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Immer drohender zog sich das Unwetter über den Christengemeinden Roms zusammen und schon hatten einige Hinrichtungen stattgefunden.
Das sogenannte Volk stand zum größeren Teile den Nazarenern gleichgültig gegenüber; nur da, wo die großen Priesterschaften ihren Einfluß geltend machten und den Pöbel aufhetzten, wandte man sich gegen sie. Alle aber erwarteten mit Sicherheit, daß der Kaiser während der Spiele einige Christen den wilden Tieren vorwerfen lassen werde. Zum großen Entzücken der Römer waren auch bereits eine große Anzahl Löwen und Tiger eingetroffen, die allnächtlich in ihren Zwingern ihr Geheul anstimmten, daß es nachts weit durch die stillen Straßen dröhnte.
Diomedes ging täglich über den Tiber und suchte seine Lieben auf. Cassius Longinus, der den stillen, bescheidenen Jüngling liebgewonnen hatte, sah es mit Besorgnis, denn er wußte, wie nahe und drohend die Gefahr für ihn und die Seinen war.
Er war selber eines Abends im Mantel hinausgeritten, um Diomeds Mutter und Schwester zu begrüßen. Der vornehme Römer, der einer der ältesten und angesehensten Familien des Reichs angehörte, war doch überrascht von der Würde der Domina und der mädchenhaften Anmut Eudoxias. Diese edlen Frauen Tod und Martern ausgesetzt zu sehen, schien ihm grauenvoll. Noch einmal bot er der Witwe an, mit ihren Kindern Zuflucht auf einem seiner Güter zu suchen; oder ruhig lehnte die Matrone es wiederum ab. Sie wollte mit ihren Glaubensgenossen leben und sterben.
Ergriffen von dieser ruhigen Ergebung in ein, wie ihn däuchte, unabwendbares Schicksal, trat er den Heimweg an. Diese Leute erobern die Welt, dachte er, und jeder Märtyrer führt ihnen ungezählte Jünger zu. Welch seltsame Menschen!
Einen Gottesdienst in der Ruine hatten die Christen jener Gegend seit der Anwesenheit Iskos und Diomeds nicht mehr abgehalten; es erschien den Gemeindevorstehern bei den herumschleichenden Spionen zu gefährlich und so beschränkten sie sich auf eine stille Andacht in den Familien.
Isko erschien auch bisweilen und erfreute sich eine Stunde des ruhigen Friedens im Heim des Zimmermanns und der Unterhaltung der beiden Frauen.
Mit ergebener, gläubiger Seele harrten die dessen, was der Herr verhängt hatte. Furcht war ihnen fremd; droben wachte der Allmächtige über sie, und waren sie auserwählt, Zeugnis für den Herrn abzulegen, dann sollte es demütig geschehen. Das Himmelreich war ihre Zukunft.
Zu jener Zeit hatten sich in einer Weinstube, die nahe beim Heim Medors lag, und wo vorzugsweise Arbeiter und ärmere Bürger ihre Abendmahlzeit nahmen oder einen Becher Landwein tranken, einige Leute eingefunden, die dem Ort sonst fremd waren und vom Wirt mit Mißtrauen betrachtet wurden.
Es waren einige verdächtig aussehende Gesellen, die der Caupo, ein erfahrener Mann, für Vigiles hielt. Das war ihm unangenehm, schon seiner anderen Gäste wegen, unter denen es auch Christen gab, wie er wußte.
In ihrer Gesellschaft befand sich ein Riesenbursche, dem der Kenner auf den ersten Blick den ehemaligen Helden der Arena ansah.
»Wenn es der ist, den ich meine, dann ist er freilich stark, aber feige,« sagte soeben der Riese zu seinem Gefährten. »Christianer war er schon in Ravenna. Zu fürchten habt ihr den nicht.«
»Ich bekomme meine Leute nicht dazu, gegen die Gottesleugner vorzugehen, solange der Zimmermann da ist; solche Angst haben sie vor seiner riesenmäßigen Körperkraft. Prätorianer aber will man nicht schicken. Der Unterpräfekt hat gesagt, seine Soldaten seien zu anderen Dingen da, als ein paar lumpige Nazarener einzufangen, und selbst Fuscus konnte dagegen nichts ausrichten. Wir würden ja auch allein mit ihnen fertig, wenn die Angst vor diesem Paulus nicht wäre. Der Präfekt aber erwartet Taten, denn die Christianer hier sollen einen Hauptverbrecher verborgen gehalten haben, vielleicht noch halten. Mache den Paulus unschädlich, Lanista, und du wirst reich belohnt werden, denn dann haben wir die übrige Gesellschaft bald im Sack.«
»Ist es mein Medor, soll er an mich denken, denn dieses Maultier ist schuld, daß ich meine Fechterschule in Ravenna aufgeben mußte und nur mit zwei Leuten herkommen konnte, um sie an den Fechterspielen teilnehmen zu lassen.«
»Wie kam das?«
»Der Verräter half einem sehr wertvollen Sklaven – ach, er wäre der beste Fechter Roms geworden!« sagte er seufzend, »zur Flucht und drückte sich dann selbst. Wie er das gemacht hat, wußte niemand zu enträtseln. Ich kam dadurch selber in den Verdacht, dem Germanen, der dem Gesetze verfallen war – er hatte meinen Vogt erschlagen – zur Flucht verholfen zu haben, um ihn irgendwo zu verkaufen, und da mir Stadtpräfekt sowohl wie Prätor nicht gewogen waren, wurde mir das Privilegium der Fechterschule entzogen. Nicht die geringste Spur ihrer Flucht war vorhanden; sie waren fort, wie vom Erdboden verschwunden.«
»Sonderbar! Aber vielleicht hatten die Christianer dabei die Hand im Spiele?«
»Nicht daran zu denken! Außer diesem Medor gab es in der Fechterschule keine Christianer und über den lachten meine Schüler nur.«
»Nun, gleichviel! Mache nur den Burschen hier, ob er nun dein Sklave ist oder nicht, für einige Tage kampfunfähig; das genügt. Aber vergiß nicht, daß er einer der denkbar stärksten Menschen ist.«
»Und ich?« fragte Spurio hochmütig. »Wer bin ich denn? Ich war der erste Faustkämpfer und Ringer der Arena und bin es heute noch.«
»Das Messer darf nicht angewandt werden, sonst sind wir alle verloren; die Arbeiter zerreißen uns.«
»Zum Hades mit deinen Arbeitern!«
»Wir müssen hier sehr vorsichtig zu Werke gehen, denn der Janiculus birgt zahlreiche Arbeiter und es ist vom Cäsar befohlen, sanft mit ihnen zu verfahren. Ich glaube, daß dieser Paulus ein Christ ist, aber Beweise haben wir dafür nicht; die sollen erst erbracht werden.«
Der Wirt hatte einiges von dieser Unterredung erlauscht. Er war dem jungen, bescheidenen Zimmermann sehr gewogen und bewunderte wie alle seine ungewöhnliche Stärke, umsomehr als er sie doch nur zu friedlichen Zwecken anwandte.
