Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Capitel.

In welchem der Seigneur Keraban sich ein wenig gegen die Ansicht seines Neffen Ahmet einem Rathschlage des Führers fügt.

Der Führer hatte nämlich einen Rath ausgesprochen, welcher der Vortheile wegen, die er versprach, wohl in Betracht gezogen zu werden verdiente.

Welche Entfernung trennte die Reisenden noch von den Höhen Scutaris? Gegen sechzig Lieues. Wie viel Zeit hatten sie noch, um dieselben zurückzulegen? Achtundvierzig Stunden. Das war wenig, vorzüglich wenn die Pferde etwa in der Nacht den Dienst versagten.

Wenn man nun den Weg verließ, den die Ausbuchtungen der Küste nicht unwesentlich verlängerten, und sich quer über diesen äußersten Winkel Anatoliens zwischen den Ufern des Schwarzen und des Marmara-Meeres begab, mit einem Worte, wenn man die kürzeste Linie wählte, konnte die Reise leicht um ein Dutzend Lieues abgekürzt werden.

»Das ist es, Seigneur Keraban, was ich Ihnen vorschlage, erklärte der Führer mit dem ihm eigenen trockenen Tone, und ich füge hinzu, daß ich dringend wünsche, es von Ihnen angenommen zu sehen.

– Sind aber die Wege längs der Küste nicht weit sicherer als die im Inneren? fragte Ahmet.

– Im Innern hat man nicht mehr Gefahren zu fürchten als an den Küsten, versicherte der Führer.

– Und Ihr kennt die Wege, die Ihr uns einzuschlagen ersucht? fuhr Keraban fort.

– Ich bin, erwiderte der Führer, als ich noch in den Wäldern Anatoliens arbeitete, wenigstens zwanzig Mal hier durchgekommen.

– Es scheint mir, daß hier nicht zu zaudern ist, sagte Keraban, und daß die Ersparniß von zwölf Lieues an dem Wege, der noch vor uns liegt, die Mühe lohnt, seine Route zu ändern!«

Ahmet hörte ihm zu, ohne etwas zu sagen.

»Was denkst Du darüber, Ahmet?« fragte der Seigneur Keraban, sich an seinen Neffen wendend.

Ahmet antwortete nicht. Er hatte sicherlich einen gewissen Verdacht gegen diesen Führer; einen Verdacht, der allerdings, je näher das Ziel herankam, sich nicht ohne Grund weiter vermehrte.

In der That wirkte das eigentümliche Auftreten dieses Mannes, seine gelegentliche unerklärbare Abwesenheit, wobei er der Caravane vorauseilte, die Sorge, sich immer abseits zu halten, wenn gerastet wurde, wobei er vorgab, die Thiere nach Möglichkeit unterbringen zu müssen, die eigentümlichen, fast verdächtigen Blicke, die er Amasia zuwarf, eine Wachsamkeit, welche vor Allem dem jungen Mädchen zu gelten schien, auf Ahmet in nicht besonders beruhigender Weise. Auch er verlor diesen Führer niemals aus den Augen, den man in Trapezunt angenommen, ohne zu wissen, wer er war und woher er kam. Sein Onkel Keraban war freilich nicht der Mann dazu, seine Befürchtungen zu theilen, und es wäre gewiß schwierig gewesen, ihm als Thatsache annehmbar zu machen, was bisher ja wirklich nur noch eine Ahnung, ein Verdacht gewesen war.

»Nun, Ahmet? fragte Keraban noch einmal. Ehe ich mich über diesen Vorschlag des Führers entscheide, erwarte ich Deine Antwort. Was denkst Du von diesem Wege?

– Ich denke, lieber Onkel, daß wir uns bis jetzt an den Ufern des Schwarzen Meeres ganz wohl befunden haben, und daß es vielleicht eine Unklugheit sein könnte, dieselben zu verlassen.

