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Das Lachen und Tuscheln zwischen den drei Schulfreundinnen wollte kein Ende nehmen. Waren Pommerle, Ilse und Karin auch nur für Sekunden beisammen, so sprachen sie von nichts anderem, als von dem bevorstehenden Maskenball, der am fünfzehnten Januar in der Villa des Fabrikbesitzers Torlege stattfinden sollte. Eine täuschte die andere. Dabei wußte jede, daß es Schwindel sei. Bald erklärte Ilse, sie komme als Hexe, bald als spanische Edeldame, bald als Sternenjungfrau. Karin lachte verschmitzt und zog die Stirn kraus, wenn Pommerle sagte:»Ich weiß ja, was für ein Kostüm du wählst; du willst den schönen, schlanken Griechen bezaubern! Du kommst als Griechin!«
Daß Karin tatsächlich dieses Kleid gewählt hatte, verriet sie nicht. Sie ließ es sich von einer ihr bekannten Schneiderin anfertigen, und sah darin geradezu bezaubernd aus.
Pommerle hatte lange überlegt, in welcher Maske sie das Fest besuchen solle. Schließlich war sie zu dem Entschluß gekommen, als Kornblume zu erscheinen. Das Kleid war weder teuer noch schwierig herzustellen. Frau Steiner hatte ihr diesen Rat gegeben.
Die gute Frau Steiner! Pommerle besuchte ziemlich oft die gleichaltrige Gisela, zu der sie sich hingezogen fühlte. Gisela hatte im vorletzten Winter Wandas Schneeschuhe entliehen und einen davon zerbrochen. Pommerle hatte alle Schuld auf sich genommen. Seit diesem Vorkommnis verband innige Freundschaft die beiden Mädchen. Gisela Steiner hatte niemals das Gymnasium besucht; sie war mit fünfzehn Jahren aus der städtischen Schule geschieden, um der kränklichen Mutter in dem kleinen Geschäft zu helfen.
Frau Steiner besaß einen bescheidenen Laden; gar mancher ging an dem kleinen Schaufenster achtlos vorüber, in dem Schirme und Handschuhe zum Verkauf auslagen. Es war wirklich nur ein kleiner Laden, doch trug er so viel, daß Frau Steiner sich und ihre Tochter Gisela ernähren konnte. Freilich, in letzter Zeit war der Arzt mit dem Befinden der zarten Frau nicht mehr zufrieden. Manche Summe Geldes mußte für Medikamente in die Apotheke getragen werden. So sandten Pommerles Eltern oft Stärkungsmittel, Obst oder dergleichen, zu Steiners, Pommerle selbst aber weilte häufig in dem kleinen Stübchen, das hinter dem Laden lag, um mit Gisela zu plaudern oder zuzusehen, wie kranke Schirme gesund gemacht wurden.
Auch jetzt war sie wieder bei Steiners, denn die brave Frau hatte sich erboten, Pommerle bei der Anfertigung der Kornblume zu helfen. Unter ihren geschickten Händen erstand langsam das wunderhübsche Kleid, das Pommerle an dem festlichen Abend tragen sollte. »Daheim darf niemand etwas ahnen«, hatte Pommerle immer wieder erklärt. »Meine Eltern dürfen nicht wissen, unter welcher Maske ich das Fest besuche. Ich will sie necken!«
»Weißt du denn, was die Eltern tragen werden?«
»Nein, aber ich hoffe, daß ich sie herausfinden werde. Es sind dreißig Personen bei Torleges geladen, da wird es gewiß nicht schwer sein, die Eltern zu erkennen. Außerdem werde ich versuchen, durch geschicktes Fragen etwas zu erkunden.«
»Du wirst dich auch verschnappen, Pommerle.«
»Im Gegenteil – ich werde die Eltern aufs Glatteis führen. Sie sollen mich unter einer anderen Maske suchen. – Wenn ich nur wüßte, was Ilse und Karin anziehen werden.«
Der Zufall kam Pommerle zu Hilfe. Das junge Mädchen besuchte die Freundin und fand sie anfangs nicht. Kurzerhand ging es in Ilses Zimmer und sah auf dem Tisch und auf der Erde eine Menge kleiner Stoffreste hellgrüner Farbe liegen. Dünne Seide, Chiffon, auch eine kleine weiße Blüte lag umher. »Jetzt weiß ich es – sie ist eine Nixe! Oh, ich werde Ilse ärgern!«
Pommerle steckte einige Stoffstückchen in ihre Handtasche, nahm auch das weiße Blümchen mit und verließ hastig wieder das Zimmer. Es würde Ilse kränken, wenn sie wüßte, daß ihr Geheimnis verraten war. So stellte sich Pommerle, als sie wieder mit der Freundin zusammen kam, völlig unwissend.
