Kurt Tucholsky
Kleine Geschichten
Kurt Tucholsky

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Pariser Dankgebet

Hier tritt mir Keiner auf die Stiebeln. Hier sind die Leute höflich und nett.
Und wenn mir doch mal Einer rauftritt, dann sagt er: »Ah, pardon, monsieur!« überall, in Malakoff und in der rue Lafayette.
Kyrie eleison!

Hier fahren die Autos glatt und schnell. Und geraten sie wirklich mal aneinander mit leichtem Buff,
dann sagt Keiner: »Dir hol ick jleich runter vom Bock, du oller Mistkutschenfahrer, paß mal uff –!«
Kyrie eleison!

Hier ist der Schaffner kein Vorgesetzter, und der Verkäufer teilt keine Gnaden, sondern Schnitzel aus.
Hier geht man frühmorgens heiter und pfeifend aus seinem Haus.
Amen.

Hier kann man sich noch freuen, weil eine Marquise so schön gelb leuchtet. Hier hat jeder Arbeit und doch Zeit,
ein Mensch zu sein, aufzuatmen allein und zu zweit.
Kyrie eleison!

Rekonvaleszenten sehen aus den Fenstern der Krankenhäuser, ungehetzt und voll Ruh.
Alte Herren gucken im Luxembourg den Spielen der Kinder zu.
Kyrie eleison!

Hier ist Wolke noch Wolke und Stein noch Stein.
Hier hat es noch einen Sinn, am Leben zu sein.
Amen.

Hier sind die Professoren keine Staatssklaven und die Studenten keine Hausknechte.
Hier muß man gebildet und kultiviert sein – das verlangt die Linke wie die Rechte.
Kyrie eleison!

Hier können sogar die Royalisten gute Artikel schreiben – es sind Leute von Witz und Esprit.
Und von schimmernder Wehr und Großfrankreich sprechen die Blätter fast nie.
Kyrie eleison!

Wenn sich hier die siegreichen Generale so benehmen wollten wie unsre geschlagenen zu Haus...!
Ein ganzes Land streckt friedfertig die Arme aus –
Amen.

Wie schön ist es, hier zu leben: ohne diese Gesichter, die keine sind;
ohne Krach und Krakeel – ohne den staubigen Berliner Sommerwind.
Zehn Jahre zu spät! Und doch darf ich nicht klagen.
Es tut so wohl, auch einmal ja zu sagen.

1926


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