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In welchem der Seigneur Keraban, nachdem er seinem Esel gegenüber den eignen Kopf behauptet, auch seinem Todfeind gegenüber tritt.
Der Seigneur Keraban und Ahmet hatten sich umgewendet. Sie blickten in der von Nizib bezeichneten Richtung hin. Was sie da sahen, veranlaßte sie sogleich zurückzuweichen, um nicht bemerkt werden zu können.
Nahe der äußeren Kante jenes Felsens nämlich, an der der Höhle entgegengesetzten Seite, kroch ein Mann hin, der den äußersten Rand desselben zu erreichen suchte, jedenfalls um die Anordnung des Lagerplatzes besser übersehen zu können.
Es lag also auf der Hand, daß zwischen jenem Manne und dem Führer irgend welche geheime Uebereinstimmung bestehen müsse.
Jetzt zeigte es sich, daß Ahmet bezüglich aller der vermutheten Abmachungen, welche Keraban und die Seinigen bedrohten, vollkommen recht gehabt hatte. Sein Onkel sah sich genöthigt, das einzugestehen. Ebenso war aus jener Wahrnehmung zu schließen, daß ihnen eine unmittelbare Gefahr drohe, daß noch ein, durch die Dunkelheit begünstigter Angriff bevorstehe, und daß die kleine Caravane noch diese Nacht, nachdem sie glücklich in einen Hinterhalt gelockt worden war, vollständig vernichtet werden solle.
In der ersten Bestürzung riß Keraban sofort das Gewehr an die Schulter und legte es auf jenen Schurken an, der sich bis dicht an das Lager heranzuschleichen suchte. Eine Secunde später donnerte gewiß der Schuß in die Nacht hinaus, und der Mann wäre wahrscheinlich tödtlich getroffen zusammengestürzt. Wäre damit aber nicht der Anstoß zu weiteren Ereignissen gegeben und die ohnehin schon ernste Lage dadurch nicht noch schwieriger gemacht worden?
»Halt' an, Onkel! sagte Ahmet halblaut, indem er die nach dem Gipfel des Felsens gerichtete Waffe in die Höhe schob.
– Aber, Ahmet ...
– Nein, keinen Schuß, der nur das Signal zu einem Angriff werden könnte! Es ist besser, jenen Mann da lebend einzufangen. Wir müssen erfahren, auf wessen Veranlassung jene Elenden handeln.
– Wie sollen wir ihn aber fangen?
– Das laß mich nur machen!« antwortete Ahmet.
Er verschwand damit schon nach links, um den Felsen zu umgehen und von dessen Rückseite zu erklimmen.
Inzwischen hielten sich Keraban und Nizib bereit, für den Nothfall gleich mit eingreifen zu können.
Der auf dem Leibe liegende Schurke hatte nun den letzten vorspringenden Winkel des Felsens erreicht. Sein Kopf ragte schon über den Rand hinaus. Bei dem klaren Glanze des Mondes suchte er den Eingang zur Höhle zu sehen.
Eine halbe Minute später erschien Ahmet auf dem oberen Plateau und näherte sich, auch selbst mit größter Vorsicht auf dem Boden hinkriechend, dem Schurken, der ihn noch nicht bemerken konnte.
Unglücklicher Weise erregte ein unerwarteter Umstand die Aufmerksamkeit des Mannes und verrieth ihm die ihm drohende Gefahr.
In diesem Augenblick hatte nämlich Amasia die Höhle verlassen. Eine merkwürdige Unruhe, von der sie sich nicht Rechenschaft zu geben vermochte, raubte ihr den Schlaf. Sie hatte eine Ahnung, als ob Ahmet von einem Flintenschusse oder Dolchstoße bedroht sein müsse.
Kaum hatte Keraban jedoch das junge Mädchen erblickt, als er ihr durch Zeichen zu verstehen gab, zurückzubleiben. Amasia verstand ihn jedoch nicht, und den Kopf erhebend bemerkte sie Ahmet, als dieser sich auf dem Felsen etwas erhob, was ihr einen lauten Schreckensschrei auspreßte.
