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Die Dachdecker in Düsseldorf hatten mehr zu tun als sonst, der Februar achtundvierzig ging stürmisch zu Ende. Die Wetterfahnen quietschten, die Dachrinnen spuckten, jede Nacht klapperten die losen Ziegel und Schieferplatten, und der wilde Wind packte sie und schleuderte sie krachend hinunter auf die Gasse: Bürger, hüte dich, daß du nichts auf den Kopf kriegst.
Überall krachte es. Auch in den Zeitungen. Aber was ging es den Bürger eigentlich an, daß sie sich mal wieder in Paris massakrierten?! Man bekreuzigte sich und dankte Gott, daß man im soliden Düsseldorf wohnte. Man druselte noch halb im Winterschlaf, und wären die fliegenden Dachziegel nicht gewesen, man hätte noch gar nicht an den Frühling gedacht. Und doch zog der schon durch die Welt und stieß in sein Horn.
Auch über die Kaserne wehten Frühlingsstürme und tosten aufrührerisch um Dach und Wand. Aber die dicken Mauern dämpften den Schall, und kein lauschendes Ohr war drinnen, das ihn aufgefangen hätte. Drill Tag für Tag, vom Reveilleblasen bis Zapfenstreich. Die Offiziere langweilten sich, die Unteroffiziere schimpften, die Gemeinen dachten sehnsüchtig an die Fleischtöpfe der Mutter und an die Küsse des Schatzes.
Josefine lebte den schönsten Traum: alle Tage den Liebsten sehen, alle Tage ihn sprechen. Rasche Küsse auf dem dunklen Flur, innige Umarmungen in der stillen Offiziersstube.
Sie lebte ein Doppelleben. In dem einen flickte und strickte sie, kochte und scheuerte und hastete sich ab, um im andern desto länger bei ihm sein zu können, mit seinem Kuß ein gesteigertes Gefühl zu empfangen, ein Gefühl, das sie so überglücklich machte, wie den Vogel, der mit jauchzendem Ruf in die Lüfte steigt, hoch, hoch, hinein in den sonnigen, blauen Himmel.
Enger als je hielt die Kaserne sie umschlossen. Ihre Welt: die kleine Feldwebelwohnung, die Küche, der Gang, die Offiziersstube, der Exerzierplatz, über den die Stimme des Geliebten schmetterte, der Hof, auf dem seine Tritte hallten.
Auch Viktor war benommen. Die jungen Damen der Bälle und Gesellschaften langweilten ihn. Soviel er konnte, zog er sich von der Geselligkeit zurück, oder wenn ein Vorgesetzter eben »befahl«, stöhnte er den ganzen Tag und verwünschte Fest und Festgeber. Das einzig Gute war, daß Josefine ihn dann wenigstens hinbegleitete. Heimlich erwartete sie ihn unten auf der Straße, ein Tüchelchen, tief in die Stirn gezogen, dünkte sie hinreichend als Vermummung. Sie fürchteten keine Entdeckung, sie dachten gar nicht an eine solche. Arm in Arm, dicht aneinandergeschmiegt, machten sie Umweg auf Umweg. Herren, den Mantelkragen hochgeschlagen, Damen in Schleiern und Galoschen, Bürger, zur Karnevalssitzung eilend, kreuzten ihren Weg. Aber niemand achtete ihrer im Dunkel.
Sie führten sich an der Hand und plauderten und lachten, und ehe er endlich hinaufstieg in den kerzenerhellten Saal, drückte er sie noch einmal an sich, zärtlich, süßschmerzlich, wie zu ewigem Lebewohl. Und während er im Tanz die feinen Taillen junger Damen umschlang, fühlte er im Geist die kräftigeren Formen Josefines – sie lag in seinem Arm, sie wiegte sich lustig auf den Klängen der Musik.
