte er sogleich den Weg eingeschlagen, der nach Süden führte, und in den Herbergen nach dem Käufer und Isko geforscht; doch konnte er das als zu verdächtig nicht wagen. Er stellte noch einige vorsichtige Nachforschungen, besonders nach einem Lanista, an, die gleichfalls ergebnislos waren, und machte sich dann schweren Herzens auf die Rückfahrt.

Er brachte keine gute Nachricht – Isko, der Sohn Ingomars, war untergetaucht in, Roms Riesenreich.

Kehren wir noch einmal auf das Schlachtfeld an der Lahn zurück.

Der junge Sohn Ingomars war bei dem letzten rasenden Angriff der Krieger auf die sich zurückziehende Kohorte, als dieser an der eisenfesten Haltung der Römer scheiterte, im Getümmel niedergesunken. Das hatten seine weichenden Gefährten gesehen. Unmöglich war es, trotz wiederholten Anstürmens, ihn herauszuhauen. Bei der hereinbrechenden Dunkelheit, dem Regen, der geschlossenen Haltung der Römer hatten sie nicht gewahrt, wie ein riesenhafter Legionär den Jüngling auf die Schulter hob und hinwegtrug.

»Laß die Toten liegen,« rief dem Soldaten ein Dekurio zu.

»Der ist nicht tot; ich habe ihn nur mit dem Speerschaft niedergeschlagen. Das ist mein Gefangener. Der Imperator hat vierhundert Sesterzien für jeden Gefangenen ausgesetzt; die will ich haben.«

Man ließ ihm seine Beute.

Isko war in der Tat nur betäubt und kam erst zum Bewußtsein, als der Römer ihn durch das Wasser schleppte. Mit Schaudern erkannte er, daß er sich in der Gewalt der Feinde befand.

Schon war er am jenseitigen Ufer, rauh fortgestoßen von seinem herkulischen Besieger, der ihn fest an seinem langen Haare hielt.

Flucht war unmöglich und mit Würde ergab sich der Jüngling in sein Schicksal.

Mit anderen Gefangenen, Männern und einigen seiner Altersgenossen, wurde er nach Moguntiacum geführt und hinter feste Mauern gebracht.

Er dachte an seine Eltern, und welchen Kummer ihnen sein Schicksal bereiten mußte.

Mit dreißig anderen jugendlichen Gefangenen wurde er dann einige Tage später auf dem Hofe der Quartiere der achtzehnten Legion ausgestellt, um öffentlich gegen Meistgebot als Sklave verkauft zu werden.

Mit keinem Laute hatte er bis jetzt verraten, daß er der Sprache Roms mächtig sei; seine Gedanken gingen auf Flucht und er wollte seine Feinde belauschen.

Sein Schicksal hatten sie vor seinen Ohren vorherverkündet. Der Kaiser hatte befohlen; unweigerlich mußte gehorcht werden.

Entsetzliches Los – das kattische Fürstenkind Sklave!

Aber einsehend, daß Widerstand oder Widerspruch vergeblich sei, fügte er sich mit eherner Ruhe in sein Los.

Es wurde auf ihn geboten, und endlich wurde er gegen dreitausend Sesterzien einem roh und tückisch aussehenden Menschen zugeschlagen, dessen Äußeres, der Stiernacken, die breite Brust, die Arme, auf eine ungewöhnliche Körperkraft schließen ließ. Der Mann zahlte und nahm seinen Sklaven, nachdem er ihm die Hände gebunden hatte, mit in seine Herberge. Isko folgte stumm.

Am nächsten Tage sah er sich gleich anderen gekauften Jünglingen auf dem Rücken eines Maultieres und auf dem Wege nach Süden.

Er zog über das gewaltige Gebirge, das Italien von Germanien trennt – die herrliche Straße entlang, die Cäsar Claudius über den Brenner angelegt hatte – und mit der strömenden Etsch in das Land der Römer.

Seiner Bande war er, seit man Deutschland verlassen hatte, entledigt worden, und man hatte ihn gut behandelt.

Auf dem weiten Wege verkaufte sein Herr, der den Namen Spurio führte, die Gefährten Iskos in den Städten, durch die sie kamen; nur er wurde gezwungen, seinem Eigentümer immer weiter zu folgen.

Schweigend fügte er sich in alles und verbarg sein tiefes Herzeleid.

Neu war dem Jüngling das gewaltige Gebirge, das er überschritten hatte, mit dem finsteren Felsenpaß, den die Etsch durchströmte, neu die lombardische Ebene mit ihren reichgesegneten Fluren. Andere Bäume sah er, andere Pflanzen und wolkenlos wölbte sich ein tiefblauer Himmel über der Flur. Neu waren ihm auch die kunstvollen Straßen und Brücken mit ihrem lebhaften Frachtverkehr, die ummauerten Städte mit den seltsamen Häusern und Tempeln, an die Moguntiacum nur erinnerte.

Aus all den verwirrenden Bildern der Umgebung stieg immer wieder das Bild der lieben Heimat auf und seine Gedanken eilten zu den Eltern. Sie hielten ihn gewiß für tot und brachten ihm die Totenopfer.

So oft er aber den Gedanken an Flucht faßte, immer verwarf er ihn wieder als unausführbar. Wie sollte er, der germanische Jüngling, fremd im Lande, unkundig der Wege, ohne Waffen, ohne rotes Gold, um die Herberge zu bezahlen, an die Germanengrenze kommen, ohne sich vielleicht einem schlimmeren Lose noch auszusetzen, als ihm zunächst drohte? Er mußte warten, bis der Tag kam, der die Sklavenfessel abstreifte.

So erreichten sie die Stadt Verona und machten dort Rast. Für den in den freien germanischen Gauen ausgewachsenen Jüngling war es ein wunderbarer Anblick und doch beängstigend durch das nahe Aneinanderwohnen der Menschen, den Lärm und das Gedränge in den Straßen.

Aus den Gesprächen, die auf der Reise sein Ohr umtönten, hatte er vernommen, daß sein Herr eine Fechterschule besaß, wo Jünglinge zum Kampf in der Arena ausgebildet wurden, und daß Spurio große Hoffnungen auf ihn baute.

Ein Gladiator sollte er werden, sich zur Schau ausstellen vor dem Pöbel Roms und dort morden oder gemordet werden? Diomedes hatte ihm von diesen rohen, blutigen Spielen oft erzählt und mit höchster Verachtung von ihnen, den Fechtern und dem ihnen zujauchzenden Pöbel gesprochen.

Und er, ein germanischer Fürstensohn, sollte in die Arena treten, als Schaustück für den Pöbel, ein gemieteter Waffenknecht?

Nein – lieber sterben!

Wiederum zogen sie durch fruchtbare Gelände, durch schattige Pinienhaine, über Flüsse und Ströme, bis nach der Stadt Ravenna am Meere, die sie von weither sahen.

