Kurt Tucholsky
... ganz anders
Kurt Tucholsky

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Drei Generationen

Die erste und älteste – wir sprechen von den berliner Kokotten – gibt es beinahe schon gar nicht mehr. Sie hatte schon unter unserm Kaiser Wilhelm alt, fett und redlich gedient, die Corsagen platzten, dem Jüngling grausets – und man mußte schon aus Wollenhagen an der Persante kommen, um an diesen Massen ungeheurer Weiblichkeit – das Pfund achtzig Pfennige – Gefallen zu finden. Sie saßen, diluviale Anschwemmungen, in Lokalen, die meist innig-altdeutsch aufgemacht waren, mit Sinnsprüchen an den Wänden und vergoldeten Trompetern von Säkkingen, die blusen: Behüt dich Gott ... Die richtige Musik spielte Wagnern und Militärmärsche, sie aber sahen wie leicht entartete Schlächterfrauen aus. »Mit was kommste denn riba. Do –?« Es waren die Stützen von Thron und Altar. Aber keine schönen. Ein Oeldruck.

Die zweite Generation stammt noch aus der Zeit der großen landwirtschaftlichen Wochen, da sich der durch frisches Wetter und alten Rotwein gerötete olle ehrliche Landmann von Stallgeruch, Frau und Hypotheken in Berlin erholte, in dieser Stadt, die er zugleich haßte, verachtete und bewunderte. Das war die Zeit, wo die Leute gemütlicher waren als heute, weil ihnen noch die Goldstücke in der Hosentasche klimperten (man wußte doch wo und wie – es war ein so beruhigendes Gefühl!): es war die Zeit des Metropol-Theaters und der Hofbälle. Diese Damenjahrgänge sind schon bedeutend raffinierter als die ersten, sie wissen viel gescheiter mit Schminke, Spitzenwäsche, Kavalieren und Beziehungen umzugehen. Die andern waren noch erster Güte gefahren – sie fuhren Auto. Ihre Lokale trugen sich in einem Sekt-Rokoko, das zwischen allen Louis und einem lieblichen Barock umhertaumelte, und ihr Lebensideal sah aus wie der zweite Aktschluß im Metropol-Theater. Ihre Eleganz war ebenso unwahrscheinlich wie ihre Lokalitäten, sie waren so ungeheuer berlinisch, daß der Ausländer zunächst nur lachen konnte. Weil sie aber zugleich ausgekocht waren, sah ihnen der müde Wanderer die mangelnden Qualitäten auf kulturellem Gebiet gern nach. In diese Zeit fällt die Gründung des Palais. (Der Kenner läßt sich heute noch lieber die Zunge abbeißen, als daß er Palais de danse sagt. Es gibt eben nur eins: das Palais.) Zu dieser Zeit der zweiten Generation erbrauste in Berlin eine laute Lustigkeit, die damals hetzend-amerikanisch wirkte und uns heute leicht biedermeierisch und fast gemütlich vorkommt. »Herrgott, müssen die Leute damals harmlos gewesen sein!« Waren sie garnicht. Es waren geschäftemachende, profitjagende Untertanen. 1914 zerplatzte das Alles. Wenn auch zugegeben werden muß, daß im objektiven Endeffekt eine Pfundgräfin (Goldmark) nachts bei Toni Grünfeld gegen die von heute ... Aber das werden wir gleich sehen. Die Musik spielte jedenfalls Victor Hollaender, ganz Berlin sang Julius Freund, und im großen Ganzen waren Lieb' und Lust gut industrialisiert. Gegen heute: sogar ziemlich anständig und reell. »Gottseidank! Alle sind ja nicht so wie Alle!« Ein Vierfarbenblatt. Heute ... Lieben Freunde, es gab schönere Zeiten als die unsern, das ist nicht zu streiten ... Die dritte Generation, die von heute, ist wohl die blasseste. Aber nicht, als ob die Kokotten der Vergangenheit, auf den Lampenschirm der Erinnerung gemalt, kräftig idealisiert dahinschwebten ... Nein, nein. Den Begriff eines »Valutafreiers« geprägt zu haben, ist nach dem ff. Stahlbad dieser mittelgroßen Zeit vorbehalten geblieben, und zur Orientierung braucht man nur die Gesichter der drei Generationen Revue passieren zu lassen. Die erste: das waren also verfettete Walküren mit der vergeblichen Attitüde neckischer Lieblichkeit, die zweite wies oft harte, gaminhafte Züge auf, viele trugen die Haare bubenhaft kurzgeschnitten, und der Pagenkopf hatte einen schmalen Mund – sie kannten die Sacher-Weichheit ihrer Männer ... Aber die dritte, ach, die dritte ...

