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Marquise du Châtelet

Marquise du Châtelet
Bildquelle: fr.wikipedia.org

Voltaire und die Marquise du Châtelet

1733–1749

Gabrielle-Emilie le Tonnelier de Breteuil wurde 1706 in Paris geboren, ihr Vater, der Baron de Breteuil, ließ die vielseitige Begabung der Tochter sorgfältig ausbilden: sie lernte Latein, Italienisch, Spanisch und Englisch, trieb Philosophie, Mathematik und Musik. Mit 19 Jahren heiratete sie den Marquis Florent Claude du Châtelet-Somont aus einer alten, aber nicht sehr wohlhabenden Lothringer Familie. Er war ein braver, aber unbedeutender Mann, der es 1744 bis zum Generalleutnant brachte. – Voltaires Beziehungen zur Marquise dauerten von 1733 bis 1749. Er weihte sie in die Newtonschen Lehren ein, und sie hat das große Verdienst, ihn auf das Gebiet der Geschichte geführt zu haben Über die weiteren Beziehungen vgl. Schirmacher, Voltaire, Seite 209–298.. Voltaires Briefe an die Marquise und die Antworten der Marquise sind spurlos verschwunden, die Briefe der Marquise an die gemeinsamen Freunde aber zum Verständnis beider Persönlichkeiten unentbehrlich.

 

Voltaires Urteil über die Marquise du Châtelet Nach ihrem Tode geschrieben, 1751 veröffentlicht..

... Sie verband mit der Liebe zum Ruhm eine Schlichtheit, die nicht immer, wohl aber häufig die Frucht gründlicher Studien ist. Keine Frau war wohl gelehrter als sie, und keine verdiente weniger »eine gelehrte Frau« genannt zu werden. Sie sprach von ihrem Wissen nur mit denen, die sie für fähig hielt, sie belehren zu können, und nie sprach sie davon, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Man sah sie keine geistreichen Lästergruppen um sich versammeln. Lange lebte sie in Kreisen, die nicht wußten, was sie bedeutete, ohne daß sie diese Unwissenheit übelgenommen hatte. Obgleich mit einer seltenen Beredsamkeit begabt, verwandte sie dieselbe nur auf würdige Gegenstände. Geistreiche Briefe schreiben ... gehörte nicht zu ihren sonst ungewöhnlich großen Gaben ... Das richtige Wort, die Genauigkeit, Mark und Kraft waren die Kennzeichen ihrer Beredsamkeit. Sie hatte eher wie Pascal und Nicole, nicht aber wie Madame de Sévigné geschrieben, dieser strenge Ernst, diese gestählte Kraft ihres Geistes machten sie aber gegen das Gefühl des Schönen nicht unzugänglich. Sie empfand sehr lebhaft den Reiz der Dichtkunst und Beredsamkeit, und kein Ohr war für Harmonie empfänglicher. Sie wußte die besten Dichter auswendig, und mittelmäßige konnte sie nicht vertragen. Wer würde glauben, daß sie bei all diesen Beschäftigungen nicht nur die Zeit für ihre geselligen Verpflichtungen fand, sondern die gesellschaftlichen Zerstreuungen leidenschaftlich suchte? Sie war tatsächlich in dem gleichen Maße Frau von Welt wie Gelehrte. Alles, was zum Gebiet der Gesellschaft gehört, gehörte auch zu dem ihren, das Lästern ausgenommen. Niemals hörte man sie auf eine Lächerlichkeit hindeuten. Sie hatte weder Zeit noch Willen, um darauf zu achten; und wenn man sagte, daß dieser oder jener ihr nicht gerecht geworden sei, so antwortete sie, daß sie davon lieber keine Notiz nehmen wolle.

 

298. Die Marquise an den Duc de Richelieu Er war nach Herrn von Guébriand die zweite »Liebe« der Marquise gewesen, der flatterhafte Don Juan hatte sich aber nicht lange fesseln lassen. Auf solchen Beziehungen baute sich damals oft eine solide Freundschaft auf, um so mehr, als der Herzog ein alter Gönner Voltaires war..

Paris, 10. Mai 1735.

