Else Ury
Das Rosenhäusel
Else Ury

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9. Kapitel.

Freilichttheater

Der Winter währt lange in den Bergen. Wenn drunten in der Ebene schon die Obstbäume blühen, liegt droben noch Schnee. »Weiße Ostern« sind im Gebirge das übliche.

Aber schließlich muß es doch Frühling werden! Auch ins Riesengebirge hält der Lenz, neues Leben spendend, siegreich seinen Einzug, wenn auch vier Wochen später als in der Ebene.

Eines Tages stand der Apfelbaum draußen auf der Wiese wieder im rosenroten Blütenkleid. Und das Rotkehlchen schmetterte am offenen Fenster des Rosenhäusels dem Lenz seinen Willkomm entgegen.

Bärbel lernte jetzt ihre Lektionen beim Umgraben des Erdreiches, beim Düngen und Säen. Der gute frische Frühlingswind, der von den Bergen herabstürmte, tat wohl und machte ihr den Kopf klar und aufnahmefähig. Das war auch nötig. Ostern war sie in die zweite Klasse gekommen. Zu den französischen Sprachstudien hatte sich das Englische gesellt. Für Bärbel war beides neu. Oft brachte sie englische und französische Vokabeln durcheinander. Von ihr aus hätte der Winter ruhig noch ein paar Monate dauern können. Sobald die Außenarbeit in Feld und Garten begann, war es um ihre Muße für die Schularbeiten geschehen. Die mußten jetzt nebenbei erledigt werden; möglichst, daß die Mutter gar nichts davon merkte. Denn Frau Kleinert hatte längst vergessen, daß sie mit Bärbels Lyzeumsbesuch mal einverstanden gewesen war. Jahre konnten vergehen, bis das Mädel überhaupt einen Pfennig verdiente; und bis man daran denken konnte, das Rosenhäusel zu erwerben – du lieber Gott! Nicht einmal fürs Pferdel hatte es bisher gelangt. Die praktische Frau sah nicht, daß durch den Besuch der höheren Schule für die Tochter etwas anderes herauskam als unnütze Zeitverschwendung.

Bärbel ging jetzt auch noch zum Konfirmationsunterricht. Nächstes Jahr, wenn sie eingesegnet war, hätte sie als Stubenmädel schon ein paar Mark verdienen können. Was nützte der Mutter die Taube auf dem Dache. Der Sperling in der Hand war ihr sicherer. So versuchte Mutter Kleinert auf jede Weise, Bärbels Lernen durch häusliche Arbeit zu durchkreuzen. Das Mädel sollte selbst zu der Ansicht kommen, daß es für sie besser sei, die höhere Schullaufbahn aufzugeben; denn an ihrem Manne hatte Frau Kleinert keinen Bundesgenossen. Der war stolz darauf, daß sein Mädel mehr lernen durfte als er selbst. Über jede gute Nummer, die sie heimbrachte, war er so erfreut, als wenn er Gott weiß was verdient hätte. Die beiden waren unpraktische Menschen, ihr Mann und die Bärbel, gut zum Zitherspiel und zum Singen. Aber das Geld, Pfennig um Pfennig zusammenzukratzen, das kam ihnen erst in zweiter Linie. Da mußte sie, die tatkräftige Mutter, Haus und Kinder regieren. Sie würde die Bärbel schon bis zur Einsegnung zur Vernunft bringen.

Bärbel ahnte nichts von den Steinen, die sich ihr in den Weg rollten. Wenn sie auch merkte, daß die Muttel mehr als sonst über die Zeitvergeudung räsonierte, sobald sie die Tochter über den Büchern sah. Wie glücklich war Bärbel gewesen, daß sie mit in die zweite Klasse versetzt worden war. Die Hauptschwierigkeiten der französischen Sprache, die sie nachlernen mußte, waren jetzt überwunden. Englisch, das sie von Anfang an mit durchnahm, würde sie durch Fleiß und Aufmerksamkeit schon begreifen. So hoffte Bärbel mit der unverwüstlichen Zuversicht der Jugend.