– Warum aber, Ahmet, da ja unser Führer die Wege im Binnenlande, die er uns zu folgen vorschlägt, vollkommen kennt? Der Gewinn an Zeit wäre wohl der Mühe werth.

– Wenn wir die Pferde einigermaßen antreiben, lieber Onkel, gelangen wir gewiß noch bequem ...

– Ganz recht, so sprichst Du, weil Amasia uns begleitet! rief Keraban. Doch wenn sie uns jetzt in Scutari erwartete, wärest Du gewiß der Erste, unsere Fahrt zu beschleunigen!

– Das wäre möglich, lieber Onkel!

– Nun also, ich, der ich Deine Interessen vertrete, Ahmet, ich meine, je eher wir ankommen, desto besser. Wir können immer noch eine Verzögerung erleiden, und da mit dem Wechsel unseres Weges zwölf Lieues gewonnen werden können, gilt es, nicht zu zögern.

– Gut, lieber Onkel, da es Dein Wunsch ist, will ich bezüglich dieses Gegenstandes nichts weiter einwenden ...

– Nicht, weil es mein Wunsch ist, sondern weil Du keine wirklichen Einwürfe hast und es mir allzuleicht wäre, Dich zu widerlegen!«

Ahmet antwortete nicht. Jedenfalls mußte der Führer die Ueberzeugung erlangt haben, daß der junge Mann diese von ihm vorgeschlagene Aenderung der Reiseroute nicht ohne einige Hintergedanken betrachtete. Ihre Blicke kreuzten sich einen Augenblick, aber lange genug, um sich gegenseitig zu prüfen. Ahmet beschloß nun, desto mehr auf der Hut zu sein. Für ihn war der Führer ein Feind, der nur auf die Gelegenheit wartete, ihn räuberischer Weise zu überfallen.

Uebrigens konnte der Entschluß, die Fahrt abzukürzen, den Reisenden nur gelegen sein, die von Trapezunt aus kaum jemals ordentlich ausgeschlafen hatten. Van Mitten und Bruno hatten Eile, in Scutari zu sein, um der peinlichen Situation ein Ende gemacht zu sehen; der Seigneur Yanar und die edle Sarabul, um mit ihrem Schwager und Verlobten auf einem Küstendampfer nach Kurdistan zurückzukehren; Amasia, um endlich mit Ahmet vereinigt zu werden, und Nedjeb, um den Festlichkeiten bei dieser Hochzeit beizuwohnen.

Der Vorschlag wurde also angenommen. Man beschloß, während der Nacht vom 27. auf den 28. September zu ruhen, um am folgenden Tage eine desto größere Wegstrecke zurückzulegen.

Jedenfalls war noch an einige Maßregeln zu denken, auf die der Führer hinwies. Vorzüglich kam es darauf an, sich für achtundvierzig Stunden mit Lebensmitteln zu versehen, denn in der zu durchfahrenden Gegend fanden sich weder Flecken noch Dörfer, und man würde da weder Khans, noch Dukhans oder Herbergen an der Straße finden. Also galt es, sich mit allen etwa nöthigen Bedürfnissen zu versorgen. Zum Glück konnte, was man zu haben wünschte, am Cap Kerpe, freilich gegen ziemlich hohen Preis, erlangt werden, und es war sogar ein Esel zu kaufen, der das Uebergewicht an Proviant fortschleppen konnte.

Der Seigneur Keraban hatte eine gewisse Schwäche für Esel – vielleicht aus Sympathie mit deren Starrköpfigkeit – und der, den er am Cap Kerpe erhandelte, gefiel ihm außerordentlich.

Es war ein kleines, aber kräftiges Thier, das wohl dieselbe Last wie ein Pferd, das heißt, gegen neunzig »Oks«, oder mehr als hundert Kilogramm tragen konnte, einer jener Esel, wie man sie in diesen Gegenden Anatoliens zu Tausenden antrifft, wo sie Getreide nach den verschiedenen Häfen der Küste tragen.