Vor der Stadt hatte Spurio, sein Herr, ein umfangreiches Heim, das mit einer hohen Mauer umgeben war. Häuser mit flachen Dächern überragten es, und als Isko durch den Torweg ritt, war er erstaunt über den Raum, den die Mauer umfaßte. Wohl einige zwanzig junge Leute empfingen sie, die ehrerbietig Spurio begrüßten und neugierig Isko anstarrten.

»Nun, meine Lämmer, seid ihr fleißig gewesen?«

»Ja, Meister.«

»Ist es wahr, Glabrio?« wandte Spurio sich an einen hochgewachsenen, finster blickenden Mann.

»Es ging an, Herr; doch ganz hat die Peitsche nicht geruht.« Auch er starrte Isko neugierig an.

»Du bringst einen neuen Schüler, Herr?«

»Ja, und ich denke, du wirst den ersten Schwertfechter Roms aus ihm machen.«

»Wollen's versuchen! Sieht nicht übel aus, der Junge, aber diese Germanen sind alle tückisch.«

»Behandle ihn freundlich, Glabrio; er ist von stolzer Art und im Kampfe gefangen worden.«

Der Vogt murmelte etwas Unverständliches. Isko stieg ab und man brachte sein Maultier in einen Stall.

Glabrio winkte ihm zu folgen und führte ihn in einen luftigen Saal, in dem eine Anzahl Lagerstätten hergerichtet waren; eine davon wies er Isko zum Schlafen an.

»Verstehst du etwas von unserer Sprache?«

Isko sah ihn fragend an.

»Ganz roh – der Bursche – verwünscht seien alle Germanen, diese tückischen Gesellen!«

Gleich darauf wurden die jungen Leute in den Speisesaal zur Abendmahlzeit zusammengerufen. Auch Isko wurde ein Platz angewiesen, an einer langen grobgefügten Tafel, um die ebensolche Bänke standen.

Ein großer, noch junger, aber ungewöhnlich stark gebauter Mann, dessen nicht gerade schönes Gesicht einen gutmütigen, still ergebenen Ausdruck hatte, trat ein. Er trug auf einer Platte eine Anzahl hölzerner Schüsseln, die er vor die jungen Leute hinsetzte.

Er gewahrte Isko, nickte ihm freundlich zu und sagte: »Ich sorge für dich auch, Jüngling.«

»Schnell, Maultier,« schrie einer der Gesellen, die sämtlich starke Gliedmaßen und eine ausgebildete Muskulatur zeigten, »oder ich will dir die Füße in Gang bringen.«

»Ja, schnell – ich habe Hunger,« brüllte ein anderer und versetzte dem gutmütig aussehenden jungen Menschen einen Stoß.

Ohne eine Miene zu verziehen, nahm dieser alles hin und entfernte sich schweigend, um bald mit einer zweiten Tracht Schüsseln zu erscheinen, die er den jungen Fechtern vorsetzte.

Isko erkannte, daß er unter rohen Gesellen weilte, die wahrscheinlich Sklaven waren wie er selbst, aber von niedriger Herkunft.

Der mit »Maultier« angeredete Mensch setzte auch ihm eine Schüssel vor, die Mehlbrei und einige Eier enthielt; auch weißes Brot legte er ihm vor. »Der Herr segne es dir, Jüngling,« sagte er dazu.

Es war ungewohnte Kost für den an Fleisch gewöhnten Germanen, aber der Mehlbrei war mit Limonensaft versüßt und schmeckte nicht übel und die Eier wie das weiße Brot waren gut. Fleisch gab es im Hause Spurios für die Fechtschüler selten; deren Muskeln wurden in der Hauptsache mit Pflanzenkost gestärkt.

Isko sah sich am Tische um. Es waren meistens abstoßende Gesichter, die er erblickte; auch die Stimmen der durcheinanderschreienden Gesellschaft waren ihm zuwider. Am anständigsten und freundlichsten sah noch der Dienende aus, der sich still in eine Ecke gesetzt hatte und dort abseits sein Abendbrot verzehrte.

»Dem germanischen Schwein scheint's nicht zu schmecken, muß sich erst auf Fechterkost einrichten.«

»Die sind an Eicheln gewöhnt und laufen zu Hause auf allen vieren herum.«

Alle lachten.

»Ha, der Cäsar hat sie laufen gelehrt, die rothaarige Bande! In einer einzigen Schlacht wurden sie vernichtet, und zehntausend Gefangene hat er gemacht. Die Germanensklaven werden wohlfeil werden.«

Ohne eine Miene zu verziehen, lauschte Isko dem Geschwätz. Er war nicht einmal beleidigt; er fühlte sich zu hoch über dem Gesindel stehend.

»Die sind ja zu nichts zu brauchen,« äußerte ein anderer. »Faules Pack! Warum uns der Lanista diesen rothaarigen Jungen da gebracht hat, verstehe ich nicht. Der wird nie ein Fechter werden, der das Glück und die Ehre hat, vor dem Cäsar selbst in der Arena zu stehen; das ist eine Zierpuppe.«

Unerwartet erhob sich am anderen Ende des Tisches ein wüster Lärm; zwei dieser kräftigen Gesellen schlugen aufeinander unter Schimpfworten los. Alles sprang auf. Auch Isko erhob sich; nur das »Maultier« blieb ruhig sitzen.

Die anderen nahmen Partei; ein wilder Knäuel tobender und mit den Fäusten aufeinander losschlagender Männer bildete sich am anderen Ende des Tisches.

Da sprang der Vogt herein und schlug mit seiner schweren Peitsche rücksichtslos auf die sich prügelnde Bande los. Unter Wehgeheul und Flüchen trennten sich die Streitenden.

»Wollt ihr Frieden halten, ihr elenden Gesellen! Seid ihr Mitglieder der ersten Fechterschule der Welt? Ich will euch!«

Die Ruhe war plötzlich unter seiner Peitsche wiedergekehrt. Alle fürchteten die Körperkraft und Rücksichtslosigkeit des Mannes und noch mehr die des Besitzers dieser Fechterschule.

»Was gab's hier?«

»Ei,« stöhnte einer, dessen Arm und Nacken mehrere schwere Striemen von der Peitsche aufwiesen, »dieser freche Carus von Illyrien, nicht einmal ein Römer, sagt, er werde im Herbst zuerst in der Arena auftreten, und der Lanista hat es doch mir versprochen. Solch ein Lügner!«

»Schweigt, ihr Dummköpfe! Was der Meister bestimmt hat, geschieht; es kommt jeder zur rechten Zeit an die Reihe. Und du, Germane,« wandte er sich an Isko, obgleich er nicht annehmen konnte, daß dieser ihn verstand, »merke dir die Lektion, die jene empfangen haben.« Er hielt ihm die Peitsche entgegen.

Aus den Augen des Jünglings traf ihn ein Blick, der selbst diesen hartgesottenen Menschen beben machte. Er hatte schon einmal erprobt, was es hieß, einen freien Germanen zu schlagen und unter dessen zornigen: Angriff, trotz seiner Kraft, nur mit Mühe das Leben gerettet.