Es ging ihr gut im Lyzeum. Die Lehrer und Lehrerinnen mochten das strebsame, pflichttreue Mädchen, das so aufgeweckt am Unterricht teilnahm, gern. Ja, sie hatten Respekt vor dem Zielbewußtsein dieses noch so jungen Menschenkindes. Durch den Lehrer Opitz war es durchgesickert, daß es für Bärbel daheim gar nicht so einfach war, die Zeit für die Schularbeiten zu gewinnen. Um so anerkennenswerter waren ihre Leistungen.

Auch die Schulkameradinnen sahen nicht mehr, daß Bärbel einfacher gekleidet war als sie, daß ihre Hände Spuren der Arbeit aufwiesen. Bärbels zutrauliches und verträgliches Wesen hatte ihr die jungen Herzen der Mitschülerinnen im Laufe der Zeit gewonnen. Daran konnte auch Martha Liebig nichts mehr ändern. Denn Martha dachte nicht mehr daran, daß sie Bärbel Dank schuldete, daß sie ihr hilfreich beigestanden hatte. Im Gegenteil, es war ihr unangenehm, daran zu denken, daß es die arme Kleinert Bärbel gewesen war, die sie jammernd gesehen hatte, die ihr bei dem Unglücksfall erste Hilfe geleistet hatte. Freundlicher war die Martha nicht zu ihr geworden, aber wenigstens machte sie Bärbel jetzt nicht mehr zur Zielscheibe ihrer Spottsucht.

Da geschah etwas, was das halbwegs gute Einvernehmen der beiden Mädchen wieder störte. An der Talsperre in Krummhübel, hinter dem idyllischen kleinen Stausee im Walde, fand im Sommer Freilichttheater statt. Nicht von Berufsschauspielern; die Krummhübler Bürger wurden, soweit sie das Zeug dazu hatten, für das Spiel ausgewählt. Zu dem altschlesischen Stück »Laboranten«, das man einstudierte, waren die braven Handwerker auch die rechten Leute. Sie brauchten nur sich selbst, ihre eigene Rolle zu spielen. Auch für »Hänsel und Gretel«, das man für die Kinder der Sommergäste geben wollte, suchte man passende Schauspieler unter den Krummhübler Schulkindern aus. Da Gesangsrollen dabei waren, sah man in erster Linie auf stimmliche Begabung. So wurde Bärbel Kleinert, die beste Sängerin, einstimmig für die Rolle der Gretel gewählt. Die Rolle des Hänsel, der ebenfalls von einem Mädchen dargestellt werden mußte, da die größeren Jungen, die dafür in Betracht kamen, meist schon Stimmwechsel hatten, sollte von Martha Liebig gegeben werden. Bärbel war glückselig, daß sie zum erstenmal im Leben Theater spielen durfte. Bisher hatte sie die Schauspieler des Krummhübler Freilichttheaters nur als heimlicher Zaungast aus der Ferne bewundert. Die Mutter murrte zwar, daß die Komödie der Bärbel keinen Pfennig Geld einbringe und sie nur noch mehr von häuslichen Pflichten abhalte. Aber die Großmuttel meinte, es sei doch eine große Ehre, die ihrem Bärbel widerfahre, und der Vater verstand wie immer sich mit seinem Mädel zu freuen. Bruder Karl war etwas neidisch. Er wäre gar zu gern der Hänsel gewesen, um auf der Waldbühne im Scheinwerferlicht herumklettern zu können, besonders aber um an dem Pfefferkuchenhäusel zu knuspern.

Noch neidischer aber war Martha Liebig. Die Rolle des Hänsels paßte ihr nicht. Dieselbe war kleiner als die der Gretel. Noch weniger aber paßte es der Martha in ihrem dummstolzen Hochmut, mit der armen Bärbel zusammen vor den Sommergästen und Einheimischen Theater zu spielen. Es gab doch genug wohlhabende Bürgerstöchter, die auch singen konnten. Überdies war Bärbel gar kein Krummhübler Kind, wenn sie auch dort die Schule besuchte, sondern aus Wolfshau. Erst kamen doch die Krummhübler dazu. Wozu saß ihr Vater denn im Gemeinderat? Aber all ihre Einwendungen halfen der Martha Liebig nicht. Die erste Probe hatte ergeben, daß Bärbel zu ihrer Rolle nicht nur eine wundervolle Stimme mitbrachte, sondern daß sie sich auch so frei und unbefangen, so anmutig und temperamentvoll als Gretel zu bewegen wußte, daß Martha Liebig dagegen hölzern und steif wirkte. Ja, man legte es der Martha sogar nahe, zurückzutreten, da sie sich so wenig in die Rolle des Hänsels zu finden wußte. Aber das wollte diese auf keinen Fall. Das wäre ja noch schöner gewesen, wenn sie nicht mitgespielt hätte, wo doch ihr Vater dem Vergnügungskomitee für die Fremdensaison angehörte.