Auf diesen Schrei hin drehte der Spion sich eiligst um, sprang empor und warf sich, als er Ahmet noch in halbgebückter Stellung sah, mit Ungestüm auf den jungen Mann.
Amasia, welche der Schreck fast zur Salzsäule versteinerte, hatte jedoch noch die Kraft zu rufen:
»Ahmet! ... Ahmet! ...«
Der Spion wollte seinem Gegner ein in der Hand gehaltenes Messer in den Leib rennen; schon hatte aber Keraban das Gewehr angelegt und feuerte ab.
Tödtlich, mitten in der Brust getroffen, ließ der Spion den Dolch sinken und rollte bis zur Erde herunter.
Einen Augenblick später lag Amasia in den Armen Ahmets, der, um zu ihr zu gelangen, gleich an der Felsenwand hinabgeglitten war.
Bei dem Krachen des Schusses waren nun Alle, welche die Höhle barg, hervorgestürzt – Alle außer dem Führer.
Der Seigneur Keraban senkte seine Waffe und rief:
»Beim Barte des Propheten, das war ein Meisterschuß!
– Nun auch noch Todesgefahren! brummte Bruno.
»Verlassen Sie mich nicht, Van Mitten! sagte die energische Sarabul, den Arm ihres Verlobten ergreifend.
– Er wird nicht von Deiner Seite weichen, Schwester!« erwiderte entschlossen der Seigneur Yanar.
Inzwischen hatte sich Ahmet dem Körper des Spions genähert.
»Dieser Mann ist todt, sagte er, wir hätten ihn lebend haben sollen!«
Nedjeb kam auch herzugelaufen und rief sofort:
»Aber ... dieser Mann ... das ist ja ...«
Jetzt näherte sich noch Amasia.
»Ja, das ist er! ... das ist Yarhud! sagte sie. Das ist der Capitän der »Guidare«!
– Yarhud? rief Keraban.
– Ach, ich hatte also doch Recht! sagte Ahmet.
– Ja! ... fuhr Amasia fort, dieser Mann war es, der uns aus meines Vaters Haus gewaltsam wegschleppte!
– Ich erkenne ihn wieder, erklärte Ahmet, ja auch ich erkenne ihn wieder. Er war es, der nach der Villa kam, uns seine Waaren anzupreisen. Noch ganz kurz vor unserer Abreise! ... Aber er kann nicht allein sein ... Eine ganze Bande Elender ist uns auf den Füßen! ... Um uns jede Möglichkeit der Fortsetzung unserer Reise abzuschneiden, haben sie zuerst die Pferde geraubt!
– Was? Unsere Pferde geraubt? rief die edle Sarabul.
– Von alledem wäre uns gar nichts widerfahren, wenn wir sogleich den Weg nach Kurdistan wieder eingeschlagen hätten!« meinte der Seigneur Yanar.
Sein durchbohrender Blick ruhte dabei auf Van Mitten, als wolle er den armen Mann für alle diese Widerwärtigkeiten verantwortlich machen.
»Aber in wessen Auftrage handelte denn dieser Yarhud? fragte Keraban.
– Wenn er noch lebte, würden wir ihm sein Geheimniß schon zu entreißen gewußt haben! rief Ahmet.
– Vielleicht hat er irgend welche Papiere bei sich, bemerkte Amasia.
– Ja ... Wir müssen den Leichnam untersuchen!« antwortete Keraban.
Ahmet beugte sich über den Körper Yarhud's, während Nizib eine Laterne herzuholte, die vorher zur Beleuchtung der Höhle gedient hatte.
»Ein Brief! ... Das ist ein Brief!« sagte Ahmet und zog die Hand aus der Tasche des maltesischen Capitäns zurück.
Dieser Brief zeigte sich adressirt an einem gewissen Scarpante.