Man hat in Berlin noch nie so viel Kokotten gesehen, die gar keine sind. Sie gehören den diversesten Fakultäten an, sie schnupfen die freundlichsten Dinge, sie spritzen sich die Handgelenke wund und tragen breite Armbänder darüber – und sie haben schon lange nicht mehr den Halt und die Sorgfalt einer ordentlichen Kokotte. (Für Juristen: Diligentiam wird hier nicht mehr prästiert.) Jeder gut durchgebildeten Dame des alten Regimes muß sich das, sagen wir, Herz umdrehen, wenn sie dies mitansieht ... Sie sind oft sehr dünn, ihre Gesichter sind eigentlich farb- und physiognomielos – es ist nicht viel mit ihnen, weder im Guten noch im Bösen. Aale.

Und begann die gute alte Hurengeschichte mit einer larmoyant-sentimalen Verführungsszene, so ergäben dreihundert zugleich gespielte Grammophonplatten mit Gesprächen dieser jungen Damen ungefähr folgenden Bericht:

»Ich hatte damals einen Freund – weißt du – ein fabelhafter Mann – der hat sich dann so gemein benommen – meine Koffer standen im Bristol – meinst du, der hat sie ausgelöst? Aber als die Frau mir das gesagt hat, da hab ich gesagt (hochgezogene Augenbrauen): ›Bitte‹, sag ich, ›wenn Sie glauben, daß Ihnen der Schmuck gehört, dann beweisen Sie es doch!‹ Ich sage: ›Ich werde die Sache dem Staatsanwalt übergeben!‹ sage ich. Weißt du, manchmal bin ich ganz schrecklicher Laune. Aber wenn ich guter Laune bin, dann könnte ich Alles zusammenhauen. Ich bin ja so krank gewesen. Ich habe acht Wochen in der Klinik bei Professor (erster Name) gelegen – der Professor hat gesagt, so eine Konstitution hat er überhaupt noch nie gesehen ... Hast du Koks –?«

»Blüten im Winde«. So kann mans nennen. Man kann aber auch »Ewige Nutte« sagen. Denn durch die geschwollenen Selbstbekenntnisse, durch Original-Imitationen eines fürstlichen Tonfalls guckt ein jämmerliches kleines Frauchen hindurch, das einem eigentlich leid tun kann.

Ihre Lokale sind zur Zeit expressionistisch aufgemacht (obgleich sich das schon leise wieder gibt), in der irren Zackigkeit falsch verstandener Oelschmockerei badet sich hier der Baissemann seinen Tageskummer ab. Eine toll gewordene Musik (die nur zu ertragen ist, wenn sie genial exekutiert wird) durchrast den Laden, dazwischen sitzen diese glatten Dinger, nicht Frau, nicht Mädchen, nicht Mensch, nicht Junge. Ihre Kerle sind alle von Grosz, denn sie haben Erfolg gehabt. Aber der kann morgen dahin sein – und weil der Freier wirtschaftlich nicht fundiert ist, sinds die Frauen auch nicht. Heute rot – morgen rouge. Natürlich ist die Republik daran schuld.

Amüsements sehen immer wie die Geschäfte aus, von denen man sich bei ihnen erholt. Diese Frauen und diese Lokale sind die Kehrseite der Valutawelt.

Und wenn es so weiter geht (Essaiband her! ›Der Erfolg der deutschen vaginierenden Prostitution‹) – dann sehe ich mich noch als ältern Großvater bei der Photographin R. um den niedrigen Rauchtisch herumsitzen, die Jugend der Literatur umspielt meine bärtigen Kniee, und ich sage:

»Ja, ja – 1922! Das war noch eine gemütliche Zeit ...!«

Und wieder wird es doch nur die Erinnerung sein, die aus mir lügt, denn es war ja gar nicht gemütlich. Blaß, ein wenig blutleer, mit einer etwas verspielten Freude am Lasterchen, vertraut mit allen Praktiken einer Karnickelliebe – so sehen augenblicklich Die aus, die einer verstörten Epoche Rosen ins himmlische Leben flechten und den Zeitgenossen die niedrigen Stirnen glätten. Ein wässeriges Aquarell.


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