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Jean-Baptiste le Rond d’Alembert

Jean-Baptiste le Rond d’Alembert
Bildquelle: fr.wikipedia.org

Voltaires Briefwechsel mit d'Alembert

1752-1778

D'Alembert, geboren 1717, war der natürliche Sohn von Madame de Tencin, der Tante d'Argentals, und des Chevalier Destouches. Er wurde von einer einfachen Frau des Volkes erzogen, bei der er auch noch als berühmter Mathematiker wohnen blieb. – Seine Hauptbegabung und Hauptbedeutung lagen auf dem Gebiet der mathematischen Wissenschaften. Sein Hauptwerk ist der »Traité de dynamique« (1743). Durch Diderot wurde er in die Literatur hineingezogen, unternahm mit ihm die Enzyklopädie seit 1752, trat in freundschaftlichste Beziehungen zu Voltaire und gewann jährlich an Einfluß und Ruhm. Er gehörte zur Akademie der Wissenschaften in Paris, seit 1754 auch zur Académie française, deren lebenslänglicher Sekretär er 1772 wurde. Friedrich der Große und Katharina II. suchten ihn für sich zu gewinnen. Beider Anerbieten lehnte er ab, da er ein einfacher und sehr unabhängiger Charakter war. – Sein Vater hatte ihm eine kleine Rente von 1200 Frank ausgesetzt; Friedrich der Große bestimmte ihn, auch ein kleines Jahrgehalt anzunehmen. Im Jahre 1772 nennt Voltaire d'Alembert aber noch arm.

Sein Herz hatte er Mlle. de Lespinasse geschenkt, die gleich ihm ein uneheliches Kind war; sie erwies sich dieses Geschenks nicht in jeder Beziehung würdig, was d'Alembert nicht verhinderte, ihren Tod schmerzlich zu empfinden. – Er selbst starb 1783.

 

404. Voltaire an d'Alembert.

Potsdam, 5. September 1752.

... Sie und Mr. Diderot unternehmen ein Werk Die Enzyklopädie, ein Wörterbuch der Aufklärung, das 28 Bände umfaßt. Die ersten 7 erschienen von 1751–1759. Dann wurde das kgl. Privileg zurückgezogen. Seitdem druckte man heimlich, und die Regierung ließ gewähren. 1772 erschienen dann die letzten 10 Bände Text und 11 Bände Kupfer auf einmal, aber in ganz verstümmeltem Zustande., das Frankreich zum Ruhm, Ihren Verfolgern aber zur Schande gereichen wird. Paris hat einen Überfluß an Schreibfexen, von beredten Philosophen kenne ich aber nur Sie und ihn. Freilich, eine solche Arbeit sollte hier, weit von den Toren und Eiferern, unter den Augen eines Königs unternommen werden, der ebenso Philosoph ist wie Sie, nur fehlen hier durchaus die Hilfsmittel. Es gibt hier wohl eine Unmenge Bajonette, aber sehr wenig Bücher. Der König hat Sparta allerdings sehr verschont, doch Athen befindet sich nur in seinem Arbeitszimmer, und man muß zugeben, daß Sie Ihre große Unternehmung nur in Paris durchführen können ...

1755.

 

405.

Ich habe, so gut ich konnte, Ihren Befehlen gehorcht, hatte jedoch weder die nötigen Kenntnisse noch die nötige Gesundheit, um zu arbeiten, wie ich wünschte Als Mitarbeiter an der Enzyklopädie.; ich schicke Ihnen diese Versuche als Materialien, die Sie nach Gutdünken in dem unsterblichen Gebäude verwenden mögen, das Sie aufrichten. Fügen Sie hinzu, streichen Sie weg, ich gebe Ihnen meine Kieselsteine, um ein Loch damit zu stopfen ... Es ist recht schmerzlich, daß die Philosophen Theologen sein müssen. Ach, versuchen Sie bei dem Wort »Gedanken« wenigstens zu sagen, daß die Doktoren nicht besser wissen, wie sie die Gedanken machen, als wie sie Kinder erzeugen ...

29. November 1756.

 

406.

Ich schicke, mein lieber Meister, dem Menschenaufklärungsbureau Gazette, Généreux, Genre de style, Gens de lettres, Gloire und Glorieux, Grandeur ... Grand, Goût, Grâce und Grave Wurden fast alle in das »Dictionnaire Philosophique« übernommen..