Daheim ging sie sogleich an die Arbeit. Sie streute die grünen Stoffreste auf die Erde und legte das Blümchen dazu. Sie wußte, daß die Mutter im Laufe des Nachmittags nach ihrer Tochter sah. Dann würde sie die grünen Stoffstückchen sehen und daraus schließen, daß ihre Tochter an dem Maskenkleide gearbeitet und die Abfälle nicht sorgsam fortgeräumt habe.
»Hoffentlich fallen meine Eltern darauf herein«, rief Pommerle strahlend, »sie werden auf dem Fest sogleich zu Ilse gehen und behaupten, sie wüßten, wer sich unter der Maske verbirgt. Die Kornblume sollt ihr nicht erkennen!«
Tatsächlich betrat eine Stunde später Frau Bender das Zimmer ihrer Tochter. Ihr erster Blick fiel auf die leuchtendgrünen Stoffreste, die auf dem Teppich umherlagen. »Oh, Pommerle«, sagte sie zu sich, »wenn du Heimlichkeiten vor uns haben willst, mußt du damit sorgsamer umgehen.« Ruhig ließ sie die Stückchen liegen und beschloß, der Tochter gegenüber nichts zu erwähnen, um ihr die Vorfreude nicht zu rauben.
Zufälligerweise betrat an diesem Tage auch Professor Bender Pommerles Zimmer. Sie war darin. Ihr Gesicht nahm einen spitzbübischen Ausdruck an, als sie bemerkte, daß der Vater die grünen Restchen sah. »Hier bringe ich dir das Buch, Pommerle«, sagte der Vater.
Da sprang die kleine Listige auf, stellte sich breitbeinig vor den Vater, mit jedem Fuß ein grünes Fleckchen verbergend. »Geh rasch wieder hinaus, Väterli, ich habe meine Geheimnisse!«
»So, so, Geheimnisse hast du?« Er schaute auf die weiße Blume, die auf der Erde lag.
Pommerles Gesicht strahlte immer heller. Nun war es erwiesen, Väterli wußte, daß sie zum Maskenfest ein Kleid mit weißen Blumen tragen werde. »Geh nur, geh«, drängte Pommerle.