Nach einiger Zeit erschien Medor, der hier oft seine bescheidene Abendmahlzeit einnahm, in Gesellschaft von zwei anderen Arbeitern.
Der Wirt flüsterte ihm zu: »Du hast alte Bekannte hier, die dir nicht wohlwollen, Paulus; sieh dich vor.«
Medor nahm mit seinen Gefährten Platz und schaute sich dann um. Er erkannte sofort seinen ehemaligen Herrn, der ihn mit höhnischem Blicke betrachtete, und wußte nun, woher das Unheil ihm drohte. Indessen ließ er sich nichts merken.
Der Raum füllte sich mehr und mehr, denn auch aus der Stadt zurückkehrende Arbeiter kehrten hier ein.
Plötzlich erhob sich Spurio und schrie über den Raum hin: »Da sitzt ja mein entlaufener Sklave! Wie kommst du hierher, du verwünschter Nazarener?«
Alle horchten auf und schauten nach Medor hin, der ruhig an seinem Tische saß.
»Du weißt recht gut, Lanista, daß ich deinen Freischein habe, der dir eine erkleckliche Summe eingebracht hat.«
»Und dabei hat mir der Elende noch meinen besten Sklaven mitgenommen!«
»Einen Kriegsgefangenen, für den du das Dreifache von dem empfangen hast, was für mich gezahlt wurde.«
Die ruhigen, trockenen Antworten des sehr beliebten Zimmermanns, an dessen Wahrheitsliebe niemand zweifelte, lockten ein Lächeln in den Gesichtern der Hörer hervor, erbitterten aber natürlich den Lanista, der bereits dem Wein stark zugesprochen hatte, in höchstem Grade. Er trat drohend auf Medor zu, der immer noch friedlich am Tische saß.
»Laß es gut sein, Meister Spurio,« sagte Medor so ruhig wie vorher, »suche keinen Streit mit mir. Du weißt, ich bin ein Mann des Friedens; wir beide haben nichts mehr miteinander zu schaffen.«
»So? Du unverschämter Frechbart, du elendes Maultier du – wirst du noch aufbegehren? Dich will ich lehren!«
Er hob die gewichtige Faust, der alte unbesiegte Arenakämpfer, um sie mit voller Wucht auf Medor niederfallen zu lassen. Der Arm, den er dabei sehen ließ, war schreckenerregend und bedrohte Medor mit ernstlicher Gefahr.
Der fünfundzwanzigjährige Zimmermann war nicht so massig an Gestalt wie der in der Mitte der vierzig stehende Lanista, aber seine Muskeln und Sehnen waren von Stahl und an Gewandtheit war er Spurio bei weitem überlegen.
Dem Schlage auszuweichen, der ihm sonst die Knochen zerschlagen, ihn vielleicht getötet hätte, warf er sich an des Gegners Brust und umschlang diese mit seinen Armen. Der Faustschlag unterblieb, aber Spurio griff nach der Kehle seines Gegners, eine Bewegung, gefährlicher noch als der niedersausende Arm. Da, ehe sie ihre Wirkung äußern konnte, schrie der Fechter grauenhaft auf und seine Hand ließ Medors Kehle los. Dieser löste seine Umschlingung und schwer sank der massige Körper des Lanista zu Boden. Gleich darauf hauchte er seine Seele aus; die furchtbaren Arme Medors hatten ihm alle Rippen gebrochen.
Alles stand starr bei dem jähen, furchtbaren Ausgang des Ringens.
Mit Todesschrecken sah Medor auf den am Boden liegenden Gegner; das hatte er nicht gewollt.
Er fiel auf die Kniee und betete laut: »Herr vergib mir – und wende das Unheil von den Meinen!«
Erst nach und nach faßten die Anwesenden das Ungeheure dieser eines Herkules würdigen Kraftentfaltung.
»Er hat es so gewollt, er hat Paulus angegriffen,« rief einer der Arbeiter.
»Ja, das haben wir alle gesehen; Paulus hat sich nur mit den bloßen Armen gewehrt.«
»Ihn trifft keine Schuld,« sagten alle.
Die Begleiter des Lanista hatten sich so weit von ihrem Schrecken erholt, daß der eine jetzt vortrat und sagte: »Du hast diesen Mann getötet.«
»Leider sagst du wahr. Der Herr verzeihe es mir!«
»Ich bin ein Beamter des Prätors und muß dich verhaften. Du wirst dich nicht gegen das Gesetz Roms empören.«
»Ich werde dir folgen,« erwiderte Medor demütig.
»Du hast selbst gesehen, wie unschuldig Paulus daran ist, Mann des Gesetzes, und auch wir werden ihm das alle bezeugen,« rief einer der Arbeiter dem Beamten zu.
»Ja, alle,« erscholl es ringsum.
»Es ist ein Mensch getötet worden und der Richter muß danach fragen, wie es geschah und wer die Schuld trägt. Das ist Roms Gesetz. Ich muß dich fesseln, Mann.«
Ergeben streckte Medor seine Handgelenke aus, um die ein Strick gelegt wurde.