Zu seiner Schwester, in deren neues Haus am Hofgarten, kam Viktor selten. Wenn sie sich darüber beklagte, konnte er mit Recht sagen: ich habe keine Zeit. Er hatte wirklich keine, sie ging hin mit Auflauern, Beobachten, verstohlenen Begegnungen, verliebten Träumen und Wünschen. Der Schwester hatte er nie von Josefine gesprochen. Cäcilie fragte auch nicht, sie gab es nach und nach auf, dem Bruder über sein Seltenkommen Vorwürfe zu machen. Ihr Leben war ganz ausgefüllt, es gehörte ihrem Mann, es gehörte ihrem Glück; es gehörte vor allem dem Kind, das sie erwartete.
Josefine war seltsam bewegt, als Viktor ihr von Cäciliens Hoffnung erzählte. Sie sagte kein Wort, aber sie wurde glühend rot, und in ihre Augen kam ein Leuchten, ein feuchtes Flimmern. Still blieb sie den ganzen Tag, wie sonst nie. –
Hätte der Feldwebel nicht soviel zu tun gehabt, ihm wäre wohl manches an seiner Tochter aufgefallen. Aber plötzlich waren von Berlin Befehle gekommen, die Reservisten einzuziehen, die Kompanien zu verstärken, Proviantamt und Munitionsdepot neu zu versehen – was, sollte mobil gemacht werden? Krieg gegen Frankreich?!
Mit Windeseile verbreitete sich das Gerücht. Jetzt sprach auch die Bürgerschaft betroffen von einer drohenden französischen Kriegsgefahr, hatte doch jeder einen Sohn, einen Bruder, einen Verwandten, einen Freund, der im Kriegsfalle mit mußte.
Einige Überkluge in der Düsseldorfer Zeitung suchten freilich den Krieg ganz woanders: sie redeten von einer »Gärung im deutschen Volk«, von seinem »Schrei nach Einheit und Freiheit«, sie wiesen auf Baden, Württemberg, Nassau, Bayern und Hessen hin, wo die Fürsten dem Volk stürmisch geforderte Freiheiten bereits bewilligten.
Ach was, in Düsseldorf wurde nicht gegärt! Und was sollte man denn fordern? Hatte nicht jeder sein behagliches Haus, sein gut Essen und Trinken und abends seine Pfeife beim Glase Bier? Schwarzseher die! Daß die Fabrikarbeiter im Bergischen Skandal machten und Lohnerhöhung forderten, war doch weiter nichts Beunruhigendes. Da gab's andrer Orten viel notleidendere Bevölkerung, die armen schlesischen Weber zum Beispiel, auf die in der Bilderausstellung das ergreifende Gemälde von Karl Hübner die allgemeine Aufmerksamkeit lenkte. Als der neugegründete »Malkasten« nun die hungernden Gestalten im lebenden Bilde, gegen einen Reichstaler Entree, vorführte, öffneten sich alle Herzen und alle Geldbeutel.
Auch die kleineren Bürgersleute machten sich über die Unruhen in der Nachbarschaft keine Sorgen. Sie hatten ihre Bälle im »Breidenbacher Hof«, bei »Geisler«, bei »Cürten«, im »Luftballon«; in sämtlichen größeren Sälen der Stadt überall Karnevalssitzung mit Tanzvergnügen.
Die Mädchen kürzten ihre bunten Röcke, die Burschen suchten sich die greulichste Larve aus, manch komplette Bürgersfrau zwängte sich in ein Schäferinnengewand oder setzte sich Kranz und Schleier der Düsselnixe aufs Haupt. Bis tief in die Nacht brannten die Lämpchen der Näherinnen, Goldband und Flitter wurden rar, alle Läden waren übervoll von Larven und Pritschen und Brillen und Perücken, Dreispitzen und Dormeusen. Selbst die Kinder verlangten ihre Mäskchen. Die Stadt war im Rausch, ein Duft von Raunzen und von Muzenmändelchen zog mit dem Wind.