»Verwünschte Augen haben diese Wilden,« murmelte er ingrimmig. Als er sich dann wandte und sein Auge auf den sanften Menschen fiel, den die anderen als »Maultier« anredeten, machte er seiner üblen Laune durch einen Peitschenschlag Luft, der dieser: wuchtig traf.

»Warum stiftest du nicht Frieden, du Tölpel du?«

Iskos Augen funkelten bei dieser boshaften Handlung unheimlich auf, aber er bewahrte die äußere Ruhe. Ja, es war die Sklavenpeitsche, die er vor sich sah.

Ihr entrinnen oder sterben, war sein Gedanke. »O Mutter, es ist gut, daß du deines Lieblings Leid nicht sehen kannst!«

Die jungen Leute wurden jetzt aus dem Cönaculum in den Schlafsaal kommandiert und jeder suchte sein Lager auf.

So auch Isko das ihn: angewiesene. Er rief zu den Göttern, zu Allvater und Donar um Freiheit oder ruhmvollen Tod und schlief endlich ein.

Als er morgens erwachte, strahlte hell Italiens Sonne in den Schlafsaal.

Isko hatte von der Heimat geträumt und sah sich im Sonnenlichte in einem Gefängnis, denn mehr war die Fechterschule für ihn, den Sklaven, nicht.

Alle erhoben sich auf ein gegebenes Zeichen und wurden nun in das Bad geführt, dessen warme Fluten dem Jüngling wohltaten.

Man gab ihm neue Gewänder, eine blaue wollene Tunika mit einem Gürtel, kurze Beinkleider, die kaum bis zum Knie gingen, und lederne Sandalen mit biegsamer Sohle.

Doch fast wären Tränen in des Jünglings Augen getreten, als man ihm setzt das lange goldene Haar abschnitt, das er nach der Weise der Katten im Nacken zusammengebunden trug, und es nach Art der Römer zustutzte. Doch er bezwang sich männlich.

So war er nun in einen römischen Sklaven verwandelt. Er hatte bei sich beschlossen, alles mit ruhiger Gelassenheit zu ertragen, bis auf das Unwürdigste, das man ihm ansinnen könnte; dagegen wollte er sich bis zum letzten Hauche wehren.

Über die Umwandlung seines Äußeren tröstete er sich mit dem Gedanken, daß es ihm die Flucht im Römerlande erleichtern werde.

Man ging zum Frühstück. Milch und Weißbrot verzehrten die jungen Leute.

Dann kam Glabrio und es begannen die Übungen.

Innerhalb der Mauer, die das Ganze einfaßte, befand sich eine mit weichem Sand bedeckte Fläche in der elliptischen Form einer Arena, die von Balken umgeben war. Hier wurden die Übungen vorgenommen.

Glabrio ließ Isko anfänglich zuschauen, damit der »stumpfsinnige« Germane begreife, um was es sich hier handelte.

Langsamer Lauf, bestimmte Bewegung der Arme, Sitzübungen, Vor- und Rückwärtsbeugen des Körpers machten den Anfang.

Alle diese Übungen schienen darauf berechnet, jeden Muskel des Körpers in Tätigkeit zu setzen.

Nach einer kurzen Pause schickten sich die jungen Leute zum Weitsprung von einem vorgezeichneten Fleck an.

Sie sprangen alle nach Iskos Meinung gar nicht übel.

Dann forderte Glabrio ihn durch Gebärden auf, es nachzuahmen.

Isko nahm den kurzen gestatteten Anlauf und sprang. Einem Pfeile gleich sauste der schlanke Körper durch die Luft und stand dann fest auf den Füßen. Der durchmessene Raum war größer als der aller anderen. Springen lernte man in den deutschen Wäldern.

Spurio war erschienen und sah die Leistung mit Freude, Glabrio und die jungen Leute mit Staunen.

»Kenn' ich meine Leute?« rief Spurio triumphierend seinem Vogt zu. »Den hatte ich auf den ersten Blick weg; gib nur acht, aus dem machen wir etwas Großes. Und wie hübsch der Bursch aussieht, seit er seine Barbarentracht abgelegt hat!«

Noch einer hatte dem Sprung des Germanen mit Vergnügen zugesehen; das war der hünenhafte Medor, das Lasttier der Fechterschule, den die Schüler einfach »Maultier« nannten.

»Gut gemacht, Germane,« sagte Spurio zu Isko, »springen kannst du; das andere wird noch kommen.«

»Wenn er das Schwert führen lernt, ja.«

»Aber wir müssen dir einen Namen geben, denn die eurigen fügen sich schwer der römischen Zunge. Auch mußt du als Zögling meiner hohen Schule, der ersten in Romas Riesenreich, in die Rolle eingetragen werden. Es stehen gar berühmte Namen drin. Wir wollen dich Lucius nennen, denn du bist ein am Tage Geborener. Also hört: dieser euer Gefährte heißt Lucius.«

Es wurde dann noch Hochsprung geübt und Diskuswerfen.

Auch im Hochsprung siegte Isko, doch vom Diskus blieb er zurück; er sah wohl, daß er den erst handhaben lernen mußte.

Isko war froh, daß er seine Muskeln üben durfte, und nahm sich vor, sich den Übungen mit allem Eifer hinzugeben. Der Inhaber der Fechterschule, die sich in der Tat eines großen Rufes erfreute, war mit seiner jüngsten Erwerbung sehr zufrieden.

Am Nachmittag erschien ein älterer Mann, dessen Kleid an den Legionssoldaten erinnerte. Es war ein Germane vom Stamme der Sigambrer, der ein Menschenalter hindurch in Roms Legionen gedient und nun, nachdem er für den Felddienst untauglich geworden war, ein Stück Land in der Nähe Ravennas als Abfindung erhalten hatte.

Spurio benutzte den Veteranen öfters, um seinen germanischen Sklaven – er hatte deren nicht selten – einige Kenntnis des Lateinischen beizubringen; ein gleiches sollte er jetzt bei Isko versuchen.

Ursus hatten ihn seine Kameraden einst getauft und diesen Namen führte er heute noch.

Er redete Isko in germanischer Mundart an, doch dieser verstand ihn nur mit Mühe.

»Wo stammst du her? Wer ist dein Vater?« lautete seine Frage.

»Ich bin Isko, der Sohn des Kattenfürsten Ingomar an der Lahn.«

»Ja, sie sind alle Fürstensöhne,« brummte unwirsch der Veteran, »aber jeder Dekurio« – das war er selber nämlich gewesen – »ist zehnmal mehr als sie.«

Ursus war ganz Römer geworden; er sehnte sich nach Germaniens Wäldern nicht zurück.

»Du bist auf ehrenvoller Laufbahn, Bursche; die Gladiatoren sind von Roms Edlen und Bürgern sehr geschätzt.«

Er versprach nun täglich zu kommen, um Isko in Roms Sprache zu unterrichten.

Am Nachmittage fanden wieder Übungen statt. Die älteren Schüler fochten auch bereits mit Schwert und Schild, von einem behenden Lehrer unterwiesen, und Isko erkannte sofort, wie viel er noch zu lernen hatte, um es den Geschickteren gleichzutun.