Leicht machte es Martha der Bärbel nicht, ihre Rolle durchzuführen. Wie sie einst in der Schule Bärbel vor den andern lächerlich gemacht hatte, so versuchte sie es auch hier; nur mit weniger Erfolg. Wenn Bärbel beim Singen zu tanzen begann oder beim Anblick des Pfefferkuchenhäusels erfreut in die Hände schlug, so raunte ihr die Martha zu: »Sei doch nicht so unfein, du mußt vornehmer spielen. Aber wo solltest du das auch gelernt haben!«

Dann gab sich Bärbel wohl Mühe, nicht so lebhaft zu spielen; aber ihr Temperament riß sie immer wieder fort. Sie spielte die Gretel nicht, sie war die Gretel.

Die Tiere des Rosenhäusels wunderten sich jetzt sehr über ihre Pflegerin. Wenn Bärbel die Milch aus den vollen Eutern der Ziege in den Melkkübel spritzen ließ, redete sie dabei merkwürdiges Zeug von einem Hause aus lauter Pfefferkuchen und Zucker. Waren Menschen wirklich so dumm, so was zu glauben? Mohrle umkreiste seine junge Freundin oft kopfschüttelnd. Anstatt Wäsche auf der Bleiche zu spreiten, tat sie, als ob sie einen Bratofen heize, und weinte dabei, weil ihr Bruder geschlachtet werden sollte. Dabei strich Bruder Karl doch ganz vergnügt den Gartenzaun mit grüner Ölfarbe an, so daß man mit seinem schwarzen Hundefell immer daran kleben blieb.

Auch Miezel lag in der Sonne und blinzelte nachdenklich zur Koppe empor. Von einer Hexe faselte Bärbel jetzt immer, die gern gebratene Kinder verspeiste. Ja, wenn es noch ein feistes Mäuslein gewesen wäre. Und Hexen – hier im Riesengebirge spukte allenfalls der Herr Rübezahl herum.

Unter Arbeit und Theaterproben verging der Juni, und die Sommergäste hielten wieder ihren Einzug. Königs waren diesmal nicht darunter. Frau König mußte ihrer Gesundheit wegen ein Heilbad aufsuchen. Andere Gäste saßen unter dem Apfelbaum des Rosenhäusels, aßen Mutter Kleinerts saure Milch, ließen Fritzel auf den Knien reiten und streichelten Mohrle.

Der Sonntagnachmittag der Erstaufführung von »Hänsel und Gretel« kam heran. Petrus hatte ein Einsehen mit all den sorgenvollen Kinderherzen, ob auch die Aufführung nicht verregnen würde. Goldener konnte die Sonne nicht vom Himmel scheinen als an diesem Sonntag. Was Beine in Krummhübel und Umgegend hatte, fand sich an der Talsperre ein. Festlich gekleidete Kinder mit ihren Eltern füllten herzklopfend die den Waldhang hinauf ansteigenden Bänke. Hinter denselben hockte die Dorfjugend, die keine Einlaßkarte erschwingen konnte, auf Bergföhren und Felsgestein; Karl mitten unter ihnen. Er führte das große Wort als Bruder einer Schauspielerin. Bärbels Eltern und die Großmuttel hatten Freiplätze zur Erstaufführung bekommen. Auf des Vaters Schoß saß Friedel mit erwartungsvoll heißen Bäckchen. Selbst Mohrle war mit durchgeschlüpft und blickte verständnislos zu der kleinen Holzhütte, die man im Walde auf der Freilichtbühne errichtet hatte, hinüber. Er konnte sich noch kein rechtes Bild von einer Theateraufführung machen.

