Alfred de Vigny
Hauptmann Renauds Leben und Tod
Alfred de Vigny

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4. Ein unbekanntes Zwiegespräch

»Der Brief meines armen Vaters und sein Tod, den ich kurze Zeit später erfuhr, machten, so berauscht und betäubt ich auch vom Klirren meiner Sporen war, doch einen so starken Eindruck auf mich, daß er meinen blinden Eifer mächtig erschütterte; ich hub an näher und ruhiger zu untersuchen, inwiefern der Glanz, der mich berauschte, übernatürlich sei. Zum ersten Male fragte ich mich, worin die Macht bestünde, welche wir Männer der Tat, die sich mit unumschränkter Gewalt umkleiden, über uns gewinnen lassen, und wagte einige innerliche Kraftanstrengungen, um jener freiwilligen Hingabe so vieler Männer an einen Mann Schranken in meinen Gedanken zu setzen. Dieser erste Ansturm ließ mich die Augenlider halb aufschlagen, und ich besaß die Kühnheit, dem blendenden Adler, welcher mich, der ich noch ein Kind war, aufgehoben und dessen Fänge meine Lenden preßten, ins Antlitz zu schauen.

Ohne Zaudern suchte ich Gelegenheiten, ihn aus nächster Nähe zu betrachten und den Geist des großen Mannes in den nichtigen Handlungen seines Privatlebens zu bespähen.

Wie ich Ihnen gesagt, hatte man wieder Pagen zu ernennen gewagt, doch trugen wir in Erwartung der grünen Livree mit roten Hosen, die wir bei der Salbung anlegen sollten, Offiziersuniform. Gemäß dem Willen des Herrn, welcher nahm, was ihm unter die Hände kam, versahen wir bis dahin Stallmeister-, Sekretär- und Adjutantendienste. Schon fand er Vergnügen daran seine Vorzimmer zu bevölkern, und da ihm das Herrschbedürfnis überallhin folgte, mußte er es bis in die kleinsten Dinge hinein befriedigen, und quälte alle Leute seiner Umgebung durch die unermüdliche Ausübung eines stets gegenwärtigen Willens. Er belustigte sich über meine Schüchternheit; trieb mit meinen Ängsten und meiner Ehrfurcht sein Spiel ... Manchmal rief er mich ungestüm; und wenn er mich bleich und stotternd hereinkommen sah, machte es ihm Spaß, mich lange sprechen zu lassen, um mein Erstaunen zu sehen und um meine Gedanken in Verwirrung zu bringen. Manchmal zupfte er mich, während ich nach seinem Diktate schrieb, plötzlich seiner Gewohnheit nach am Ohr und richtete eine unvorhergesehene Frage aus einem alltäglichen Wissenszweige, etwa der Geographie oder Algebra, an mich, indem er mir ein kinderleichtes Problem vorlegte; dann war mir, wie wenn ein Blitz auf mein Haupt fiele. Tausendmal wußte ich, was er fragte, wußte mehr davon, als er annahm, doch sein Auge lähmte mich. Wenn er das Zimmer verlassen, konnte ich atmen, kreiste das Blut in meinen Adern wieder, kehrte mein Gedächtnis und mit ihm eine unbeschreibliche Scham zurück; Wut überkam mich, ich schrieb nieder, was ich ihm hätte antworten müssen; dann wälzte ich mich auf dem Teppich, weinte und hatte Lust mich umzubringen.

»Wie!« sagte ich zu mir, »es gibt also starke Köpfe, die jeder Sache sicher und vor niemandem unschlüssig sind? Menschen, die handelnd sich über alles hinwegsetzen, und deren Sicherheit die andern zermalmt, indem sie glaubhaft macht, daß der Schlüssel zu allem Wissen, – ein Schlüssel, den andere unaufhörlich suchen – in ihrer Tasche stecke und daß sie die nur aufzumachen brauchen, um ihr unfehlbare Einsichten und Machtvollkommenheiten zu entnehmen!« ... Dennoch fühlte ich, daß eine falsche und angemaßte Macht dabei im Spiele sei. Ich empörte mich, ich schrie: »Er lügt! Seine Haltung, seine Stimme, seine Geste sind nur Schauspielergebärden, ein elender Hoheitsprunk, dessen Nichtigkeit ihm bekannt sein muß. Unmöglich kann er so aufrichtig an sich selbst glauben! Er verwehrt uns allen den Schleier zu lüften, sieht sich aber nackt darunter. Und was sieht er? Einen armen Nichtswisser, wie wir alle welche sind, und unter allem die schwache Kreatur!«