Als sie beim Abendbrote saßen, sagte einer der älteren Fechtschüler spöttisch zu Medor, der wiederum bediente: »Komm, gutes Maultier, setz dich zu uns und erzähle uns etwas von deinem Gotte.«

Die anderen lachten.

Aber der sanfte Medor wollte den Hohn nicht merken, sondern setzte sich bescheiden zu den angehenden Zirkuskämpfern.

»Er hat nämlich seinen eigenen Gott und will von Vater Jupiter und selbst von dem neuesten der Götter, von Gott Domitian, nichts wissen.«

»Da bist du ja reif für den Liktor,« warf ein anderer ein, »wenn du die Götter leugnest.«

Mit einem fast verklärten Blicke sagte Medor: »Dann geschieht mir, dem Sünder, nur, was ihm, dem Reinen, geschah, und ich sterbe in seinem Dienste.«

»Man muss es mit ihm nicht allzu genau nehmen,« äußerte der erste wieder, »sein Kopf ist nicht ganz klar. Das meint auch der Meister.«

»Schwer wird es der Wahrheit, durchzudringen; doch das Licht, das aufgegangen ist in der heiligen Nacht, wird über den Erdkreis leuchten und auch ihr werdet seine Kraft empfinden.«

»Nun gut, wir wollen darauf warten.«

»Aber warum wolltest du nicht Fechter werden? Der Meister hat ihn gekauft, denn er besitzt eine gewaltige Kraft, um ihn für Netz und Dreizack auszubilden; aber der Bursche weigerte sich, die Übungen vorzunehmen. Warum eigentlich, Maultier?«

»Weil mein Herr und Heiland es verbietet, das Schwert zu nehmen und zu töten.«

Sporus, der älteste der jungen Leute, sagte zu seinen Gefährten: »Er ist ein Christianer, der Medor, und das sind absonderliche Leute. Vom Fechten wollen sie nichts wissen; lieber lassen sie sich wehrlos totschlagen. Nicht wahr, Maultier?«

»Sie sterben dann nach des Herrn Willen und in seinem Dienste.«

»Da hört ihr es; es sind fromme Schafe,«

Die Fechter lachten, daß es dröhnte.

»So viel ist sicher, der Alte hat den Medor furchtbar behandelt, als er sich weigerte, Fechter zu werden; er hat ihn gepeitscht, gemartert, hungern und dursten lassen, aber genützt hat es nichts.«

»Ich bin sein Sklave nach des Herrn Willen und muß ihm dienen; das werde ich tun, nur nicht mit der Mordwaffe.«

»Ihr seht, der geborene Esel.«

Alle lachten wieder.

»Aber,« sagte einer, »die Christianer haben doch Rom angezündet und Nero hat sie dafür zu Fackeln gemacht und in seinen Gärten verbrennen lassen.«

Sanft, aber bestimmt antwortete Medor: »Die Christen haben das nicht getan; sie sind demütige Diener des Heilandes, dessen Wort und Lehre die Liebe war. Nur als das Volk murmelte, der Claudier selbst habe Rom angezündet, um Platz für seine Neubauten zu gewinnen, ließ er meine Brüder töten, um den Verdacht von sich abzuwehren. Sie starben schuldlos, aber im Dienste des Herrn.«

»Aber warum rettete denn euer Gott sie nicht?«

»Er litt selbst den Opfertod am Kreuz und sie stiegen auf zu ihm, zu des Himmels Freuden.«

Isko horchte staunend den seltsamen Reden, die ihm nicht verständlich waren; nur das begriff er, daß es Menschen gab, Anhänger eines unbekannten Gottes, die sich schlagen und martern ließen und sich das noch als Verdienst anrechneten.

Er blickte mit Verachtung auf den herkulischen Mann, der sicher alle Anwesenden an Körperkraft übertraf und doch nicht Schlag für Schlag gab. Wie feig mußte er sein!

»Und ein so kräftiger Bursche wie du wird nie das Schwert ziehen, sei es in der Schlacht, sei es in der Arena?« fuhr einer der Fechtschüler fort.

»Nein. Ich diene einem Herrn, der da sagte: Liebet euch untereinander; selbst unsere Feinde sollen wir lieben.«

Von neuem erhob sich schallendes Gelächter. Den Feind zu lieben, das war zu viel für diese rohen Burschen.

»Man muß Mitleid mit ihm haben; der Geselle ist im Kopfe gestört. Seine Feinde lieben, hat man so etwas gehört?«

»Obgleich er Gliedmaßen hat wie ein Herkules, ist er feige, der Mann, zu nichts als zum geduldigen Lasttier zu brauchen.«

Ganz ruhig sagte Medor: »Du irrst, wenn du glaubst, ich sei furchtsam, Sporus; ich kenne keine Furcht. Aber ich halte es für größer, den Mut im Dulden zu zeigen, als im Kampfe. Wäre ich ein Kämpfer, und ihr kämet alle auf mich ein –« er streckte ein Paar so gewaltige Arme aus, daß Isko erstaunte – »ehe man Hundert zählen könnte, lebte keiner mehr von euch.«

Wildes Hohngeschrei und Gelächter antwortete ihm.

»Das Maultier wird frech; wir wollen ihm eine Lektion geben.«

Isko fürchtete eine neue Prügelei, doch sie wurde verhindert.

Glabrio kam und befahl, sofort das Lager aufzusuchen.

»Was hast du hier zu suchen, Mulus?« fuhr er Medor an. »Scher dich in deinen Stall.«

Die Peitsche sauste auf Medors Rücken nieder.

»Sei gut, Vogt,« rief einer der Burschen. »Er hat uns eben gelehrt, daß man auch seine Feinde lieben muß, und dich mit deiner Geißel liebt er ganz sicher.«

Brüllendes Gelächter folgte der Rede.

»So? Kramt er schon wieder den Unsinn der Christianer aus? Ich will dir das Fell gerben, daß es einer Wegkarte ähnlich sehen soll, wenn du nicht damit aufhörst. In den Schlafsaal! Fort!«

Gehorsam gingen die Schüler, auch Medor schlich davon.

Isko dachte an das Seltsame, das er eben von einem Gotte gehört hatte, der befahl, seine Feinde zu lieben. Das war nicht Germanenart; die töteten ihre Feinde. Er betete zu Siegvater und daß er ihm Gelegenheit zur Flucht geben möge; dann schlief er ein.

Langsam und eintönig, furchtbar in ihrer Eintönigkeit durch die Gesellschaft dieser gefühllosen Menschen, die nur die eine Aufgabe kannten, ihre Muskeln auszubilden und Fechterkünste zu üben, die jedes höheren Gedankens unfähig waren, so verliefen die Tage.

