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Wochen und Monate waren dahingegangen. Die schönsten Stunden für Ursel in der Woche waren die geworden, in denen sie regelmäßig mit dem brasilianischen Geschwisterpaar musizierte. Schon in der Bank, wo sie sich noch immer nicht als ernstes Glied eingefügt hatte, wo Herrn Müllers »Wenn ich bitten darf« ihre Lachmuskeln stets aufs neue reizte, wo das Zahlengewirr ihr noch ebenso fremd und unsympathisch gegenüberstand wie am ersten Tage ihrer Banklehrlingslaufbahn, versüßte die Aussicht auf die gemeinsamen Abendstunden mit Margarida und Milton Tavares ihr die bittere Pille unbefriedigter Pflichtarbeit. Einmal in der Woche fand der Unterricht bei Frau Doktor Braun statt, damit auch die Großmama ihr Teil an Ursel hatte. Zur zweiten Stunde kamen die Brasilianer nach Lichterfelde heraus, wo sie bald gern gesehene Gäste waren. Die kleine schmiegsame Margarida hatte sich in begeisterter Zuneigung ihrer jungen, deutschen Lehrerin angeschlossen, die nicht viel älter war als sie selbst. Das junge, aus seiner Heimat herausgerissene Mädchen fühlte hier in der Fremde die Zusammengehörigkeit mit einer Altersgefährtin, die in so liebenswürdiger, heiterer Weise bemüht war, ihr über die Klippen der schwierigen, deutschen Sprache hinwegzuhelfen. Es war erstaunlich, was für Fortschritte die junge Ausländerin bei Ursels deutschem Unterricht gemacht hatte. Sie verstand bereits alles, was man zu ihr sprach, und wenn auch ihre eigene deutsche Ausdrucksweise noch öfters entgleiste, so gab dies nur Stoff zu gemeinsamem Lachen, was die Jugend ja noch fester miteinander verknüpft. Margarida Tavares war ein graziöses Püppchen, ein Luxusgeschöpfchen, das daheim vom Glück verhätschelt worden und keinen Ernst, keine Arbeit bisher kennengelernt hatte. Die überließ man drüben in Amerika den Männern. Die waren dazu da, das Geld, das die Frauen mit vollen Händen ausgaben, herbeizuschaffen; die Frauen hatten nur schön zu sein und sich verwöhnen zu lassen. Das waren ungefähr die Ansichten, die in dem schwarzen Köpfchen der jungen Brasilianerin wohnten.
Ursel, die niemals sehr begeistert war von allem, was Arbeit hieß, stand doch solch einem Luxusdasein kopfschüttelnd gegenüber. Sie hatte ihr Leben lang emsige, treueste Pflichterfüllung im elterlichen Hause vor sich gesehen, und wenn auch sie selbst dagegen manchmal kindischerweise gestreikt hatte, der gute Boden, dem sie entwachsen, verleugnete sich nicht. Darum vermochte sie auch nicht, sich Margarida so mit ganzem Herzen anzuschließen, wie das umgekehrt der Fall war. Das anmutige, oberflächliche Dingelchen genügte ihr nicht. Sie blickte, trotzdem sie sich früher immer ein Leben ohne Arbeit, so ein richtiges Schlaraffenleben aus dem Märchen beneidenswert vorgestellt hatte, ein wenig mitleidig geringschätzig auf die wie eine Blume in den Tag hineinblühende junge Ausländerin. Ja, es gab Stunden, wo ihr sogar die verhaßte Banktätigkeit lebenswerter erschien, als solch ein nutzloses Drohnendasein.
Der Bruder, Milton Tavares, war aus einem ganz anderen Holze. Der war schon früh von dem Vater, trotz des großen Reichtums, ins kaufmännische Treiben, in alles, was eine große Kaffeeplantage, von der Anpflanzung des Kaffeestrauches an bis zum Versand der Bohnen, in alles, was solch ein weitverzweigtes überseeisches Exportgeschäft mit sich bringt, eingeführt worden. Trotz seiner großen Liebe zur Musik stand Milton Tavares auf dem nüchtern realen Standpunkt des Amerikaners. »Make money«, das war die Hauptsache im Leben. Das große Unternehmen, das schon durch Generationen hindurch in den Händen der Tavares lag, galt es weiter zu fördern, immer weiter auszubauen. Den Ruf des ersten »Kaffeekönigs« im In- und Ausland noch mehr zu befestigen, als dies bereits der Fall war. Das war das Lebensziel, auf welches alle Tavares hinsteuerten. Die Musik – oh, sie war schön, sie erfreute das Herz, wie auch die Kaffeeblüte das Auge erfreut. Aber nutzbringend war erst die Frucht. Die Musik war nicht dazu da, um Geld damit zu verdienen, sondern um sich von dem Geldverdienen zu erholen. Milton Tavares war glücklich, daß ihm sein Aufenthalt in Deutschland nicht nur die Möglichkeit gab, kaufmännische Kenntnisse zu sammeln, sondern daneben auch deutsche Musik kennenzulernen und zu studieren. Er war als Volontär in einem großen Berliner Exporthaus tätig, nur einige Stunden des