Indessen vermochte ich dieser verkleideten Seele nicht auf den Grund zu sehen. Macht und Ruhm verwehrten es überall; erfolglos umkreiste ich ihn, ohne ihn irgendwo überrumpeln zu können, wie ein ständig bewehrtes Stachelschwein wälzte er sich vor mir hin und zeigte mir auf allen Seiten nur scharfe Stacheln ... Dennoch öffnete der Zufall, welcher unser aller Meister ist, diese Seele ein wenig und ließ das Licht eines Augenblicks durch die Piken und Pfeile dringen ... Eines Tages, vielleicht war's der einzige seines Lebens, begegnete er jemandem, der stärker war als er, und wich einen Moment vor einem Einflüsse zurück, welcher mächtiger als seiner war ... Dessen war ich Zeuge und fühlte mich gerächt ... Folgendes begegnete mir:

Wir waren in Fontainebleau. Der Papst kam eben an. Ungeduldig hatte der Kaiser ihn für die Salbung erwartet und im Wagen empfangen, in den beide im nämlichen Augenblicke mit scheinbarer Vernachlässigung der Etiquette stiegen, welche im Grunde aber wohlweislich berechnet war; denn so gab oder nahm keiner den Vortritt: ein italienischer Kniff. Er kehrte ins Schloß zurück, wo alles in Aufruhr war; ich hatte mehrere Offiziere in dem Gemache gelassen, das vor dem des Kaisers lag, und war allein in seinem geblieben ... Besah mir einen langen Tisch, auf dem statt einer Marmorplatte römische Mosaiken lagen und der mit einer Unmasse Bittschriften über und über beladen war. Häufig hatte ich Bonaparte eintreten und sie einer seltsamen Prüfung unterziehen sehen. Er nahm sie weder der Reihenfolge nach, noch wie der Zufall es wollte, hin; wenn ihre Zahl ihn aber reizte, fuhr er wie ein Schnitter mit seiner Hand von rechts nach links und von links nach rechts über den Tisch und streute sie umher, bis ihre Zahl sich auf fünf oder sechs vermindert hatte, die er dann öffnete. Solche Art verächtlichen Spiels hatte mich merkwürdig aufgeregt. All diese Papiere der Trauer und Trübsal, welche zurückgestoßen, auf das Parkett geworfen und wie vom Zorneswinde hinweggefegt worden waren, diese vergeblichen Flehensbitten der Witwen und Waisen, deren Unterstützung lediglich davon abhing, wie die fliegenden Blätter vom Konsulhute weggefegt wurden, all diese seufzenden, von Familientränen benetzten Schriftstücke, die der Zufall unter seine Stiefel warf und über die er wie über die Toten des Schlachtfeldes hinwegschritt, stellten mir Frankreichs augenblickliches Schicksal wie eine düstere Lotterie vor; wie groß die gleichgültige und rauhe Hand auch war, welche die Lose zog, ich meinte doch, daß es unbillig wäre, der Laune seiner Faustschläge so viele dunkle Schicksale auszuliefern, die eines Tages etwa ebenso groß wie seines geworden wären, hätte man ihnen einen Stützpunkt gewiesen. Ich fühlte, wie mein Herz wider Bonaparte schlug und sich empörte; das aber tat es schüchtern wie ein Sklavenherz, war es doch eins. Ich betrachtete die in Stich gelassenen Briefe, ungehörte Schmerzensschreie erhoben sich aus ihren Falten; indem ich sie auflas, um sie zu prüfen, und sie dann wieder weglegte, warf ich mich selber zum Richter zwischen diesen Unglücklichen und dem Herrn auf, den sie sich gegeben hatten, und der sich heute fester denn je auf ihre Nacken setzen wollte. Eine jener verachteten Bittschriften hielt ich in meiner Hand, als der Lärm der Trommeln, die den Marsch schlugen, mir des Kaisers plötzliche Ankunft meldete.