Ich werde stets gewahr, wie schwierig es ist, kurz und inhaltsreich zu sein, die Nuancen zu unterscheiden, nicht zu viel und nicht zu wenig zu sagen ...

Zu den Eichen, 29. August 1757.

407. Ich bin, mein lieber und erlauchter Philosoph, in Lausanne, wo ich ein Haus einrichte, das der König von Preußen bewohnen kann, wenn er nach Neuchâtel kommt Gehörte damals zu Preußen; vgl. Anm. 2 auf Seite 228. ... Alle verständigen Menschen sind Deisten durch Christus. Außerdem gibt es die Narren, die Fanatiker und die Schurken; mit diesen Tieren habe ich aber keinen Umgang, ich lasse die Esel schreien, ohne mich um ihre Musik zu kümmern ...

Délices Voltaires Besitz an den Toren von Genf., 6. Dezember 1757.

408. ... Der König von Preußen schreibt mir andauernd in Versen, bald als Verzweifelter bald als Held, und ich versuche in meiner Einsiedelei, Philosoph zu sein. Er hat erreicht, was er stets erstrebte, die Franzosen zu schlagen Bei Roßbach., ihnen zu gefallen und sich über sie lustig zu machen, die Österreicher aber machen sich tüchtig über ihn lustig. Unsere Schande vom 5. hat ihm den Ruhm gebracht; mit diesem vorübergehenden und zu leicht erkauften Ruhm wird er sich aber begnügen müssen. Er wird seine eignen Staaten mit allem, was er dazu erobert hat, verlieren; es sei denn, daß die Franzosen noch das Geheimnis finden, wie 1741 all ihre Streitkräfte zu verzetteln ...

 

409. Tibi soli.

Lausanne, 29. Dezember 1757.

Mein lieber, mutiger Philosoph, ich habe Ihren ausgezeichneten Artikel Genf Dieser Artikel, der wegen seines Freisinns ungemeines Aufsehen erregte, verursachte den Verlust des Privilegs und den Rücktritt d'Alemberts von der Enzyklopädie. Diderot blieb als Leiter des Ganzen. gelesen und wieder gelesen. Ich denke, Rat und Volk waren Ihnen feierlichen Dank schuldig, Sie verdienen sogar Dank von den Geistlichen selbst; die freilich sind feige genug, die Gefühle, die Sie ihnen gegenüber ausgedrückt haben, zu leugnen, und frech genug, sich darüber zu beklagen, daß Sie ihnen das Lob gespendet, sich der Vernunft genähert zu haben. Sie haben die Wahrheit erklärt, wir werden sehen, ob jene die Kühnheit und Gemeinheit besitzen, sie zu verraten ...

Lausanne Voltaire bewohnte für den Winter ein Haus in Lausanne, da der Genfer Winter neblig und rauh ist. in meinem Bett, von wo aus ich 10 Meilen See erblicke.

29. Januar 1758.

 

410.

... Es wäre traurig, wenn Sie um des Artikels Genf willen die Enzyklopädie aufgeben wollten, wie man hier gerüchtweise zu verbreiten sucht, freilich noch trauriger wäre es, fortzufahren und Ärgernissen ausgesetzt zu sein, die Sie ebenso empören müssen, wie sie die Nation schänden. Sind Sie völlig einig mit Mr. Diderot und den andern Mitarbeitern? Funiculus triplex difficillime rumpitur Dreifacher Strick reißt schwer.. Wenn Sie alle wie ein Mann erklären, daß Sie nur weiterarbeiten werden, wenn man Ihnen die schickliche Freiheit gibt, die Sie haben müssen, und den Schutz, der Ihnen gebührt, so wird man wohl dahin kommen, Sie zu bitten, Frankreich nicht eines unentbehrlichen Schriftdenkmals zu berauben. Das Geschrei geht vorüber, das Werk aber bleibt ...

 

411. An Voltaire.

Paris, 2. Februar 1758.