Tages, so daß ihm noch genug Zeit für die Musik übrigblieb. Bei einem der ersten Kammermusiker Berlins hatte er Violinunterricht, aber dieselben machten ihm, trotzdem er bei seiner Befähigung glänzende Fortschritte zu verzeichnen hatte, lange nicht soviel Freude wie das Zusammenspiel mit Ursel Hartenstein. Auch Ursel dachte eigentlich, wenn sie sich auf die Musikstunde mit den Brasilianern am Abend freute, in erster Reihe an ihr Ensemblespiel mit Milton. Und wenn er sie, was stets den Abschluß bildete, zuletzt zum Gesang begleitete, dann setzte sie ihr ganzes Können ein, um so schön, wie nur irgend möglich, zu singen. Es war geradezu fabelhaft, was Ursel in den wenigen Monaten ihres Gesangstudiums erreicht hatte. Leicht und mühelos kam ihr all das, woran andere jahrelang zu studieren hatten. Frau Gerstinger sowohl wie ihr Fidelio waren äußerst stolz auf die begabte Schülerin, schrieben sie sich beide doch allein den Ruhm für die geradezu verblüffenden Fortschritte zu. Weder die einstige Primadonna, noch ihr piepsendes Wollknäuel ahnten, daß irgendeiner aus Brasilien neben Ursels eigener Befähigung die eigentliche Triebfeder für ihr rasch vorwärtsschreitendes Können bildete. Schon hatte sie das Abc der eintönigen Übungen hinter sich gelassen und hatte zu Liedern übergehen dürfen. Oh, war sie stolz, als sie zum erstenmal ein Wiegenliedchen singen durfte. Auch der Vater, der hochmusikalisch war, und ihre unermüdlichen Übungsstunden öfters belauschte, war ebenso erstaunt über ihre Fortschritte als über die Ausdauer, die seine Jüngste bisher noch bei keiner Tätigkeit an den Tag gelegt hatte. Wenn sie sich nur an der Bank halb so viel Mühe geben wollte! Bei einem vertraulichen Gespräch, das der Professor jüngst mit dem Bankdirektor Hildebrandt gehabt hatte, konnte dieser es ihm leider nicht verhehlen, daß seine Tochter sich zwar die Herzen sämtlicher Kolleginnen und Kollegen durch ihren Liebreiz erworben hätte, aber nach der Aussage des Herrn Müller so wenig tauglich für das Bankfach sei, wie er selbst zum Seiltanzen. Aber immerhin – vielleicht machte es sich noch.
An dieses »vielleicht machte es sich noch« hielt sich der Professor, wenn ihm dann und wann Bedenken aufstiegen, ob Ursel an der Bank wohl doch nicht am richtigen Orte sei. Als kluger überlegter Mann war Professor Hartenstein selbst dafür, jeden Menschen seiner Befähigung nach an den Platz zu stellen, an dem er etwas zu leisten vermochte. Wenn es nur nicht gerade die Bühne gewesen wäre! Dagegen lehnte sich alles bei diesem soliden Manne auf. Er wollte keine Theaterprinzessin zur Tochter. Sein Kind war ihm zu schade dazu. Zum erstenmal hatte Professor Hartenstein seiner Annemarie etwas verschwiegen. Das Gespräch mit dem Bankdirektor unterschlug er ihr. Wußte er doch ganz genau, wie sie sich dazu äußern würde. Sie lamentierte schon genug, daß Ursel meist blaß und abgespannt von ihrer Banktätigkeit heimkehrte. Ach Unsinn – was nicht säuerte, süßte auch nicht.
Der Gegenstand dieser väterlichen Beunruhigungen ahnte nichts davon. Die Stunden an der Bank betrachtete Ursel ja nur als notwendiges Übel, als Brücke, die man möglichst schnell passieren mußte, um an das entgegengesetzte Ufer, wo die Musik winkte, zu kommen.
Ein glutheißer Juliabend war es. Über den Straßen Berlins hing sengende Hitze. In der Bank war es heute trotz der großen luftigen Räume wie in einem Backofen gewesen. Ursels ohnehin nicht allzu großer Arbeitstrieb hatte heute gänzlich versagt. Herr Müller hatte wohl ein dutzendmal »Aber wenn ich bitten darf, etwas mehr Sammlung, Fräulein Hartenstein«, äußern müssen. Selbst Herrn Rumplers dienstbeflissener Liebenswürdigkeit war es nicht immer gelungen, die Scharte, die Ursel sich heute leistete, auszuwetzen. In der Bahn herrschte eine wahre Tropenglut. Aber nun war man ihr glücklich entflohen, nun war man draußen. Hier in Lichterfelde war es lange nicht so stickig wie drinnen in der glühenden Steinwüste der Großstadt. Oasengleich empfing es die heimkehrende Ursel mit seinen schattigen Baumalleen, seinen blühenden Rosengärten. Oh, – was für einen berauschend süßen Hauch die Linden ausströmten. In tiefen Zügen atmete Ursel die erquickende Luft und mußte dabei an eine besonders süße Stelle aus der Beethovenschen Pastorale, die Milton Tavares das letztemal gespielt hatte, denken. Ob sie wohl schon da waren, die Geschwister? Ursel beschleunigte ihren Schritt.