Nun, Sie wissen ja auch, daß man die Kanone blitzen sieht, ehe man den Knall hört; so sah man auch ihn stets schon zur nämlichen Zeit, wo man vom Lärm seines Nahens getroffen ward, so schnell war sein Gang und so eilig schien er es mit dem Leben und dem Aufeinandertürmen seiner Taten zu haben. Wenn er in einen Palasthof einritt, konnten seine Begleiter ihm kaum folgen, und ehe der Posten Zeit hatte zu den Waffen zu greifen, war er bereits abgesessen und stieg die Treppe hinauf.

Dieses Mal hatte er den Papstwagen verlassen, um allein, voraus und im Galopp zurückzukehren. Seine Sporen hörte ich zu gleicher Zeit mit dem Trommeltone klirren. Kaum konnte ich mich in den Alkoven eines großen, von niemandem benutzten Paradebettes werfen, das eine Prinzenbalustrade umgab und glücklicherweise bis über die Mitte Vorhänge verhüllten, die mit Bienen wie übersät waren. Der Kaiser schien sehr aufgeregt; er trat allein ins Gemach wie jemand, der ungeduldig wartet, und durchquerte es im Nu dreimal der Länge nach, dann näherte er sich einem Fenster und hub mit seinen Fingernägeln einen Marsch zu trommeln an. Ein Wagen rollte in den Hof, er ließ das Trommeln sein, stampfte zwei- oder dreimal, wie ungeduldig, weil ihm etwas zu langsam ging, mit den Füßen auf, eilte dann ungestüm nach der Türe und öffnete sie dem Papst. Pius der Siebente trat allein ein; Bonaparte sperrte eilig, mit Kerkermeisterschnelligkeit, die Türe zu. Ich verspürte einen starken Schrecken, ich geb es zu, als ich mich als Dritten bei zwei solchen Menschen sah. Indessen verhielt ich mich lautlos und rührte mich nicht, indem ich mit der ganzen Kraft meines Geistes aufachtete und lauschte.

Der Papst war von hohem Wuchs; besaß ein längliches, gelbes und leidendes Antlitz, welches aber voll eines heiligen Adels und einer grenzenlosen Güte war. Seine schwarzen Augen waren groß und schön, halbgeöffnet war sein Mund zu einem wohlwollenden Lächeln, dem sein vortretendes Kinn Ausdruck geistreichster und lebhaftester Feinheit verlieh, ein Lächeln, dem nichts von politischer Trockenheit anhaftete, sondern das ganz christliche Güte war. Ein weißes Käppchen bedeckte seine langen schwarzen, doch von breiten Silberstreifen durchzogenen Haare. Lässig trug er auf seinen gebeugten Schultern einen langen rotsamtenen Bischofsmantel, und sein Rock ging über die Füße hinab. Langsam, mit dem ruhigen und bedächtigen Schritte einer bejahrten Frau trat er ein. Mit niedergeschlagenen Augen setzte er sich in einen der großen, mit Adlern verzierten und vergoldeten römischen Sessel und wartete, was ihm der andere Italiener zu sagen hätte.

Ach, mein Herr, welch eine Szene, welch eine Szene! Noch sehe ich sie vor mir! ... Nicht des Mannes Genie offenbarte sie mir, sondern seinen Charakter; und wenn sich sein viel umfassender Geist nicht in ihr äußerte, so tat sich doch sein Herz in ihr kund... Bonaparte war damals noch nicht so, wie Sie ihn später sahen; hatte noch nicht jenen Bankierbauch, jenes aufgeschwemmte, krankhafte Antlitz, jene gichtigen Beine, all jene ungesunde Wohlbeleibtheit, deren sich leider die Kunst bemächtigte, um der heutigen Ausdrucksweise gemäß einen »Typ« daraus zu schaffen. Der Menge hinterließ sie damit, ich weiß nicht was für eine volkstümliche und groteske Form von ihm, die ihn zum Kinderspielzeug macht, so daß er eines Tages etwa als Fabel und unmöglich wie der unförmige Polichinell dastehn wird ...

Damals war er nicht so, sondern kraftvoll und geschmeidig, sondern flink, lebhaft und schlank, krampfhaft in seinen Bewegungen, anmutig in manchen Momenten, gewählt in seinen Manieren; die Brust war flach und zwischen die Schultern eingesunken, er war noch ganz so, wie ich ihn in Malta gesehen hatte, ein melancholisches und schmales Gesicht.