»Ach so, hier wird ganz heimlich geschneidert!«
»Laß mir meine Geheimnisse, Väterli. – Sage mal, denkst du daran, daß jeder maskiert kommen muß? Wird für euch auch schon etwas genäht?«
»Bei Frau Weber bekomme ich eine Maske für mich.«
»Mein schönes Väterli muß etwas Imposantes tragen. Wie wäre es mit dem Dogen von Venedig? Oder Karl der Große? Vielleicht auch ein Ritter aus dem Mittelalter? Was meinst du, Väterli?«
»Willst du mich aushorchen?«
»Wo denkst du hin! Ich werde euch suchen, und wette, daß ich euch in den ersten fünf Minuten herausfinde.«
»Na, Pommerle?«
»Väterli, wir wollen wetten. – Um acht Uhr sollen wir vollzählig erschienen sein; um acht Uhr und fünfzehn Minuten flüstere ich dir zu, daß du erkannt bist.«
»Ich dir auch, Kleines!«
»Väterli, mich erkennst du nicht!«
»Wenn du mir etwas ins Ohr flüsterst, weiß ich doch, daß du es bist.«
»Richtig – dann werde ich eine Freundin beauftragen, dich anzuflüstern. Aber ich erkenne dich ganz bestimmt. Ich werde dir einen Kuß versetzen, und die Sache ist erledigt. – Väterli, um was wollen wir wetten?«
»Mache mir einen Vorschlag.«
»Du schenkst mir das neu herausgekommene Gartenbuch, das in der Buchhandlung ausgestellt ist.«
»Etwas kostspielig, Pommerle.«
»Väterli, du mußt dir doch sagen, daß ein ganz besonderer Scharfsinn dazu gehört, dich unter einer Maske zu erkennen. – Also, ich bekomme das Buch?«
»Meinetwegen – aber erst mußt du mich erkannt haben.«
»Ja – ich hebe deine Gesichtsmaske ein wenig hoch und gebe dir hintereinander drei Küsse auf den Mund. Daran sollst du merken, daß ich dich erkannt habe.«
»Wenn aber ein anderer die drei Küsse bekäme?«
Das junge Mädchen lachte auf. »Ganz unmöglich! Ehe ich nicht genau weiß, daß du mein Väterli bist, küsse ich natürlich nicht.«
Am nächsten Tag ging Pommerle mit Ilse zu Frau Weber, um sich die Maskenkleider anzusehen, die vielleicht verliehen werden könnten. Es waren viele nette Sachen darunter. »Mein Vater, der Professor Bender, wird sich auch an Sie wenden. Vielleicht empfehlen Sie ihm diesen Maharadscha.«
»Das kann ich tun. – Soll ich Ihrem Vater sagen, daß Sie dazu rieten?«
»Wo denken Sie hin«, rief Pommerle, »alles muß ein Geheimnis zwischen uns bleiben!«
»Ich hätte hier noch einen schönen roten Domino.«
»Den können Sie mitschicken.«
»Gut – wenn Herr Professor Bender anruft, werde ich die beiden Kleider senden.«
Pommerle klatschte lachend in die Hände. »Nun werde ich mein Väterli leicht finden. Die drei Küsse knalle ich ihm im Anfang auf. – Hübsch werden wir nebeneinander aussehen. Der Maharadscha und die Kornblume.«
»Hier habe ich noch etwas ganz Neues. Soeben fertiggeworden. Einen Minnesänger. Sehen Sie den schwarzen Samtmantel mit dem Pelzwerk. Eine Harfe in die Hand, und Wolfram von Eschenbach ist fertig.«
»Ach ja, den Minnesänger«, jubelte Pommerle. »Bitte, schicken Sie den Maharadscha und den Minnesänger zur Auswahl. Ich glaube, der Minnesänger ist das rechte für meinen Vater!«
Je näher der fünfzehnte Januar herankam, um so größer wurde die Erregung der drei jungen Mädchen. Pommerle mußte alle Energie zusammennehmen, um in der Schule aufzupassen. »Es ist mein letztes Schuljahr, es ist sogar das letzte Vierteljahr meines Schulbanklebens. Es wäre eine Affenschande, würde ich nicht versetzt werden oder das erste miserable Zeugnis heimbringen. Ich muß versuchen, wenigstens von acht bis zehn und von ein Viertel elf bis ein Uhr das herrliche Maskenfest aus meinem Gedächtnis zu streichen.«
Der Vorsatz war gefaßt, ließ sich aber nicht so leicht ausführen, weil bald Ilse, bald Karin der Freundin etwas zutuschelten oder einen Zettel zuschoben, auf dem etwas über das bevorstehende Fest niedergeschrieben war. »Gestern ist die Sektkiste angekommen«, flüsterte Ilse Torlege dem Pommerle zu, als sie eine mathematische Aufgabe lösen sollte.
In der Pause standen die Plappermäuler überhaupt nicht still.
