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III

Aber wie es so geht mit Dingen, um die man sich gerissen hat: es reißt irgend etwas dabei, und der Riß geht weiter. Es ergaben sich unliebsame Kleinigkeiten. So bei der Besetzung der Nebenrolle Mascha; eines winzigen Röllchens übrigens.

Mascha, so hieß ein Dienstbote im »Gnadenbrot«, eine russische Kammerkatze, die, bunt gekleidet, hereinzuspringen und sich frech-neugierig in den Vordergrund zu drängeln hatte; was für irgendeine Anfängerin eine lebhafte Bühnensekunde ergab.

»Bunt«, dachte Herr Ullrich, »muß sie sein, die Mascha, während mein Kusofkin ganz unbunt sein wird. Eine kleine leckere, bunte Person muß sie immerhin sein.« Und er dachte sofort an Friederike Dahnke, eine Anfängerin, welche schon seit Jahr und Tag auf eine solche Gelegenheit, frech in den Vordergrund zu flattern, mit aller Bescheidenheit lauerte.

Übrigens war Fräulein Dahnke seit einiger Zeit wie ein zierlicher bunter Faden in das breite Privatleben des Charakterspielers Ullrich verwebt. Einmal, als er das Theater verließ, hatte er ihr bei der Portierloge einen Blick unüberlegt, oder halbüberlegt, zugeworfen. »Ganz angenehm«, dachte er. »Ein kleiner brünetter Teufel mit weißem Teint und schlanken Beinen.« Es war ein flüchtiger Gedanke unmittelbar vor dem Mittagessen, wie man da eben an ein hors-d'oeuvre, an ein Appetitbrot denkt.

Aber Fräulein Dahnke hatte, wie es so ihre bescheidene Art war, diesen halbversehentlichen Blick aufgefangen und sich schon am nächsten Tage kühn in den Schutz des großen Ullrich begeben. An einem etwas langwierigen Nachmittag, er war damals verdrießlich gestimmt gewesen, war er die vier Treppen zu ihrer Wohnung emporgestiegen – hätte er im vorhinein gewußt, daß es vier Treppen waren, dann hätte er es gelassen –, und Fräulein Dahnke hatte ihm vorsprechen müssen.

Dieser lange Umweg eines falschen Appetits verpflichtete den Meister; nicht etwa ein mißbräuchlicher Genuß. Immerhin hatte seine Hand auf ihren dunklen Locken geruht. Eine verstohlene Träne des Fräuleins, wie sich derlei zufällig ergibt, hatte diesen Akt der Krönung des jungen Talentes begleitet. Und als Herr Ullrich sagte: »mein liebes Kind«, da kostete es ihn Mühe, den Ton dieser Worte zwischen einer ihm peinlichen Väterlichkeit und einem allzu jugendlichen Beben, das sich sehr zur Unzeit einstellte, gehörig festzuhalten. Auch diese Mühe verpflichtete ihn. Und so hatte Fräulein Dahnke in Zukunft für eine sehr begabte Anfängerin zu gelten.

Natürlich bestand der Darsteller des Kusofkin, sehr von oben herab freilich, auf der Zuteilung der Rolle Mascha an Fräulein Dahnke. Ganz wider Erwarten machte diese geringe Forderung Schwierigkeiten. Herr Ullrich mußte deutlicher werden, als ihm lieb war; aus der begabten Anfängerin wurde ein ausgesprochenes Talent, ja ein großes Talent, gegen das irgendein Protektionskind des Regisseurs keinesfalls aufzukommen vermochte.

Beinahe hätte Ullrich um der Mascha willen den Kusofkin eingebüßt; er war schon fest entschlossen, die Rolle zurückzuschicken. Es handelte sich schließlich um eine Prestige-Frage; bei gelockertem Prestige hätte aber Herr Ullrich gewiß keinen vollgültig demütigen Kusofkin zuwege gebracht. Dazu gehörte die freieste Überlegenheit, die unbekümmerte Beherrschung der privaten und dienstlichen Situationen.

Der Direktor, ein erfahrener Mann, sah das im letzten Augenblick gerade noch ein. Alles endete verhältnismäßig günstig. Fräulein Dahnke bekam die Mascha, Herr Ullrich war wieder – bis auf weiteres – quitt mit ihr.