Aber als nach dem Klingelzeichen Bärbel auftrat und zu singen und zu tanzen begann, da war Mohrle einer der Aufmerksamsten im Publikum. Keiner spitzte die Ohren so wie er. Keinen Blick verwandte er von Bärbel. Doch auch das übrige Publikum, groß und klein, war begeistert von der jungen Schauspielerin. Mit den dunklen Zöpfen, den leuchtenden tiefblauen Augen und dem bräunlich rosigen Hautton war sie eine angehende junge Schönheit. Am erstaunlichsten aber waren Stimme und Spiel dieses Dorfkindes. Bärbel bewegte sich so frei und natürlich auf der Bühne, sie gab ihre Rolle mit solchem Liebreiz, als ob sie ihr Lebtag Theater gespielt hätte.

»Die geborene Schauspielerin!« sagte ein Berliner Herr anerkennend. »Dieses Riesengebirgspflänzchen sollte man sich merken.«

»Sängerin muß das Mädel werden – die Stimme ist Gold wert«, ließ sich wiederum ein anderer vernehmen.

Bärbel ahnte nichts von der Kritik. Die lebte das Märchen, die sang und tanzte, lachte und weinte als Gretel. Und daneben stand Martha Liebig mit spöttischem Gesicht und deklamierte die Rolle des Hänsel, als ob sie ein Gedicht in der Klasse hersagte. Trotz der Jungenverkleidung blieb sie die hochmütige Maurermeistertochter. Leider ging die Erstaufführung nicht ganz ohne Zwischenfall zu Ende. Als die Hexe den verirrten Kindern mit ihrem Stock drohte und sie in den Stall sperren wollte, sprang plötzlich mit wütendem Gebell etwas Schwarzes aus dem Publikum und der Hexe an die Beine – Mohrle kam seiner bedrohten kleinen Herrin zu Hilfe. Was wußte das treue Tier davon, daß es nur Theaterspiel, daß die Hexe eigentlich der brave Tischlermeister Hallmann war.

»Kusch dich, Mohrle!« rief Gretel, als ob es zum Stück gehörte, während Hänsel dem Tier einen empörten Tritt gab. Das kleine und große Publikum aber lachte Tränen über das Mitspielen des Hundes. Ja, ein Kind rief sogar ängstlich: »Der Wolf – der böse Wolf!«

Zum Schluß befreite Rübezahl die armen Kinder aus ihrer Gefangenschaft und half die Hexe in den Backofen schieben. Und wenn das auch dem Märchen nach nicht ganz stimmte, das schadete gar nichts, dafür war man ja im Riesengebirge.

Große und kleine Hände klatschten jubelnd Beifall, als das Stück beendigt war. Verschiedene Sommergäste ließen sich den Namen der allerliebsten kleinen Schauspielerin nennen. Ein älterer Herr trat zu der Kleinertschen Familie heran.

»Ihr Töchterchen hat eine Zukunft vor sich. Wenn sie erwachsen ist, müssen Sie ihre Stimme ausbilden lassen«, sagte er zu den Eltern. »Ich bin Leiter einer Opernschule in Breslau. Schicken Sie mir das Mädel in zwei, drei Jahren. Ich garantiere, daß was aus ihr wird.«

»Nu, das wär jo was«, lachte Mutter Kleinert. »Die Bärbel zur Komedie gähen! Zwei, drei Jahre, asu lange sullen mer warten, bis das Mädel was verdienen tut? Nee, lieber Herr, mir sein arme Leite. Das Mädel muß, wenn und sie is eingesägnet, halt mitsorgen helfen fiers tägliche Läben.«

»Schade!« sagte der Herr achselzuckend. »Solcher Stimme und solcher Bühnenbegabung begegnet man nicht alle Tage. Nehmen Sie jedenfalls meine Karte, falls Sie sich doch mal später an mich wenden wollen.« Er händigte Vater Kleinert seine Karte mit Namen und Adresse ein, die dieser sorgsam in sein sauberes, rotbedrucktes Schnupftüchel einwickelte.