»Lies doch! Lies doch, Ahmet!« drängte Keraban, der seine Ungeduld nicht zu zähmen im Stande war.
Nachdem Ahmet den Brief erbrochen, las er darauf, wie folgt:
»Wenn die Pferde in unserer Gewalt sind, sobald Keraban und seine Begleiter im Schlafe liegen, wohin sie Scarpante führen wird ...«
– Scarpante! Das ist der Name unseres Führers, der Name dieses Verräthers?
– Ja ... Ich hatte mich in Bezug auf ihn nicht getäuscht! Dann fuhr er fort:
» ... so wird Scarpante dadurch ein Zeichen geben, indem er eine Fackel schwingt, und darauf hin dringen unsere Leute in die Schlucht von Nerissa ein.«
– Und die Unterschrift fragte Keraban.
– Die Unterschrift lautet einfach ... Saffar!
– Ja, ja, sagte Ahmet, das ist offenbar dieselbe unverschämte Persönlichkeit, die uns an der Eisenbahn von Poti entgegentrat und sich wenige Stunden darauf in Trapezunt einschiffte! ... Ja, dieser Saffar hat Amasia rauben lassen und will sie nun um jeden Preis wieder in seine Gewalt bringen!
– Ah, Seigneur Saffar! ... rief Keraban, die geballte Faust erhebend, die er dann auf einen imaginären Schädel niederfallen ließ, wenn ich Dir einmal Auge in Auge gegenüberstehe! ...
– Doch jener Scarpante, sagte Ahmet, wo steckt er?«
Bruno war in die Höhle geeilt und kehrte fast augenblicklich zurück mit den Worten:
»Verschwunden ... jedenfalls durch einen anderen Ausgang!«
Es verhielt sich in der That wie er sagte. Nach Enthüllung seines geplanten Verrathes war Scarpante durch den Hintergrund der Höhle entwischt.
Jetzt war der verbrecherische Anschlag also in allen Einzelheiten enthüllt. Der Intendant des Seigneur Saffar war es gewesen, der sich ihnen als Führer angeboten hatte. Jener Scarpante war es, der die kleine Caravane erst auf den Wegen längs der Küste und dann durch die Berglandschaft Anatoliens führte. Und von Yarhud mußten die Signale hergerührt haben, welche Ahmet in der vergangenen Nacht beobachtet hatte, von jenem Capitän der »Guidare,« der, im Finstern heranschleichend, Scarpante jedenfalls die letzten Anordnungen Saffar's hatte überbringen wollen.
Die Wachsamkeit und besonders die Scharfsinnigkeit Ahmets hatte freilich den ganzen Anschlag vereitelt. Der Verräther war entlarvt, die verbrecherische Absicht seines Herrn erkannt worden. Den Namen des Urhebers der Entführung Amasias wußte man nun, und das war zufällig derselbe Saffar, an dem der Seigneur Keraban schon so wie so die schrecklichste Wiedervergeltung zu üben beschlossen hatte.
Wenn nun auch die Falle, in welche die kleine Caravane gelockt worden war, offen vor Augen lag, so war die Gefahr deswegen nicht minder groß, da dieselbe ja jeden Augenblick einem ernsthaften Angriffe ausgesetzt sein konnte.
Ahmet mit seinem entschlossenen Charakter trat denn auch sogleich mit dem einzig annehmbaren Vorschlag hervor.
»Liebe Freunde, sagte er, wir müssen die Schlucht von Nerissa augenblicklich verlassen. Wenn man uns in diesem engen, von hohen Felsen überragten Engpaß überfiele, würden wir nicht lebend davonkommen.
– Vorwärts also! antwortete Keraban. Bruno, Nizib und Sie, Seigneur Yanar, halten Sie darauf, daß alle Waffen jeden Augenblick in Bereitschaft sind!
– Zählen Sie auf uns, Seigneur Keraban, versicherte Yanar, und Sie werden sehen, daß wir unseren Mann stellen, meine Schwester ebenso wie ich.