Diderot muß Ihnen geantwortet haben, mein lieber Meister. Ich weiß nicht, was er mit Ihren Briefen gemacht hat oder machen wird. Was Ihre Artikel betrifft, so sind sie in meinen Händen, sind nicht herausgekommen und werden, wie ich Ihnen schrieb, ohne Ihren ausdrücklichen Befehl auch nicht erscheinen. Bestehen Sie darauf, daß ich sie zurückschicke, so werde ich ein Paket daraus machen und es Mr. d'Argental übergeben. Ich bin um so mehr dazu bereit, als ich auf dem Entschluß beharre, die Enzyklopädie nicht fortzusetzen Er hat den Entschluß auch ausgeführt. ...

 

412. An d'Alembert.

5. Februar 1758.

Madame de Pompadour Voltaire hatte ihr schon 1744 den Hof gemacht. schien dazu geschaffen, Beschützerin der Enzyklopädie zu sein. Der Abbé de Bernis Ihr Ratgeber. muß dieses Werk schätzen, falls er die Zeit hat, es zu lesen. Werden sich denn diese beiden nicht ehren, indem sie uns zu Hilfe kommen? Wissen tue ich es nicht, ich bin hier zu weit entfernt. Erhalten Sie mich, bitte, auf dem laufenden; aber nicht so viel Siegel, wenn Sie mir schreiben; vier erwecken Argwohn, eines nicht Vgl. den Artikel Postes im »Dictionnaire Philosophique«. ...

 

413. An Voltaire.

Paris, 8. Februar 1758.

Sie schreiben mir, mein lieber, großer Philosoph, von Ihrem Bett aus, von wo Sie zehn Meilen See erblicken, und ich antworte Ihnen aus meinem Loch, von wo ich drei Ellen Himmel sehe. Dieses Loch würde aber zu meinem Glück genügen, wenn die Verfolgung mich nicht dort heimzusuchen käme ... Es ist außer Zweifel, daß man Herrn von Malesherbes Den Justizminister, der eigentlich den Enzyklopädisten gewogen war. gezwungen hat, die »Cacouacs« Eine Streitschrift gegen die Philosophen. zu drucken; sicher, daß die mehr als heftige Satire, die gegen uns in den »Provinzanzeigen« erschien, aus den Bureaus eines Ministers kommt, der ebenso cacouac ist wie wir ... Ich weiß nicht, welchen endgültigen Entschluß er fassen wird ...

Ich bin noch ärgerlicher als Sie über das leere Geschwätz und die Plattheiten, die mit in der Enzyklopädie erschienen sind Der Inhalt war tatsächlich sehr ungleichmäßig.. Glauben Sie mir aber, daß ich nicht der Leiter gewesen bin; da ich eigentlich nur über den mathematischen Teil zu bestimmen hatte, blieb mir bei dem übrigen nur die Möglichkeit, Vorstellungen zu machen; und Mr. Diderot hat oft nicht anders handeln können. Mancher Autor, dessen zahlreiche gute Artikel uns nützen, verlangt oft als Lohn für all das Gute, das er gibt, die Aufnahme auch von etwas Schlechtem, wir wären ganz allein gewesen, hätten wir unsere Kollegen tyrannisieren wollen ...

 

414. An d'Alembert.

Lausanne, 7. März 1758.

... Diderot spricht von seinen Verpflichtungen gegen die Verleger, und es wäre an jenen, Ihre und seine Befehle entgegenzunehmen! Er spricht von etwa 30 000 Frank. Sie hätten 200 000 gehabt, wenn Sie nur die Sache in Lausanne hätten unternehmen wollen. Und vielleicht, wenn man D. h. die Hauptmitarbeiter der Enzyklopädie. Einigkeit, Mut und Entschlossenheit besäße, könnte man hier die Enzyklopädie sehr gut fertig bringen, sie hier ebensogut drucken wie in Paris, sie dann Briasson schicken, der dann den Subskribenten die Bände mit Kupfern gäbe, die man ruhig in Paris drucken könnte, ohne daß die Sorbonne sich darum aufregte. Wenn man sich genügend dem Einfluß seiner Zeit und seines Landes entziehen könnte, um einen solchen Entschluß zu fassen, würde ich mein halbes Vermögen dafür geben. Ich könnte Sie hier alle unterbringen und sehr gut. Wäre es mir vergönnt, dieses Werk zu Ende zu führen, ich wollte fröhlich sterben Nicht gerade das Anerbieten eines Geizhalses. – In der Schweiz bestand Preßfreiheit, und man bedurfte keiner Privilegien für den Buchdruck. Verbrannt wurden mißliebige Bücher aber auch dort, so Voltaires »Dictionnaire Philosophique«, der »Emile« usw. usw..