Nun stand sie vor dem elterlichen Heim, das wie ein kleines Blumenparadies hinter dem weißen Gartenstaket träumte. Durch den sonnenausgedörrten Garten ging in gewaltigem Bogen der erquickende Wasserstrahl nieder. Der Professor in Hemdsärmeln richtete den Schlauch eigenhändig auf Baum und Strauch. Cäsar machte einen noch größeren Bogen um seinen Herrn herum, denn er liebte unvorhergesehene Duschen nicht besonders. Jetzt hob er die schwarze Nase, stieß ein kurzes Freudengebell aus und jagte der heimkehrenden Ursel entgegen.
»Ursel kommt – das muß unser Urselchen sein!« rief es von der rosenumkletterten Terrasse herab, von wo aus Frau Annemarie bereits mit den Brasilianern nach Ursel ausschaute.
»Tag, meine geliebte Hundetöle, da bin ich endlich wieder. Du, Cäsar, laß mich bloß am Leben, ich komme ohnedies schon vor Hitze um – Tag, Vaterchen – puh, war das heute gräßlich in der Bank – Temperatur wie im Fegefeuer – ach, da sind ja schon Tavares!« Die Begrüßung mit dem Vater wurde plötzlich abgebrochen. Ursel eilte, obgleich sie eben vor Hitze umkam, schnellfüßig der Terrasse zu.
»Guten Tag,« sie winkte bereits von weitem – »Tag, mein kleiner Muz – Guten Tag, Herr Tavares – Tag, Marga, wartet ihr schon lange auf mich?« Ursel hatte mit der jungen Brasilianerin bereits Duzfreundschaft geschlossen.
»Mein armes Kind, so heiß bist du!« Zärtlich strich die Mutter der Erhitzten die Blondhaare aus der Stirn. »Komm, setz dich her und iß hier die Erdbeeren in Milch. Die werden dich erquicken.«
»Ja, gleich, Muzi – ich will nur schnell den Kopf in die Waschschüssel stecken und mir bei dieser Siedehitze das Leichteste anziehen, was ich besitze. Ach Marga, siehst du süß aus.« Sie betrachtete entzückt die im duftigen weißen Spitzenkleid einem Meißner Püppchen noch ähnlicher als sonst sehende Ausländerin.
»Sieß –« wiederholte Margarida, sich die Lippen mit dem Züngelchen leckend, zum Zeichen, daß sie den deutschen Ausdruck begriffen hatte.
»Und ich, Donna Ursel? Seh ich nicht aus süß ebenfalls?« fragte Milton Tavares lustig.
»Sie?« Ursel betrachtete den schlanken Brasilianer, dessen heller Bastanzug sich besonders vorteilhaft von seinem bronzefarbenen Hautkolorit, den blitzendweißen Zähnen und den brennendschwarzen Augen abhob. Eigentlich fand sie ihn mindestens so »süß« wie die Schwester. Aber so weit reichte Ursels Ehrlichkeit nicht, um das zuzugestehen.
So tippte sie denn in nicht mißzuverstehender Bewegung gegen die Stirn. »Ihnen ist wohl die Hitze zu Kopfe gestiegen, Herr Tavares?« fragte sie lachend.
»Aber Ursel!« ermahnte die Mutter das ungenierte Töchterchen, während der Brasilianer erstaunt meinte: »Hitze? Es ist nicht warm heite – guttes Wetter, serr gutt.«
»Ja, Sie sind in Brasilien wohl andere Temperaturen gewöhnt, Herr Tavares«, pflichtete Frau Professor Hartenstein dem jungen Manne bei.
»Temperatur muß sein heiß, serr heiß, daß Kaffee wird gutt und viel.«
»Und da schmoren Sie auch lieber, damit Ihr Kaffee bloß fix und fertig gleich gekocht mit Milch und Zucker vom Baum kommt«, neckte ihn Ursel.
»Ist nicht Baum – ist Strauch, großes Kaffeestrauch, hoch wie Mann, wie kleines Wald viele, viele Meilen. Oh, ist schön in S. Paulo, magnifico.« In Erinnerung an seine schöne Heimat verfiel er wieder in die Heimatssprache. »Was sein Blumen hier? Klein, nicht groß, nicht schön. Was sein Himmel? Grau, häßlich. Was sein Sonne? Nicht heiß – nicht Gold. Was sein Vogel? Nicht groß, nicht bunt. Schmettervogel in Brasilien sein groß, sein schön, oh, viel schön, serr viel mehr schön.« Er berauschte sich an der Erinnerung.