– Gewiß! bestätigte die muthige Kurdin, während sie kampfeslustig den Yatagan schwenkte. Ich werde keinen Augenblick vergessen, daß ich jetzt noch einen Verlobten zu vertheidigen habe.«
Wenn Van Mitten jemals eine tiefe Erniedrigung empfand, so war es in dieser Minute, wo er das unerschrockene Weib so reden hörte. Doch ergriff auch er einen Revolver, um im Nothfalle seine Pflicht zu thun.
Alle klommen also den Engpaß hinauf, um nach den umgebenden Hochebenen zu gelangen, als Bruno, dem die Magenfrage stets am nächsten am Herzen lag, noch die Bemerkung machte:
»Aber den Esel können wir doch hier nicht zurücklassen!
– Wahrhaftig, erwiderte Ahmet, vielleicht hat uns Scarpante in einen entfernten Theil Anatoliens gelockt! Vielleicht befinden wir uns gar nicht so nahe Scutari, als wir glauben! ... Und auf diesem Karren befinden sich die einzigen, uns noch verbliebenen Nahrungsmittel.«
Alle diese Voraussetzungen hatten ja viele Wahrscheinlichkeit für sich. Man mußte wohl fürchten, daß die Absicht des Verräthers dahingegangen sei, die Ankunft des Seigneur Keraban und der Seinigen an den Ufern des Bosporus zu verzögern, indem er die Gesellschaft von ihrem Ziel mehr entfernte.
Freilich war jetzt keine Zeit, das eingehend zu überlegen; es galt zu handeln, ohne einen Augenblick zu verlieren.
»Nun also, sagte Keraban, der Esel wird uns folgen; ich sehe auch gar nicht ein, warum er nicht mit fliehen sollte?«
Damit packte er das Thier an der Halfter und versuchte, es zu sich heranzuziehen.
»Vorwärts!« rief er.
Der Esel rührte sich nicht.
»Wirst du gutmüthig kommen?« fuhr Keraban fort, indem er tüchtig an der Leine ruckte.
Der von Natur offenbar sehr starrsinnige Esel bewegte sich noch immer nicht von der Stelle.
»Schiebe ihn, Nizib!« sagte Keraban.
Mit Hilfe Brunos suchte Nizib den Esel von rückwärts zu schieben ... Der Esel drängte eher mehr rückwärts als vorwärts.
»Aha, du setzest wohl den Kopf auf! rief Keraban, der schon ernstlich bös zu werden anfing.
– Sehr schön! murmelte Bruno. Ein Dickkopf gegen den anderen!
– Du willst mir widerstehen ... mir? fuhr Keraban fort.
– Ihr Herr hat seinen Meister gefunden! sagte Bruno zu Nizib, freilich mit der nöthigen Vorsicht, nicht gehört zu werden.
– Das sollte mich wundern!« antwortete Nizib im nämlichen Tone.
Inzwischen wiederholte Ahmet immer ungeduldiger:
»Aber wir müssen fort! ... Wir dürfen keine Minute zaudern ... lassen wir doch den Esel laufen!
– Ich! ... Ihm nachgeben! ... Niemals!« rief Keraban.
Dabei faßte er den Esel an den langen Ohren und schüttelte dessen Kopf, als wolle er jene abreißen.
»Wirst du wohl gehen?« schrie er jenen an.
Derselbe wich und wankte nicht.
»Ah, du willst mir nicht gehorchen! ... sagte Keraban. Nun, ich werde dich schon zu zwingen wissen!«
Keraban lief nach dem Eingang der Höhle, riß daselbst einige Hände voll Gras heraus und machte daraus ein Bündelchen, das er dem Esel hinhielt. Dieser that einen Schritt vorwärts.
