Alfred de Vigny
Hauptmann Renauds Leben und Tod
Alfred de Vigny

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2. Malta

»Ich bin nichts,« sagte er anfangs, »und das zu denken macht heute mein Glück aus; wenn ich aber etwas wäre, könnt' ich wie Ludwig der Vierzehnte sagen: ich habe zu sehr den Krieg geliebt ... Da half nichts. Bonaparte hatte mich wie alle anderen von Kindheit an in jenen Rauschzustand versetzt und sein Ruhm stieg mir so hitzig zu Kopfe, daß in meinem Hirne kein anderer Gedanke mehr Platz hatte. Mein Vater, ein alter hoher Offizier, der stets im Felde stand, war mir, als es ihm eines Tages in den Kopf kam, mich mit sich nach Ägypten zu nehmen, noch gänzlich unbekannt. Zwölf Jahre war ich alt und ich erinnere mich aus jener Zeit noch, wie wenn es heute wäre, der Gefühle der ganzen Armee, die auch von meiner Seele bereits Besitz ergriffen hatten. Zwei Geister blähten die Segel unserer Schiffe: der Geist des Ruhms und der Geist der Seeräuberei. Mein Vater hörte den zweiten nicht mehr als den Nordwestwind, der uns davontrug; ersterer aber umbrauste so stark meine Ohren, daß er mich lange Zeit über für alle Geräusche der Welt außer für die Musik Karls des Zwölften: das Kanonengebrüll taub machte. Die Kanone war Bonapartes Stimme für mich; und so klein ich noch war, ich wurde rot vor Freude, hüpfte vor Vergnügen auf, klatschte in meine Hände und antwortete ihr mit lauten Schreien, wenn sie brummte. Diese ersten Gemütsbewegungen waren Vorläufer des übertriebenen Enthusiasmus, welcher Zweck und Steckenpferd meines Lebens ward. Eine für mich denkwürdige Begegnung entschied diese Art verhängnisvoller Bewunderung, jene unsinnige Verehrung, der ich nur zuviel opfern sollte. Die Flotte war seit dem dreißigsten Floreal des Jahres sechs unterwegs. Tag und Nacht verbrachte ich auf Deck, um mich von dem Glücke, das weite blaue Meer und unsere Schiffe zu sehen, durchdringen zu lassen. Ich zählte hundert Fahrzeuge und vermochte nicht alle zu zählen. Unsere Militärlinie dehnte sich eine Meile weit aus, und der Halbkreis, welchen die Geleitschiffe bildeten, betrug ihrer wenigstens sechs. Ich sprach nicht. Corsika sah ich ganz nahe an uns vorüberziehen, Sardinien zog es an seiner Seite nach und bald erschien Sizilien zu unserer Linken. Denn die »Juno«, die meinen Vater und mich trug, war dazu ausersehen den Kurs zu erkunden und mit drei anderen Fregatten die Vorhut zu bilden. Mein Vater hielt mich an der Hand und zeigte mir den stark rauchenden Ätna und Felsen, die ich nie vergaß; es war die Insel Favignana und der Mons Eryx. Marsala, das alte Lilybaeum, trat aus seinen Dunstschichten hervor, und seine weißen Häuser hielt ich für Tauben, die aus einer Wolke hervorflattern, und eines Morgens, es war ... ja, es war der vierundzwanzigste Prairial, sah ich bei Tagesanbruch ein Bild vor mir auftauchen, das mich für zwanzig Jahre blendete. Malta reckte sich vor mir auf mit seinen Befestigungen, seinen Kanonen in gleicher Höhe mit dem Meere, seinen langen, wie frischpolierter Marmor in der Sonne glänzenden Mauern, und seinem Gewimmel von ganz schmalen Galeeren, die mit langen roten Rudern umherstrichen. Einhundertvierundneunzig französische Fahrzeuge hüllten es mit ihren großen Segeln und ihren blaurotweißen Flaggen ein, die man in diesem Augenblicke auf allen Masten hißte, während die Standarte des Malteserordens sich auf dem Gozzo und dem Fort San Elmo langsam senkte; es war das letzte kämpfende Kreuz, welches fiel. Dann löste die Flotte fünfhundert Kanonenschüsse.

Das Schiff »der Orient« ankerte allein und abgesondert, groß und unbeweglich uns gegenüber. An ihm fuhren langsam, eins nach dem andern, alle Kriegsschiffe vorbei und ich sah Desaix von weitem Bonaparte begrüßen. Wir stiegen zu ihm an Bord des »Orient«. Endlich sah ich ihn selbst zum erstenmal.

