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IX
Afghanistans höchstes Gebirge

Im äußersten Nordosten Afghanistans, an der Grenze gegen das indische Gebiet von Tschitral, steht wie ein Wächter ein gewaltiger Gipfel. Keines Europäers Auge hat je seine westlichen, Afghanistan zugewandten Hänge und Schluchten gesehen, keines Europäers Fuß je seine Gletscher betreten. Bis zu 7800 Meter ragt er mit seinen Schnee und Eisspitzen in die blaue Luft und blickt auf eines der wildesten und zerrissensten Gebiete der asiatischen Gebirgswelt herab. Es ist der Tiritsch-Mir, dessen Lob alle Reisenden gesungen haben, die in Tschitral weilten und von ferne seine eisgepanzerten Hänge und kühnen Schneegipfel bewunderten.

Nördlich von diesem Bergriesen erheben sich noch zwei weitere Gipfel über 7500 Meter, von denen der eine ebenfalls den Namen Tiritsch-Mir trägt.

Die Bewohner von Tschitral wissen über diese Eisriesen seltsame Geschichten zu erzählen, die uns Durand mitgeteilt hat. Am Fuße des Berges soll ein See liegen, der von großen, flachen Steinen eingefaßt ist, auf denen die Bergfeen ihre Kleider waschen. Manchmal soll man ihre feinen Stimmen vernehmen, und sie singen hören oder um die Türme des alten Schogot-Forts schweben sehen, und zwar immer 10 oder 12 Tage, bevor ein Mitglied der Herrscherfamilie stirbt. Der eine der Tschitraler Herrscher soll sogar eine Fee zur Frau gehabt haben.

Es wird erzählt, daß in einem kleinen Dorfe unterhalb Tschitral sich in jeder Freitagnacht die Bergfeen versammeln, um an einem Platze, der durch einen großen Stein markiert ist, zu beten. Kein Mensch wagt es, in dieser Gegend auf die Jagd zu gehen.

Einmal hatte sich ein Eingeborener verirrt und mußte die Nacht in der Nähe dieses Platzes zubringen. Er hörte geisterhafte Stimmen, die zum Gebet riefen, und die Luft war von einem seltsamen Stimmengewirr erfüllt. Diejenigen, die die Feen gesehen haben wollen, erzählen, daß sie zu Fuß durch die Luft gingen oder ritten. Sie seien bildschön und ganz in Weiß gekleidet. Seltsamerweise sollen sie keine Knie und keine Fußgelenke haben, und die Zehen sollen nach rückwärts gerichtet sein. Manche Leute erzählen, daß sie Männer oft 10 bis 15 Tage verschleppen, aber gut behandeln.

Einmal war ein Tschitrali auf Jagd gegangen. Er schoß auf ein Wildschaf und verwundete es, aber das Tier entkam. Ein paar Tage später kam ein Mann in das Dorf, der hinkte und den Jäger fragte, warum er auf ihn geschossen habe. Als dieser beteuerte, er habe nur auf ein Wildschaf geschossen, antwortete der lahme Mann, der als Zauberer bekannt war, er sei das Wildschaf gewesen.

Auch andere Reisende erzählen seltsame Geschichten von den Feen des Hindukusch, die im Mondschein um die hohen Schneegipfel schweben und die Wanderer verführen.

Erst in den letzten Jahren sind die hohen Berge des Hindukusch näher bekannt geworden. Öde und wild ist hier die Bergwelt und kein Grün erfreut das Auge. Die großen täglichen Temperaturunterschiede sprengen die Felsen, Schuttmeere hüllen die Hänge ein und füllen die Täler aus. Kein Hindukuschgipfel ist bisher bestiegen worden, und große Strecken des Gebirges sind noch gänzlich unerforscht.

Wie ein gewaltiger Schutzwall legt sich der Hindukusch um die nordwestlichsten Provinzen des indischen Reiches, um gen Westen quer durch Afghanistan hindurchzuschneiden. Einige der höchsten Pässe unserer Erde führen von Tschitral aus über das Gebirge nach Badachschan und den Landstrichen am Oxus hinab. Viele Pässe können nur zu Fuß überschritten werden, und der Übergang ist stets mit großen Gefahren verbunden. Nicht allein, daß die Natur den Reisenden bedroht, sondern auch räuberische Stämme – – vor allem die Kafiren – lauern dem Wanderer auf, um ihn, wenn er, von den Strapazen der Reise erschöpft, seinen Zielen nahe zu sein glaubt, zu überfallen und auszurauben.

