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»Etrangers qui venez ici,
on ne vous montre pas Paris.
On vous traine dans une foire . . .«
Kabarett-Gedicht.
Neulich, unterhielt ich mich mit einem Ungarn, der, verheiratet und wilder Entschlüsse voll, zum zwanzigsten Male nach Paris gekommen war. Er sagte: »Nicht wahr? Sie bummeln hier gewiß Tag und Nacht?« Ich sah ihn an. Und dachte an eine Szene in einer Pariser Revue, wo ein Bureauchef seine »Dactyla« auf den Knien hielt: im seidenen Höschen, mit Wuschelkopf und langen seidenen Strümpfen ... So stellt sich die Welt immer noch Paris vor.
Jeder sagt: Ich nicht. Aber die Reisenden, die nur zu Prunier gehen, und die, die nach zwei Tagen erklären: »Bei Prunier kann man nicht essen – da gehen ja nur Fremde hin!« – scheinen mir beide in einem großen Irrtum befangen. Denn einerseits ist Paris nun einmal eine Gaststadt für die Welt, es bietet eine Menge Dinge, die für die Fremden und zum Vergnügen der Fremden gemacht sind, und die man ruhig kennenlernen soll, weil auch die Aufmachung dieser Industrie interessant genug ist – und andererseits sollte man ja nicht denken, daß hinter diesem Fremdenrummel nun andere, nur noch unerhörtere, ganz verschwiegene Genüsse für die Einheimischen und Kenner verborgen liegen.
Das Wort von: »Paris, der größten Provinzstadt der Welt«, enthält eine tiefe Wahrheit. »Mais vous ignorez Paris!« sagt das kleine Kabarettlied, das da oben zitiert ist, und zählt dann auf, was es hier noch alles gibt: die einfachen kleinen Leute und das Leben in den Vororten am Sonntag – die Schilderung ist ein bißchen sentimental, voll jener Sentimentalität, die es überall gibt (Vorort: Wien) – und an der doch viel echte Heimatliebe hängt. Paris ist, wenn man genau hinsieht, unter anderm auch eine große kleine Stadt.
Unter anderm. Denn man darf ja nicht vergessen, welche großen geistigen Bewegungen hier ihren Anfang genommen haben. Seit der Revolution hat man hier vielerlei ausgeheckt, das nachher Europa auf dem einen oder dem andern Gebiet umgestülpt hat: Impressionismus und Naturalismus und Moden und vieles andere noch. Aber Paris bleibt davon unberührt – Paris ändert sich nicht, und man nimmt diese Neuerungen hier wohl freundlichst zur Kenntnis – aber dann bleibt wieder alles beim alten.
Auch gehen diese geistigen Bewegungen nicht so stoßweise und ruckend vor sich wie bei uns. Immer ist die Linie gewahrt, Frankreich macht keine Hopser – und wenn es wirklich einmal einen großen Ausbruch gibt, dann kann man darauf schwören, daß dahinter eine sehr langsame, sehr sorgfältige geistige Vorbereitung gesteckt hat.
Das Plakat, das sich alle fünf Erdteile von dieser Stadt zurechtgemacht haben, kennt der Franzose genau und duldet es, gutmütig lächelnd. In Unruhs »Franz Ferdinand, Prinz von Preußen«, sagt eine Hofdame zum Jungen: »Komm mit. Du kennst Paris nicht – da laufen die Leute nackt herum!« – Denn auf Paris hat sich die sexuelle, erotische und modische Sehnsucht von Kontinenten konzentriert, und alles, was das enge Zuhause nicht duldet oder nicht zur vollen Entfaltung kommen läßt, wird, im Wunschtraum, hierher verpflanzt. Und dann muß man die Wirklichkeit sehen –!
Ich kann es den geradezu lächerlichen Ausstreuungen kenntnisloser Nationaler gegenüber nicht oft genug wiederholen: es gibt wohl kaum ein arbeitsameres Volk als die Franzosen. Ob man ihnen in allen ihren Methoden zustimmen kann, ob sie als Kaufleute in allen Punkten hieb- und stichfest sind, das zu beurteilen getraue ich mich nach ein paar Monaten Aufenthalt nicht. (»Die Einwohner dieser Stadt haben rote Haare und stottern.«) Aber sicherlich gibt es kein bürgerlicheres Volk als die Franzosen, und Paris macht da keine Ausnahme.