Dieser lebhafte, muntere Langohr hatte künstlich gespaltene Nasenlöcher, um desto leichter die Fliegen vertreiben zu können, die sich in seine Nase verirrten. Das gab ihm ein ganz lustiges Aussehen, eine Art heiterer Physiognomie, und er hätte wohl den Namen des »lachenden Esels« verdient. Sehr verschieden von den armen kleinen Thieren, deren Th. Gautier erwähnt, beklagenswerte Geschöpfe mit schlaffen Ohren und magerem, fast blutigem Rückgrat, war dieser hier wahrscheinlich ebenso starrsinnig, wie der Seigneur Keraban. An Proviant brauchte man nichts anderes, als ein Lämmerviertel, das auf der Stelle zubereitet werden sollte, neben »Burghul«, eine Art Brot, das vorher in Ofenwärme aus gedörrtem Käse mit Zusatz von Butter hergestellt wird, für eine so kurze Fahrt. Ein kleiner zweirädriger Karren, an den der Esel gespannt wurde, mußte zum Transport desselben ausreichen.

Am nächsten Tage, am 28. September, waren Alle kurz vor Sonnenaufgang schon auf den Füßen. Die Pferde wurden sofort an die Talikas gespannt, in denen ein Jeder seinen gewohnten Platz einnahm. Ahmet und der Führer bestiegen ihre Reitpferde und nahmen die Spitze der Caravane ein, der der Esel vorausging, und man setzte sich in Bewegung.

Eine Stunde später war die weite Fläche des Schwarzen Meeres hinter den hohen Ufern verschwunden. Vor den Reisenden dehnte sich nun eine leicht wellenförmige Landschaft aus.

Die Fahrt gestaltete sich nicht besonders beschwerlich, obwohl die Wegsamkeit der Straße Manches zu wünschen übrig ließ, was dem Seigneur Keraban Gelegenheit gab, seine ganze Litanei von Klagen über die Sorglosigkeit der ottomanischen Behörden loszulassen.

»Man sieht schon, daß wir uns ihrem neumodischen Constantinopel nähern!

– Die Straßen in Kurdistan sind unvergleichlich besser, bemerkte der Seigneur Yanar.

– Das glaub' ich gern, erwiderte Keraban, und in dieser Hinsicht wird mein Freund Van Mitten Holland nicht zu bedauern haben!

– In keiner Beziehung!« erklärte die edle Kurdin mit Bestimmtheit, deren rechthaberischer Charakter sich bei jeder Gelegenheit zeigte.

Van Mitten hätte gern den Teufel seinem Freund Keraban auf den Hals geschickt, der wirklich ein Vergnügen daran zu finden schien, ihn zu foppen.

Binnen achtundvierzig Stunden sollte er jedoch seine volle unbestreitbare Freiheit wieder erlangt haben, und so ließ er dessen Scherze unbeachtet hingehen.

Am Abend hielt die Caravane bei einem elenden Dorfe, einem Haufen von Hütten, welche kaum Saumthieren Obdach gewähren konnten. Hier vegetirten einige Hundert arme Leute, die von wenig Milchspeise, schlechtem Fleische und Brot lebten, dem mehr Kleie als Mehl beigemischt war. Ein widerlicher Geruch erfüllte hier die Luft; derselbe rührte von dem »Tezek«, einer Art künstlichem Torf her, der aus Mist und Koth besteht, und das einzige Brennmaterial in diesen Gegenden bildet, wo manchmal selbst die Mauern der Hütten aus demselben aufgeführt werden.

Es erwies sich als ein Glück, daß die Lebensmittelfrage im Voraus geordnet worden war. In dem armseligen Dorfe, dessen Bewohner eher Almosen nöthig haben, als sie etwas abgeben können, hätte man nicht das Geringste gefunden.

Die Nacht verlief ohne Zwischenfall unter einem zerfallenen Schuppen, unter dem einige Schütten Stroh ausgebreitet waren. Ahmet wachte nicht ohne Grund mit mehr Argwohn als je vorher. In der That verließ der Führer um Mitternacht das Dorf und begab sich einige hundert Schritte weit vor dasselbe hinaus.