Einige drohende Stimmen wurden laut, welche die Verhaftung des Unschuldigen nicht dulden wollten, aber Medor sagte: »Seid ruhig, Freunde; das Gesetz Roms steht über uns.« Dann wandte er sich an einen der neben ihm Stehenden: »Sage der Domina, was hier vorgegangen ist. Der Herr sei ihr Schutz!«
Er ließ sich ruhig und ergeben abführen.
Großen Schrecken erregte die Kunde bei Diomeds Mutter und Schwester, großes Aufsehen am Janiculus, und durch Rom lief das Gerücht, daß ein Christ, als er verhaftet werden sollte, einen kaiserlichen Beamten erschlagen habe.
»Tod den Christen!« brüllte der Pöbel. »Schlagt sie ans Kreuz, verbrennt sie wie unter Nero!«
Diomed kam auf den Zimmerhof und beschloß, nachdem er von dem traurigen Ereignis erfahren hatte, fortan bei den Seinen zu bleiben. Auch Isko erschien. Er war dem guten Medor sehr gewogen und beklagte seine Verhaftung. Daß dieser Hüne den widerwärtigen Spurio zerschmettert hatte, bedauerte er nicht; er staunte nur über Medors Kraft und nicht minder über die Fassung und ruhige Heiterkeit dieses friedfertigen Menschen, über dem das Schwert des Henkers schwebte.
»Kommt ihr in Gefahr, meine Teuren, was ich vermag, euch zu nützen, wird geschehen,« sagte er zu Diomed und den Seinen.
»Von Herzen Dank, Isko, aber über uns waltet einer, der noch mächtiger ist als du; seinem Willen müssen wir uns fügen,« erwiderte die Mutter.
Isko schied mit Trauer im Herzen, denn soviel er ergründet hatte, war die Stimmung im Palatin und bei dem Pöbel gegen die Christen. Die Prätorianer aber waren gleichgültig und gehorchten jedem Befehle.
Zwei Tage später sollte die Gemeinde am Janiculus zusammenkommen, um eingedenk der nahen Stunde der Gefahr das Abendmahl zu feiern, in der Erinnerung an des Heilands Opfertod.
Es waren Vorsichtsmaßregeln getroffen worden, die Entdeckung der Zusammenkunft der Christen zu verhindern. Statt der Ruine aus alter Zeit, die ihnen sonst Zuflucht gewährte, hatte man einen Steinbruch gewählt, der schon seit Jahren nicht mehr abgebaut wurde.
Dorthin bewegten sich, nachdem die Nacht hereingebrochen war, die Christen der Janiculusgemeinde in einzelnen kleinen Gruppen von allen Seiten her. Erst um Mitternacht waren alle Andächtigen in dem einsamen Steinbruch versammelt; einige kleine Feuer, so angebracht, daß sie möglichst wenig Schein nach außen warfen, gaben etwas Licht.
Die Gemeinde sang leise ein Lied: » Christus regnat« und dann sprach der Diakon. Er erzählte davon, wie der Herr die ihm beiwohnende göttliche Macht auch während seines Erdenwallens schon gezeigt, wie er Blinde sehend, Lahme gehend gemacht, wie er den tödlichen Aussatz geheilt und selbst Tote aufgeweckt habe. Dann kam er zu seinem Leiden und Sterben und der Einsetzung des Abendmahls. Brot und Wein wurden gegeben in Begleitung der Worte des Herrn, und wohl kaum hat eine Christenschar das Abendmahl in tieferer Andacht gefeiert als die hier versammelte Gemeinde angesichts der dräuenden Gefahren, ein Bund von Brüdern und Schwestern. Die edelsten der Menschengefühle waren in den Herzen dieser schlichten Leute lebendig.
Schon wollte man sich still trennen, als plötzlich von rechts und links unter Fackelschein Bewaffnete hereindrangen.
»Haben wir euch endlich erwischt, ihr Gottesleugner, ihr Verräter und Zerstörer Roms?« schrie eine rauhe Stimme. »Wer es versucht zu fliehen, ist sofort des Todes.«
Da war es, das lang Gefürchtete! Der Herr verlangte neue Helden, die mit ihrem Blute Zeugnis für ihn ablegten.
Stille herrschte ringsum. Doch nicht Zagen faßte diese begeisterten Menschen; sie fügten sich stumm dem von Gott Verhängten.
Die Vigiles und ihre Gehilfen banden je zwei und zwei zusammen, so daß sich die Domina nicht von ihrer Tochter zu trennen brauchte, und führten sie fort.
Mit dem weit durch die Nacht hallenden Gesange » Christus regnat« folgten sie willig ihren Henkern, um bald darauf hinter den Mauern des Mamertinischen Gefängnisses zu verschwinden.
Der Senator Nerva war kurz zuvor wieder nach Rom zurückgekehrt, zur großen Freude des Senates, des Adels und der besseren Bürger, vor allem auch des Cassius Longinus.
Nerva hatte in seinem Hause Sentius Saturninus vorgefunden und das Verfahren seines Hausmeisters gutgeheißen.
Mit nachdrücklichem Ernste sagte er jedoch dem Sohne des einstigen Legaten am Oberrhein: »Daß du an Vergeltung dem Imperator gegenüber denkst, ist nur menschlich und natürlich; aber seitdem du Gast meines Hauses bist, mußt du alle Rachegedanken fahren lassen. Coccejus Nerva ist wohl oft genug im Senate der Gegner Domitians, öffentlich vor aller Welt; doch fern liegen mir alle geheimen Umtriebe gegen ihn. Sein Schicksal zu bestimmen überlasse ich den Göttern. Bleibe bei mir und ich will dich schützen, aber halte dich fern von seinen Feinden.«
Sentius sah ein, daß der Senator nicht anders denken und handeln konnte, und versprach es, so grimmiger Rachedurst ihn auch quälte.
Mit Interesse hörte der Greis dann von den wilden Fahrten des Jünglings und seiner erbitterten Verfolgung durch Fuscus, mit größerem noch von seiner Rettung durch die beiden edlen Germanen, die Sentius schon von Moguntiacum her kannte, und daß sie, ebenfalls von Fuscus verfolgt, Zuflucht unter Catualds Prätorianern gefunden hatten.