Der ungeheure Strom der Fremden passiert, wird aufgenommen und ändert nichts. Man müßte glauben, die ganze Stadt sei ein einziger Jahrmarkt, damit nur ja die lieben Fremden zufrieden sind. Davon kann keine Rede sein. In den Vierteln, die nicht gerade von den großen Boulevards durchschnitten werden, spielt der Fremde nur in einzelnen Enklaven eine Rolle: die Skandinavier im Montparnasse, die Juden in manchen Zentrumsvierteln, die Deutschen sind meist um die Oper herum aufhältlich, viele kleine Amerikaner auf der rive gauche ... der Rest beherbergt wohl Fremde, läßt sich aber nirgends von ihnen grundlegend beeinflussen. Und so ist das oberflächliche Bild, das der Fremde von Paris empfängt, nicht einfach als falsch zu bezeichnen – aber es ist unvollständig. Und meistens macht er sich von dem dahinterliegenden eine unrichtige Vorstellung.
Eine gewisse Sorte Deutscher hat sich ja nun noch ein Spezialplakat geschaffen. Die »Vossische Zeitung« hat erst neulich das Bild von den Franzosen kopiert, das der General von Liebert sich und andern ausgemalt hat: »Die Franzosen sind an sich keine kriegerische Nation, sie sind der Masse nach friedliche Philister, ruhige Landwirte, die ihr Domino und Ecarté spielen und ihren Absynth dazu trinken wollen.« Nun gibt es in Frankreich ganz wenig Absynth, und der Rentier trinkt ihn nicht und hat ihn nie getrunken. Aber auf dem Niveau der Weltbildung stehen ungefähr alle nationalen Schilderungen, und dieser General, der während des Krieges seinen Aufenthalt in fremden Ländern bedauerlicherweise nicht dazu benutzt hat, seine Kenntnisse zu erweitern, scheint nicht zu wissen, daß es auch kriegerische Philister gibt. Die heute noch ihren Anhängern – so was hat Anhänger – erzählen, die Franzosen seien dekadent. Wohl ungefähr das Törichtste, was man überhaupt über dieses Volk sagen kann. Ihre Literatur von vor dreißig Jahren (die durch nichts aus manchen deutschen Köpfen zu verwischen ist), hat solche Elemente enthalten – sie sind so gesund, daß sie sich das leisten konnten. Alles, was hier heute geschrieben wird, ist meilenweit von diesen Dingen entfernt – man »trägt« hier kein Kokain mehr, und wenn man weiß, daß es auch andere Kraftäußerungen gibt als den schwellenden Biceps, dann erkennt man, daß auch dieses Volk gesund und ganz unausgehöhlt ist. Strammheit kann häufig Schwäche verbergen.
Jede Nation hat sich immer und überall auf der Welt von den andern ein vereinfachendes Plakatbild gemacht, das meist so vergröbert ist, daß es überhaupt nicht mehr stimmt (und es gibt nur einen Fall, Herr General, wo die Karikatur milder ist als das Urbild). Engländer haben Backenbart und karierte Hosen; die Amerikaner legen die Beine auf den Tisch, Deutsche essen Sauerkraut – immer, in allen Lebenslagen – und die Franzosen? Die haben's mit den Weibern – man weiß das ja! –, trinken Champagner und sind leichtfertige Windhunde.
Es ist wie mit den Kinoplakaten. Draußen jagt ein wilder Reiter, quer über seinem Pferd hängt eine nackte Frau, ihr Haar schleift am Boden, und eine Horde tobsüchtig gewordener Sioux-Indianer rast dem kühnen Retter nach. Im Hintergrund loht der Horizont in Flammen. Kommt man aber hinein, dann hopst da ein mageres Pferdchen über einen Graben, unweit Wannsee, die Dame ist durchaus bekleidet, und der Cowboy heißt Harry Piel.
Man sollte jedem Deutschen noch fünfhundert Mark dazugeben, damit er ins Ausland reisen kann. Er würde sich manche Plakatanschauung abgewöhnen – wenn er vorurteilslos genug ist, die Augen aufzumachen.