Das Gerücht, in Elberfeld hätte sich eine Bürgerwehr gebildet, die mit weißen Binden um den Arm herumlaufe, war ein Hauptspaß. Helau, die Wuppertaler waren Fastnachtsgecken geworden! Am Rosenmontag trugen die Düsseldorfer ein großes Papierschild durch die Straßen: »Wuppertaler Bürgerwehr« – als Lahme, Krüppel und Uralte Maskierte folgten wankend, die weiße Binde mit: »Schutz der Bürger« um den Arm.
»Helau, helau!« Die Jungen schlagen Rad, die Mädchen kreischen. Hoppeditz packt die Maritzebill und rast mit ihr zwischen die Zuschauer; alles lacht, jauchzt, jubelt, schreit, selbst die gesetztesten Leute werden vom Torkel erfaßt. »Helau, helau!«
»Verrücktes Volk«, schimpfte der Feldwebel.
Sonst hatte sich Rinke an Karnevalstagen soviel wie möglich in der Kaserne gehalten, auch seinen Weibsleuten verboten, die Wohnung zu verlassen, dort hörte man wenigstens nicht das verdammte »Helau«, das Rasseln der Knarren, das Schrillen der Pfeifen, das Knallen der Pritschen, das Tuten, das Parpen, das Trommeln, das Quietschen.
Heute mußte er einen Zug Reservisten von der Köln-Mindener Bahn abholen. Als er nun an der Spitze seiner Reservisten vom Bahnhof zurückkehrte, stieß er auf den Karnevalszug. Er war sowieso schon verdrießlich: die Kerle hatten ja gar keine Haltung mehr, der eine trottete so, der andre so, nicht mal Schritt am Leibe! Und nun kamen noch die Gecken dazu. Nahmen die ganze Breite der Straße ein – Donnerwetter, die würden doch passieren lassen?! I wo – Bande – mit Musik und Gejohle zogen sie ungeniert ihres Weges!
Der Feldwebel mußte seinen Zug halten lassen. Er wendete seine Augen ab: wer mochte wohl solchen Unsinn ansehen? Aber die Reservisten grinsten; jetzt brachen sie in ein wieherndes Gelächter aus.
»Helau, die Dotzmühl! Vivat die Dotzmühl! Helau, helau!« rief das Volk.
Der Wagen des Karnevalvereins »Dotzmühl« passierte gerade. Er stellte eine ungeheure Kaffeemühle vor: oben wurden die Weiber hineingestopft, weißhaarig und bucklig, unten kamen sie wieder heraus, blondhaarig und schlank, schlugen Purzelbäume und warfen Kußhände ins Publikum.
Aber nun – ein gellendes Aufjohlen, ein furchtbarer Knall – Hanswurst hatte eine Riesenbombe oben in die Mühle geworfen, unten flatterte ein ellenlanger Zettel heraus und blähte sich im Winde:
» Zwischen Mir und Mein Volk soll sich kein Blatt Papier drängen!«
»Helau, helau!«
Das war ein ohrenbetäubendes Freudengeschrei, ein unaufhörliches Gelächter; es pflanzte sich fort von vorn nach hinten, von links nach rechts, von groß zu klein.
Der Feldwebel rollte die Augen, der Atem verging ihm fast: ha, die Proklamation Seiner Majestät! Die Proklamation, die Proklamation!
Verfluchte Rasselbande! Mit Mühe hielt er an sich, blaß bis in die Lippen. Er kommandierte: »Ohne Tritt – marrrsch!«
Auf was warteten die Kerle denn noch? Er wollte sie lehren, zu grinsen! Noch einmal: »Marrrsch!«
Langsam setzte sich der Reservistenzug in Bewegung, aber er traf auf Widerstand. Die Gecken machten nicht willig Platz. Was wollte der Preuß, der Störenfried? Konnte der nicht warten, bis Seine Hoheit, Prinz Karneval, passiert war?!