»Na, dann hätten Sie ja drüben bleiben können, wenn es so herrlich bei Ihnen ist«, begehrte Ursel auf, die sich ärgerte, daß Milton Tavares ihre Heimat nicht gegen die seinige gelten lassen wollte. »Wozu sind Sie denn dann erst über den großen Teich geschwommen?«
»Ursel – Urselchen – du wirst doch unsern Gast nicht beleidigen«, unterbrach Frau Annemarie ihre Tochter, die aber fuhr unbeirrt fort: »Kann es einen schöneren Garten geben als den unsrigen hier? Rosen und Linden blühen. Bunte Schmetterlinge haschen sich. Die Vögel singen so süß – hören Sie nur mal, das muß die Amsel sein, die uns immer die Erdbeeren anpickt. Und der Himmel soll grau sein – Sie sind wohl farbenblind. Leuchtend blau ist er. Und wenn Ihnen unsere Sonne noch nicht heiß genug ist, dann gehen Sie nur ganz ruhig in Ihren Schmortopf von Brasilien zurück und lassen Sie sich da knusprig braten!« Nein, wirklich, Ursel war sehr aufgebracht über Milton Tavares.
»Aber Ursel, unser Gast! – – –« Die Mutter schüttelte unzufrieden ihren Kopf über das impulsive Töchterchen, das so wenig überlegte, was es da alles heraussprudelte.
»Nicht Gast – Freund – guttes Freund – wenn Donna Ursel auch sein furiosa über mir, sie sein reizend in Wut«, nahm der Brasilianer Ursels Partei.
»Was sein deutsche Mädchen – nicht schön!« äffte sie ihm nach.
»O ja, sein wunderschön, blonde deutsche Mädchen, marovilhosa!« rief er feurig. »Ich weiß, Donna Ursel sein nicht bös auf mir – sein gutt – sein mir gutt« – – –
»Na, nu hört sich aber alles auf!« Ursel mußte plötzlich mitten in ihrem Ärger hell auflachen. Auch Frau Annemarie stimmte in das Lachen ein. »Sie wissen ja gar nicht, was Sie da sagen, Herr Tavares. Lernen Sie nur erst Ihre deutsche Lektion. Sie haben sich mindestens schon ein Dutzend Fehler heute geleistet. Ihre Lehrerin ist sehr unzufrieden mit Ihnen.« Sie hatte ihre gute Laune wieder.
»Oh, so Sie sein lieb«, sagte Milton Tavares über das ganze Gesicht strahlend.
»Marga, dir gefällt es besser bei uns in Deutschland als deinem Bruder, nicht wahr? Du bist nicht so undankbar wie er.«
»Oh, Deitschland gefällt serr«, bestätigte die Brasilianerin. »Beste an Deitschland sein du!« Zärtlich streichelte sie mit ihrem schmalen Händchen die erhitzte Wange der Freundin.
»Allerbeste, das ich sage auch«, rief Milton Tavares lebhaft und begann Ursels linke Wange zu streicheln.
»Was fällt Ihnen denn ein?« fuhr Ursel ihn an, trotzdem sie sich im Grunde sehr geschmeichelt fühlte.
»Oh, pardon, ich haben geglaubt, das muß sein, wenn man so sagen«, entschuldigte sich Milton Tavares scheinheilig.
»Na, bei mir im deutschen Unterricht haben Sie das ganz gewiß nicht gelernt. Aber zwei Fehler haben Sie sich wieder geleistet. Wie muß es heißen, Herr Tavares – ich – na?«
»Ich habe geglauben«, Milton Tavares machte dabei ein zerknirschtes Gesicht wie ein kleiner Schuljunge, der einen Tadel von seinem Lehrer bekommen.
Wieder mußte die strenge Lehrerin lachen. Man konnte ihm niemals ernstlich böse sein, dem Brasilianer. Auch Frau Annemarie stimmte in das Lachen über den gelehrigen Schüler ein.
»So, Urselchen, nun geh erst auf dein Zimmer und erfrische dich. Kaltes Wasser kühlt am besten deinen Tropenkoller ab.«
»Tropenkoller? Oh, muß gnädige Frau kommen uns besuchen in Brasilien.«
»Ich bin nicht so vergnügungssüchtig, Herr Tavares.« Die beiden blonden Damen, Mutter und Tochter, lachten um die Wette. »Auch ist die Reise mir für diesen Zweck ein wenig zu weit.«
»Ist nicht weit – nur drei bis vier Wochen mit Schiff und dann zu fahren mit Bahn. Aber Donna Ursel muß gehen sehen uns in S. Paulo. Muß sehen, wie schön, wie herrlich sein unser Land – viel mehr schön als hier!« Da begann er die Ursel schon wieder aufzuziehen. Er fand sie nun mal zu allerliebst, wenn sie wütend wurde.
Diesmal ging Ursel nicht auf den Leim. »Jawohl, ich komme, danke vielmals für die freundliche Einladung. Vier Wochen mit dem Schiff ist ja ganz nah. Nachmittags zwischen Kaffee und Abendbrot komme ich auf eine Stippvisite.« Übermütig war sie davon.
»Wird sie kommen gewiß?« erkundigte sich Milton eifrig bei der Mutter.
»Aber Herr Tavares – drei bis vier Wochen Seefahrt bedeuten eine Weltreise. Sie machen sicher nur Scherz«, meinte Frau Annemarie lächelnd.