»Treffliche Jünglinge,« sagte Nerva, »denen ich mein Leben schulde. Gut, daß sie einstweilen unter dem Prätorianerhelm sicher sind; ich werde darauf denken, meinen Dank, so gut ich vermag, zu gelegener Zeit abzutragen. Tacitus hat recht; es steckt in diesen blonden Barbaren ein edler Kern, der noch schöne Blüten treiben wird.«
Bald nach Nervas Rückkehr war eine große Senatsitzung anberaumt worden. Da man wußte, daß Nerva sie besuchen werde, standen viele Tausende von Menschen, darunter die edelsten Bürger der Stadt, auf seinem Wege und jubelten dem Greise zu, der dann im Senat eine feurige Rede hielt und damit dessen Mut und Selbstbewußtsein lebhaft kräftigte.
Die Erbitterung im Palatin gegen den furchtlosen Mann war groß, aber Hand an Coccejus Nerva zu legen wagte der Tyrann doch nicht.
Der Prozeß gegen die verhafteten Christen nahm indessen seinen Gang, jedoch, da er nicht öffentlich geführt wurde, ohne besondere Teilnahme von seiten der Bevölkerung, die zufrieden war zu wissen, daß für die Spiele Schlachtopfer für die wilden Tiere genug da seien.
Die Spiele, die im Flavischen Amphitheater stattfinden sollten, nahmen die ganze Aufmerksamkeit des großen Haufens und – es ist nicht zu leugnen – auch der Mehrzahl der vornehmen Damen in Anspruch.
Überall wurde davon gesprochen; jeder sehnte sich nach einem guten Platz. Auch daß der Cäsar Brot und Fleisch geben würde, erzählte man. Selbst Nerva war vergessen, wenigstens im großen Haufen, und Domitian für den Augenblick eine populäre Persönlichkeit bei diesem.
Die Domina, Eudoxia, Diomedes, Medor und andere von der Gemeinde am Janiculus saßen im Mamertinischen Gefängnis, ihrer Aburteilung harrend, still und gottergeben.
Medor und Diomed hatten hier auch Mutter Claudia getroffen, die Arme, die ihnen in der Schenke am Arno beigestanden hatte. Sie war nach Rom gekommen und mit der Gemeinde an der Porta Trigemina verhaftet worden.
Die abgehärmte, bleiche Frau war gräßlich entstellt; der Schwerthieb des rohen Legionärs hatte ihr damals das Haupt gestreift und einen Teil der Kopfhaut mit dem Haar fortgerissen, so daß die verwachsene Stelle einen grünlichen, fast abstoßenden Eindruck machte. Doch auch sie trug ihr Los mit Ergebung.
Ein Teil der Christen war schon verurteilt, einige zum Tode durch das Beil, andere zur Verbannung nach Sardinien, was nur einen langsameren Tod bedeutete, und einige wurden für die blutigen Zirkusspiele aufbewahrt.
Die Domina und ihre Kinder waren noch nicht vor den Richter gekommen, weil Fuscus dem Verhör beiwohnen wollte. Medor, ob er gleich nicht als Christ verhaftet worden war, hatte sich freudig als Jünger des Herrn bekannt und war ihnen zugeteilt worden.
Heute wurden die Angeklagten endlich dem Prätor des Stadtteils vorgeführt, in einem Saale des Gefängnisses.
Die beiden Frauen waren bleich und von der engen Haft angegriffen, ebenso Diomedes. Aber alle bewahrten eine Ruhe, die der drohenden Gefahr gegenüber staunenswert war.
Medor zeigte auf seinem ehrlichen Gesicht den Ausdruck innerer Freudigkeit.
Der Unterpräfekt Roms, Fuscus, war anwesend und saß neben dem Prätor.
Die Angeklagten mußten ihre Namen nennen.
»Ihr bekennt euch zu dem verruchten Christenglauben und leugnet die ewigen Götter?«
»Wir dienen dem allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde und seinem eingeborenen Sohne, den er zu aller Menschheit Heil zur Erde niedersandte.«
»Und die strahlendere Olympier Jupiter, Juno, die unsterblichen Götter, sie alle existieren nicht für euch?«
»Nein, es sind eitle Hirngespinste, Seifenblasen, die der Wind verweht. Unser Hort ist Jesus Christus.«
»Schaudervoll, daß es solche Menschen gibt!«
»Die Gott über alles lieben und ihre Nächsten wie sich selbst? O, wenn ihr von der Erhabenheit unserer Lehre doch einen Begriff hättet! Auch ihr würdet euch zu ihr bekennen.«
»Davor mögen die Götter uns bewahren!«
Fuscus ließ sich jetzt in seiner lauernden Weise vernehmen: »Nach dem, was ihr eben bekannt habt, steht eure Sache schlimm; aber es könnte sein, daß ihr mit möglichst milder Strafe davonkommt, wenn ihr mir einige Fragen wahrheitsgetreu beantworten wollt.«
Die Angeklagten schwiegen.
»Sage mir, Frau, habt ihr auf dem Janiculus den Verräter Sentius Saturninus verborgen gehalten?«
Die Domina schwieg.
Nun wandte sich Fuscus an Eudoxia, die in ihrer jugendlichen reinen Schönheit ein rührendes Bild sanfter Ergebung und mit Mut getragenen Leides bot.
»Sage du mir die Wahrheit, Jungfrau; es ist hart, unter eines Tigers Zahn zu enden.«
Ein leiser Schauer lief über ihren Leib, dennoch sagte sie, und ihre süße Stimme durchzitterte diesen Raum des Entsetzens mit Wohlklang: »Wie der Herr bestimmt; sein Name sei gelobt.«
»In Ewigkeit,« fügten die anderen hinzu.
»Ich will wissen, wo dieser Saturninus ist! Ich zweifle nicht daran, daß ihr ihn versteckt hieltet und auch seinen jetzigen Aufenthalt kennt. Um eurer selbst willen sagt mir die Wahrheit und euer schreckliches Los soll gemildert werden.«
Sie blieben alle stumm.
»Will eine Mutter ihr Kind von den Tieren der Wüste zerreißen sehen?« fuhr Fuscus eindringlich fort.