Nahe am Schiffsbord stand er plaudernd mit Casa-Bianca, des Fahrzeuges Kapitän, (armer »Orient«), und spielte mit den Haaren eines zehnjährigen Kindes, welches des Kapitäns Sohn war. Sofort ward ich eifersüchtig auf das Kind und mein Herz bäumte sich auf, als ich sah, wie es des Generals Degen berührte. Mein Vater näherte sich Bonaparte und sprach lange mit ihm. Noch erblickte ich sein Gesicht nicht. Plötzlich drehte er sich um und sah mich an; am ganzen Leibe bebte ich angesichts der gelben Stirn, die von langen Haaren umgeben war, welche ganz feucht herabhingen, wie wenn sie eben aus dem Meere kämen, angesichts der großen grauen Augen, der mageren Wangen und jener eingekniffenen Lippe über spitzem Kinn. Er hatte eben von mir gesprochen, denn er sagte:

»Hör, mein Lieber, da Du es willst, magst Du mit nach Ägypten kommen und General Vaubois kann schon ohne Dich mit seinen viertausend Mann hier bleiben; doch seh ich's nicht gern, daß man seine Kinder mitnimmt; ich hab' es nur Casa-Bianca erlaubt und tat nicht recht daran. Den da sollst Du nach Frankreich zurückschicken; ich wünsche, daß er ein tüchtiger Mathematiker wird, und wenn Dir da unten etwas zustößt, steh ich Dir für ihn ein; werde für ihn sorgen und einen guten Soldaten aus ihm machen.«

Gleichzeitig bückte er sich, faßte mich unter den Armen, hob mich bis zu seinem Mund empor und küßte mich auf die Stirn. Mir wurde schwindlig, ich fühlte, daß er mein Meister war und meinem Vater, den ich, weil er ständig bei der Armee lebte, übrigens kaum kannte, meine Seele raubte. Ich meinte Moses', des Hirten, Schrecken zu empfinden, als er Gott im Dornbusche sah. Frei war ich gewesen, als Bonaparte mich hochgehoben hatte, als seine Arme mich aber sanft wieder aufs Verdeck setzten, stand dort ein Sklave mehr.

Am Vorabend würd' ich mich ins Meer gestürzt haben, wenn man mich vom Heere entfernt hätte; nun aber ließ ich mich fortführen, wann man wollte. Gleichmütig verließ ich meinen Vater, und es war für immer! Doch von Kindheit an sind wir so schlecht und, mögen wir nun Männer oder Kinder sein, es gehört nur so wenig dazu, und fort sind all die guten natürlichen Gefühle! Mein Vater war nicht mehr mein Herr und Meister, weil ich seinen Herrn gesehen, und von dem allein schien mir alle Machtvollkommenheit der Erde auszugehen ...

O ihr Träume der Machtvollkommenheit und Sklaverei! O ihr verderblichen Gedanken der Herrschaft, die ihr Kinder zu verführen vermögt! Falsche Begeisterung, feine Gifte, welches Gegengift könnte man auch je gegen euch gebrauchen? ... Ich war betäubt, berauscht; wollte arbeiten und arbeitete, daß ich fast verrückt wurde! Tag und Nacht rechnete ich und nahm Gewand, Wissen und auf meinem Antlitz die gelbe Farbe der Militärschule an. Von Zeit zu Zeit unterbrach mich die Kanone und diese Stimme des Halbgotts teilte mir die Eroberung Ägyptens, Marengo, den achtzehnten Brumaire und das Kaiserreich mit ... und der Kaiser hielt mir Wort ...

Was meinen Vater anlangte, so wußt' ich nicht weiter, was aus ihm geworden war; eines Tages aber erreichte mich folgender Brief.

Immer trage ich den in dieser alten, einstmals roten Brieftasche hier und lese ihn sehr oft wieder, um mich so recht von der Zwecklosigkeit der Ratschläge zu überzeugen, welche eine Generation der ihr nachfolgenden gibt, und um über den aberwitzigen Starrsinn meiner Illusionen nachzudenken.«

Hier knöpfte der Hauptmann seine Uniform auf, zog aus seiner Brusttasche erst ein Taschentuch, dann eine kleine Brieftasche, die er sorgsam aufmachte, und wir traten in ein noch erleuchtetes Kaffeehaus ein, wo er mir folgende Brieffragmente vorlas, welcher man wird bald hören warum, in meinen Händen geblieben sind.


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