»Nein, ist wahr, ist ernst – Donna Ursel muß kommen in Brasilien«, beharrte er.
»Ja, muß bleiben da – ist mein liebes Freundin«, fiel auch Margarida ein.
»Ich würde mein Kind niemals so weit fort übers Meer lassen«, sagte Frau Annemarie ernst in bestimmtem Ton. Was war es nur, was da plötzlich ihr Mutterherz in jähem Schreck durchzuckt hatte? Was ließ sie so energisch Front machen gegen einen Scherz, eine Kinderei? Ach Unsinn – nur keine Gespenster sehen, wo es keine gab. In ein, zwei Jahren waren die beiden Tavares wieder in Südamerika in ihrem Kaffeereich. Kein Hahn krähte dann mehr nach ihnen. Sie bildeten lediglich eine Episode in Ursels Leben. Und warum sollte sie dem Kinde nicht den Verkehr mit den liebenswürdigen, jungen Ausländern, die solch Gefallen an Ursel gefunden, gönnen? Wußte sie doch, welche Freude ihr das Zusammensein mit ihnen machte. Und in musikalischer Beziehung profitierte Ursel mindestens soviel dabei, wie die Brasilianer. Sowohl in der Klavierstunde, welche sie Margarida erteilte, als auch beim Ensemblespiel mit dem Bruder. Und wie viele Annehmlichkeiten erwuchsen ihren beiden Kindern aus dieser Freundschaft. Nie besorgten die beiden Tavares für sich allein Opern-, Theater- oder Konzertbillette. Stets mußten Ursel und Hans Hartenstein daran teilnehmen. Milton und Marga behaupteten, allein mache es ihnen gar keine Freude. Und da das Geld absolut keine Rolle bei ihnen spielte, zog man stets zu vieren los. Das war so recht was für Ursel. Sie schwelgte jetzt in Opernaufführungen, die früher für sie nur selten erschwingbar gewesen waren. Sie träumte sich in eine jede Rolle hinein. Sie sang im Wachen und im Traum die Opernarien, die sie gehört. Der Vater hatte schon öfters mal dagegen einschreiten wollen. Ihm war es nicht recht, daß seine Kinder solch ein Wohlleben kennen lernten und Gefallen daran fanden. Ursel, dem Prinzeßchen, fehlte das nur noch. Er selbst hatte sich in seiner Jugend arg quälen müssen, hatte manchmal in seiner Studentenzeit abends trocken Brot gegessen, um sich ein Buch zu erhungern. Auch jetzt, wo er es zu etwas gebracht hatte, war er der einfache, bescheidene Mann geblieben. Und so wollte er auch seine Kinder haben. Hansi schadeten die vielen Vergnügungen, da er sich dadurch für die Schule zersplitterte, wo er ohnedies kein besonderer Schüler war. Überhaupt ein Primaner brauchte noch nicht soviel auszugehen. Und die Ursel? Na, daß sie nicht mehr Ernst und Pflichtgefühl als Banklehrling bekam, wenn es heute eine Opernaufführung gab und morgen ein Konzert, das lag auf der Hand. Gerade von der Oper wollte der Professor sie doch fern halten. Viel zu sehr verwöhnt wurde sie ihm. Stets brachten die Brasilianer ihr Schokolade und Süßigkeiten mit. Aber dabei blieb's nicht. Kaufte sich Margarida seidene Strümpfe oder feine Lederhandschuhe, ihre Freundin Ursel mußte dasselbe haben wie sie. Bald war es ein Täschchen, bald Parfüm oder sonstige Luxusartikel, mit denen die Freundin Ursel überschüttete. Das Allerschlimmste aber war, daß der Professor mit seiner Annemarie diesmal nicht der gleichen Meinung war. Eine Mutter nimmt an jeder Freude ihres Kindes intensiveren Anteil als der Vater. Und Annemarie, die in ihrem ganzen Wesen so jung geblieben, so jung fühlte, genoß ganz besonders mit ihrer Ursel all das Schöne mit, was die brasilianischen Freunde ihr in ihr Leben trugen. Unrecht wäre es gewesen, dem Kinde die Freude zu zerstören. Ursel war so glücklich, so liebenswürdig heiter in dieser Zeit, daß es Frau Annemarie geradezu grausam erschien, ihr dieselbe zu trüben. Freilich, so ganz unrecht konnte sie ihrem Manne im Grunde ihres Herzens nicht geben. Sie sah es selbst ein, Ursel wurde über die Maßen verwöhnt, was bei ihr besonders gefährlich war. Bei ihrer Ältesten, der Vronli, in welcher die schlichte Einfachheit des Vaters lebte, hätten die Brasilianer mit ihrem Reichtum niemals Schaden angerichtet. Aber Ursel, an und für sich schon zum Wohlleben geneigt, verdrehten sie das blonde Köpfchen noch mehr, als es schon ohnedies der Fall war. Wie sollte das später werden, wenn die Tavares wieder nach Brasilien zurückgegangen waren? Würde sie dann nicht all den Luxus entbehren? Ach was, Ursel war ja klug. Die nahm das Zusammensein mit den Ausländern lediglich für eine angenehme Episode in ihrem Leben, wie auch Frau Annemarie es betrachtete. Später würde sie schon zur Vernunft kommen. Und überdies, man konnte die liebenswürdigen Aufmerksamkeiten der brasilianischen Geschwister nicht zurückweisen. Waren sie doch die einzige Art, in der sie sich für Ursels Unterrichtsstunden erkenntlich gegen sie zeigen konnten, da Ursel jede Bezahlung derselben stolz und energisch zurückgewiesen hatte. Mit diesem Argument pflegte Frau Annemarie ihre eigenen Bedenken, wie die ihres Gatten zu beschwichtigen.