Ungesehen folgte Ahmet ihm nach und kehrte erst nach der Lagerstelle zurück, als auch der Führer sich dazu anschickte.

Was hatte der Mann da draußen vorgehabt? Ahmet konnte das nicht enträthseln. Er hatte sich überzeugt, daß der Führer mit Niemand gesprochen. Kein lebendes Wesen war in dessen Nähe gekommen. Kein entfernter Ruf drang durch die Stille der Nacht. Kein Signal war aus irgend einem Punkte der vorliegenden Ebene gegeben worden.

»Kein Signal? ... sagte sich Ahmet, als er seinen Platz unter dem Schuppen wieder eingenommen. War das aber nicht etwa ein Signal, ein erwartetes Signal, jenes Feuer, das ganz kurze Zeit am Rande des Horizontes aufleuchtete?«

Da trat ihm auch noch ein Umstand, den er anfänglich gar nicht beachtet, vor die Augen. Er entsann sich sehr genau, daß, während der Führer auf einer kleinen Erhöhung stand, ein Feuer in der Ferne aufgegangen war, das in kurzen Zwischenräumen drei Lichtblitze gegeben hatte und nachher erloschen war. Dieses Feuer hatte Ahmet zuerst für ein solches gehalten, wie die Hirten es sich anzuzünden pflegen. Jetzt, in der Stille der Einsamkeit, unter dem eigenartigen Einfluß, den der Halbschlaf ausübt, dachte er wieder daran, sah das Feuer scheinbar noch einmal und deutete sich dasselbe mit einer Ueberzeugung, welche weit über bloßen Verdacht hinausging, als ein verabredetes Signal.

»Ja, sagte er sich, dieser Führer verräth uns, das liegt auf der Hand! Er handelt im Interesse irgend einer einflußreichen Persönlichkeit ...«

Aber wessen? Ahmet hatte davon keine Ahnung; er empfand es jedoch, daß dieser Verrath mit der Entführung Amasias in innerlichem Zusammenhange stehen müsse. Den Händen Derer, die den Raub in Odessa begangen hatten, entrissen, war sie bestimmt von neuen Gefahren bedroht, und mußte er nicht jetzt, nur noch wenige Tagereisen vor Scutari, erst recht Alles fürchten?

Ahmet verbrachte den Rest der Nacht in größter Unruhe, wußte er doch nicht, was er zunächst thun sollte. War es rathsamer, die geplante Verrätherei des Führers jetzt zu enthüllen – eine Verrätherei, über welche seiner Meinung nach gar kein Zweifel herrschen konnte – oder zu warten, und ihn zu entlarven und zu bestrafen, wenn er zur ersten Ausführung seiner geheimen Pläne schritt?

Das Grauen des Tages beruhigte ihn wieder einigermaßen. Er entschied sich dahin, noch diesen Tag verlaufen zu lassen, um noch besser hinter die Absichten des Führers zu kommen. Fest entschlossen, ihn keinen Moment aus den Augen zu verlieren, wollte er jedenfalls unterwegs wie während der Ruhestunden diesen verhindern, sich wegzuschleichen. Uebrigens waren er und seine Gefährten ja alle gut bewaffnet, und wenn das Wohl und Wehe Amasias nicht im Spiele gewesen wäre, hätte er nicht gefürchtet, jedem beliebigen Angriffe Widerstand zu leisten.

Ahmet war seiner wieder Herr geworden. Sein Gesicht verrieth nichts von dem, was er empfand, weder gegenüber den anderen Reisegefährten, noch gegenüber Amasia, deren zärtliche Liebe sonst so tief in seiner Seele zu lesen verstand – nicht einmal gegenüber dem Führer, der seinerseits auch ihn mit einer gewissen Hartnäckigkeit beobachtete.