Unaufhörlich ging er im Zimmer umher, als der Papst eingetreten war; wie ein vorsichtiger Jäger umkreiste er den Sessel und nahm, plötzlich in eines Korporals straffer und unbeweglicher Haltung ihm gegenüber stehen bleibend, die in ihrem Wagen begonnene Unterhaltung, welche durch die Ankunft unterbrochen worden war, wieder auf; es lag ihm viel an ihrer Fortsetzung.

»Ich wiederhole Euch, heiliger Vater, ich bin kein Freigeist und liebe die Klügler und Metaphysiker nicht. Ich versichere Euch, daß ich trotz meiner alten Republikaner zur Messe gehn will.«

Jäh warf er seine letzten Worte wie eine plumpe Lobhudelei dem Papste ins Gesicht und hielt inne, um ihre Wirkung abzuwarten, da er meinte, daß die doch etwas gottlosen Umstände, welche der Zusammenkunft vorausgegangen waren, solch plötzlichem und klarem Geständnisse außergewöhnlichen Wert verleihen müßten ... Der Papst schlug die Augen nieder und legte seine beiden Hände auf die Adlerköpfe, welche die Arme seines Sessels bildeten. Mit dieser Haltung einer römischen Statue schien er deutlich sagen zu wollen: von vornherein füge ich mich darein, all den profanen Dingen Ohr zu leihen, die er mich nach seinem Belieben hören lassen will. Bonaparte ging wieder durchs Gemach und um den Sessel herum, der in der Mitte stand, und ich sah an dem Blick, den er dem alten Pontifex von der Seite zuwarf, daß er weder mit sich noch seinem Widersacher zufrieden war und sich innerlich vorwarf, bei der Wiederaufnahme der Unterhaltung allzu leichtfertig zu Wege gegangen zu sein. Er hub also an, mehr im Zusammenhange zu sprechen, indem er im Kreise umherging und verstohlen durchdringende Blicke in des Gemaches Spiegel warf, in denen des heiligen Vaters ernstes Antlitz sich spiegelte, und indem er ihn, wenn er an ihm vorbeiging, von der Seite, aber niemals von vorn anschaute, da er allzu unruhig über den Eindruck seiner Worte zu erscheinen fürchtete.

»Etwas hab' ich noch auf dem Herzen, heiliger Vater,« sagte er, »daß Ihr der Salbung in derselben Weise wie damals dem Konkordate zustimmt, wie wenn Ihr dazu gezwungen würdet. Ihr habt vor mir das Aussehn eines Märtyrers; Ihr seid da, wie einer, der sich in sein Schicksal fügt, wie wenn Ihr dem Himmel Eure Schmerzen darbötet. In Wahrheit aber ist Eure Lage eine andere, Ihr seid kein Gefangener; bei Gott, Ihr seid frei wie die Luft.«

Pius der Siebente lächelte traurig und sah ihm gerade ins Gesicht. Er fühlte die Ungeheuerlichkeit, welche in den Forderungen dieses despotischen Charakters lag, dem es wie allen Geistern gleicher Natur nicht genügte, sich Gehorsam zu verschaffen, man sollte ihm mit einer Miene gehorchen, als habe man nichts glühender als seine Befehle ersehnt.

»Ja,« fuhr Bonaparte mit mehr Nachdruck fort, »Ihr seid vollkommen frei; Ihr könnt nach Rom zurückkehren, der Weg steht Euch offen, niemand hält Euch zurück.«

Der Papst seufzte und hob seine rechte Hand und die Augen zum Himmel auf, ohne zu antworten; dann ließ er seine gefurchte Stirn langsam wieder sinken und betrachtete das an seinem Halse hängende goldene Kreuz.

Bonaparte fuhr mit Sprechen fort, indem er sich langsamer im Kreise bewegte. Seine Stimme wurde sanft und sein Lächeln anmutsvoll.

»Heiliger Vater, wenn die Würde Eures Amts mich nicht zurückhielte, möcht ich Euch wirklich sagen, daß Ihr ein wenig undankbar seid. Ihr scheint Euch nicht genügend der guten Dienste zu erinnern, die Frankreich Euch leistete. Das Venezianische Konklave, das Euch zum Papste gewählt, hat ganz das Aussehn, als hätte es unter dem Eindrucke meines italienischen Feldzuges und meines über Euch geäußerten Wortes gestanden. Österreich behandelte Euch damals nicht gut und ich war sehr betrübt darüber. Eure Heiligkeit war, glaube ich, genötigt, zu Meer nach Rom zurückzukehren, weil Ihr nicht durch die österreichischen Länder ziehen konntet.«

Er unterbrach sich, um die Antwort des schweigsamen Gastes, den er sich beschert hatte, abzuwarten; Pius der Siebente aber machte nur eine fast unmerkliche Neigung mit dem Kopfe und verharrte wie in Abgeschlagenheit versunken, die ihn am Zuhören hinderte.