Als Ursel im rosa Mullkleid, wie ein goldhaariges Feenkind anzuschauen, wieder auf die Terrasse heraustrat, war sie höchlichst verwundert, die Mutter, die sonst im Gespräch kaum weniger lebhaft war als ihr Töchterchen, still in die grünen Baumwipfel hinaussinnen zu sehen. Auch Milton Tavares rauchte schweigsam seine Zigarette. Margarida scheute sich immer noch zu sprechen, wenn man sie nicht gerade etwas fragte, da ihr die deutsche Sprache noch Schwierigkeiten machte.
»Nanu?« machte Ursel erstaunt. »Habt ihr euch miteinander gezankt? Die Unterhaltung ist ja kolossal lebhaft.«
Frau Annemarie strich sich mit der Hand über die Stirn, als könne sie damit all die lästigen Gedanken, die ihr soeben gekommen waren, ebenfalls fortwischen. In der Tat, sie hatte ihre Wirtinpflicht den jungen Gästen gegenüber vernachlässigt. »Ich überlegte nur etwas – – –« sagte sie, sich entschuldigend an die Geschwister wendend.
»Ich legte auch über«, pflichtete ihr der Brasilianer bei. Sein Auge hing wie gebannt an der reizenden Mädchenerscheinung unter blühendem Rosengerank.
»Hahaha –« das Schweigen, das noch eben schwer über den dreien auf der Terrasse gelegen, scheuchte Ursels glockenhelles Lachen.
»Also wenn ihr genug überlegt habt, können wir an die Arbeit gehen, Marga, erst kommst du heran.«
»Aber Ursel, du hast ja dein bestes Kleid angezogen, bist du denn ganz und gar nicht gescheit, Mädel?« Frau Annemarie erblickte erst jetzt ihre Tochter mit vollem Bewußtsein. »Gleich kleidest du dich um.«
»Ach, geliebter Muz, es ist das allerleichteste, was ich besitze. Und wenn Marga so fein ist, will ich mich auch schön machen«, bat das junge Mädchen.
»Nein, Ursel, du ziehst dich um. Es wird deinem Vater nicht so leicht, dir neue Kleider anzuschaffen.« Mit aller Energie verlangte es Frau Annemarie.
Ursel setzte ihr Trotzköpfchen auf. Milton Tavares aber rief: »Oh, Donna Ursel ist schön in jedes Kleid.« Da zerteilten sich die Wolken wieder auf der Stirn der jungen Dame, und sie kam dem Wunsche der Mutter nach.
Etwas später zogen Haydnsche Klänge aus dem Musikzimmer in den Garten hinaus. Ursel und Margarida waren eifrig bei der Arbeit. Zu Milton Tavares, der während der Klavierstunde von Ursel meist »rausgeworfen« wurde, denn »Kritik brauchen wir nicht«, wie sie zu sagen pflegte, hatte sich Hans Hartenstein gesellt. Ähnlich wie Margarida Tavares an Ursel hing, so hatte sich der Oberprimaner an den jungen Ausländer angeschlossen. Derselbe verkörperte für ihn alles, was Hans begehrenswert erschien. Daß er ein fescher, gutgekleideter junger Mann war, verstand Hans weniger zu würdigen, als seine Schwester Ursel. Aber daß der Brasilianer Zigaretten im Überfluß hatte, von denen er Hans freigebig spendete, daß derselbe niemals in der Geldklemme saß, wie es Hans des öfteren mit seinem bescheidenen Taschengeld erging, das fand er beneidenswert. Den größten Eindruck aber übte es auf den noch hinter Schulmauern schwitzenden Jungen aus, daß Milton Tavares in der Welt schon so weit herumgekommen war. Die weite, große lockende Welt da draußen, die verkörperte ihm der Brasilianer. Mit heißen Wangen, wie er früher seine Indianer- und Seefahrergeschichten verschlungen hatte, so lauschte Hans den Berichten aus einer andern fremden Welt. Und es stand fest bei ihm: Da muß ich auch mal hin! Nur zu gern malte Milton dem jüngeren Gefährten seine schöne Heimat in den glühendsten Farben; liebte er sie doch mit dem Feuer, das seiner Rasse eigen. Sehnte er sich doch, gerade so wie Schwester Margarida, des öfteren aus dem unschönen, nüchternen Berlin in sein farbenprächtiges Vaterland heim. Vor Ursel durfte er derartige Gedanken und Vergleiche, die zuungunsten Berlins ausfielen, nicht laut werden lassen. Ein um so dankbarerer Zuhörer war Hans Hartenstein für alles, was mit dem Drüben jenseits des Ozeans zusammenhing.