Zurück blieb nur, als eine störende Nebenwirkung, eine Verstimmung – nicht mit dem Regisseur; der brachte seinen Schützling im zweiten Stück unter –: sondern eine Störung des seelischen Gleichgewichtes zwischen dem Darsteller des Kusofkin und der Darstellerin seiner Tochter Olga Petrowna, der ersten Liebhaberin des Theaters, Fräulein Johanna Klee, welche die Dahnke nun einmal nicht leiden konnte.

Während der Charakterdarsteller Ullrich seiner Gattin gegenüber den Anlaß zu dieser kollegialen Verärgerung, den Zwischenfall Dahnke, als zu belanglos, gar nicht erst erwähnte, wurde er sich mit ihr in den ehelichen Nächten über Johanna Klee restlos einig. Die Ehe dient bekanntlich der intimen Aussprache über die Berufssorgen, welche ein bedeutender Mensch bei hellem Tageslicht, und wo der Segen der Religion, der Stempel des Staates fehlt, nicht laut werden ließe. Frau Helene Ullrich hielt von der Klee dasselbe wie ihr Mann.

Die Klee hatte das Rosige ihres Wesens, das sie anfänglich auszeichnete, um so völliger eingebüßt, je ausgesprochener sie »die Klee« geworden war. Der Erfolg machte sie hart, statt sie zu lockern. Je mehr sie konnte, um so weniger schuldete sie irgend jemand irgend etwas. Im Gegenteil entwickelte sie eine gewisse mahnende Sicherheit, den Ton einer Gläubigerin.

Ihre Liebenswürdigkeit war mit der Zeit geradezu verheerend geworden. Ihre Stimme hatte eine so angestrengte Klarheit, daß der Ton der Partnerin Herrn Ullrich im Halse kratzte. Wenn die Klee sich in den Vordergrund der Bühne begab und ihr der kurze Rock so sicher und genau um die Beine schlug: dann empfand Ullrich das eigentümliche Bedürfnis, sofort von ihr weg- und ganz woanders hinzugehen. Wenn er dieser Regung jemals Folge geleistet hätte, dann hätte er vielleicht dieser Frau das ganze Feld, das heißt die ganze Bühne, freiwillig und für immer überlassen. Was beweist, daß Herr Ullrich in der letzten Zeit etwas empfindlich gegen seine Partner geworden war.

So vertrug er auch nur mit Mühe die ölige Selbstsicherheit des Bonvivants Erwin Langenbruch. Herrn Langenbruch war eben jener Jeletzki zugedacht worden, eine Figur, welcher einige Überheblichkeit gewiß nicht zum Schaden gereichen würde. Langenbruch spielte also im »Gnadenbrot« den Petersburger Gatten und Prinzregenten der geborenen Gutsbesitzerin Klee; und Tatsache war, daß die beiden auch im gemeinen Leben ein Paar bildeten. »Welch ein Paar!« sagten die Leute, wenn der Bonvivant und die Liebhaberin übertrieben geradeaus durch die Straßen gingen, die Klee mit ihren sicher geschwungenen Röcken und Langenbruch mit seinem über die ganze Welt erhöhten Hohlkopf. –

Herr und Frau Ullrich beurteilten diese private Paarung abfällig. Johanna Klee hatte die Liebesfähigkeit der gesamten männlichen und weiblichen Kollegenschaft, wie allgemein erörtert wurde, durchgekostet – dabei immer, wie er still für sich wußte, den Charakterspieler Ullrich vermeidend –, bis sie endgültig bei dem Bonvivant angelangt war. Kalte Fische, das waren diese beiden und mußten dementsprechend mit eisiger Kälte behandelt werden. Darin war Frau Ullrich mit ihrem Gatten ein für allemal einig. Und in diesem Sinne sagte sie »Gute Nacht!« Sie drehte ihrem Gatten den Rücken zu und schlief.

Er aber hatte seit früher Kindheit die Art beibehalten, im Dunkel zu liegen und nach seinen Widersachern mit Pfeilen zu zielen. Er spannte einen mächtigen schwarzen Bogen, legte einen schwarzen, schwarz gefiederten, eisenspitzigen Pfeil an, zielte ausgiebig und drückte los. Und er traf sie auch alle tödlich in der Nacht, die Feinde seines Tages. Und das Gefühl des Überlebens tröstete ihn so tief, daß er Seele und Bogen entspannte und sich dem Schlaf überließ. Noch rasch, bevor sein eifersüchtiges Bewußtsein sich vernebelte, begnadigte er alles, was irgendwo in der Welt ihn morgen wieder zu befeinden gerüstet und gewillt sein mochte.


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