»Ihr wißt nicht, als was ich gehe«, sagte Ilse, »ihr ahnt es auch nicht. Mein Kleid ist bereits fertig. Ich sehe wunderschön darin aus! Oh, ich hatte Glück, ich fand in einem Geschäft silberne Schuhe für eine Mark und fünfundneunzig Pfennig. Sie paßten. Da habe ich sie von meinem Taschengeld erstanden.«
»Silberne Schuhe wirst du anhaben«, lachte Karin, »da werde ich zuerst allen dreißig Menschen auf die Füße gucken. Wer silberne Schuhe trägt, das bist du!«
»Unsinn«, sagte Ilse ärgerlich, »die Schuhe habe ich doch für meine Mutter gekauft. Sie kommt als etwas ganz besonders Schönes!« Dann schob Ilse ihren Arm in den Pommerles und zog sie fort. »Karin hört das Gras wachsen und die Fliegen niesen. – Gar nichts weiß sie! Ich denke nicht daran, ihr nur eine Andeutung über mein Kleid zu machen. Du, Pommerle, fein sehe ich aus – grüner Chiffon, Schilf im Haar, mit kleinen Seeröschen Himmel, hast du was gehört?«
Pommerle sah das Entsetzen auf dem Gesicht der Freundin. »Nein«, sagte sie gutmütig, »ich habe eben gar nicht aufgepaßt. – Was ist mit Karin?«
»Pommerle, schwöre mir bei unserer Freundschaft, daß du wirklich nichts gehört hast!«
»Ach, Ilse – – «
»Du hast es also gehört«, klang es traurig zurück, »wie das Grab wollte ich schweigen, nun ist mein übervolles Herz mit mir durchgegangen. Nun weißt du, was ich anziehe. Schrecklich! – Gräßlich!«
Pommerle legte den Arm um die Schulter der Freundin. »Das ist gar nicht schrecklich, liebe Ilse! Du darfst nicht traurig sein. Ich sage dir jetzt auch, was ich anziehe. Dann finden wir uns sogleich heraus, und dann machen wir gemeinsam Ulk. Das wird fein sein! Wir führen die Leute an der Nase herum.«
»Nein, daß ich mich verraten habe! Ich könnte mich ohrfeigen!«
»Es wird viel netter sein, wenn wir beide uns zu dem großen Ulk verbinden. Ich gehe als Kornblume, und dann foppen wir gemeinsam die anderen. Einfach herrlich!«
»Meinst du? – Ich trage das Kleid der Wassernixe.«
»Wir führen die Menschen irre – auch mein Väterli muß daran glauben. Soll ich dir verraten, was er anzieht?«
»Natürlich! Ich habe deinen Vater sehr lieb, aber auf dem Maskenfest möchte ich ihn doch anulken.«
»Er kommt entweder als Maharadscha oder als Minnesänger.«
Ilses Kummer war verflogen. Der Plan, gemeinsam mit Pommerle auf dem Fest Allotria zu treiben, gefiel ihr sehr gut.
»Ich glaube, Pommerle, dein Vater wird den Maharadscha wählen. Gelehrte Leute suchen immer einen Zusammenhang zwischen Kleid und Mensch. Der Maharadscha schmückt sich mit kostbaren Steinen, die sein Land hervorbringt. Steine sind aber auch das Lebenselement deines Vaters, des berühmten Geologen. Ich weiß genau, er geht als Maharadscha!«
»Du kannst recht haben, Ilse! Ich habe mir auch die Kornblume gewählt, weil ich Blumen so gern habe.«
»Und ich schwimme gern, darum bin ich eine Nixe!«
»Nun verraten wir aber keinem anderen, was wir anziehen. – Was mag der Grieche wohl für einen Anzug tragen?«
»Als Grieche kommt er natürlich. Als Poseidon, Apollo, Zeus, Hermes oder etwas ähnliches. Für seine große, schlanke Figur würde sich der Götterbote am besten eignen. Wenn so einer da ist, wissen wir sofort: das ist Enrico Madeni!«
Benders hatten ihre helle Freude an Pommerles glücklicher Erwartung.