Der einzige Entschluß, den Ahmet faßte, war der, seinem Onkel Keraban die neuen Beunruhigungen, die auf ihm lasteten, mitzutheilen, und zwar bei der ersten sich irgend bietenden Gelegenheit, wenn er deshalb auch eine noch so stürmische Auseinandersetzung heraufbeschwören und aushalten sollte.

Am nächsten Tage verlieh man am frühen Morgen das elende Dörfchen. Wenn nun keine Verrätherei und keine Irrung im Wege vorkam, mußte dieser Tag der letzte einer Reise sein, die nur zur Befriedigung der Eigenliebe des starrköpfigsten aller Osmanlis unternommen worden war. Jedenfalls versprach dieser Tag sehr mühsam zu werden. Die Gespanne mußten die größten Anstrengungen machen, um die Talikas durch diese gebirgige Landschaft zu ziehen, welche schon dem orographischen System der Elken angehörte. Wenn nicht der hier kürzere Weg in Frage kam, hätte Ahmet das Abgehen von der früher eingehaltenen Reiseroute gewiß schon der Beschwerlichkeiten der neuen wegen lebhaft bedauert. Mehrmals war man gezwungen, abzusteigen, um die Fuhrwerke zu erleichtern. Amasia und Nedjeb bewiesen bei solchen anstrengenden Fußtouren eine bewundernswerthe Energie. Die edle Kurdin stand ihren Gefährtinnen darin nicht nach. Van Mitten aber, der Verlobte ihrer Wahl, der seit der Abreise aus Trapezunt immer in stark gedrückter Stimmung war, mußte sich auf einen Stock stützen.

Ueber die einzuhaltende Richtung war nun kein Zweifel möglich. Offenbar kannte der Führer auch die verschlungensten Wege hier. Er kannte sie, nach Keraban, vollkommen, ja, nach Ahmet, sogar mehr als zu gut. Der Onkel erging sich deshalb in aufrichtig gemeinten Lobpreisungen, in die der Neffe, bezüglich des Mannes, dessen Thun und Treiben er beargwöhnte, nicht einstimmen konnte. Im Laufe dieses Tages verließ dieser übrigens die Reisenden nicht einen Augenblick, sondern hielt sich stets dicht an der Spitze der Caravane.

Alles schien also ganz nach Erwartung und nach Wunsch zu verlaufen, abgesehen von den Schwierigkeiten in Folge des Zustandes der Straßen, der Steilheit ihrer Steigung, wenn sie sich um einen Berg emporwanden, und den Stößen durch die Unebenheit des Bodens, wenn man an Stellen vorüberkam, die durch unlängst herabgestürzte Regengüsse ausgehöhlt waren. Die Pferde thaten jedoch ihre Schuldigkeit, und da das ihre letzte Etappe sein sollte, konnte man ihnen schon einmal ungewöhnliche Anstrengungen zumuthen. Nachher würden sie ja Zeit genug haben, sich davon gründlich zu erholen.

Selbst der kleine Esel vollbrachte seine Aufgabe zu allgemeiner Zufriedenheit. Der Seigneur Keraban hatte ihm auch eine wirkliche Freundschaft zugewendet.

»Bei Allah! Es gefällt mir, dieses Thier, sagte er öfter, und um die ottomanischen Behörden noch empfindlicher zu foppen, hätte ich große Lust, auf seinem Rücken reitend an den Ufern des Bosporus zu erscheinen!«

Man wird zugeben, das war eine Idee – so eine Idee Keraban's. – Niemand aber äußerte sich darüber, um ihren Urheber nicht zur thatsächlichen Ausführung derselben zu bestimmen.

Nach wirklich anstrengender Tagereise machte die kleine Gesellschaft gegen neun Uhr Abends Halt und ging auf den Rath des Führers daran, sich ein Lager vorzubereiten.

»Wie weit sind wir noch von den Höhen von Scutari? fragte Ahmet.

– Etwa fünf oder sechs Lieues, antwortete der Führer.