»Wir stehen in des Allmächtigen Obhut, Präfekt. Den Leib kannst du töten, nicht die unsterbliche Seele.«
»Aber du kannst mir sagen, wo Saturninus weilt.«
»Ich kann es nicht, und wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun.«
Diomed und Medor gaben ihm die gleiche Antwort.
Da sagte Fuscus ergrimmt: »Ihr sollt es büßen, ihr Verstockten! Verfahre mit ihnen nach Recht, Prätor!« Damit entfernte er sich.
Der Richter, den doch wohl die Unschuld und rührende Schönheit Eudoxias milder gestimmt haben mochte, sagte nun: »Bedenkt, was ihr tut, Angeklagte! Euch droht als Verächtern der Götter und Verbreitern staatsgefährlicher Lehren ein schreckliches Ende. Was ist es, wenn ihr dem Gott Domitian opfert? Ihr tut damit eurem Gott keinen Eintrag und er wird es nicht übelnehmen. Also entschließt euch, bringt Domitian ein Opfer und euer Los wird sich leicht gestalten.«
Ruhig wurde dies abgelehnt.
»Seid vernünftig! Was ist es denn großes um dies verlangte Opfer?«
»Gotteslästerung, nichts weniger, und deren sind wir unfähig, Prätor.«
Danach sprach er das Urteil.
Die beiden Frauen und Medor wurden verdammt, den wilden Tieren im Zirkus vorgeworfen zu werden, Diomedes zur Verbannung nach Sardinien.
Er schrie laut auf, als er es vernahm.
»So soll ich nicht mit euch sterben?«
»Droben, Diomed, im Schein des ewigen Lichts sehen wir uns wieder!«
Sie wurden abgeführt und leise hallte das Lied in den Gefängnismauern wider: » Christus regnat«.
»Sie sind nicht zu beugen, diese Nazarener. Schade um das hübsche Kind!« sagte der Prätor, ihnen nachsehend.
Isko war tief erschüttert, als er erfuhr, daß Diomed und die Seinen zu einem grauenvollen Tode verurteilt worden seien, weil sie an die Götter der Römer nicht zu glauben vermochten, sondern sich an einen sanften Gott der Liebe hielten.
Er begriff das Urteil nicht. Er hatte die Christen kennen gelernt in dem demütigen Medor, in Diomeds Mutter und Schwester, in der Versammlung, der er beigewohnt hatte. Und diese Menschen sollten dem Staate gefährlich sein? Er sah in Rom Tempel der Ägypter, der Perser, der Juden, der Indier und anderer asiatischer Völker, in denen der Gottesdienst öffentlich ausgeübt wurde. Die alle glaubten nicht an Romas Götter und trotzdem fürchtete man keine Gefahr von ihnen. Was Cassius einmal gesagt hatte von der Gefahr, womit die Weltanschauung der Christen den Bestand des römischen Staatswesens bedrohe, verstand er nicht. Er sah in den Christen nur unschuldig Verfolgte, die gut, mitleidig, liebevoll und demütig waren und von so inniger Überzeugung, daß sie für diese in den Tod gingen.
Bewunderung und tiefes Mitleid vereinten sich bei ihm und bewegten sein Herz.
Er wandte sich an Catuald um Hilfe. Aber der alte Soldat lehnte es ab, sich für die Christen zu verwenden.
»Ich kann es nicht, Isko; es würde auch wenig nützen, denn ich habe auf diesem Gebiete keinen Einfluß. Gerne würde ich den Armen ja helfen, weil sie deine Freunde sind, aber ich vermag es nicht.«
Isko begab sich zu Cassius Longinus.
»Ich habe bereits daran gedacht, Diomed und die Seinen zu retten,« sagte dieser. »Freilich gibt es da nur ein Mittel, die Bestechung der Gefängniswärter, um die Flucht der Verurteilten zu ermöglichen. Aber dafür ist mir keine Summe zu groß. Ich bin viel reicher, als der Cäsar weiß, sonst lebte ich schon nicht mehr.«
Isko schöpfte aus diesen Äußerungen des Tribunen neue Hoffnung.
»Es sind schon Schritte in dieser Beziehung getan,« fuhr der Tribun fort. »Ich habe mir Freunde im Gefängnis verschafft und bereits die Lage deiner Freunde verbessert; das andere wird folgen. Persönlich mich für sie zu verwenden vermag ich nicht; es würde auch nur schaden, denn ich und meine Freunde sind in Ungnade bei den jetzigen Machthabern, unter denen Fuscus eine hervorragende Stellung einnimmt, und gerade der haßt mich grimmig. So muß das Geld seine Wirkung tun.«
»Könnte nicht Senator Nerva Beistand leisten?«
»Indirekt vielleicht, aber auch er ist im Palatin schlecht angeschrieben.«
»O Cassius Longinus, steh den Armen bei!«
»Zweifle nicht, Freund Isko; mit allen Mitteln geschieht es! Der Wahnsinn regiert im Palatin, der blutige Wahnsinn, und es wird Zeit, daß Römertugend dort wieder ihren Einzug hält. Hoffentlich gelingt es, den Gefangenen zur Flucht zu verhelfen, wobei ich übrigens auf deinen Beistand zähle –«
»Selbstverständlich! Rufe mich nur, und wir führen die Befreiten davon.«
»Mögen es die Götter fügen!«
»Du sprachst ein furchtbares Wort vom blutigen Wahnsinn im Palatin. Den Göttern Dank, daß wir Deutschen keinen Palatin und kein Rom haben!«
Im berüchtigten Mamertinischen Gefängnis harrten indessen die verurteilten Christen der Stunde, die sie aus dieser Erdenwelt hinauf zu des Himmels Seligkeit führen sollte.
Die Mutter und Schwester Diomeds, er selbst und auch Medor waren dank dem Gelde, das Cassius Longinus freigebig verteilt hatte, in dem finsteren, überfüllten Gefängnis besser untergebracht als die anderen Leidensgefährten; auch wurden sie besser genährt als diese. Man hatte sie vor dem schauervollen, unterirdischen Teile des Gefängnisses bewahrt und in einem Nebenflügel des Gebäudes untergebracht.