»Helau, helau!«
Es klang drohend; scheußliche Fratzen fletschten den Feldwebel an.
»Der Preuß, der Preuß!«
Ein Geraune war's nur, aber es wurde zum Murren. Vergebens zeterte Hanswurst, knallten neue Bomben, alle Aufmerksamkeit war auf den Preußen gerichtet, alle Blicke bohrten sich in die Uniform. Freche Bengels machten ihm eine lange Nase: »Helau!«
Des Feldwebels Hand fuhr ans Seitengewehr. Eine dunkle Blutwelle schoß ihm zu Kopf, die Stirnader schwoll ihm, rot tanzte es ihm vor den Augen, mit einem gewaltsamen Griff packte er den nächsten: »Platz!« Wütend drehte der sich um. Doch Hanswurst legte die Hand aufs Herz wie ein Verliebter, warf dem Preußen eine schmatzende Kußhand zu und schüttelte sich dann: »Brrr!« Da löste sich der Zorn der Menge in ein schallendes Gelächter.
»Helau, helau, hahahaha!«
Die Lacher bildeten jetzt willig eine Gasse. Bebend vor verhaltener Wut, knirschend vor Empörung, führte der Feldwebel seinen Zug durch. Man ließ ihm freie Bahn, aber hinter ihm gellte das Gelächter. –
Das war ein schlimmer Tag für Rinke. Als er, im Innersten empört, kaum die äußerlich dienstliche Haltung bewahrend, dem Hauptmann Meldung von dem Vorgefallenen machte, zuckte dieser nur die Achseln: »Ja, in solchen Tagen! Überhaupt hier am Rhein! Wir sind auf exponiertem Posten. Ruhe, Vorsicht, Mäßigung! Ich werde aber mit dem Herrn Major sprechen.«
Der Feldwebel war zum erstenmal mit seinem Vorgesetzten nicht einverstanden: was, diese Frechheit gegen des Königs Rock sollte vielleicht gar ungeahndet bleiben? Kam das nicht fast einem Treubruch gegen den König gleich? Und sich selber fühlte er ungeheuer blamiert. Das Knallen, Schreien, Kreischen, Juchzen, Lachen – das unverschämte Lachen – lag ihm noch unausgesetzt in den Ohren. Die Pflastersteine der Kasernenstraße, über die er marschiert, waren spitz wie Nadeln gewesen, sie stachen ihn jetzt noch; auch der Boden des Kasernenhofs prickelte ihm unter den Füßen. »Ruhe, Vorsicht, Mäßigung« – ah, nun würde der Herr Hauptmann dem Herrn Major Meldung machen, der Herr Major dem Herrn Obersten, der Herr Oberst dem Herrn General. Und dieser würde die Herren zu einer vertraulichen Besprechung in die Mitte des Exerzierplatzes bitten, wo er, die Hände auf dem Rücken, reden, und die Herren Offiziere, im Halbkreis ihn umgebend, zuhören würden: »Ruhe, Vorsicht, Mäßigung!«
Am folgenden Mittag beim Appell sprach der Hauptmann zur Kompanie, ganz besonders wendete er sich dabei an die neu Eingezogenen, die stramm standen, die Hände an der Hosennaht, die Augen starr auf den Vorgesetzten gerichtet.