»Aha, rief Keraban, dessen bedarf es, um Dich in Trab zu bringen! ... Nun, bei Mohammed, Du wirst schon laufen lernen!«
Gleich darauf band er das Grasbündel an die äußerste Spitze der Karrendeichsel, aber in hinreichender Entfernung, daß der Esel, selbst wenn er den Kopf vorstreckte, es nicht erreichen konnte.
Der Erfolg, war der, daß das durch die Lockspeise, welche sich natürlich stets von ihm weiter entfernte, gereizte Thier sich entschloß, in der Richtung des Passes weiter zu trotten.
»Sehr sinnreich! sagte Van Mitten.
– So thun Sie desgleichen!« rief die edle Sarabul, während sie ihn hinter dem Karren mit herschleppte.
Sie war ja auch ein Köder, der immer seinen Ort veränderte, für Van Mitten freilich sehr verschieden von dem des Esels, ein Köder, den er vor Allem zu erreichen fürchtete.
Sich dicht bei einander haltend, schlugen nun Alle die nämliche Richtung ein und hatten bald den Lagerplatz verlassen, wo ihre Stellung eine unhaltbare gewesen wäre.
»Deiner Ansicht nach, Ahmet, begann Keraban, ist jener Saffar also derselbe unverschämte Kerl, dessen Starrsinn es verursachte, daß mein Reisewagen an der Eisenbahn von Poti zertrümmert wurde?
– Ja, lieber Onkel, vor Allem aber ist das der Schurke, der Amasia hatte entführen lassen, und deshalb gehört er mir!
– Halb Part, Neffe Ahmet, halb Part! antwortete Keraban, und möge Allah uns seinen Beistand leihen!«
Kaum hatten Keraban, Ahmet und ihre Begleiter auf dem engen Wege einige fünfzig Schritte zurückgelegt, als der Saum der Felsen sich mit Feinden bedeckte. Laute Rufe erschallten und von allen Seiten krachten Flintenschüsse herab.
»Rückwärts! Rückwärts!« rief Ahmet und drängte die ihm Nachfolgenden nach dem Lagerplatz zurück.
Es war zu spät, aus der Schlucht von Nerissa zu entkommen, zu spät, um auf höherem Terrain eine bessere Vertheidigungsstelle zu suchen. Die in Saffar's Sold stehenden Räuber, etwa ein Dutzend an der Zahl, hatten sie schon überfallen. Ihr Anführer trieb sie noch zu dem verbrecherischen Angriffe, und in der Stellung, welche sie einnahmen, war der Vortheil gänzlich auf ihrer Seite.
Das Schicksal des Seigneur Keraban und seiner Begleiter schien also ganz ihrer Gnade anheimgegeben.
»Hierher! Hierher! rief Ahmet, dessen Stimme den Lärm übertönte.
– Die Frauen in die Mitte!« setzte Keraban hinzu.
Amasia, Sarabul und Nedjeb drängten sich zusammen, und um sie herum reihten sich Keraban, Ahmet, Van Mitten, Danar, Bruno und Nizib Einer an den Anderen. Sie waren sechs Mann, um der Truppe Saffar's entgegen zu treten – Einer gegen Zwei – und außerdem noch in der unvorteilhaftesten Stellung.
Unter entsetzlichem Geschrei drangen die Räuber jetzt in den Engpaß ein und wälzten sich gleich einer Lawine gerade auf den Lagerplatz zu.
»Freunde, rief Ahmet, wir vertheidigen uns bis zum Tode!«
Augenblicklich begann der Kampf. Bruno und Nizib waren gleich anfänglich leicht verwundet worden, wichen aber nicht von der Stelle, sondern kämpften muthig weiter, ebenso wie die muthige Kurdin, deren Pistole den Gewehrschüssen der Angreifer keine Antwort schuldig blieb.
Es zeigte sich übrigens sehr bald, daß die Leute, welche Befehl hatten, sich Amasias lebend zu bemächtigen, lieber mit blanker Waffe vorgingen, um nicht durch einen Fehlschuß vielleicht gar das junge Mädchen selbst zu treffen, wodurch ja der ganze Angriff grundlos geworden wäre.