Ferney, 6. Januar 1760.

 

415.

Mein lieber und liebenswürdiger Philosoph, ich grüße Sie und die Brüder. Die Geduld sei mit euch. Möget ihr stets mit spöttischem Lachen, meine Brüder, auf dem Wege der Wahrheit wandeln. Bruder Timotheus Thieriot wird wissen, daß die große Metzelei beendet ist und den Teil eines Gesanges von Johanna bildet ... Gott hat mir die Gnade erwiesen, zu begreifen, daß, wenn man die Menschen der Nachwelt lächerlich und verächtlich machen will, man sie in ein der Nachwelt bestimmtes Werk hineinbringen muß Voltaire hatte Ausfälle gegen Le Franc de Pompignan, der ihm in keiner Hinsicht gewachsen war, in seine »Pucelle« hineingebracht, die ihm als Richtkammer seiner Feinde diente..

 

416. An Voltaire.

Paris, 14. April 1760.

Wenn man das Glück hat, in einem freien Lande zu leben, mein lieber, großer Philosoph, so ist man recht beneidenswert, denn man kann in Freiheit für die Philosophen und gegen die Beleidigungen der Nichtphilosophen schreiben. Wenn man aber das Unglück hat, in einem Lande der Verfolgung und Knechtschaft zu leben, inmitten einer versklavten und unselbständigen Nation, so ist man recht froh, daß es in freien Ländern Philosophen gibt, welche die Stimme erheben können.

Wenn die verfolgten Philosophen ihre Verteidigung durch den freien Philosophen gelesen haben werden, werden sie Gott und dem Autor danken.

Das, mein lieber Philosoph, ist meine Antwort auf ein kleines Blatt, das ich soeben von Genf erhielt Diese wiederkehrenden Wenn beziehen sich auf eine Spottschrift Voltaires »Les Quand« gegen den Dichter Le Franc de Pompignan. ...

 

417. An d'Alembert.

Schloß Ferney, Land Gex, 27. Februar 1761.

... Ich betrachte den Erfolg des »Familienvaters« »Le Pêre de Famille«, Diderots bürgerliches Trauerspiel, das Muster der Comédie larmoyante. als einen sichtlichen Beweis vom Segen des Himmels, vom Fortschritt der Brüder, es ist klar, daß das Publikum diesem Mann, den man bei ihm so anzuschwärzen versucht hat, nicht übel gesinnt ist, keine Kabale, kein Murren; das Publikum hat den Palissot und Fréron Der geschickte und bissige Fréron, ein großer Kritiker und ein Gegner der Philosophen. den Schnabel gesperrt, also ist das Publikum für uns.

 

418. An Voltaire.

Paris, 10. Oktober 1761.

... Soll ich Ihnen offen wie der Misanthrope meine Meinung über das Stück (»Cinna«) und über Ihre Anmerkungen sagen Voltaire hatte die im Namen der Académie française beschlossene Neuausgabe Corneilles mit Anmerkungen und kritischen Urteilen übernommen.? Zuerst gestehe ich, daß mir das Stück von A bis Z kalt und ohne Interesse erscheint, daß es eine Unterhaltung in fünf Akten ist, bald im erhabenen Stil, bald im bürgerlichen, bald im altmodischen; daß diese Kälte, meiner Meinung nach, der große Fehler fast all unserer Theaterstücke ist; mit Ausnahme einiger Szenen des »Cid«, des fünften Akts von »Rodogune« und des vierten des »Heraclius«, finde ich (besonders bei Corneille) keine Spur jenes Mitleids und Schreckens, die die Seele des Trauerspiels ist ...

 

419. An d'Alembert.

20. Oktober 1761.

... So alt ich auch bin, habe ich doch noch eine Kraftleistung, einen Jünglingsstreich fertig gebracht: in sechs Tagen habe ich eine Tragödie geschrieben »Olympie«., darin gibt es aber so viel Schauspiel, so viel Religion, so viel Natur, daß ich fürchte, sie wird lächerlich. Das Sechstagewerk dürfte Spötter finden ...