... Je mehr ich Voltaires und meine Lage überdenke, desto nötiger erscheint mir mein Entschluß Von Paris nach Cirey in der Champagne überzusiedeln. Schloß Cirey, das der Familie du Châtelets gehörte, war damals ganz verwahrlost und wurde erst durch Voltaire wieder leidlich instand gesetzt.. Erstens glaube ich, daß alle leidenschaftlich liebenden Menschen, wenn sie es könnten, zusammen auf dem Lande leben würden; ich glaube aber auch, daß ich nur dort seine Phantasie im Zaum halten kann. – In Paris würde ich ihn früher oder später doch verlieren, jedenfalls aber mein Leben in dieser Furcht verbringen und Anlaß haben, mich über ihn zu beklagen. Sein kurzer Aufenthalt in Paris ist ihm fast schon verhängnisvoll geworden; Sie glauben nicht, welchen Lärm die »Pucelle« Das komische und spöttische Heldenepos der Jungfrau (Pucelle) von Orleans. gemacht hat, und wie man sie verbreitet hat. Ich kann nicht begreifen, wie er auf der einen Seite so viel Geist, so viel Vernunft in allem übrigen, mit so viel Blindheit vereinen kann, Blindheit gegen das, was ihn unrettbar verderben muß; vor der Erfahrung aber muß ich die Waffen strecken. Ich gestehe, daß meine Liebe groß genug ist, um dem Glück, mit ihm in Ruhe zu leben, und dem Vergnügen, ihn selbst gegen seinen Willen seinen Unvorsichtigkeiten und seinem Verhängnis zu entreißen, alle Annehmlichkeiten, alle Zerstreuung zu opfern, die Paris mir bieten konnte. Das einzige, was mich beunruhigt und was ich behutsam behandeln muß, ist die Gegenwart Herrn du Châtelets. Ich rechne sehr darauf, daß Sie mit ihm reden werden, der Frieden würde all unsere Hoffnungen zerstören, und doch kann ich nicht anders, als ihn um Ihretwillen wünschen ...

 

299. An den Grafen d'Argental Graf d'Argental, Rat am Pariser Parlament, war seit etwa 1718 mit Voltaire befreundet. D'Argentals unglückliche Leidenschaft für die schöne Schauspielerin Adrienne Lecouvreur hatte beide einander noch genähert, d'Argental war etwa 20 Jahre lang Voltaires Schutzengel und Beschützer und ebenso befreundet mit der Marquise, vgl. auch Anm. 3 auf Seite 30..

Cirey, Freitag, Dezember 1736.

... Ich will um keinen Preis, daß er nach Preußen geht, und bitte Sie auf Knien darum; er wäre dort verloren, Monate würden vergehen, ohne daß ich Nachricht von ihm haben könnte, ich wäre vor Unruhe gestorben, ehe er wiederkäme. Das Klima ist auch entsetzlich kalt ... Sein Aufenthalt in Holland kann ihm nützen, der in Preußen ihm nur schaden. All diese Überlegungen aber sind nichts im Vergleich zu denen, die mir der Charakter des Königs von Preußen einflößt. Der Kronprinz ist nicht König; wenn er es sein wird, werden wir ihn alle beide besuchen Darauf ist Friedrich II. nie eingegangen. Schon die erste Begegnung 1740 in Moyland fand ohne die Marquise statt.. Sein Vater aber kennt nur ein Verdienst, 10 Fuß groß zu sein, er ist argwöhnisch und grausam, er haßt seinen Sohn und verfolgt ihn, hält ihn in eisernem Joch. Er würde glauben, daß Herr von Voltaire ihm gefährliche Ratschläge gäbe, und wäre fähig, ihn an seinem Hofe festnehmen und ihn dem Großsiegelbewahrer übergeben zu lassen. Mit einem Wort, kein Preußen, ich beschwöre Sie, sprechen Sie ihm nicht mehr davon ...

Cirey, 30. Dezember 1736.

 

300.

... Ich gestehe, wenn ich denke, daß ich die Ursache des Unglücks Ihres Freundes bin Die Marquise fürchtete, Voltaires ihr gewidmete »L'ode sur la calomnie« hätte den Anlaß zu einer erneuten Verfolgung gegen ihn gegeben, 1734 hatte er wegen Veröffentlichung der »Lettres sur les Anglais« landflüchtig werden müssen, jetzt gab das geistreiche Gedicht »Le Mondain« den Anlaß dazu, Voltaire ging nach Holland., so vergehe ich fast vor Schmerz – diese Qual kannte ich noch nicht und hoffte, sie auch nie kennen zu lernen. Glücklicherweise bin ich Monsieur du Châtelets sicher; er ist der achtungswerteste Mann, den ich kenne, und ich wäre das elendeste aller Geschöpfe, wollte ich das nicht anerkennen Der Justizminister soll beabsichtigt haben, Voltaire den Aufenthalt in Cirey verbieten zu lassen und hätte an einem eifersüchtigen Gatten einen guten Bundesgenossen gefunden..

Dienstag, Januar 1737.

 

301.