Daß dieses gewaltige Gebirge trotz seiner großen Höhe im Kriegsfalle nicht unbedingt als eine natürliche Schutzmauer angesehen werden darf, hat uns Aurel Stein gezeigt, der feststellte, daß bereits eine chinesische Armee diese Gebirge überschritt und bis nach Kaschmir vordrang (747 n. Chr.). Aber nur unter großen Strapazen konnte dies möglich gewesen sein; englische Forscher, die das Gebiet bereist haben, wo Hindukusch und Kara-korum zusammenstoßen, schildern anschaulich die ungeheuere Zerrissenheit dieser Gebiete, die gewaltigen, steilen Felswände und tiefen Schluchten. Erdbeben, die ganze Berge zusammenstürzen lassen, erschüttern die Gebirge in ihren Fugen und zerreißen sie, schaffen Klüfte, in die sich die Schmelz- und Wildwasser stürzen und tiefe Schluchten ausfeilen. Die gebirgsbildenden Kräfte sind hier noch lange nicht zur Ruhe gekommen.

Geologisch gesprochen, ist es noch gar nicht so lange her, daß an der Stelle, wo sich heutzutage die Gipfel des Hindukusch erheben, ein blaues Meer flutete, das durch einen breiten Meeresarm mit dem Meere in Verbindung stand das auch Tibet einst bedeckte. Auf dem ca. 4900 Meter hohen Nuksanpasse hat man noch versteinerte Muscheln gefunden. Gewaltige Kräfte müssen am Werke gewesen sein, um dies majestätische Gebirge aufzupressen. Gebirgsmassen sind über Gebirgsmassen geschoben, überkippte Falten treten im Bau auf und große Eruptivstöcke haben sich durch die Ablagerungen hindurchgepreßt und bilden jetzt den Kern der Kette.

Ein Meer hoher Gipfel reiht sich aneinander. Als ich nördlich Barfak auf einem Kreidekalkrücken stand und den Blick über das herrliche Gipfelmeer schweifen ließ, das tief eingeschneit im Glanze der untergehenden Sonne dalag, da glaubte ich fern im Osten einige der ganz hohen Schneekuppen zu erkennen, die sich bei Tschitral erheben; aber erst das Fernglas sagte mir, daß es nur ein paar leuchtende Wolken waren.

Viele Pässe kreuzen den Hindukusch und der Chawakpaß ist schon seit ältesten Zeiten bekannt, da Alexander der Große ihn bereits kreuzte. Die Höhe dieses Passes ist über 3500 Meter und über ihn führt noch heute eine der wichtigsten Karawanenstraßen, die Kabul mit Afghanisch-Turkestan verbinden. Immer mehr und mehr tritt aber die Straße über den Salangpaß in den Vordergrund, die jetzt unter der Leitung italienischer Ingenieure ausgebaut wird.

Der wichtigste Paß, der von Badachschan nach Indien führt, ist der Dorah. Er soll leicht zu überschreiten sein, ist aber stets durch die Überfälle der Kafiren gefährdet. Der Ausblick von seinen Höhen muß überwältigend schön sein. Weit kann der Blick über große Strecken des einsamen Innerasiens schweifen. Der Hindukusch trennt hier zwei Welten.

Am wenigsten unterrichtet sind wir über die Gebiete, die zwischen dem Chawakpaß und Tschitral liegen. Hier liegt das abgeschlossene Minjaner Hochtal, wo noch ein ganz seltsamer Dialekt gesprochen wird. Hier spiegeln sich die hohen Hindukuschgipfel in blauen Seen. Wie eine Barriere schneidet der Hindukusch Kafiristan von Badachschan ab. Trotzdem die Pässe himmelstürmend hoch sind und nicht von Tragtieren überschritten werden können, dienen sie den Kahren als Anmarschwege bei ihren Raubzügen. Es gibt vielleicht nur wenige so vollkommen unbekannte Gebiete auf unserer Erde wie Kapristan. Da auch hier die einzelnen Stämme sich untereinander bekämpfen, so müßte man, um das Land durchziehen zu können, sich immer von Stamm zu Stamm durchzuschlagen versuchen. Berücksichtigt man ferner, daß man nur mit Trägern das Land bereisen kann, daß in Kafiristan die verschiedensten Dialekte gesprochen werden, so kann man sich einen Begriff davon machen, mit welchen Schwierigkeiten der Forschungsreisende zu rechnen hat, der sich in dieses Gebiet hineinwagt.