»Wir leben in einer ernsten Zeit«, sagte er, »ihr werdet es wohl auch schon bemerkt haben. Ihr seid wieder einberufen und habt aufs neue die Ehre, Seiner Majestät, eurem König, zu dienen. Zeigt euch dieser Ehre würdig. Betrachtet euch nicht als solidarisch mit der Bürgerschaft; ihr seid jetzt nur Soldaten. Aber euer König wünscht ein gutes Verhältnis zwischen euch und der Bürgerschaft. Geht also Rempeleien aus dem Wege, mischt euch nicht unter das Volk. Seid immer eingedenk, daß ihr die Ehre habt, des Königs Rock zu tragen! – Ich mache also hiermit bekannt, daß von heute ab, gegen Androhung von drei Tagen Mittelarrest, jedem Mann hiesiger Garnison verboten ist, öffentliche Wirtshäuser zu besuchen, in denen Bürger verkehren; auch der eventuelle Besuch in Bürgerhäusern ist einzustellen. Es bleibe jeder Stand für sich. Wir leben in einer ernsten Zeit. Ruhe, Vorsicht, Mäßigung! – Und nun laßt uns nach guter alter Soldatensitte rufen: Seine Majestät, unser allergnädigster Herr und König, Friedrich Wilhelm IV. – hurra!«
Die Kerle rissen das Maul auf, dreimal schallte es über den Kasernenhof: »Hurra! Hurra! Hurra!« – –
In der Feldwebelwohnung war heute schlecht Wetter – echte Aschermittwochstimmung.
Frau Trina trug ein noch immer nicht ganz verwischtes Aschenkreuz auf der Stirn, daß sie sich heute morgen noch vor der Frühsuppe in Sankt Lambertus geholt, gerade als die letzten Gecken an der Kirche vorbei durchs Morgengrauen nach Haus taumelten.
Der Feldwebel sah's mit Zorn: »Kannst du dich nicht waschen? Muß der Dreck den ganzen Tag kleben?!«
Sie wischte zum Schein: »Et geht nit ab!«
Da nahm er sein Sacktuch, spuckte drauf und rieb ihr damit unsanft die Stirn.
Das Essen schmeckte ihm nicht – warum gab's denn heute überhaupt so ein labbriges Fastengericht, nach dem einem der Magen schon um ein Uhr wieder lang hing? Was ging ihn der Aschermittwoch an? Und noch dazu waren die Nudeln nicht einmal gar! Als er um zwölf Uhr hungrig heraufgekommen war und nach alter Gewohnheit zuerst in die Küche guckte, hatte er Josefine nicht darin gefunden; das Wasser strudelte zwar auf dem Herd und floß zischend über, aber die Nudeln lagen noch trocken auf dem Tisch. Und als er nach ihr rief, war sie hastig den Gang heruntergekommen, hochrot, mit verwirrtem Haar. Sie entschuldigte sich: der Leutnant sei erkältet und habe um einen Tee bitten lassen, den habe sie ihm eben rasch selber hingebracht.
Warum war sie so verlegen gewesen, hatte so unnütz viel Worte gemacht, hatte ihm nicht in die Augen gesehen, sondern scheu zur Seite geblickt? Donnerwetter, was hatte sie bei dem Leutnant zu suchen?!
Jetzt beim Mittagessen nahm der Vater die Tochter scharf aufs Korn. Sie aß nicht; er sah es, wie sie heimlich dem jüngsten Bruder noch ihr Teil zuschob. Ganz benommen guckte sie vor sich hin mit einem verträumten Lächeln. An was, an wen dachte sie?! Rinke empfand es plötzlich wie einen Schmerz: da war etwas zwischen ihm und seiner Josefine.
»Na!« Früher hatte sie immer gleich seinen Blick bemerkt, jetzt mußte er erst die Faust vor sie hinlegen: »He, Josefine!«
Erschrocken zuckte sie zusammen.
»Nanu, an wen denkst du denn?« Es sollte vielleicht neckend klingen, aber er verstand nicht zu scherzen, seine Stimme war scharf. »Wohl an Conradi'n?!«
Sie gab keine Antwort, schüttelte nur, energisch verneinend, den Kopf.
»Na, na, das wäre doch nicht unmöglich! Der wird nun wohl bald mal wieder einpassieren. Soll ich ihm schreiben?«
»Nein!« Kurz klang das »Nein«, wie angstvoll herausgestoßen.