... Ich gestehe Ihnen, ich konnte nicht umhin, über mein Schicksal zu jammern, als ich sah, wie wenig ich auf ein ruhiges Leben zu rechnen habe, mein Dasein werde ich damit verbringen, ihn (Voltaire) gegen sich selbst zu verteidigen, ohne ihn jedoch retten zu können, für ihn zu zittern, seine Unvorsichtigkeiten oder seine Abwesenheit zu beklagen. Immerhin – das ist mein Schicksal, und so wie es ist, ist es mir noch lieber als die glücklichsten ...

Cirey, Februar 1737.

 

302.

... Wir verlieren ihn, daran ist nicht zu zweifeln Wer aber könnte ihn gegen seinen Willen halten? Ich habe mir nichts vorzuwerfen, das ist ein wehmütiger Trost, ich bin nicht für das Glück geboren ... Hätten Sie seinen letzten Brief gesehen, Sie würden mich begreifen: er trägt eine Unterschrift und die Anrede: Madame. Das ist ein solcher Widerspruch, daß mir vor Schmerz ganz wirr im Kopf wurde ... Monsieur du Châtelet läßt mir keine Ruhe, ich soll ihn nach Lothringen zur Hochzeit der Prinzessin begleiten, ich habe aber keine Lust dazu; eine Hochzeit und ein Hof wären mir jetzt unerträglich Das brauchte keine Gleichgültigkeit sondern nur eine gerechtfertigte Vorsicht zu bedeuten. Das Briefgeheimnis wurde damals sehr wenig gewahrt – Da die Marquise im übrigen eine leidenschaftliche Freundin weltlicher Vergnügungen war, beweist diese Ablehnung die Tiefe ihrer Unruhe und Sorge. ...

14. Juni 1738.

 

303.

... Der kleine de la Mare Ein Schützling Voltaires. ist ein kleiner Narr, schickt er da Ihrem Freund eine elende Epistel gegen ihn. Glücklicherweise war der Brief unter Kuvert d. h. an die Marquise adressiert.: ich habe ihn vorsichtigerweise verbrannt Die Marquise war in solchen Dingen bis zur Gewalttätigkeit entschlossen.. Sie wissen, wie all diese Nörgeleien ihn verdrießen, und ich will, wenn ich kann, ihm Ärger ersparen ...

Cirey, 25. Dezember 1738.

 

304.

... Herr von Voltaire hat das Fieber; daher habe ich ihm Ihren Brief nicht zu zeigen gewagt. Die Rückkehr Rousseaus Jean Baptiste Rousseau, dessen Dichterruhm Voltaire überstrahlt hatte und der sein Feind geworden war. und die Schmähschrift des Abbé Desfontaines Die »Voltairomanie«; Voltaires »Eléments de la Philosophie de Newton« hatten diesen Streit mit Desfontaines heraufbeschworen. hatten ihn zur Verzweiflung gebracht; denn in diesen Dingen ist er von einer Empfindsamkeit, die natürlich sein mag, aber nicht vernünftig ist. Ich rede mich tot, um ihn zu beruhigen, habe aber keinen Einfluß, und doch, Sie dürfen überzeugt sein, wenn er auf mich hörte, wäre er glücklicher ...

30. Dezember 1738.

305. Ich bin noch immer, mein lieber Freund, in der schmerzlichen Lage, die mein letzter Brief Ihnen schilderte, ich habe aber seitdem nachgedacht. Es ist für Gesundheit und Ruhe Ihres Freundes nötig, daß ich versuche, ihm die Kenntnis des unwürdigen Libells von Desfontaines vorzuenthalten Die »Voltairomanie«.. Ich halte es aber auch für ebenso nötig, darauf zu antworten ... In dieser Notlage habe ich mich entschlossen, die Antwort selbst zu schreiben; ich schmeichle mir damit, daß ich, wenn auch weniger Geist, so doch mehr Mäßigung dabei verwenden werde als er ...

Brüssel, 3. Januar 1741.

306. Ich versichere Ihnen, mein lieber Freund, daß ich, seit ich Sie verließ, recht zu bedauern bin, denn mit dem Schmerz über die Trennung verband sich die schreckliche Unruhe über die Gefahren und Folgen einer stets sehr anstrengenden Reise, welche die Überschwemmungen der Jahreszeit sehr bedenklich machten. Zwölf Tage hat er auf dem Wasser zugebracht, in Eis eingeschlossen zwischen dem Haag und hier Auf der Rückkehr von seiner ersten Reise nach Berlin, vgl. Voltaires Brief an Friedrich II., auf Seite 205. In einem Schiff an der Küste von Seeland.. Während dieser Zeit habe ich keine Nachricht erhalten können und bin vor Schmerz beinahe toll geworden. Endlich ist er mir in ganz leidlichem Zustand, nur mit einer Erkältung an den Augen, zurückgekommen. All mein Leid ist zu Ende, und ich schwöre mir, daß es für immer zu Ende sein soll ...