Bonaparte schob dann mit dem Fuße einen Stuhl neben des Papstes hohen Sessel... Ich bebte, weil er, als er diesen Sitz holte, mit seinem Achselstück den Vorhang des Alkovens streifte, wo ich verborgen war.

»Das«, fuhr er fort, »betrübte mich als Katholiken wahrlich. Nie habe ich die Zeit gehabt, mich viel mit Theologie abzugeben; bin aber durchaus überzeugt von der großen Macht der Kirche; sie besitzt eine erstaunliche Vitalität, heiliger Vater. Voltaire hat wohl ein bißchen in Eure Rechte eingegriffen, doch ich liebe ihn nicht und will einen alten entkutteten Oratorianer auf ihn loslassen. Ihr sollt zufrieden sein, seht Ihr. Wahrlich, wir könnten, wenn Ihr nur wolltet, viele Dinge in Zukunft vollenden.« Hier steckte er eine Miene der Unschuld und schmeichelndsten Jugend auf.

»Ich weiß es nicht, ich mag suchen wie ich will, ich kann wirklich nicht recht einsehn, warum Ihr so dagegen seid, für immer in Paris Aufenthalt zu nehmen. Ich würde Euch, meiner Treu, die Tuilerien überlassen, wenn Ihr wolltet. Ihr würdet dort schon Euer Monte-Cavallozimmer finden, das Eurer harrt. Ich halte mich dort nicht viel auf. Seht Ihr denn nicht genau, Padre, daß es die wahre Hauptstadt der Welt ist? Ich würde alles tun, was Ihr wünschtet; vor allem bin ich ein besseres Kind, als man meint... Vorausgesetzt, daß der Krieg und die beschwerliche Politik mir überlassen blieben, könntet Ihr die Kirche nach Eurem Belieben einrichten. In jeder Beziehung würde ich Euer Streiter sein. Seht, das könnte wirklich schön sein; wir hätten unsere Konzile wie Konstantin und Karl der Große, ich würde sie eröffnen und schließen; würde Euch dann die wahren Schlüssel der Welt in die Hand geben – und wie unser Herr gesagt hat: Ich bin mit dem Schwerte gekommen, würde ich das Schwert führen und es nach jedwedem Erfolge unserer Waffen Euch nur zum Segnen zurückbringen.«

Bei dem letzten Worte verneigte er sich leicht.

Der Papst, der bis dahin immer regungslos wie eine ägyptische Statue dagesessen hatte, hob langsam sein halbgeneigtes Haupt auf, lächelte melancholisch, schlug seine Augen gen Himmel empor und sagte mit friedlichem Seufzer, wie wenn er seinem unsichtbaren Schutzengel seinen Gedanken anvertraut hätte:

»Commediante!«

Bonaparte sprang von seinem Stuhle auf und prallte zurück wie ein verwundeter Leopard. Ein echter Zorn überkam ihn, einer seiner unglaublichen Wutanfälle. Anfangs schritt er, sich die Lippen blutig beißend, wortlos auf und ab. Er drehte sich nicht mehr mit schlauen Blicken und vorsichtigem Schritte im Kreise um seine Beute, sondern ging geradeaus und fest in die Länge und Breite, ungestüm mit dem Fuße aufstampfend und seine gespornten Hacken klirren lassend. Das Zimmer erbebte; die Vorhänge zitterten wie Baumwipfel beim Nähern des Donners. Mir schien, es müßte sich etwas Schreckliches und Großes ereignen; meine Haare taten mir weh und wider meinen Willen fuhr ich mit der Hand hinein. Ich sah den Papst an, er bewegte sich nicht, nur preßte er mit seinen beiden Händen die Adlerköpfe der Sessellehnen. Plötzlich platzte die Bombe.