So schwankte auch die Wage, trotz der Ueberlegenheit an Zahl, zuerst gar nicht zu ihren Gunsten, und mehrere fielen schwer verwundet zur Erde.
Da erschienen noch zwei neue, erst recht zu fürchtende Streiter auf dem Wahlplatze.
Das waren Saffar und Scarpante.
»Ah, der Elende! rief Keraban. Ja, das ist er! Das ist der Mann von der Eisenbahn!«
Mehrmals wollte er schon auf ihn anlegen, gelangte aber nicht dazu, weil er sich gegen Die, welche ihn direct angriffen, vertheidigen mußte.
Unentmuthigt leisteten Ahmet und die Seinigen Widerstand. Alle beseelte nur der eine Gedanke, um jeden Preis Amasia zu retten und es um jeden Preis zu verhindern, daß sie in die Hände jenes Saffar fiele.
Trotz allem Muthe und aller Opferwilligkeit mußten sie aber doch bald der Ueberzahl weichen. Nach und nach fingen auch Keraban und seine Gefährten an zu wanken, auseinander zu gerathen, um an der Felswand des Engpasses Deckung zu suchen. Schon entstand unter ihnen einige Verwirrung.
Saffar bemerkte das recht wohl.
»Nun thu' deine Schuldigkeit, Scarpante! rief er, nach dem jungen Mädchen zeigend.
– Ja, Seigneur Saffar, antwortete Scarpante, und diesmal soll sie uns nicht entwischen!«
Sich die Anordnung zu Nutze machend, gelang es Scarpante bis zu Amasia vorzudringen, welche er ergriff und schon bis nach außerhalb geschleppt hatte.
»Amasia! ... Amasia! ...« rief Ahmet schmerzerfüllt.
Er wollte ihr nachstürzen, aber eine Gruppe Räuber versperrte ihm den Weg, und er mußte Halt machen, um ihnen entgegenzutreten.
Da versuchte Yanar das junge Mädchen den Händen Scarpante's zu entreißen, vergeblich; Scarpante nahm dieselbe schon auf die Arme und machte einige Schritte nach dem Engpaßausgang zu.
Jetzt legte Keraban auf Scarpante das Gewehr an, und zu Tode getroffen brach der Verräther zusammen, der natürlich dabei das junge Mädchen losließ, welches sich immerhin noch vergeblich bemühte, in Ahmets Nähe zu kommen.
»Scarpante! ... Todt! ... Rächen wir ihn! feuerte der Anführer der Banditen seine Leute an, rächen wir ihn!«
Alle stürmten nun auf Keraban und die Seinigen mit wahrhaft unwiderstehlicher Wuth ein. Von allen Seiten bedrängt, konnten diese kaum von ihren Waffen Gebrauch machen.
»Amasia! ... Amasia! ... rief Ahmet, indem er versuchte, dem jungen Mädchen, welches Saffar endlich ergriff und von dem Lagerplatz hinwegzerrte, zu Hilfe zu kommen.
– Muth! ... Nur Muth! ...« rief Keraban immer und immer wieder.
Aber er fühlte wohl, daß er und die Seinigen, von der Ueberzahl erdrückt, so gut wie verloren waren.
In diesem Augenblicke streckte ein, von der Höhe der Felsen abgefeuerter Schuß einen der Angreifer zu Boden. Andere Schüsse folgten diesem in schnellem Tempo nach. Noch mehrere der Räuber brachen zusammen, und ihr Fall verbreitete einen heillosen Schrecken unter ihren Genossen.
Saffar war eine Secunde stehen geblieben, um sich über diese unvermuthete Einmischung aufzuklären. War das eine unerwartete Verstärkung, welche der Seigneur Keraban erhielt? Schon hatte sich Amasia den Armen Saffar's, den dieser plötzliche Anfall außer Fassung brachte, entwinden können.
»Mein Vater! ... Mein Vater! ...« rief das junge Mädchen.