Auch heute ließ Hans sich zum so und so vielten Male, während er neben Milton die Gartenwege zigarettenpaffend auf und nieder schritt, von den Herrlichkeiten der Tropenwelt berichten. Der Professor, der an seinem Spalierobst bastelte und ab und zu Brocken der begeisterten Schilderungen aufschnappte, rief zu seinem Jungen herüber: »Du, Hansi, rauche nicht wie ein Schornstein! Ein, auch zwei Zigaretten meinetwegen. Aber mehr ist halt vom Übel. Die Lungen eines heranwachsenden Buben sind noch nicht so widerstandsfähig.«
»Ach was, im nächsten Monat bin ich achtzehn, da bin ich kein Bube mehr«, verteidigte Hansi seine Männerwürde vor dem älteren Freunde.
»Ein Schulbub bist und bleibst du vorderhand noch. Und das schickt sich nimmer, daß ein Primaner so arg qualmt.« Professor Hartenstein war nicht gewöhnt, ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
»Ja, leider bin ich noch ein Schuljunge, leider! Aber nicht mehr lange – Gott sei's getrommelt! Dann geht's hinaus in die Welt – hinüber nach Südamerika. Dann will ich all das Herrliche mit eigenen Augen schauen, von dem Milton Tavares erzählt. Nicht wahr, Sie nehmen mich mit auf Ihre Kaffeeplantage?« Der sonst so ruhige Junge war gar nicht wieder zu erkennen.
»Freilich, Hans. Ein tüchtiges garçon, wie Sie, macht in Brasilien seine Glück«, bestärkte ihn der Ältere.
»Hören Sie, Herr Tavares, tun Sie mir halt den Gefallen und setzen Sie dem Bub keine Flausen in den Kopf. Er nimmt Spaß für Ernst. Er soll in seiner deutschen Heimat ein tüchtiger Mensch werden, und nicht fernen Glücksmöglichkeiten nachjagen.« Der Professor hatte mit Nachdruck gesprochen.
»Tüchtiges Mensch man kann werden überall in Welt«, entgegnete der Ausländer. »In Brasilien Leute sein reich. Deutsches Land sein arm.«
»Ja, leider – leider! Das hat der unselige Weltkrieg aus uns gemacht. Darum aber, gerade darum hat ein jedes Kind Deutschlands die Verpflichtung, alle Kräfte daran zu setzen, in seinem Vaterlande etwas Tüchtiges zu erreichen und Deutschland wieder zu Ehre und Ansehen zu verhelfen.«
Nein, was der Vater sich ereiferte. Hans bemerkte es mit höchlichem Erstaunen. Noch war es ja gar nicht so weit. Leider! Vorläufig lag noch über ein halbes Schuljahr bis zum Abiturium vor ihm. Kam Zeit, kam Rat – na also!
Das Gespräch, bei dem sich Professor Hartenstein, der ruhige Mann, so in Eifer geredet, ging ihm nach. Es beschäftigte ihn sogar noch, als er nach dem Essen mit seiner Annemarie den allabendlichen Spaziergang in den mit blühenden Linden bestandenen Wegen, die aufs freie Gelände hinausführten, machte. Draußen im Garten schlug Hans mit Margarida trotz einbrechender Dämmerung die Krocketkugeln. Drinnen sang Ursel Schubertlieder zu Miltons Begleitung; denn dieser war nicht nur ein vorzüglicher Geiger, auch auf dem Klavier zeigte er feines musikalisches Verständnis.
Auch Frau Annemarie war heute gegen ihre Gewohnheit schweigsam. Und merkwürdig – die geheimen Gedanken der beiden Ehegatten, die sonst alles, was sie beschäftigte, gegeneinander auszusprechen pflegten, drehten sich um denselben Punkt. Den Brasilianern galt ihr Sinnen, die Einfluß auf ihre Kinder bekommen hatten, sie möglichenfalls aus den ruhigen Bahnen der breiten Alltäglichkeit hinauslocken konnten in ungewisse Fernen.
Im Gras zirpten die Heimchen. Die Vögel flogen zu Nest. Und die Linden dufteten.
Annemarie war es, die zuerst das Schweigen brach.