Der einzige Europäer, der den Teil des Hindukusch besucht hat, der Kafiristan im Norden begrenzt, war Robertson. Im Juni des Jahres 1889 bestieg er unter größten Schwierigkeiten den Mandalpaß, der eine Höhe von ca. 4600 Meter hat. Er berichtet in seinem interessanten Buche, wie selbst den Kafiren der Aufstieg manchmal schwer wurde. Unter Rufen und Singen aber eilten sie oft voran, legten sich manchmal in den Schnee und machten ein Schläfchen, bis die Hauptkarawane nachgekommen war. Millionen toter Schmetterlinge lagen auf den Schneefeldern. Im Gegensatz zu den wilden räuberischen Kafiren sind die Bewohner von Minjan auf der Nordseite des Gebirges ein friedfertiges Völkchen.

Auch die Gegenden um den Chawakpaß sind häufig feindlichen Überfällen ausgesetzt. Es gibt große Räuberbanden und ich hörte erzählen, daß die Gouverneure die Sicherheit des Landes dadurch garantieren, daß sie mit den mächtigsten Räuberhäuptlingen Verträge schließen und diesen eine Belohnung versprechen, wenn in ihrem Gebiete keine Überfälle stattfinden. Ganz ähnlich haben sich auch die Engländer am Khaiberpaß geschützt, indem sie die Räuberstämme der Afridis selbst zum Schutze der Straßen nehmen und ihnen für ihren Wachtdienst eine jährliche Subvention zahlen.

Der Verkehr im ganzen Hindukuschgebiet geschieht mit Karawanen, aber schon ist das Auto siegreich bis auf die Hindukuschpässe vorgedrungen.

Man sollte meinen, daß solch ein gewaltiges Gebirge, wie es der Hindukusch ist, große Gletscher aufweist. Aber die Schneelinie liegt hier sehr hoch und im Herbst trifft man unter 4800 bis 5000 Meter kaum noch einen Flecken Schnee. Die Niederschläge sind zu gering, um es zur Ausbildung von Gletschern kommen zu lassen; nur in den östlichsten Teilen, wo sich die Gipfel über 7000 Meter erheben, ziehen sich Eisströme in die Täler. Trotzdem ist der Schneefall im Winter recht beträchtlich, und die meisten Hindukuschpässe sind dann für den Verkehr gesperrt.

Schon im März beginnt der Schnee zu schmelzen und im Hochsommer wälzen sich gewaltige Fluten durch die Täler. Häufig werden dann alle Brücken fortgerissen und Muren gehen zu Tal.

Im westlichen Teil des Hindukusch vermißt man auch eiszeitliche Formen, wie wir sie aus den Alpen kennen. Trogtäler und Kare fehlen. Und so kommt es, daß die Bergwelt des westlichen Hindukusch einen Vergleich mit den Alpen nicht standhält, obwohl auch hier die Gipfel bis 5000 Meter aufragen.

Der Hindukusch bildet die Wasserscheide zwischen dem Flußgebiet des Indus und dem des Oxus. Schon seit ältesten Zeiten haben in seinen zerrissenen Tälern Völker Schutz und Zuflucht gefunden. Die Wogen der Weltgeschichte brandeten um seine Klippen. Griechische, skytische, mongolische Eroberer zogen mit ihren Heeren durch sein Reich und schon in ältesten Zeiten müssen auch die Arier auf ihrem Wege nach Indien seine Pässe gekreuzt haben. Einmal aber wird vielleicht der Hindukusch noch eine große Rolle spielen, nämlich dann, wenn der große Entscheidungskampf zwischen der englischen und russischen Vorherrschaft in Asien ausgetragen wird.


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