Zu den beiden Frauen hatte sich die demütige, gottergebene Frau Claudia gesellt, die Medor ihnen zugeführt hatte mit der Erklärung, daß sie nur ihrer todesmutigen Opferwilligkeit die furchtbare Entstellung ihres in der Jugend gewiß einst schönen Gesichtes verdanke.
Die arme Frau hatte sich, nachdem sie hergestellt war, von ihrem rohen Schwager getrennt und mit Schmerz den geistesschwachen Knaben verlassen, um sich nach Rom zu wenden, wo sie noch einige Verwandte besaß.
Beim Gottesdienste war sie dann dort mit ihrer Gemeinde gefangen genommen und gleichfalls dazu verurteilt worden, den wilden Tieren als Speise zu dienen.
Die Gefangenen waren ruhig und fromm in ihr Schicksal ergeben. Nur der zur Verbannung verurteilte Diomed litt furchtbar in dem Gedanken an das Schicksal der Seinen, das er freudig mit ihnen geteilt haben würde.
Die Gedanken der Ärmsten bewegten sich um das Erdenwallen des Heilandes, um seine schlichte, liebenswerte Erscheinung, in der er zwischen den Sterblichen einherwandelte, sein Leiden und Sterben, seine Auferstehung von den Toten und seine einstige Wiederkehr in Pracht und Herrlichkeit. Dies füllte ihre Seele aus und ihre Hoffnung beruhte auf dem untrüglichen Worte dessen, der für sie am Kreuze gestorben war.
Einer ihrer Wärter, der weniger roh als die anderen zu sein schien, hatte ihnen gutes Brot und Früchte zugesteckt, eine große Gunst in ihrer Lage.
Die Wächter hatten soeben Mitternacht ausgerufen, als von der Subura her einige Leute in Sklaventracht sich in Abständen dem Gefängnis und dessen rechtem Flügel näherten.
Dort sah man eine Tür geöffnet, sah Leute mit Fackeln, Gefängniswärter und Soldaten dastehen.
Es wurden einige Leichen herausgetragen, um von Sklaven hinausgeführt und verscharrt zu werden; denn die Sterblichkeit war in dem überfüllten Gefängnis groß.
Es war ein düsterer, trauriger Anblick.
Die Leute, die von der Subura hergekommen waren, bargen sich im Schatten der Häuser und sahen dem nächtlichen Vorgang zu. Die Särge verschwanden mit ihren Trägern, die Soldaten gingen zurück; nur einige Wärter blieben noch im Freien.
Von diesen näherte sich der eine einer Säule, hinter der zwei Männer sein verstohlenes Herankommen beobachteten.
Als er nahe gekommen war, wurde er leise angerufen: »Crispus.«
»Ja, Herr.«
»Komm hierher!«
Es war Cassius Longinus, der mit ihm sprach, im Gewande eines seiner Sklaven. Neben ihm stand Isko, gleich dem vornehmen Römer in Sklaventracht gekleidet.
»Nun, Crispus, wie steht's?«
»Edler Herr, an meiner Bereitwilligkeit, dir zu dienen, wirst du nicht zweifeln? Aber die Sache ist sehr schwierig –«
»Verteile mehr Geld, Crispus! Hier hast du vorläufig noch dreitausend Sesterzien,« – er reichte ihm einen schweren Beutel, der Gold- und Silbermünzen barg – »zehntausend erhältst du, wenn sie frei sind.«
Der Mann nahm den Beutel und sagte: »Mehr als zwei zu retten, wird nicht möglich sein. Eine der Frauen können wir morgen nacht in einem Sarge hinaustragen – die Träger sind zuverlässig – und einer der beiden Männer kann als Träger mitgehen. Mehr zu tun, ist nicht möglich; die Aufsicht ist zu streng und gerade diesen Gefangenen scheint man besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Noch heute war der Unterpräfekt mit dem Ädil da und sah sich die Gefangenen und auch das verhärmte Weib an, das bei ihnen weilt; es geschah wohl, um endgültige Anordnungen über sie zu treffen. Über das arme Weib lachten sie sehr und ich hörte den Ädil sagen: ›Der Scherz wird dem göttlichen Imperator sehr behagen; er liebt dergleichen. Er lachte schon, als ich ihm davon sprach.‹ Sie gingen dann wieder fort.«
»Crispus,« erwiderte Cassius Longinus, »ich mache dich und alle, die dir helfen, zu reichen Leuten, aber rettet alle!«
»Ach, Herr, wie gern,« erwiderte der Gefängniswärter mit einem Seufzer, »aber wir spielen um unsere Köpfe.«
»Wagt und ihr gewinnt!«
Isko flüsterte dem Römer zu: »Wäre es nicht richtig, wir begnügten uns, wenn es nicht anders sein kann, mit der Rettung der Geschwister?«
»Gewiß, Freund, aber wie ich diese Menschen kenne, werden sie die Mutter nicht verlassen wollen.«
»Ach, könnten wir sie doch sprechen!« rief Isko aus.
»Das ist nicht unmöglich, Herr,« sagte der Wärter, der das vernommen hatte. »Dort,« er deutete auf den Eingang des Gefängnisses, »sind nur Leute, die mir helfen, und die anderen kehren vom Begräbnis erst spät zurück.«
»Ich will es wagen,« sagte Isko.
»Ich will dich nicht zurückhalten, Jüngling, obgleich der Gang gefährlich ist. Aber ich gehe nicht mit dir. In dir fangen sie nur einen Prätorianer, und die Wachen, die dich wahrscheinlich kennen, wenn du dein Gesicht offen zeigst, werden dir nichts zufügen. Für mich wäre die Entdeckung so viel wie augenblicklicher Tod. Diese Freude will ich Seiner Göttlichkeit im Palatin nicht machen, mich in der Mausefalle zu fangen. Geh, Isko, ich erwarte dich hier. Crispus, bringe ihn zurück!«
»Sicher, Herr!«
Isko ging davon, geführt von dem Wärter, und verschwand gleich darauf in der Gefängnistür. Geduldig harrte der Römer seiner Rückkehr.