»Nun müssen wir uns ja auch um unsere Anzüge kümmern«, sagte der Professor zu seiner Frau. »Pommerles Kostüm ist gewiß längst fertig. Eine kleine Unvorsichtigkeit unseres Lieblings hat mir verraten, was sie anzieht.«
Frau Bender lachte. »Ich weiß es auch schon! Ich nehme an, daß am nächsten Sonnabend eine Nixe um uns herumschwirren wird.«
»Wir werden Pommerle auch ein wenig aufziehen. Sie behauptet, sie werde mich schon in der ersten Viertelstunde erkennen. Um ein teures Gartenbuch hat sie sogar mit mir gewettet.«
»Es wird ihr schon gelingen.«
»Und ich glaube es nicht«, sagte Bender schmunzelnd. »Sie wird mich unter einer würdigen Maske suchen. Aus dem Grunde habe ich einen Bekannten angerufen, der vom vorigen Jahr her einen wunderschönen schwarzweißen Bajazzo hat.«
»Du, als Bajazzo?«
»Freilich, liebe Frau. Ich kann es verstehen, daß dir das merkwürdig erscheint. Aber bin ich nicht noch gelenkig? Kann ich nicht noch Sprünge machen? Unter dem Bajazzoanzug sucht sie mich nie!«
Frau Bender schüttelte den Kopf. »Was so ein verliebter Vater nicht alles für seine Tochter tut!«
»Erlaube mal, das Gartenbuch kostet vierundzwanzig Mark. Die kann ich sparen.«
»Später bekommt sie es doch! Wie könntest du deinem Pommerle einen Wunsch versagen, lieber Mann!«
»Hast recht! – Durch unser Pommerle sind wir beide wieder froh und jung geworden. Da darf es ruhig mal etwas mehr kosten!«
Beim Mittagessen forschte Pommerle erneut, ob die Eltern schon ein Maskenkleid gewählt hätten. Bender legte nur den Finger an den Mund, die Mutter lachte herzlich:
»Kleine Neugier, es wird nichts verraten!«
Am Nachmittag brachte ein junges Mädchen einen großen Karton. »Ich soll das Paket für Herrn Professor abgeben«, sagte sie zu Frau Bender.
Pommerle, die in ihrem Zimmer bei den Schularbeiten saß, hörte die Worte, sprang auf, öffnete die Tür ein wenig und lauschte.
»Woher kommen Sie?« fragte die Mutter.
»Vom Maskenverleih-Institut Weber.«
»Wir haben nichts bestellt.«
»O doch, ich soll das Paket hier abgeben. Es sind zwei Anzüge zur Auswahl darin.«
»Kommen Sie einmal herein.«
Zehn Minuten später verließ das junge Mädchen mit dem Karton wieder das Haus. Frau Bender kam ins Zimmer zurück, warf aber vorher einen forschenden Blick auf die Zimmertür der Tochter, die noch immer nicht geschlossen war. Sie lächelte. Dann sagte sie laut:»Du wirst sehr nett als Minnesänger aussehen, mein lieber Mann.«
Da schloß sich die Tür zu Pommerles Zimmer leise. Das junge Mädchen machte einen Freudensprung: »Das Buch ist mein!«
Im Zimmer des Gatten lachten Benders. »Jetzt habe ich sie an der Nase herumgeführt. Wenn man lauscht, bekommt man Strafe. Ich glaube, du brauchst das Gartenbuch nicht zu kaufen, lieber Mann.«
»Sollte ich mich verschnappen – – «
»Nicht nötig! Pommerle ist fest davon überzeugt, daß du das Fest als Minnesänger besuchen wirst.«
Aber Professor Bender tat noch ein übriges. Am Abend setzte er sich ans Klavier und spielte das Lied, das Wolfram von Eschenbach im »Tannhäuser« singt.