»Warum denn nicht, wenn ich fragen darf?« Argwöhnisch sah er sie an: das war nicht bloß mädchenhafte Tuerei! Blaß war sie geworden, preßte die Lippen aufeinander und senkte den Kopf.
Die Jungen fingen an zu kichern.
»'raus«, schrie der Vater und zeigte auf die Tür, und sie flohen in die Küche. Dort stopften sie die Fäuste in den Mund und tanzten einen Indianertanz. Hau, nun kriegte die Fina es! Daß die Fina den Sergeanten nicht mochte, das wußten sie ja längst alle, nur der Vater nicht.
Drinnen in der Stube fing die Mutter an, das Geschirr abzuräumen; sie tat sehr geschäftig und wollte es nach der Küche tragen, aber: »Bleib!« rief ihr Mann.
»Was ist los mit dir?« sagte der Feldwebel zur Tochter. Seine Stimme war ruhig, scheinbar gemütlich, aber doch vibrierte etwas in ihr. Sie kannten den Ton, der verhieß Sturm. »Was hast du gegen Conradi'n?«
»Nix!«
»Er ist dir sehr gut!«
»Och –!«
»Tu nicht so, als ob du das nicht wüßtest! Und 'n braver Kerl ist er – wenn auch ein bißchen mau, – anständig ist er durch und durch. Warum bist du so obstinat? 'nen besseren Mann kriegst du nicht!«
»Sie hat ja noch Zeit«, wagte Frau Trina einzulenken. Die Tochter tat ihr leid; die saß da wie verdonnert, hielt die Hände im Schoß und rang die Finger ineinander. »Und ich mein', Rinke, du könnst et auch noch abwarten, bis du die Fina loswirst!«
Er brauste nicht auf, wie sonst wohl; ruhig klang es, fast müde: »Zeit – abwarten?! Zeit – jawohl, das ist jetzt 'ne tolle, kein Respekt mehr, kein Parieren. Man paßt nicht mehr in den Kram.« Schwermütig stützte er den Kopf in die Hand und sah vor sich hin, versunken in seine Gedanken. »Zeit –?! Wer weiß, wieviel Zeit man noch hat.« Die Lippen spitzend, fing er leise an zu pfeifen. Es war das alte Soldatenlied: »Morgenrot, Morgenrot.«
Plötzlich fuhr er nervös auf: »Ich hab 'ne Unruhe! Ich hab sie nu mal. Eh's los geht, möcht ich die Josefine versorgt sehen!«
»Jesus, Rinke, wat haste für Ideen«, sagte Frau Trina, »mer könnt ja wirklich meinen, et gäb Krieg, un du –«
Ein jäher Laut unterbrach sie. Mit weit aufgerissenen Augen hatte Josefine den Vater angesehen, nun sprang sie auf, nun hing sie ihm am Halse. Sie drückte das Gesicht an seine Schulter und schluchzte so in ihn hinein: »Vater, still! Du sollst so wat nit sagen, du darfst so wat nit sagen! Och, Vater, du mußt ewig bei mir bleiben! Vater, gelt, du läßt mich noch hier, ich brauch noch nit weg? Ach, gelt ja, Vater?! Mein lieber Vater!«
Das war doch noch sein altes Mädel, seine Tochter, die kindlich an ihm hing! Ach, das tat wohl! Ein Glücksstrahl flog über sein Gesicht. Er hob ihren Kopf von seiner Schulter und strich ihr die wirren Haare zurück, seine Hand ruhte für Augenblicke schwer und kühl auf ihrer glühenden Stirn.
»Treue, Tapferkeit und Gehorsam, Pflichtgefühl und Ehre!« Warum er das jetzt sagte? Er wußte es selber nicht, die Worte drängten sich ihm gewaltsam auf die Lippen. »Aber die Ehre ist die größte unter ihnen. Mein Kind, über alles die Ehre!«