Isko machte glänzende Fortschritte in den Künsten, die hier gelehrt wurden, und fühlte seine Körperkraft täglich wachsen. Er erkannte, daß diese systematische Übung der Muskeln den Deutschen fehle, die wohl im ersten Ansturm unendlich gefährlich waren, aber ihre Kräfte bald erschöpften, während die Kämpen Roms mit immer gleicher Ausdauer fochten. Er hatte es in der Schlacht gesehen. Darum waren die Römer auch den starken germanischen Männern überlegen. Isko machte alle Übungen eifrig mit; er mußte stark sein. Auch im Lateinischen kam er zum großen Erstaunen seines rauhen Lehrmeisters überraschend vorwärts.

Sein einziger Gedanke war die Flucht. Er hatte sich in der Fechterschule umgesehen, vorsichtig, mit der Schlauheit des gefangenen Waldtieres. Aber eine fast unübersteigliche Mauer umgab das Ganze; die schweren Türen waren Tag und Nacht verschlossen, kein Ausweg zeigte sich. Er war einmal leise in der Nacht aufgestanden, um Untersuchungen anzustellen; aber einige große, wilde Hunde durchstreiften die Höfe und scheuchten ihn zurück.

Die Gefährten konnten den jungen Germanen, der sich mit vornehmer Zurückhaltung benahm, nicht leiden, aber sie trauten sich doch nicht an ihn. Erstens schien er bei dem Lanista sehr in Gunst zu stehen; dann waren seine Kraft und Behendigkeit bedeutend und in dem blauen Auge lag trotz seiner Ruhe etwas, das zur Vorsicht mahnte.

Auch Glabrio war Isko nicht hold. Er hätte mehr Wohlwollen für ihn empfunden, wenn er ihm gegenüber die Peitsche hätte anwenden können; aber sowohl der Befehl des Meisters wie ein inneres Grauen hielten ihn davon ab. Das ließ ihn den Burschen hassen. Isko erkannte das alles wohl.

Als er nach und nach seine Kenntnisse der Sprache Latiums verriet, unterhielt er sich oftmals mit Medor. Dieser erzählte ihm von diesem und jenem und war glücklich, einen geduldigen Hörer gefunden zu haben.

Medor, der ihm nicht unsympathisch war, teilte ihm mit, daß er als Sklave geboren und zum Zimmermann ausgebildet worden sei, daß ihn Spurio später gekauft habe, seiner außerordentlichen Körperkraft wegen, um ihn zum Fechter auszubilden; doch sein Glaube an den Herrn und Heiland Jesus Christus, den Sohn Gottes, verbiete ihm ein solch blutiges Gewerbe. Demütig trage er alles Leid im Dienste dessen, der für die sündige Menschheit gestorben sei.

Fremdartig mutete dies den stolzen, kriegerischen Germanenjüngling an, dessen heimatliche Lieder nur Heldenwerk widertönten, der nur durch den Tod auf blutiger Walstatt zum ewigen Vater nach Walhall gelangen konnte; aber lachen gleich den rohen Fechtern konnte er darüber nicht. Es war ein seltsamer, nie erhörter Glaube und sein demütiger, hünenhafter Anhänger schien ganz in ihm zu leben.

Isko erkannte aber zugleich, wie gutmütig, ehrlich und treu der Zimmermann war, dessen Dienste in der Fechterschule in der Tat gleich denen eines überbürdeten Lastesels in Anspruch genommen wurden.

Und der bescheidene Anhänger Christi gewann den jungen Barbaren lieb, der nichts mit den gefühllosen Fechtern gemein hatte, der ihn nicht höhnte noch mißhandelte.

Isko hegte einen Augenblick den Gedanken, den Zimmermann zum Vertrauten seiner Fluchtgedanken zu machen, aber er gab ihn auf. Zu fremd waren ihm der Mann und seine Art noch.

Mit innerem Grimm erkannte er, daß bei den getroffenen Vorsichtsmaßregeln ein Entrinnen aus der Fechterschule fast unmöglich war. Der Lanista war durch verschiedene Entweichungen teuer eingekaufter Sklaven vorsichtig geworden. Auch verließen die jüngeren Leute nie die Anstalt. Die Stadt Ravenna hatten nur die älteren und diese selten gesehen.

Viel früher, als es sonst in der Schule üblich war, hatte man Isko im Kampfe mit Schwert und Schild geübt und der Jüngling hatte die römische Fechtart rasch begriffen. War er doch ein in seiner Heimat bewunderter Schwertkämpfer und Schwerttänzer und hatte in der Schlacht die kampfgeübten Legionäre seine Waffe fühlen lassen.

Mit Stolz sah Spurio die Fortschritte seines jüngsten Sklaven, denn er dachte ihn teuer in der Arena zu verwerten, sobald er für diese reif war.

Der Fechtmeister, selbst ein ehemaliger Gladiator, unterrichtete den Germanen in allen Künsten und Kniffen des Schwertkampfes, der in der Arena stets um das Leben ging.

Nur einer sah des jungen Barbaren Fortschritte ungern und hörte die ihm erteilten Lobsprüche mit Grimm und Neid. Das war Sporus, der älteste der Schüler, der bald in die Öffentlichkeit treten sollte. Das Wohlwollen Glabrios, der gleich seinem Herrn auch einst Gladiator gewesen war, hatte sich für Isko nicht gemehrt; doch da dieser gehorsam und eifrig keinen Anlaß bot, ihn zu strafen, behandelte er den germanischen Bärenjungen mit einem stumpfen Widerwillen, den Isko wohl gewahrte, aber nicht beachtete.

Eines Tages war ein zur Zeit sehr gefeierter Gladiator aus Rom da und besichtigte die Fechterschule; er prüfte auch einige der jungen Athleten im Schwertkampfe, darunter Isko.

Dieser erkannte bald die Überlegenheit des gewaltigen Meisters und verhielt sich sehr vorsichtig, so daß es diesem Mühe machte, nach einigen erfolglosen Gängen ihm einen Stoß beizubringen.

Lachend sagte er dann: »Der Geselle, Spurio, wird eine Zierde der Arena werden: den schicke mir, wenn er so weit ist.«

Sporus erbleichte vor Neid bei diesem wertvollen Lobspruch und warf Isko einen Blick tödlichen Hasses zu: der junge Barbar hatte ihn längst eingeholt, ja übertroffen.

»Jetzt wird der Bärenprinz noch hochmütiger werden,« brummte Glabrio, »verwünschte Germanenbrut!«

Als die jungen Leute bei der Abendmahlzeit saßen, vermochte Sporus seinen Grimm nicht zu zügeln und begann Isko zu verhöhnen. »Wie werden sich deine Bäreneltern freuen, Germane, wenn sie hören, welch ein Fechter ihr Sprößling geworden ist! Laufen sie denn noch auf allen vieren herum?«

Isko, der seit kurzer Zeit einige Worte in lateinischer Sprache mit den Gefährten wechselte, zu denen ihn das Schicksal gesellt hatte, erwiderte ruhig: »Du kennst deutsche Art wenig, o Sporus, sonst würdest du mit mehr Achtung von ihr sprechen. Indessen stehen meine Eltern zu hoch über dir, als daß du sie beleidigen könntest.«

»Oho, wie kräht das Hähnchen? Hoch über mir, dem zukünftigen Gladiator? Hört ihr den frechen Barbaren, Gefährten? Er macht sich über uns alle lustig; er beschimpft uns. Auf, gebt ihm die Lektion, die er längst verdient hat!«

Er erhob sich und mehrere der kräftigen Burschen mit ihm, denn sie waren alle nicht davon erbaut, daß der Deutsche sie übertraf. Andere blieben sitzen, mit Behagen die Züchtigung des Germanen erwartend.