– Warum fahren wir dann nicht weiter? meinte Ahmet, binnen wenigen Stunden könnten wir am Ziele sein ...

– Seigneur Ahmet, erklärte der Führer, ich wage es nicht gern, mich in der Dunkelheit in diesen Theil der Provinz zu begeben, wo wir uns am leichtesten verirren könnten. Morgen dagegen, mit dem ersten Tagesgrauen, wäre in dieser Beziehung nichts zu fürchten, und noch im Laufe des Vormittags sind wir dann am Ende der Reise angelangt.

– Dieser Mann hat Recht, sagte Seigneur Keraban. Man darf nicht Alles durch übergroße Eile auf's Spiel setzen. Wir wollen hier liegen bleiben, lieber Neffe, zusammen unsere letzte Reisetafel aufschlagen, und morgen früh vor zehn Uhr werden wir die Fluthen des Bosporus begrüßen!«

Außer Ahmet schlossen sich Alle der Ansicht des Seigneur Keraban an. Man suchte sich also so einzurichten, um diese letzte Nacht unterwegs so bequem als möglich hinzubringen.

Die Oertlichkeit war übrigens von dem Führer recht geschickt gewählt. Es war ein schmaler, zwischen Bergen eingesenkter Paß, obgleich die Bodenerhebungen des nordwestlichen Anatoliens höchstens noch die Bezeichnung anständiger Hügel verdienen. Dieser Paß trug den Namen: die Schlucht von Nerissa. Im Hintergrunde desselben lehnten sich ziemlich beträchtliche Felsen an den Fuß eines solchen Bergstockes, dessen halbkreisförmige Terrassen zur linken Hand emporstiegen. An der rechten Seite gähnte eine tiefe Höhle, in der die ganze kleine Gesellschaft Unterkommen finden konnte, wie eine flüchtige Untersuchung bewies.

Wenn diese Stelle zum Ruheplatze für die Reisenden geeignet schien, so war sie es nicht minder für die Pferde, welche Nahrung und Ruhe ebenso nothwendig brauchten. Einige hundert Schritte weiter hin, jenseits des engen Passes, dehnte sich eine Wiese aus, wo es weder an Wasser noch an Graswuchs fehlte. Ebendahin führte Nizib die Pferde, wie es während der nächtlichen Ruhepausen von jeher sein Amt gewesen war, dieselben zu versorgen und zu überwachen.

Nizib begab sich also nach der Wiese und Ahmet begleitete ihn, um sich die Lage des Platzes zu merken und die Sicherheit zu gewinnen, daß von dieser Seite nichts zu fürchten war.

In der That bemerkte Ahmet nichts Verdächtiges. Die von der Westseite von einigen langgestreckten Hügeln abgeschlossene Wiese war vollkommen leer. Die Nacht ließ sich sehr ruhig an, und der gegen elf Uhr aufgehende Mond mußte bald hinreichendes Licht verbreiten. Einzelne Sterne flammten zwischen den hohen Wolken, welche fast bewegungslos und wie eingeschlafen am Himmel hingen. Kein Hauch zog durch die Luft, kein Geräusch war ringsumher zu vernehmen. Ahmet betrachtete den Horizont im ganzen Umkreise mit großer Aufmerksamkeit. Sollte wohl heute Abend wieder ein Feuer auf den Hügeln der Umgebung erscheinen? Sollte ein Signal gegeben werden, welches der Führer später aufzusuchen kommen würde?

Kein Feuerschein zeigte sich am Rande der Wiese, kein Signal leuchtete in größerer Ferne auf.

Ahmet empfahl Nizib, mit größter Sorgfalt zu wachen, er band ihm auf die Seele, im ersten Augenblick nach der Lagerstelle zu kommen, wenn sich irgend etwas Auffälliges ereignete, ehe die Pferde nicht dahin zurückgebracht waren. Dann begab er sich eiligst nach der Schlucht von Nerissa.


 << zurück weiter >>