Brüssel Seit 1739 betrieb die Marquise einen Prozeß in Brüssel, es handelte sich um die Erbschaft eines Vetters, de Trichâteau, der eine kleine Herrschaft im Belgischen hinterließ. Von dort hatte sich Voltaire zum zweiten Male nach Berlin begeben., 15. Oktober 1743.

307. ... Denken Sie, gerade als Herr von Voltaire abreisen sollte und konnte, um hierher zurückzukommen, nachdem er mir tausendmal in seinen Briefen geschworen hatte, daß er nicht länger in Berlin bleiben würde als im Jahre 1740 (d. h. zehn Tage), geht er nach Baireuth, wo er sicher nichts zu suchen hatte; verbringt dort 14 Tage, ohne dem König von Preußen und mir eine Zeile zu schreiben, geht dann nach Berlin zurück, bleibt noch 14 Tage, ja weiß ich, ob er nicht sein ganzes Leben dort bleiben wird? ... Begreifen Sie, daß jemand, der mich kennt, mich solchem Schmerz aussetzt und all den Unvorsichtigkeiten, deren ich, wie er weiß, fähig bin, wenn ich mich um ihn sorge? ...

 

308. An den Marquis de Saint Lambert Der schöne, fesche und wenig reiche Kavallerieoffizier, Marquis de Saint Lambert, Dichter der »Quatre Saisons«, in der Liebe glücklicher Nebenbuhler Voltaires und Rousseaus. Vgl. über diese Beziehungen: Schirmacher, Voltaire, S. 287ff..

Bar le Duc, Donnerstag früh, Mai 1748.

All mein Mißtrauen gegen Ihren Charakter, all meine Entschlüsse, nicht mehr zu lieben, haben mich von der Neigung zu Ihnen nicht bewahren können. Ich versuche nicht mehr zu kämpfen, es ist unnütz ... aber weit davon, mir einen Vorwurf daraus zu machen, empfinde ich ein äußerst lebhaftes Vergnügen an dieser Liebe, und dieses allein kann Ihre Abwesenheit weniger schmerzlich machen ... Sie kennen wohl lebhafte Zuneigung, Sie kennen aber die Liebe noch nicht Sehr richtige Beurteilung, der Herr Marquis war viel zu sehr mit sich beschäftigt..

Paris, April 1749.

309. ... Ich erhielt heute keinen Brief von Ihnen, das ist abscheulich Immer die alte Leidenschaftlichkeit., zeugt von einer Härte, einer Grausamkeit, die über allen Ausdruck ist, so wie der Schmerz, den ich empfinde, auch jeder Beschreibung spottet. Fürchten Sie aber nicht, von meinen Briefen belästigt zu werden; erhalte ich mit der ersten Post keine Zeile von Ihnen, so schreibe ich nicht mehr.

Paris, 18. Mai 1749.

310. Nein, ich kann es nicht ausdrücken, wie ich Sie liebe, und wie mich die Ungeduld verzehrt, Sie wiederzusehen, um Sie nie mehr zu verlassen ... Machen Sie mir keine Vorwürfe über meinen Newton Die Marquise arbeitete daran, vor ihrer Entbindung ihre Übersetzung Newtons zu beenden., ich bin bestraft genug, niemals habe ich der Vernunft ein größeres Opfer gebracht, als indem ich hier blieb, um Newton zu beenden; es ist eine schreckliche Aufgabe, die einen Kopf und eine Gesundheit von Eisen verlangt ...

Sonnabend, 30. August 1749.

311. Sie kennen mich schlecht und lassen der Glut meines Herzens wenig Gerechtigkeit widerfahren, wenn Sie glauben, daß ich zwei Tage ohne Nachricht von Ihnen sein kann, wenn es möglich ist, solche zu haben ... Bin ich bei Ihnen, so ertrage ich meinen Zustand in Geduld, bemerke ihn oft nicht, habe ich Sie aber verloren, so sehe ich alles in Schwarz ... Sagen Sie dem Fürsten (von Beauvau), daß Sie vor meiner Entbindung nicht mehr nach Haroue (dem Besitz des Fürsten) kommen werden; ich litte es nicht. Ich habe furchtbare Rückenschmerzen und bin von einer Mutlosigkeit befallen, Kopf, Körper, alles, nur das Herz nicht ... Ich muß aufhören, ich kann nicht mehr schreiben Die Marquise starb im Kindbettfieber am 10. September 1749 und wurde in der Pfarrkirche zu Lunéville begraben; während der Revolution aber wurden ihre Gebeine aus dem Grabe gerissen, während Voltaires sterbliche Hülle 1791 in das Pantheon nach Paris überführt wurde..


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