»Das kleine Fräulein aber lade ich zu einer Tasse Schokolade in die Talsperrenbaude ein«, fuhr der fremde Herr freundlich fort. »Solche Leistungen müssen belohnt werden. Und Gretels Bruder, der Hänsel, ist natürlich auch eingeladen.« Er wandte sich an die unweit stehende Martha Liebig.

»Danke«, sagte da aber Hänsel zu seiner Verwunderung schnippisch. »Ich lasse mich nicht von Fremden freihalten. Mein Vater kann mir selbst Schokolade kaufen.«

Bärbel, eben noch voller Glückseligkeit, wurde rot vor Scham, daß die Mitschülerin die freundliche Aufforderung so unhöflich ablehnte. Da rief Karl, der sich nach dem Stück am Knusperhäuschen eingefunden hatte: »Der Bruder von der Bärbel, das bin halt ich!«

»Und ich bin das Schwesterle!« fiel Klein-Friedel ein und schob ihr Händchen in die Hand von der großen Schwester. Denn das Wort »Schokolade« ließ selbst die Scheu vor dem fremden Herrn zurücktreten.

Der Fremde lachte belustigt.

»Nun, da lade ich die ganze Familie ein.« Vater Kleinert wollte sich bescheiden zurückziehen, aber seine Frau stieß ihn mit dem Ellenbogen an: »Nu sei ooch nich so tumm, Karle, nu su gäh ooch mitte.«

Martha Liebig schoß wütende Blicke zu dem Nebentisch. Kaffee und Kuchen schmeckten ihr nicht. Mußten sich die Kleinert-Leute auch gerade neben ihrem Tisch niederlassen, an dem der Gemeindevorstand saß. Selbst die Großmuttel mit dem schwarzen Kopftüchel und Mohrle fehlten nicht dabei.

Bärbel kam sich vor, als ob sie immer noch im Märchen lebte. Es war zu schön, um Wirklichkeit zu sein. Sie saß, wie ein vornehmer Sommergast, bei Musik an den buntgedeckten Tischen unter roten Schirmen an der Talsperre, auf der sich die Ruderboote tummelten. Jedes von den Kindern hatte vor sich eine Tasse Schokolade mit Schlagsahne, während die Großen dem Kaffee den Vorzug gegeben hatten. Herr Velden, der Breslauer Opernschuldirektor, schaute schmunzelnd zu, wie es den braven Gebirglern schmeckte.

Bärbel blickte zur Schneekoppe, die über den Tannengipfeln herüberlugte, empor. Nein, es war kein Traum. Das war die Koppe. Da neben ihr saß die Liebig Marthel und ein paar Tische weiter der Opitz Hermännel mit seinen Eltern. Er winkte und nickte herüber. Jetzt wurde auch Herr Opitz aufmerksam, grüßte und trat zu ihnen an den Tisch.

»Na, Bärbel, heute hast du dein Gesellenstück gemacht«, scherzte er. »Nun sorge nur dafür, daß das Meisterstück ebenso gut wird.«

Als der Gastgeber, jeden Dank ablehnend, sich freundlich von der Kleinertschen Familie verabschiedete, meinte er noch einmal zu Bärbel gewandt: »Kind, dich habe ich heute nicht zum letzten Male gesehen. Ich komme öfters aus Breslau ins Gebirge herüber. Ich werde dich im Auge behalten.« Er notierte in sein Büchlein Name und Wohnung der kleinen Schauspielerin.

»Du, Hermännel«, sagte Bärbel später, als man gemeinsam mit der Opitzschen Familie den Heimweg antrat, »sag, Hermännel, kann man am Theater viel Geld verdienen?«

»Freilich«, meinte der ältere Freund, »aber nur die ganz berühmten Sänger und Schauspieler.«

»Kann man so viel Geld dafür kriegen, daß man das Rosenhäusel kaufen kann?« Als ob ihr Seelenheil davon abhinge, blickte die Bärbel den Jungen an.

Der zögerte mit der Antwort. »Weißt du, Bärbel, setze dir lieber nichts in den Kopf«, meinte er verständig. »Nachher, wenn du's nicht erreichst, ist die Enttäuschung groß. Werde lieber Gesangslehrerin.«

Aber Bärbel schüttelte den Kopf, daß die dunklen Zöpfe flogen. »Sängerin will ich an der Oper werden, eine ganz berühmte!«



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