Wirklich war es Selim mit etwa zwanzig wohlbewaffneten Leuten, der in dem Augenblick, wo ihr Untergang schon besiegelt schien, der kleinen Caravane zu Hilfe kam.
»Rette sich, wer kann!« brüllte der Anführer der Räuber, der selbst das Beispiel zur Flucht gab.
Damit verschwand er mit den Ueberlebenden seiner Truppe in der Höhle, von der aus, wie erwähnt, noch ein zweiter Ausgang in's Freie führte.
»Feiglinge! fluchte Saffar, als er sich so verlassen sah. Nun, sie sollen sie wenigstens nicht lebendig haben.«
Er stürzte sich dabei auf Amasia, als Ahmet eben gegen ihn heranstürmte.
Saffar gab auf den jungen Mann noch den letzten Schuß aus seinem Revolver ab, fehlte ihn aber. Keraban dagegen, der noch immer sein kaltes Blut bewahrte, fehlte ihn nicht. Er sprang auf Saffar zu, packte ihn an der Kehle und traf ihn mit kräftigem Dolchstoß mitten in's Herz.
Ein Röcheln, das war Alles. Als er sich im letzten Todeskampf wand, konnte er nicht einmal seinen Gegner ausrufen hören:
»Ich werde Dir lehren, meinen Wagen zertrümmern zu lassen!«
Der Seigneur Keraban und seine Gefährten waren gerettet. Kaum hatten die Einen oder die Anderen einige leichte Verletzungen davon getragen. Und doch war Keiner von ihnen zurückgewichen. Bruno und Nizib hatten achtungswerthe Beweise von Muth geliefert; der Seigneur Yanar hatte mannhaft gekämpft; Van Mitten sich mitten unter dem Gewehrfeuer ausgezeichnet, ebenso wie die energische Kurdin, deren Pistole immer da donnerte, wo es am heißesten herging.
Ohne die zunächst unerklärbare Dazwischenkunft Selim's wäre es jedoch um Amasia und ihre Vertheidiger geschehen gewesen. Alle wären umgekommen, denn Jeder von ihnen war ja entschlossen, für sie in den Tod zu gehen.
»Mein Vater! ... Vater! ... rief das junge Mädchen und warf sich Selim in die Arme.
– Mein alter Freund, Sie ... Sie ... hier? sagte Keraban.
– Ja! ... Ich! antwortete Selim.
– Wie hat Sie der Zufall hiehergeführt? fragte Keraban.
– O, das ist kein Zufall, erklärte Selim, und ich würde mich schon lange zur Aufsuchung meiner Tochter aufgemacht haben, wenn ich zur Zeit, als sie der Capitän aus der Villa entführte, nicht verwundet worden wäre.
– Verwundet, mein Vater?
– Ja! ... Durch einen Schuß von der Tartane. Zurückgehalten durch diese Verwundung, konnte ich Odessa noch einen ganzen Monat nicht verlassen. Vor wenigen Tagen aber kam von Ahmet eine Depesche ... – Eine Depesche? fuhr Keraban auf, den dieses sein Ohr beleidigende Wort schon wieder in die Wolle brachte.
– Ja ... eine Depesche ... von Trapezunt aus.
– O, das war eine ...
– Ja, ja, lieber Onkel, unterbrach ihn Ahmet, sich an seinen Hals werfend, aber Du wirst gestehen, daß dieses erste Mal, wo ich mich entschloß, ein Telegramm ohne Dein Vorwissen abzusenden, für uns eine Wohlthat gewesen ist.
– Ja ... das Schlechte hat etwas Gutes erwirkt! antwortete Keraban, mit den Achseln zuckend, doch daß ich Dich nicht wieder dabei ertappe, Herr Neffe!
– Da ich nun, fuhr Selim fort, durch diese Depesche erfuhr, daß für Eure kleine Caravane noch nicht alles Unheil ausgeschlossen sei, bin ich nach Scutari geeilt und habe die Straße am Meeresufer verfolgt.