Isko war wiederholt Zeuge der häßlichen Prügeleien dieser Gesellen gewesen, die gewöhnlich erst durch die Peitsche Glabrios beendet werden mußten.

Er erhob sich mit blitzenden Augen und nahm eine Kampfstellung an.

»Wagt es!« Er stand allein den Angreifern gegenüber.

In diesem Augenblick trat Glabrio ein, wie es schien, etwas vom Weine begeistert, dem er häufig zusprach.

»Was gibt's hier?« fragte er mit drohendem Stirnrunzeln.

»Das Germanenhähnchen kräht und verhöhnt uns – dich, uns, alle!«

Der Fechtervogt, sich von seinem Widerwillen gegen Isko hinreißen lassend, der ganz anders war als die rüden Gesellen, mit denen er sein ganzes Leben zusammen gewesen war, hob die Peitsche und mit den Worten: »Willst du, germanischer Frechling, hier Streit anfangen?« ließ er sie auf Isko niedersausen.

Einen Augenblick stand der junge Katte wie vom Blitze getroffen, regungslos; dann aber schnellte er gleich einem sprunggewaltigen Tiger vorwärts und warf sich mit furchtbarer Wucht auf den Vogt, dessen Hals er mit den Händen umklammerte.

Glabrio fiel rückwärts, schlug mit dem Kopfe auf die Türschwelle, die zum Cönaculum hinabführte, und blieb leblos liegen.

Isko sprang empor und an die Wand zurück, einem jungen Löwen gleich, der den Angriff der Hunde erwartet.

Totenstille herrschte in dem Raum. Alles war so schnell vor sich gegangen, daß die Fechter mit offenem Munde dastanden und kein Wort herausbrachten.

Endlich liefen einige zu dem darniedergestreckten Glabrio – er war tot.

Nun erhob sich ein wütendes Geheul, aber dennoch scheuten sich die Fechter, den wilden und in seiner trotzigen Kraft doppelt furchtbaren Germanen anzugreifen.

Der Lärm lockte Spurio herein.

»Hier sieh, Meister, der Deutsche hat Glabrio erschlagen – wir wollen ihn töten!«

»Ruhe!« schrie der riesenhafte Spurio.

Glabrio war tot, kein Zweifel; er hatte das Genick gebrochen, und sein kostbarster Sklave – Spurio erkannte es mit tiefem Grimm – war für ihn verloren.

»Warum hast du das getan, Wahnwitziger?«

»Er schlug mich – er hätte wissen sollen, daß man einen freien Germanen nicht ungestraft schlägt!« war die trotzige Antwort.

Der Lanista und Sklavenhändler bebte in grimmiger Wut. Schmutzig und geizig, wie er war, dachte er nur daran, welch empfindlicher Verlust ihn durch das Ereignis bedrohte.

Ein Totschlag war in seinem Hause geschehen; zu verbergen war es nicht, und er wußte, daß ihm der Stadtpräfekt durchaus nicht gewogen war. Am liebsten hätte er Isko sofort hinweggeschickt und in der Ferne so gut als möglich verkauft. Aber das ging nicht an, der Meute wegen, die ihn umstand. Ein Wink von ihm und Isko hätte unter der Übermacht erliegen müssen; aber er durfte dem Gesetze nicht vorgreifen und der Präfekt wie der Richter hatten ein Auge auf ihn.

Medor und einige Knechte waren eingetreten. Seufzend sagte der Meister der Fechtschule: »Wir müssen ihn dem Prätor überliefern. Bindet ihn und führt ihn in das Turmgemach; morgen früh senden wir ihn in die Stadt.«

Als die Fechtschüler trotzdem Miene machten, sich auf Isko zu stürzen, donnerte er sie grimmig an: »Wer sich regt, hat es mit mir zu tun. Seid ruhig; er hat einen römischen Bürger getötet und,« setzte er seufzend hinzu, »sein Kopf ist dem Beile verfallen. – Dieser Esel von einem Glabrio,« murmelte er dann zwischen den Zähnen, »dreißigtausend Sesterzien kostet mich der verwünschte Peitschenhieb!«

Man band Isko die Hände und führte ihn in ein hochliegendes Gemach in dem Hause, das Spurio bewohnte. Dort schloß man ihn ein, gebunden wie er war.

Da saß der germanische Fürstensproß, der Sklave des ehemaligen Gladiators Spurio, schweigend, bewegungslos im Finstern. Der Jüngling hatte seiner Natur und Erziehung gemäß gehandelt und den Peitschenschlag, der ihn, den Freien und Edlen seines Volkes, tödlich beschimpfte, auf der Stelle, ohne Besinnen und auf jede Gefahr hin gerächt. Daß er dem Tode verfallen war, schien ihm nicht zweifelhaft. Nicht nur die Äußerung Spurios hatte ihm das gesagt; er wußte auch von seinem Lehrer Diomedes, wie streng das Gesetz der Römer in einem solchen Falle gegen den Sklaven verfuhr. Sein junges Leben war abgeschlossen. Aber er bereute seine Tat nicht einen Augenblick; lieber sterben als Schmach ertragen! Freilich – würde die Walküre ihn auch emportragen zum ewigen Vater? Er hoffte es; er starb ja von Feindeshand, nachdem er gekämpft hatte.

Seine Gedanken eilten zur Heimat. Er sah den heldenhaften Vater, die liebevolle Mutter, den mannhaften Bruder vor sich, die nicht wußten, daß er in der Fremde einsam sterben mußte, vielleicht es niemals erfahren würden.

»O Siegvater, o Mutter Frigga, seid gütig mit den Meinen!«

Dann dachte er des seltsamen Menschen, der jeden Schlag demütig ertrug, im Dienst eines liebevollen Gottes.

Nein, das war nicht Germanenart.

Sterben im Dienste Heervaters für des Vaterlandes Freiheit, ja, freudig, aber keinen Schlag erdulden!

Die Zeit verrann. Immerfort wälzten sich die Gedanken an die Heimat, seine Teuren, durch den Sinn des Jünglings, und dazwischen rief er zu seinen heimischen Göttern. An Flucht dachte er nicht; er war so fest gebunden, daß er jeden Versuch als aussichtslos aufgeben mußte.

Mitternacht war vorüber. Schon wollte, trotz allen Leides, der Schlaf sich niedersenken auf des Jünglings Augen, als sein feines Ohr plötzlich ein leises Geräusch draußen vernahm.

Es war, als ob jemand vor der Tür seines Gefängnisses herumschleiche.

Was war das?