Während er lauschend und den Platz überspähend hinter der Säule stand, kam leisen Schrittes ein Mann daher, dem es augenscheinlich darum zu tun war, kein Aufsehen zu erregen, denn er hielt sich vorsichtig im Schatten und schaute sich öfters um.
Plötzlich stutzte der Mann; er mußte den Lauscher hinter der Säule gesehen haben. Cassius zog das breite Dolchmesser, das er unter dem Sklavengewande trug, und faßte die Gestalt fest ins Auge, ließ aber zugleich ein leises Pfeifen vernehmen, das seine Begleiter heranrief, die unweit verborgen waren.
Als der Mann dies vernahm, stürzte er, sein Schwert ziehend, auf Cassius los. Dieser aber, vorbereitet und selber ungewöhnlich gewandt und stark, faßte mit seiner Linken des Mannes Handgelenk mit eisernem Griff, und sein Messer würde sich in dessen Leib gebohrt haben, wenn er nicht plötzlich des Sentius Saturninus Angesicht vor sich gesehen hätte, der mit gleichem Erstaunen die Züge des Tribunen erkannte.
»O Sentius,« sagte Cassius lächelnd und ließ dessen Handgelenk los, »begrüßt man so seinen Freund?«
»Nun, bei den Göttern, wie sollte ich um diese Zeit hier im Sklavengewande den Meister römischer Eleganz vermuten! Was tust du hier, Cassius?«
Dieser erzählte es ihm mit kurzen Worten.
»Auch mich,« sagte Sentius, »trieb die Teilnahme an Diomed und den Seinen, die mich opfermutig verbargen, auf die Straße und hier am Gefängnis vorüber. Ich habe einen gefährlichen Gang für sie hinter mir. Nerva vermag nichts für sie zu tun; er hat auf diese Kreise keinen Einfluß. Ich selbst bin durch mein ihm gegebenes Wort verhindert, etwas gegen den ›Göttlichen‹ zu unternehmen. Da entschloß ich mich, einen ehemaligen Freund meines Vaters, den mächtigen Stephanus, des Kaisers rechte Hand, aufzusuchen. Mein Kopf stand auf dem Spiele, wenn er meines Vaters vergessen hatte.«
Sehr gespannt lauschte Longinus auf des Sentius Worte.
»Nun?«
»Ich gelangte zu ihm und er sah nicht ohne Überraschung den Sohn des Hochverräters vor sich. ›Ich wußte, daß du hier in Rom und ein vielgesuchter Mann bist, Sentius,‹ sagte er. ›Was führt dich zu mir?‹ Ich berichtete es ihm und bat ihn, den mächtigsten Mann im Reiche, sich beim Cäsar für Diomed und die Seinen zu verwenden. Da sah er mich durchdringend an und sagte dann langsam: ›Du bist der Sohn meines Freundes, Sentius. Ich würde dich schützen und dir auch ohne weiteres meine Verwendung bei Domitian für deine Schützlinge zusagen; aber – meine Machtstellung ist nur noch äußerlich. Ich stehe nicht mehr in Gunst beim Imperator.‹«
»Den Göttern sei Dank,« murmelte Cassius, »Stephanus kennt die Gefahr!«
»So mußte ich ohne die erhoffte Hilfezusage abziehen.«
»Sentius,« sagte Cassius, »du warst sehr verwegen; es ist Stephanus nicht zu trauen.«
»Du siehst, daß ich ihm vertrauen durfte.«
»Hast du ihm gesagt, wer dich verborgen hält?«
»Nein.«
»Das ist sehr gut. Stephanus ist ein kluger, aber auch ein gewalttätiger Mann, und da er die Gefahr kennt, die ihn bedroht, werden wir bald besondere Dinge erleben.«
»Bist auch du der Meinung, daß er in Ungnade beim Imperator gefallen ist?«
»Ich glaube, es stimmt. Domitian wird den geriebenen Finanzmann erst seiner Millionen entledigen und dann zu den Toten werfen wollen.«
Während die beiden im Schatten der Säule sich unterhielten, bewacht von den Begleitern des Cassius, die sich genaht, aber ruhig verhalten hatten, als sie gewahrten, daß ihr Herr den Fremden freundschaftlich begrüßte, hatte Isko in Begleitung des Wärters das Gefängnis betreten. Die Tür war offen. Einige Wärter standen da, die ihn nicht beachteten; eine Wachstube zeigte sich, in der verschlafene Prätorianer lagen. Einer hielt im Gange mit gezogenem Schwert Wache und Isko glaubte in ihm einen Katten von der Fuldaha zu erkennen, der seit mehreren Jahren in der siebenten Kohorte diente.
Er hatte überall nach Stammesgenossen geforscht und auch eine stattliche Anzahl unter dem römischen Helm gefunden. Die Deutschen nahmen seit alter Zeit gern Dienst im römischen Heere; sie halfen schon Julius Cäsar die Schlacht bei Pharsalus gewinnen, die das Schicksal des Römerreiches und damit der Welt entschied.
Er schritt mit seinem Begleiter vorüber durch schlecht erleuchtete Gänge in einer fast erstickenden Luft. Zuweilen hörte er Stöhnen und Ächzen aus den Gemächern hervorklingen oder eine fromme Weise ertönen.
Endlich hielt Crispus vor einer Tür und zog den Riegel zurück. »Hier wohnen deine Freunde. Sei unbesorgt; wir sind jetzt ungestört, bis die Leichenträger zurückkommen.«
Isko klopfte an und rief leise: »Diomed!«
»Wer ruft da?«
»Ein Freund, Diomed.«
Die Tür öffnete sich und Isko trat ein, nicht sogleich erkannt von dem jungen Griechen.
Bei einer Lampe trübem Scheine sah der Germane die Domina auf einem rauhen Lager sitzen; in ihrem Schoße lag ihres schlafenden Kindes bleiches Haupt.
Daneben saß, das Gesicht halb verhüllt, Claudia, aber Isko erkannte sie doch und erschrak über die Entstellung durch den Schwerthieb, den sie seinetwegen empfangen hatte.