»Ein Komödiant, ich! Ah, ich werde Euch Komödien geben, daß Ihr alle wie Weiber und Kinder weinen sollt!... Ein Komödiant! ... Ha, Ihr irrt Euch, wenn Ihr meint, man könne mir gegenüber kalten Blutes unverschämt sein! Theater ist die Welt; die Rolle, welche ich auf ihm spiele, die des Herrn und Schöpfers. Als Komödianten habe ich Euch alle, Päpste, Könige, Völker! ... Ein Komödiant! Ha, man muß anderes Format haben als Ihr, um mir Beifall zu zollen oder mich auszupfeifen zu wagen, Signor Chiaramonti!... Wißt Ihr, daß Ihr nur ein armseliger Pfarrer wäret, wenn ich wollte ? Euch und Eurer Tiara würde Frankreich ins Gesicht lachen, wenn ich, Euch grüßend, nicht meine ernste Miene beibehielte.

Vor nur vier Jahren hat kein Mensch laut von Christus zu sprechen gewagt. Wer würde denn da vom Papste gesprochen haben, he ? ... Ein Komödiant! Ha, meine Herren, Ihr faßt schnell Fuß bei uns! Ihr seid übler Laune, weil ich nicht so dumm wie Ludwig der Vierzehnte gewesen bin, die Mißbilligung der gallikanischen Freiheiten zu unterzeichnen? ... So aber fängt man mich nicht ... Ich halte Euch in meinen Fingern, ich trage Euch wie Marionetten von Süden nach Norden, ich tue so, als hielte ich Euch für etwas, weil Ihr für mich eine alte Idee darstellt, die ich wieder zum Leben erwecken will; und Ihr besitzt nicht den Verstand das zu sehen und tut so, wie wenn Ihr nichts davon begriffet... Doch nein, man muß Euch alles sagen! Man muß Euch mit der Nase auf die Dinge stoßen, damit Ihr sie begreift. Ohne weiteres glaubt Ihr, daß man Eurer bedürfe, und hebt den Kopf wieder auf und drapiert Euch in Eure Weiberröcke! ... Wißt aber wohl, daß die in keiner Weise Eindruck auf mich machen, und daß ich, wenn Ihr so fortfahrt, mit Eurem so umspringen werde, wie Karl der Zwölfte mit dem des Großveziers: mit einem Spornstreich werde ich ihn zerfetzen!«

Er schwieg. Ich wagte nicht zu atmen. Als ich seine Donnerstimme nicht mehr hörte, steckte ich den Kopf vor und wollte sehen, ob der arme Greis nicht vor Schrecken gestorben wäre. Die nämliche Ruhe in der Haltung; die nämliche Ruhe auf den Gesichtszügen. Ein zweites Mal hob er seine Augen gen Himmel auf, und nachdem er nochmals einen schweren Seufzer ausgestoßen hatte, lächelte er bitter und sagte:

»Tragediante!«

In diesem Augenblicke befand sich Bonaparte in der Zimmerecke und stützte sich auf den Marmorkamin, der von gleicher Höhe war wie er. Wie ein Pfeil schnellte er fort und lief auf den Greis los; ich glaubte, er wolle ihn töten. Doch hielt er kurz an, ergriff auf dem Tische eine Sèvresvase, worauf Engelsburg und Kapitol gemalt waren, schleuderte sie gegen die Feuerböcke und den Marmor und zerstampfte sie mit seinen Füßen. Dann setzte er sich plötzlich und verharrte in tiefem Schweigen und in furchtbarer Unbeweglichkeit.

Ich war beruhigt. Fühlte, daß er wieder zur Besinnung gekommen war und daß das Gehirn wieder Herrschaft über das kochende Blut gewonnen hatte. Er wurde traurig, seine Stimme dumpf und melancholisch, und von seinem ersten Worte an merkte ich, daß er nun wahr sei und daß dieser durch zwei Worte gebändigte Proteus sich selber zeige.

»Ein unseliges Dasein«, sagte er zuerst... Dann träumte er vor sich hin, zerfetzte seine Hutkrempe, ohne eine weitere Minute lang auch nur ein Wort zu sprechen, und fuhr dann, mit sich allein redend, im Traume fort:

»Wahrlich, ein Tragöde und ein Komödiant! ... Alles ist Rolle, alles seit langem und für immer Kostüm für mich. Welch eine Beschwerde! Welche Erbärmlichkeit! Posieren, immer posieren, von vorn für die Partei, von der Seite für jene, ganz wie sie wollen! Ihnen als das erscheinen, was man nach ihrem Belieben sein soll, und ihre Torenträume immer richtig erraten. Sie alle zwischen Furcht und Hoffnung stellen... Sie durch Daten und Schlachtenberichte, durch zauberhafte Entfernungen und zauberhafte Namen blenden. Ihrer aller Herr sein und nicht wissen, was man mit ihnen beginnen soll. Meiner Treu, das ist alles! ... Und sich schließlich so zu langweilen, wie ich es tue, das ist zu viel... Denn wahrlich,« fuhr er, die Beine überschlagend und sich in einen Sessel kauernd, fort, »ich langweile mich grenzenlos... Sobald ich mich hinsetze, berste ich vor Langerweile... Ich könnte keine drei Tage in Fontainebleau jagen, ohne vor Gleichgültigkeit zugrunde zu gehen... Ich muß laufen und laufen lassen. Wenn ich wüßte wohin, wollt' ich mich meiner Treu aufhängen lassen. Offenen Herzens rede ich mit Euch. Pläne habe ich für das Leben von vierzig Kaisern, jeden Morgen und jeden Abend fasse ich einen; ich besitze eine unermüdliche Einbildungskraft, werde aber an Leib und Seele verbraucht sein, ehe ich die ihrer zwei ausführen konnte; denn unsere arme Lampe brennt nicht lange. Und frei heraus, wenn man alle meine Pläne ausführte, möcht' ich nicht schwören, daß die Welt sich dann viel glücklicher fühlen würde; schöner aber wäre sie und eine machtvolle Einheit würde über sie gebieten... Ich bin kein Philosoph, und kenne nur unsern Florentiner Staatssekretär, der gesunden Menschenverstand besaß. Von gewissen Theorien verstehe ich nichts. Das Leben ist zu kurz, um Halt zu machen. Sobald ich gedacht habe, führe ich aus. Nach mir wird man genugsam Erklärungen für meine Handlungen finden, um mich zu vergrößern, wenn ich erfolgreich bin, und zu verkleinern, wenn ich falle. Paradoxe stehen immer fix und fertig da, in Frankreich sind sie im Überflusse vorhanden; zu meinen Lebzeiten bringe ich sie zum Schweigen, nachher aber wird man ja sehn... Tut nichts; meine Sache ist, Erfolg zu haben, und darauf ziele ich. Ich schaffe meine tätige Ilias und zwar alle Tage.«

Hier erhob er sich mit froher Schnelligkeit und gewisser Munterkeit und Lebendigkeit; in diesem Augenblicke war er natürlich und wahr und dachte nicht daran sich so zu zeigen, wie er es später in seinen Zwiegesprächen auf Sankt Helena tat; er dachte nicht daran sich zu idealisieren und legte seine Persönlichkeit nicht zurecht, wie wenn er die schönsten philosophischen Gedanken verwirklichen wolle; er war er selber, ganz offenherzig... Er kam zum heiligen Vater zurück, der nicht eine Bewegung gemacht hatte, und ging vor ihm auf und ab. Dort äußerte er, halb ironisch lachend, nach seiner Weise Triviales mit Großem vermengend, indem er mit unvergleichlicher Zungenfertigkeit, mit dem jähen Ausdrucke jenes leichten und raschen Genies sprach, welches zwanglos alles sofort errät, etwa folgendes:

»Geburt ist alles,« sagte er; »wer arm und nackt auf die Welt kommt, ist immer verzweifelt. Alles läuft auf Tätigkeit oder Selbstmord hinaus, je nach Charakter der Leute. Wenn sie wie ich mutig Hand an alles legen, toben sie wahrlich entsetzlich. Immerhin, man muß leben. Man muß seinen Platz finden und sein Loch graben. Wie eine Kanonenkugel habe ich meines aufgewühlt. Um so schlimmer für die, welche vor mir standen... Die einen begnügen sich mit wenig, andere kriegen nie genug... Da ist nichts zu ändern. Jeder ißt nach seinem Appetit; ich aber hatte großen Hunger! ... Seht, heiliger Vater, in Toulon besaß ich nicht so viel, daß ich mir ein Paar Achselstücke kaufen konnte, und statt dessen hatt' ich eine Mutter und, ich weiß nicht wie viele, Brüder auf den Achseln. Alles das ist jetzt untergebracht und ich hoffe ziemlich anständig. Josephine hatte mich schier aus Mitleid geheiratet und jetzt krönen wir sie Raguideau, ihrem Notar, zum Trotz, der erklärte, daß ich kein Vermögen besäße. Er hatte wahrhaftig nicht so unrecht! Kaisermantel, Krone, was ist das alles? Gehört mir das?... Kostüm, Theaterkostüm! Für eine Stunde werde ich es anlegen und dann genug von ihm haben... Dann will ich meinen bescheidenen Offiziersrock wieder anziehn und zu Pferde steigen... Immer zu Pferd, das ganze Leben über zu Pferde! ... Ich werde eines Tages nicht dasitzen und Gefahr laufen vom Thronsessel heruntergeworfen zu werden. Ist das denn sehr beneidenswert? He?