Es tastete an dem Riegel, womit die Tür verschlossen war; sie öffnete sich langsam, geräuschlos und eine gedämpfte Stimme fragte: »Schläfst du?«

»Nein, ich bin munter.«

In dem Dämmerlicht des kleinen Gemaches erkannte Isko eine hohe Gestalt, schattenhaft.

»Wer bist du?«

»Medor bin ich.«

Ein Freudenschauer durchzuckte Isko. War das Rettung? Der demütige Christianer war sein Freund und hatte nichts mit den rohen Gesellen gemein, die das Haus füllten. Hoffnung, Lebenshoffnung stieg empor. Denn, war er auch bereit, mutvoll zu sterben, wenn es sein mußte, so war er doch noch zu jung, um nicht das Leben zu lieben.

»Was willst du, guter Medor?«

»Ich will dich befreien. Du sollst nicht sterben unter dem Beile der Heiden, obgleich du eine schwere Sünde begangen hast.«

»Ja, Medor, rette mich; ich werde es dir ewig danken, so auch Mutter und Vater.«

»Ich rechne nicht auf Dank. Komm, die Zeit drängt!«

Der Hüne tastete nach den Banden des Jünglings und löste sie.

»Alles schläft und Spurio ist des Weines voll wie jeden Abend. Komm, geh leise, dicht hinter mir!«

»Wie gelangen wir hinaus, Medor? Die Hunde – die Mauer?«

Er konnte das Lächeln des Zimmermanns nicht sehen. »Komm nur; das sind keine Hindernisse für mich!«

Vorsichtig tastete Medor sich hinaus, ebenso achtsam folgte ihm Isko. Medor verriegelte das Gefängnis des Jünglings. Leise stiegen sie dann die Treppe hinab. Hier hauste Spurio und man hörte seine schweren Atemzüge. Isko, der einigemal in diesem Hause gewesen war, wußte, daß vor der Tür des Meisters einige Schwerter hingen; er tastete danach, fand sie und nahm eine der vortrefflichen Römerwaffen an sich.

Das befeuerte ihn; er brauchte jetzt nicht wehrlos zu sterben. Sie durchschritten das Vestibulum.

Draußen standen die Wachhunde, die Medor schmeichelnd umwedelten, als er erschien. Auch den Fremden in seiner Begleitung nahmen sie ruhig hin, nachdem Medor sie geliebkost und Isko sie gestreichelt hatte.

Sie schritten geräuschlos durch den Hof und über die Arena.

An deren Ende befand sich ein massiges Balkentor, das nur selten geöffnet wurde.

»Wie kommen wir hinaus, Medor?«

»Du wirst es sehen. Man verwehrte es mir, die Glaubensbrüder zu besuchen und mit ihnen das Abendmahl zu nehmen; da schuf ich mir einen Ausgang, nachdem ich mir die Hunde zu Freunden gemacht hatte.«

Sie waren an dem Tore, das von den Gebäuden aus nicht gesehen werden konnte.

»Der Herr hat mich nicht umsonst zum Zimmermann gemacht. Gib acht!«

Nachdem er einen Augenblick an dem Tore herumgetastet hatte, schob er zwei Balken beiseite; eine Öffnung zeigte sich, die weit genug war, um einem menschlichen Körper das Durchschlüpfen zu gestatten.

Beide standen nun im Freien und Medor brachte die Balken wieder in ihre Lage.

»Jetzt aber rasch, Jüngling; ich muß vor Tagesgrauen zurück sein. Rasch, es gilt das Leben!«

Freudig fragte Isko: »Du gehst mit mir, Medor?«

»Soll ich dich allein lassen, hier, wo du nicht Weg noch Steg kennst?«

»Aber du willst umkehren, in die Sklaverei?«

»Nicht für lange. Ich habe Spurio die Summe, die er für mich ausgab, als er mich kaufte, reichlich durch meine Arbeit zurückerstattet; das ist mein Lösegeld. Ich will jetzt frei sein. Zurück muß ich aber, um deine Spur zu verbergen und zu erkunden, wo man dich suchen wird.«

Eilig, in raschester Gangart waren beide währenddessen davongeschritten.

»Ich bringe dich an einen sicheren Ort und kehre um; morgen in der Nacht hole ich dich wieder ab. Ich muß ja auch Reittiere für uns anschaffen, denn als Fußgänger kämen wir nicht weit.«

»Reittiere? Wie willst du das anfangen?«

»Ich habe eine Glaubensschwester, die treu am Herrn hängt; sie ist sehr reich und wird mir geben, was ich begehre, um uns zu retten.«

Sie schritten kräftig aus und erreichten nach einiger Zeit Steinbrüche.

»Hier wird seit langer Zeit nicht mehr gearbeitet,« erklärte Medor. »Auch sollen, so spricht der Aberglaube, böse Geister in den Schlüften hausen; das hält die Menschen fern.«

Er führte ihn in eine höher gelegene Höhle.

»Hier halte dich ruhig. Dort ist ein Lager; Speise und Trank findest du in jener Ecke. Niemand wird dich stören. Auf Wiedersehen!«

Isko blieb im Dunkel der Höhle zurück, während der Zimmermann sich in großer Eile entfernte.

Der Jüngling suchte das ihm bezeichnete Lager und schlief ein, während er den Göttern dankte. Er war endlich frei!

Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, erwachte er erst, so tief und fest hatte er geschlafen.

Er erschrak und sprang empor. Sein Blick fiel auf das Schwert, das neben ihm gelegen hatte; er ergriff es und schaute sich um. Er befand sich in einer, sichtlich durch Menschenhand hergestellten Felshöhle, von der zwei sich im Dunkel verlierende Gänge in das Innere des Berges führen mochten.

Isko warf sich nieder und kroch vorsichtig zum Eingang, einen Blick ins Freie zu werfen. Da sah er umfangreiche, im Halbrund angelegte Steinbrüche vor sich, von deren Vernachlässigung Büsche, Gras und selbst Baumgewächse zeugten.

Alles war öde, leer und einsam. Auch der Lärm der unweit vorbeilaufenden Straße drang nicht bis hierher.

Der junge Katte zog das Schwert aus der Scheide und betrachtete die Klinge. Es war eine Waffe von ausgezeichneter Arbeit und lag ihm, als er sie schwang, trefflich in der Hand.

Dann entsann er sich der Andeutung Medors über vorhandene Nahrungsmittel und fand an der ihm bezeichneten Stelle Brot, gedörrtes Fleisch, Früchte, einen Krug mit Wasser und eine kleine Amphora mit Wein.

Er trank Wasser und aß von dem Brot.

Nochmals blickte er mit großer Vorsicht ins Freie, aber leblos wie vorher lag alles da.

»Was nun?« fragte er sich. »Frei bin ich, dem Tode entronnen. Das ist viel; die Götter waren mir gnädig. Aber wie soll ich fremd und freundlos über das Gebirge kommen, um die Heimat aufzusuchen? Wird der gute Christianer mir helfen können? Gleichviel, die Götter werden dem Sohne Ingomars auch ferner beistehen!«

Langsam schritt der Tag hin. Isko wartete geduldig, obgleich die tiefe Stille und Einsamkeit ihm peinlich war.