»Blick' ich umher in diesem edlen Kreise, welch hoher Anblick macht mein Herz erglühn.«
Pommerle ließ ein lautes Jauchzen hören. Da wandte sich der Vater um. »Warum freust du dich so sehr?«
»Über – – ach, über deine Musik, Väterli! Sie ist so schön. – Ach, es ist alles so schön, alles – alles – –! Wenn doch nur erst der Sonnabend herankäme!«
Am Donnerstag früh kam wieder eine Ansichtskarte von Jule und Appi. Das junge Paar hatte ziemlich oft geschrieben. Nun meldeten sich beide für Donnerstagnachmittag in Hirschberg an. Jule hatte an den Rand gekritzelt: »Wir haben nur eine halbe Stunde Zeit.«
»Es könnte sein, daß sie abends noch heimfahren«, sagte Bender. »Jedenfalls werden sie zum Kaffee hier sein. Wir werden dem jungen Paar einen netten Empfang bereiten.«
Kurz vor drei Uhr trafen die jungen Eheleute ein.
»Das hier ist meine Frau«, sagte Jule, »meine Appi, mein ganzes Glück auf der Welt. – Es ist ein Vergnügen, verheiratet zu sein. Ein jeder sollte es tun! – Pommerle, ich rate es dir auch!«
Man nahm die junge Frau herzlich auf; so fühlte Appi sich schon in den ersten Minuten in dem friedlichen Hause recht wohl. Sie schaute erstaunt den Gatten an, als er sagte:
»Nun wollen wir wieder gehen, unsere Zeit drängt.«
»Aber Jule«, rief Pommerle bestürzt, »was fällt dir ein! Gleich gibt es Kaffee und Kuchen! Ihr müßt uns doch erst viel von eurer Reise erzählen!«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ein Hochzeitspaar redet nicht davon.«
»Nein, Julchen, du bleibst hier.«
»Wir wollten abends weiterfahren. Wir müssen heim.«
»Bis zum Abend ist noch viel Zeit. Ihr könntet bei uns noch Abendbrot essen.«
»Nein, unser schönes Heim wartet«, gab Jule kurz zurück. Dann wandte er sich an seine junge Frau: »Ich sagte dir doch, daß wir nur einen kurzen Besuch machen wollen.«
»Wenn du so freundlich eingeladen wirst, Jule?«
»Unser Heim erwartet uns«, rief er herrisch.
Appi hob den Finger und drohte ihm. Da wurde der Jule rot, wandte sich zu Pommerle und schrie es an:»Wir sind nicht so verhungert, daß wir Wert auf eine Tasse Kaffee legen. Uns hat der Kellner jeden Morgen im Hotel Mokka gebracht.«
»Bekommst ihn bei uns auch in einer silbernen Kanne. – Julchen, habe nicht wieder deinen großen Mund, lege ab, und erzähle uns etwas von eurer Hochzeitsreise.«
Als Appi dem jungen Gatten den Mantel abnehmen wollte, wehrte er unsanft ab. Appi lachte dazu.
»Wenn wir allein sind, ist er ganz anders«, sagte Appi zu Pommerle. »Unterwegs sagte er mir, hier werde er zeigen, wer der Herr sei. – Ach, Pommerle, er ist ja ein so guter Mensch, und ich bin sehr glücklich!«
Aber der Jule machte seiner Appi immer wieder verstohlene Zeichen, und wieder hörte Pommerle den kurzen Befehl: »Komm doch!«
»Willst du wirklich nicht bleiben?« fragte Pommerle traurig.
»Wir kommen wieder«, sagte die junge Frau. »Jule möchte erst nach dem Friedhof, zum Grabe seiner Mutter.«
»Freilich soll er das tun. Wenn ihr wollt, komme ich mit!«
»Nein«, schrie Jule schon wieder, »du brauchst nicht überall dabei zu sein!«
»Also – in einer Stunde gibt es bei uns Mokka in einer silbernen Kanne«, rief Pommerle fröhlich hinter den Fortgehenden her.