– Bei Allah, Freund Selim, rief Keraban, Sie sind wahrlich zur rechten Zeit gekommen. Ohne Sie wären wir verloren gewesen! ... Und doch haben sich hier Alle wie Löwen geschlagen!
– Ja, bestätigte der Seigneur Yanar, und auch meine Schwester hat bewiesen, daß sie zur Noth mit einem Pistol umzugehen weiß!
– Welches Weib!« murmelte Van Mitten.
Da kündigte sich eben das Morgenroth des anbrechenden Tages durch den ersten bleichen Schein an. Einige unbeweglich am Zenith stehende Wolken schmückten ihre Ränder mit der Hoffnung erweckenden Farbe.
»Aber wo sind wir eigentlich, Freund Selim? fragte der Seigneur Keraban, und wie konnten Sie uns in einer Gegend auffinden, nach der ein Verräther unsere Caravane absichtlich mißgeführt?
– Und wohl weit von unserem Wege abgebracht hat? fügte Ahmet hinzu.
– O nein, lieber Freund, nein! antwortete Selim. Ihr seid auf dem richtigen Wege nach Scutari, nur wenige Lieues vom Meere entfernt.
– Was? ... rief Keraban.
– Die Ufer des Bosporus sind dort! erklärte Selim, mit der Hand nach Nordwesten weisend.
– Die Ufer des Bosporus?« rief auch Ahmet.
Sofort kletterten Alle die Felsen in die Höhe und begaben sich nach einem Hochplateau über der Schlucht von Nerissa.
»Da seht ... seht! ...« sagte Selim.
In diesem Augenblicke kam nämlich eine gewisse Erscheinung zu Stande, eine Naturerscheinung, welche durch einfache Wiederspiegelung die noch fernen, so ersehnten Landschaften dem Auge sichtbar machte.
Je heller es wurde, desto deutlicher erschienen im Bilde alle noch unterhalb des Horizonts gelegenen Gegenden. Es machte den Eindruck, als ob die Hügel, welche in einiger Entfernung die Hochebenen noch begrenzten und überragten, gleich einer Theaterdecoration in die Erde versanken.
»Das Meer! ... Das ist das Meer!« jubelte Ahmet.
Und Alle wiederholten nach ihm:
»Das Meer! ... Das Meer!«
Und obgleich, was sie sahen, eben nur ein Spiegelbild war, so befand sich das Meer doch in der Nähe und war nur wenige Lieues entfernt.
»Das Meer! ... Das Meer! ... rief der Seigneur Keraban immer wieder. Doch wenn das nicht der Bosporus und das dort nicht Scutari ist ... wir sind nun am Letzten des Monats, und ...
– Das ist der Bosporus! ... Das ist Scutari!« rief Ahmet freudig.
Die Erscheinung wurde immer deutlicher, und jetzt zeigte sich fern am Horizonte die Silhouette einer amphitheatralisch erbauten Stadt.
»Bei Allah! das ist Scutari, rief Keraban. Da kann man es vollständig überblicken, wie es sich über der Meerenge erhebt.« In der That war es Scutari, welches Selim erst drei Stunden vorher verlassen hatte.
»Nun vorwärts! Vorwärts!« drängte Keraban.
Und wie es einem guten Muselman geziemt, der in allen Dingen die Allmacht Gottes erkennt, wendete er sein Gesicht der aufgehenden Sonne zu und rief:
» Ilah il Allah!«
Gleich darauf bewegte sich die kleine Caravane nach der Straße zu, welche das linke Ufer der Meerenge begleitet. Vier Stunden später – am letzten, für die Hochzeit Ahmets und Amasias bestimmten Tage – erschienen der Seigneur Keraban, seine Begleiter und sein Esel, nach Vollendung dieser Fahrt um das Schwarze Meer, auf den Höhen von Scutari und begrüßten jubelnd die Gestade des Bosporus.