 

420. An Voltaire.

Paris, 31. Oktober 1761.

... Schicken Sie uns rasch Ihr Sechstagewerk, machen Sie es aber nicht wie Gott, der sich am siebenten Tage ausruhte. Das ist keine platte Schmeichelei, die ich Ihnen da sagen will. Nur Ihre Stücke haben Bewegung und Interesse, und was noch besser ist, es ist Philosophie darin, keine kalte Redephilosophie, sondern Philosophie, in Handlung umgesetzt Dieses Urteil hat die Nachwelt nicht bestätigt. ...

 

421. An d'Alembert.

Paris, 27. Januar 1762.

Sie haben, lieber erlauchter Philosoph, vor kurzem durch Monsieur Damilaville Mitarbeiter an der Enzyklopädie. das Handbuch der Inquisitoren Vom Abbé Morellet, einem andern Enzyklopädisten, übersetzt. erhalten müssen, das er Ihnen zustellen sollte. Was sagen Sie von diesem Denkmal der Scheußlichkeit und Grausamkeit, die uns die Menschheit zugleich so hassens- und so beklagenswert machen? Ich glaube, es gibt in keiner Sprache einen Ausdruck, um das Gefühl zu bezeichnen, das dieses Buch in uns erweckt. – Man kann nicht umhin, davor zu schaudern und darüber zu lachen. Der Verfasser oder richtiger der nützliche Übersetzer und Herausgeber dieser Abscheulichkeit ... hat mich gebeten, Ihnen sein Buch zu übermitteln. Es ist derselbe Abbé Morellet oder Morlet oder Mords-les Wortspiel = beiße sie., der vor 18 Monaten, zwar nicht der großen aragonischen, wohl aber der kleinen französischen Inquisition überliefert wurde, weil er in einer Vision, die weit besser als die des Ezechiel war, gesagt hat, daß ein gewisses böses Weib Die intolerante, fanatische Kirche., das er nicht nannte, recht krank sei ... Ist es nicht bewundernswert, mein lieber Philosoph, wie sehr die Vernunft an Boden gewinnt, dieser Feind der Verfolgung, der so wacker arbeitet, um den Fanatismus lächerlich zu machen, ist ein Priester, der frühere Theologe der Enzyklopädie ...

Da man die braven Leute ermutigen muß, schicken Sie mir, bitte, ein freundliches Wort für diesen tüchtigen Priester, er verdient es durch seinen Eifer für die gute Sache und seine Verehrung für Sie.

Februar 1762.

 

422.

Ob ich die schöne Rechtswissenschaft der Inquisition gelesen habe? Ei ja, potz Blitz! die habe ich gelesen, und sie hat mir denselben Eindruck gemacht, den der blutige Leichnam des Cäsar auf die Römer machte. Die Menschen verdienen das Leben nicht, da es noch Holz und Feuer gibt, ohne daß man es benutzt, solche Ungeheuer in ihren Höhlen zu verbrennen.

Ferney, 25. Februar 1762.

 

423.

... Meslier Jean Meslier, ein Priester, dessen Testament Voltaire veröffentlichte. ist auch recht merkwürdig. Ein Exemplar geht an Sie ab; der gute Weizen war unter dem Unkraut seines Foliobandes Meslier war nicht nur Freidenker, sondern auch Sozialist, was Voltaire sehr mißfiel. erstickt. Ein guter Schweizer Voltaire selbst. hat davon einen sehr gewissenhaften Auszug gemacht, und dieser Auszug kann viel Nutzen stiften ...

Fräulein Corneille Eine Seitenverwandte des Dichters, die Voltaire bei sich erzog. ist sehr wohlerzogen, danken wir Gott, dem Schrecken des Klosters eine Seele entrissen zu haben. Was, Meslier hätte sterbend seine Gedanken über Jesus gesagt, und ich sollte nicht die Wahrheit über 20 abscheuliche Stücke Pierres Corneille. sagen und über die Fehler der guten? Wetter, ich werde reden; der gute Geschmack steht über dem Vorurteil, salvâ reverentiâ. Vernichten Sie die Inf ..., ich beschwöre Sie.