Aus dem herrisch auftretenden Jule wurde ein stiller, in sich gekehrter Mann, als er auf den Hügel seiner Mutter einen Kranz niederlegte. Lange stand er mit gefalteten Händen da, um seine Lippen zuckte es weh. »Mein lieber Jule«, sagte Appi leise, »hier an dieser Stelle will ich dir sagen, wie ich mir unsere Ehe denke. Deine Mutter, die du so lieb hast, soll immer unsichtbar neben uns sitzen. Wir wollen beständig an sie denken, wir beide wollen immer Frieden halten, damit sie sich über ihren Jungen freut. Dann wird nie etwas Schlimmes zwischen uns sein, denn deine Mutter paßt gut auf uns auf. Sie rät uns zum Guten. – Nicht wahr, lieber Jule, so wollen wir es halten. Wenn wir heute abend in unser Heim kommen, bringen wir in Gedanken deine Mutter mit und machen ihr nur Freude. Du hast mir so oft gesagt, sie wollte dich glücklich sehen. – Nun soll sie unser Glück sehen; dabei werden wir zwei sehr zufrieden sein.«
»Ja – «, sagte Jule, »das hast du sehr gut gesagt, Appi. Du bist ein kluges Mädchen. – Was du eben gesprochen hast, das ist viel schöner und viel besser als das Wort von Pommerle, an das ich mich klammern wollte. – So ein Kuß, der jahrelang, bis zum Tode, dauert, das ist doch nicht das richtige. Wir wollen lieber immer an die Mutter denken.«
Dann beugte er sich nieder, rückte den Kranz noch ein wenig hin und her, und sagte mit gepreßter, aber lauter Stimme: »Siehst du nun, daß ich ein tüchtiger Tischler geworden bin? Du hast es dir immer gewünscht. – Ich habe manche Schläge bekommen, das wäre vielleicht nicht nötig gewesen, denn ich bin etwas geworden.« Dann wurde seine Stimme wieder sehr weich, als er der Mutter noch einen Abschiedsgruß zurief. – Heißer Dank gegen Benders stieg in dieser Stunde in ihm auf. Sie hielten das Grab der geliebten Mutter in bester Ordnung. Heute lagen sogar frische Blumen darauf.
»Sie sind wirklich gut – man muß sie ein wenig liebhaben. Manchmal sind sie auch frech, aber – ich verzeihe es ihnen.«
Dann saß man gemeinsam am Kaffeetisch, und Jule begann wieder zu prahlen. Wenn Appi ihn von Zeit zu Zeit zurechtwies, stieß er sie unsanft in die Seite. Dem Kuchen sprach er wacker zu und meinte, ein so gutes Gebäck habe er weder in Krummhübel noch in Schreiberhau bekommen.
Gegen sechs Uhr wurde das Abendessen eingenommen. Dann verabschiedete sich das junge Paar.
»Ich danke euch für alles«, sagte der Jule, »auch – für das Grab. Ihr seid wirklich gute Leute, und wir werden euch das alles vergelten. Ich habe wohl gesehen, was hier nötig ist. – Sie, Frau Bender, sind jetzt eine alte Frau, Sie können einen guten Lehnstuhl brauchen. Den sollen Sie zu Ihrem Geburtstage haben.«
»Und du, mein lieber Jule, sollst zum Abschied auch etwas haben. – Nimm dieses Päckchen – «
»Noch ein verspätetes Hochzeitsgeschenk«, lachte er seine Frau an. »Geschenke bekommt man immer gern. Schönen Dank, Frau Bender.«
Dann begann er das Päckchen auszuwickeln. Enttäuscht betrachtete er das kleine Paket, das acht weiße Kerzen enthielt.
»Lichte? – Was soll ich damit? Sie haben das wohl verwechselt, Frau Bender?«
»Nein, lieber Jule! Das sind Lichte für den Rübezahl-Leuchter, den dir Pommerle schenkte. Das eine, das du anzünden mußt, wird nicht lange halten. Da ist es gut, wenn du Ersatz zur Hand hast. Nimm also die Lichte ruhig mit heim, als ein Geschenk treuer Liebe und Fürsorge.«
Wieder wurde der Jule blutrot, dann drückte er Appi das Paket in die Hand. »Hier, trage es!«
»Gern, Jule, aber daheim kommen die Kerzen in deinen Schrank.«
Jule hatte es recht eilig, fortzukommen. Er sah sich auch, als man unten auf der Straße war, nicht mehr um. Appi hingegen winkte noch lange den Zurückbleibenden zu.