Ich sage Euch, heiliger Vater, auf der Welt gibts nur zwei Menschenklassen: die Besitzenden und die Gewinnenden.

Die ersteren kuschen, die anderen rühren sich. Da ich das früh und zur rechten Zeit begriffen habe, werd' ich es weit bringen, das ist alles. Nur zwei sind zum Ziele gelangt, die mit vierzig Jahren anfingen: Cromwell und Jean-Jacques. Wenn Ihr dem einen eine Pachtung, dem anderen zwölfhundert Franken und seine Magd gegeben hättet, würden sie weder gepredigt, noch befehligt, noch geschrieben haben. Es gibt Arbeiter für Gebäude, für Farben, für Formen und für Phrasen, ich bin Arbeiter für Schlachten. Das ist mein Handwerk... Mit fünfunddreißig Jahren habe ich ihrer bereits achtzehn zustande gebracht, die sich Siege nennen... Für meine Arbeit muß man mich wohl bezahlen. Und sie mit einem Throne bezahlen, ist nicht zu teuer... Überdies werde ich stets Arbeit leisten. Ihr sollt ihrer noch andere sehn. Alle Dynastien sollt Ihr von meiner sich her schreiben sehn, wenn ich auch nur ein Emporkömmling und gewählt bin! Gewählt wie Ihr, heiliger Vater, und aus der Menge herausgehoben. In dem Punkte können wir uns die Hand reichen.«

Und sich nähernd, streckte er seine weiße und ungestüme Hand der fleischlosen und furchtsamen des guten Papstes hin, welcher, vielleicht von dem gutmütigen Tone dieser letzten kaiserlichen Regung, vielleicht von einem heimlichen Rückblick auf sein eigenes Schicksal und einem traurigen Gedanken an die Zukunft der christlichen Gemeinschaften gerührt, ihm leise seine noch zitternden Fingerspitzen mit der Miene einer Großmutter reichte, die sich mit einem Kinde, das sie zu ihrem Kummer zu heftig ausgezankt hatte, wieder aussöhnt. Dennoch schüttelte er traurig das Haupt, und ich sah aus seinen schönen Augen eine Träne rinnen, die schnell über seine fahle und abgezehrte Wange glitt. Sie erschien mir als letztes Lebewohl des sterbenden Christentums, welches die Erde dem Egoismus und dem Zufall überließ.

Einen verstohlenen Blick warf Bonaparte auf die jenem armen Herzen abgepreßte Träne, und zu meiner Überraschung sah ich auf einer Seite seines Mundes eine blitzschnelle Bewegung, die einem Triumph lächeln glich ...

In diesem Augenblicke kam mir diese allmächtige Natur minder erhaben und edel als die seines heiligen Widersachers vor; hinter meinen Vorhängen trieb mir das die Röte über all meine frühere Begeisterung ins Gesicht, ich verspürte eine ganz neue Traurigkeit, indem mir bewußt ward, wie klein höchste politische Größe in den kalten Ränken ihrer Eitelkeit, in ihren kläglichen Fallstricken und gewissenlosen Abscheulichkeiten werden kann. Ich sah, daß er nichts von seinem Gefangenen gewollt und es ihm eine stille Freude bereitet hatte, in diesem Zwiegespräch nicht schwach geworden zu sein und – nachdem er sich von einer Zorneswallung hatte überraschen lassen – den Gefangenen unter Gemütsbewegung, Ermüdung, Furcht und aller Schwäche, welche in eines Greises Auge eine unerklärliche Träne hervorrufen kann, niederzubeugen.

Er hatte den letzten Zug haben wollen und ging, ohne ein Wort hinzuzufügen, ebenso ungestüm hinaus, wie er hereingekommen war. Ob er den Papst gegrüßt hatte, sah ich nicht. Ich glaube es nicht.


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