In einer Ecke hockte Medor an der Wand und schlief.
»Isko!« rief Diomed mit freudigem Erstaunen und der Laut richtete aller Blicke auf den Eingetretenen im Sklavengewande. Auch Eudoxia und Medor öffneten die Augen.
»O Isko – teurer Freund – was führt dich hier in die Grabesnacht?«
»Ich muß kurz sein, denn ich habe nicht viel Zeit übrig,« sagte der Jüngling, von allem, was er sah, tief ergriffen. Er reichte Diomed und dem ihn freudig anstarrenden Medor die Hände und wandte sich dann zu Claudia, auch ihr die Hand hinreichend: »Ich habe dich nicht vergessen, gute Mutter Claudia, die mich am Arnus vom Tode rettete; solange ich lebe, werde ich dir dankbar sein.«
»Du bist ein guter Jüngling; der Herr sei allezeit mit dir!«
Isko wandte sich dann an die Domina: »Du und die Deinigen, ihr habt Freunde, edle Frau; in deren Namen komme ich.«
Sie schaute mit sanfter Ergebenheit, aber hoffnungslos zu ihm auf. In dem Auge Eudoxias aber leuchtete ein Freudenschimmer.
»Die Vorbereitungen sind getroffen, zunächst zwei von euch zu retten: ein weibliches Wesen, das in einem Sarge das Gefängnis verlassen wird – wir erwarten ihn an vereinbarter Stelle – und einen Mann, der als Träger durchschlüpfen soll.«
Mit einem Ausdruck himmlischer Güte auf dem matronenhaften Antlitz sagte die Mutter Diomeds: »Meine Kinder, ihr seid jung und liebt das Leben; geht, rettet euch! Schwester Maria« – sie reichte Claudia die Hand – »und mein Bruder Paulus, wir sind bereit, durch des Todes dunkles Tor in das Himmelreich einzugehen.«
»Ja,« sagten beide und Medor setzte hinzu: »Geht – wir beten für euch am Throne Gottes!«
»Ich gehe nicht,« sagte Diomed mit der ihm eigenen sanften, aber entschlossenen Ruhe. »Mit euch, meine Lieben, ja – ohne die Mutter, nein!«
»Mit dir, teure Mutter, leben oder sterben,« fügte Eudoxia hinzu, wie Diomed mit unerschütterlichem Entschluß.
»O teure Kinder, ich würde freudiger sterben, wenn ich euch gerettet weiß.«
Beide fielen vor ihr nieder und küßten ihr die Hände.
»Nicht ohne dich, Mutter! Das Leben wäre nur eine Qual für uns.«
Mit tiefer Rührung wohnte der junge Germane diesem Vorgang bei. Das waren alle Helden, die dem Tod in seiner schrecklichsten Gestalt entschlossen entgegen sahen!
Crispus, der Wärter, öffnete die Tür. »Es wird Zeit,« sagte er hastig, »komm, sonst droht uns allen Gefahr.«
»Herzensdank, Jüngling, für deine opfermutige Freundschaft!«
»Dank, Isko, Dank!«
»Wir werden für dich beten.«
»Komm, komm!« mahnte Crispus.
»Der Herr sei mit dir in Ewigkeit!«
»Amen.«
Fast betäubt von einer Flut mächtig auf sein Herz eindringender Gefühle, gemischt aus tiefem Mitleid, Bewunderung und namenlosem Grauen vor dem Schicksal dieser Armen, verließ Isko die Freunde und folgte dem Wärter durch die Gänge.
Dennoch hatte er Besonnenheit genug, dem Wärter zu sagen: »Morgen um Mitternacht sind wir hier. Bedenke, es steht ein Vermögen für dich auf dem Spiele.«
Am Ausgang standen Legionäre. Einer fragte: »Wo wollt ihr denn jetzt noch hin?« und faßte Isko an der Schulter. Es war der Katte. Da flüsterte ihm Isko in kattischer Mundart zu: »Laß mich, Ruotmar.«
Höchlichst überrascht, nahm der Mann seine Hand fort und sagte lateinisch: »Nun, so geh!«
Isko verließ das Gefängnis, Crispus aber blieb zurück und verschwand wieder im Inneren seines Gebäudes.
Der junge Germane schritt auf die Säule zu, hinter der Longinus ihn erwartete, begrüßte Sentius und berichtete traurig von dem, was er im Gefängnis erlebt hatte.
»Welche Menschen! Aber wir wollen sie retten und wenn es auch eine Million und mehr kostet! Diese Opfer möchte ich dem Scheusal im Palatin entreißen. Getrost, Isko! Morgen um diese Zeit sind wir hier; im Notfall erstürmen wir das Gefängnis.«
Sie gingen davon. Sentius trennte sich bald von ihnen, Isko aber begleitete Longinus zu seinem Hause und kleidete sich um, ehe er zum Castrum zurückritt. Dem Jüngling war weh ums Herz.
Im Laufe des folgenden Tages ließ Cassius Longinus seine Boten mit verdoppeltem Eifer arbeiten und noch größere Summen bieten. Er erhielt die Versicherung, man werde alle Gefangenen retten, die er begehre, nur möge er mit Bewaffneten kommen.
Er benachrichtigte Isko und um Mitternacht waren beide vor dem Gefängnis, wo sich bereits in aller Stille ein Haufe entschlossener und dem Tribunen ganz ergebener Gesellen versammelt hatte.
Mit Erstaunen sahen die beiden berittene Prätorianer vor dem Gefängnis.
Der Wärter Crispus schlich sich an Longinus heran und berichtete mit tiefer Bekümmernis, daß die Gefangenen, die er befreien sollte, schon am Morgen nach dem Kerker des Amphitheaters übergeführt worden seien. Damit war ihr Schicksal entschieden, denn eine Befreiung aus diesen Höhlen war undenkbar und die Spiele rückten heran.
»Jetzt können nur die Götter noch helfen, Isko,« sagte Cassius seufzend, »Menschenwitz scheitert hier.«
Mit tiefem Leid erkannte der Jüngling die Wahrheit dieser Worte und nickte stumm; hier konnten nur die Götter helfen.