»Du, Rudi – ein sehr unterhaltsamer Gesellschafter bist du heute gerade nicht.« Mit Gewalt scheuchte sie die quälenden Gedanken und zwang sich zu unbefangener Heiterkeit. »An welche Operation denkst du augenblicklich?«
»An eine besonders schwierige, Weible. Physische Operationen sind mir geläufig. Aber in psychischen bin ich halt weniger bewandert.«
»Hu – das klingt ja gräßlich gelehrt. Was für eine Seelenoperation hast denn du vorzunehmen, Rudi?«
»Ich trage mich den ganzen Abend schon mit dem Gedanken, ob es nicht richtiger wäre, die Besuche der jungen Tavares, so nett und liebenswürdig auch die beiden sind, nach Möglichkeit einzuschränken. Natürlich, ohne daß es auffällt, verletzen dürfen wir die lieben jungen Menschen, die sich unseren Kindern gegenüber so freundlich erweisen, nimmer. Ich trau dir halt den richtigen Herzenstakt dabei zu, Annemarie.«
»Danke für die gute Meinung. Aber es ist merkwürdig, Rudi, du sprichst das aus, woran ich selbst schon den ganzen Abend habe denken müssen, was auch mir Sorgen macht. Leicht wird die Aufgabe, die du mir stellst, nicht sein. Du kennst doch Ursels Trotzköpfchen. Gerade was man ihr verwehrt, wird ihr doppelt begehrenswert erscheinen.«
»Herzle, auf Ursel kommt mir's dabei gar nicht so arg an. Die wird allenfalls durch die ausländischen Freunde noch verwöhnter, als sie schon ohnedies ist. Nun, das werden wir ihr halt wieder 'naustreiben. Aber der Hansi – der macht mir Sorge, der Bub. Den Schilderungen des Brasilianers von dem Lande jenseits des Ozeans lauscht er wie einem schönen Märchen. Der Unternehmungsgeist, der Drang in die Ferne, der jedem Buben innewohnt, wird dadurch halt auf eine reale Basis gestellt. Darin besteht die Gefahr. Er hat mir bereits heute erklärt, daß er mit hinüber will nach Brasilien – – –«
»Der Hansi?« unterbrach Frau Annemarie den Gatten ganz betroffen. »Von dem Hansi redest du?«
»Ja, freilich, von wem sonst? Schau, Annemarie, der Bub ist nicht phantastisch, aber zäh ist er. Er darf sich das nicht in den Kopf setzen. Und darum – besser ist besser. Je früher man einschreitet, je kleiner ist der gefährliche Herd, den es zu vernichten gilt. Darin sind physische und psychische Operationen sich gleich.«
Zu des Professors größtem Erstaunen lachte Annemarie statt jeder anderen Antwort plötzlich hell und befreit auf.
»Der Hansi – ach, Rudi, da machst du dir unnütze Sorgen. Da siehst du Gespenster, wo es keine gibt. Der Hansi mit seinem beneidenswerten Phlegma sollte sich zu einer solchen Weltreise aufraffen – eher fahren wir beide nach Brasilien. Nein, um unsern Jungen ist mir ganz und gar nicht bange. Aber mit der Ursel steht die Sache anders. Der junge Tavares macht ihr den Hof, was bei einem jungen, eitlen Dinge natürlich nicht ohne Eindruck bleiben kann.«
»Lari – fari – Kinderei! Es werden sich noch mehr finden, die der Ursel den Hof machen. Sie ist doch halt dein Ebenbild.« Der Professor zog den Arm Annemaries liebevoll an sich. »Deshalb wird er ihr nicht gleich gefährlich werden. Unser Ursele vergafft sich nimmer in den Erstenbesten.«
»Aber wenn dieser Erste für sie nun auch der Beste wäre?« gab Frau Annemarie zu bedenken. »Vorläufig freut sie sich noch wie ein Kind an seinen Huldigungen. Aber heute haben beide Tavares bereits davon gesprochen, daß Ursel mit ihnen nach Brasilien gehen müßte – – –«
»Hahaha«, jetzt lachte der Professor. »Der Hansi und die Ursel, gleich alle beide. Vielleicht nehmen sie's Vronli auch gleich noch mit. Na, und was hat sie ihm denn halt darauf geantwortet, unser Nesthäkchen?«
»Ausgelacht hat sie ihn. Zur Stippvisite zwischen Kaffee und Abendbrot will sie mal mit herankommen nach Brasilien.«
»Also schau, Frauli, da haben wir's ja. Die Ursel nimmt die Ausländer überhaupt nicht ernst. Die amüsiert sich halt mit ihnen. Wenn wir den Verkehr etwas einschränken, wird das auch für unser verwöhntes Prinzeßchen von Nutzen sein. Daß sie wieder etwas weniger anspruchsvoll wird. Aber sonst hat's keine Gefahr mit der Ursel. Diesmal hast du halt Gespenster gesehen, gelt, mein Liebes?«
»Also wir alle beide, Rudi. Jetzt ist mir wieder leicht ums Herz. Ach, es ist doch gut, daß wir uns gegenseitig alles Schwere von der Seele reden können ...« Annemarie drückte die Hand ihres Mannes.
Als die beiden von ihrem Spaziergang heimkehrten, dunkelte es bereits. Aus dem Musikzimmer fiel ein strahlendes Lichtbündel hinaus auf den schwarzen Weg. Ursel und Milton musizierten dort noch immer miteinander, während Margarida, Hans und Cäsar das Publikum bildeten.
Durch den lindenschweren Abend zogen die süßen Klänge des Mignonliedes: »Kennst du das Land ...«
Und dann zum Schluß die jubelnde Stimme der jungen Sängerin: »Dahin – dahin – will ich mit dir, du mein Geliebter, ziehn.«