Endlich kam die Nacht, die feierliche, schweigende Nacht, und leuchtende Sterne zogen am Himmel auf.

Er wußte, daß er bis Mitternacht harren mußte, ehe Medor kam, wenn – er überhaupt kam. Wie leicht konnten unvorhergesehene Hindernisse seine Rückkehr verhindern!

Zum Sternenhimmel aufsehend und zu den Göttern rufend, harrte der Flüchtling geduldig am Eingang der Höhle.

Endlich hörte er Schritte unter sich und gleich danach stand Medor vor ihm.

Tiefe Freude zog durch des Jünglings Herz; der Zimmermann, der Christ, war treu.

Medor trug eine kleine Laterne, die aus dünngeschabtem Horn gefertigt und so gearbeitet war, daß das darin brennende Wachslicht und sein Schein verdeckt werden konnten.

»Der Herr sei mit dir, Jüngling, und führe uns aus der Gefahr!«

»O, sei gegrüßt, Medor; mit dir kommt Rettung!«

»Wenn der Herr es will, gewiß.«

Er überreichte ihm eine schöne Tunika mit einem kostbaren Gürtel, einen Mantel, prächtige Sandalen und einen Filzhut, wie vornehme Reisende sie zu tragen pflegten.

»Ein Geschenk der Domina. Ziehe sie rasch an; die Pferde harren unser und wir müssen weit sein, ehe der Tag anbricht.«

»Und in der Fechterschule?«

Medor lachte.

»Ich erzähle dir alles nachher; kleide dich nur um.«

Auch Medor trug andere Kleider, wie Isko erkannte. Rasch waren die neuen Gewänder angelegt; dann gab ihm Medor noch einen Beutel, der Gold- und Silberstücke enthielt.

»Ein Zehrpfennig für die Reise.«

Isko band ihn an den Gürtel, überrascht und erfreut, denn er wußte wohl, daß man im römischen Reiche der Münzen bedurfte, um seinen Weg zu finden.

Er hing das Schwert um, warf den Mantel über und stand da, ein römischer Patriziersohn.

»Und nun komm,« – Medor schloß die Laterne – »halte dich an meinen Gürtel. Der Weg hinab ist gefährlich; geh dicht hinter mir.«

Beide gelangten sicher unten an.

In einem Lorbeergebüsch harrten ihrer ein Pferd und ein Maultier. Sie schwangen sich auf und ritten gleich darauf in schneller Gangart die breite Landstraße hin, die nach Westen führte.

Endlich sahen sie sich genötigt, die Tiere langsamer gehen zu lassen; außer einigen Lastfuhrwerken, die nach Ravenna zogen, war ihnen niemand begegnet.

Nun erzählte endlich Medor:

»Am Morgen schlief alles länger als sonst, denn Glabrio fehlte, der sonst die Säumigen vom Lager trieb. Endlich waren wir alle munter und ich wurde weidlich geschmäht, weil ich die Schüler nicht geweckt hatte. Auch der Koch hatte sich verschlafen und das Frühmahl kam später als sonst.

»Dann erschien Spurio selbst und schimpfte gewaltig. Gleichzeitig aber trafen auch die Boten des Prätors mit den Amtsstäben ein, um den Gefangenen abzuholen und in das Gefängnis zu führen.

»Das maßlose Erstaunen und Entsetzen, als man das festverschlossene Turmzimmer öffnete und leer fand – nur deine Bande zeugten von deiner Anwesenheit – hatten viel Komisches an sich. Es wurde überall nach dir gesucht; die tollsten Vermutungen über dein Entweichen wurden angestellt, aber der Vogel war fort.

»Geheimnisvoll, unerklärbar war alles. Auf mich, das dumme Maultier, fiel nicht der Schatten eines Verdachtes.

»Schließlich behauptete Spurio, die Waldgeister deiner Heimat hätten dich hinweggeführt. Doch die Männer des Gesetzes waren nicht seiner Meinung; sie glaubten nicht an germanische Waldgeister. Ihrer Ansicht nach mußtest du geschickte und mächtige Helfer von außen gehabt haben, die dir davonhalfen. Zwei Möglichkeiten gab es nur; du warest entweder auf den Straßen nach Norden entflohen oder zum Hafen und bargst dich auf einem Meerschiff.

»In der Prätur nahm man das alles sehr ernst; es war ja ein römischer Bürger von einem Sklaven erschlagen worden und der Täter auf geheimnisvolle Weise entflohen.

»Der Richter kam selbst, sah sich alles an und vernahm uns alle, ohne klüger zu werden. Was aber das schönste ist, Spurio geriet selbst in den Verdacht, einen sehr wertvollen Sklaven heimlich davongeschickt zu haben, um ihn auf einem entfernten Sklavenmarkte zu verkaufen, statt ihn dem Liktor zu überliefern.

»Reiter wurden nach Norden ausgesandt und die Schiffe untersucht. Der Ärger des Prätors war groß; er glaubt sicher, daß Spurio bei deiner Flucht die Hand im Spiele habe.

»Ich fand Gelegenheit, im Laufe des Tages Domina Antonia von dem zu verständigen, was ich vorhatte, und ließ ihr sagen, wessen ich bedürfe und daß ich vor Mitternacht bei ihr sein werde. Sie ist unsere Schwester in Christo.«

»Dazu fandest du Gelegenheit?« fragte erstaunt Isko. »Aus dem Heim Spurios? Das ist wunderbar.«

»Doch nicht. Man brauchte das ›Maultier‹ da zu allem, in der Küche, im Stalle, im Bade, im Hause. Unsere stille Gemeinde ist unter den Armen weit verzweigt; nur Domina Antonia ist sehr reich. Die Frau, die in der Schule Früchte anbietet, der Mann, der die Milch verkauft, der Sklave, der Hafer bringt oder Mehl, der Wagenführer, der den Sand für die Arena heranfährt, und mehrere andere sind meine Schwestern und Brüder; da war es leicht, der Domina Botschaft zu senden.

»Als alles schlief, gelangte ich hinaus, wie wir am Abend vorher, fand die Domina in ihrer Villa munter und alles bereitet, wie ich es erbeten hatte. Ich sprach ihr von dir und deinem Wesen; sie läßt dir Heil wünschen und frohe Wiederkehr zu den Deinen und mehr noch, daß du den Herrn erkennen mögest.«

»Eine edle Frau,« sagte Isko gerührt, »und Heil sei mit ihr immerdar! Aber, Medor, was beginnen wir jetzt? Ich bin so fremd im Lande, wie ein neugeborenes Kind.«

»Ich denke, wir gehen nach Bononia (Bologna); dort habe ich Freunde und hoffe, der Herr, der uns bisher geholfen hat, wird uns ferner beistehen.«

»Wie du meinst, Medor! Ich bin vom Tode errettet worden durch dich, mein braver Freund.«

»Ich war nur des Herrn Werkzeug,« sagte der Christ einfach. »Möge unsere Hoffnung auch weiter in Erfüllung gehen.«


 << zurück weiter >>