Ferney, 29. März 1762.

 

424.

... Um Gottes willen, machen Sie den Fanatismus, der es verursacht hat, daß ein Vater seinen Sohn erhenkte oder daß acht königliche Räte einen Unschuldigen rädern ließen, so verächtlich wie möglich Erste Erwähnung des Calasprozesses..

 

425. An Voltaire.

Paris, 4. Mai 1762.

Vernichten Sie die Inf ... wiederholen Sie mir unaufhörlich; du lieber Gott, mag sie sich doch selbst vernichten, sie eilt schneller, als Sie denken, ihrem Untergang zu ...

 

426. An d'Alembert.

Délices, 12. Juli 1762.

... Es scheint, das Testament von Jean Meslier macht großen Eindruck, alle, die es lesen, werden überzeugt; dieser Mann diskutiert und beweist. Er spricht im Augenblick seines Todes, dem Augenblick, wo selbst die Lügner die Wahrheit sagen: das ist das stärkste Argument. Jean Meslier soll die Welt bekehren. Warum ist sein Evangelium in so wenigen Händen? Wie seid ihr lau in Paris! Ihr laßt das Licht unter dem Scheffel ...

 

427. An Voltaire.

Paris, 31. Juli 1762.

Ich bin überzeugt, daß die meisten Stücke Corneilles heute nur mittelmäßigen Erfolg hätten ... werde mich aber hüten, es zu sagen, und noch mehr, es zu drucken, wenn ich nicht auf alle Zeiten aus dem Lande verwiesen werden will ... Das Publikum ist ein Tier mit langen Ohren, das sich von Disteln nährt, die ihm mit der Zeit überdrüssig werden; das aber schreit, wenn man sie ihm mit Gewalt wegnehmen will ...

Sie werfen uns unsere Lauheit vor; ich glaube, Ihnen aber schon gesagt zu haben, daß die Furcht vor dem Scheiterhaufen eine sehr abkühlende Wirkung hat. Sie möchten, daß wir das Testament des Jean Meslier drucken ließen und 4–5000 Exemplare davon verteilten, die Infâme, da sie nun doch einmal die Infâme ist, würde nur wenig oder gar keinen Schaden davon haben, uns aber würden sogar die von uns Bekehrten toll nennen. Die Menschen sind heute aufgeklärter, weil man die Vorsicht gebrauchte und das Glück gehabt hat, langsam vorzugehen. Schiene die Sonne plötzlich in einen Keller, so würden dessen Bewohner nur die Schmerzen empfinden, die ihnen das Licht an den Augen verursacht. Die Überfülle der Helligkeit könnte sie nur blind machen ...

 

428. An d'Alembert.

Schloß Ferney bei Genf, 15. September 1762.

... Es macht recht viele Mühe mit den Calas, langsam nur hat man eins nach dem andern erfahren, nur mit den größten Schwierigkeiten gelang es, die Kinder einzeln nach Genf und die Mutter nach Paris kommen zu lassen. Die Denkschriften wurden hintereinander, in dem Maße wie man unterrichtet wurde, verfaßt. Diese Denkschriften haben nur den Zweck, die Geister vorzubereiten, Gönner zu gewinnen ... um das Vergnügen zu genießen, ein Parlament und weiße Bußbrüder abscheulich und lächerlich zu machen Die Parlamentsräte und die Bruderschaften in Toulouse. ...

 

429. An Voltaire.

Paris, 25. September 1762.

Was Sie mir von Ihrer Gesundheit melden, mein lieber und erlauchter Meister, beunruhigt und betrübt mich. Ihre Unterhaltung und die Lektüre Ihrer Schriften lassen mich Gott so ernstlich dafür danken, weder blind noch taub zu sein, daß ich es sehr ungerecht fände, wollte er Sie an diesen beiden Sinnen strafen, die Sie allen denkenden Menschen so wertvoll gemacht haben. Ich hoffe, Sie werden das Augenlicht erhalten können, indem Sie es schonen, und ich bitte Sie darum. Betreffs der Ohren, weiß ich nur ein Mittel, möglichst wenig Dummheiten anzuhören; leider ist die Befolgung dieser Vorschrift nicht leicht ...

Paris, 8. Dezember 1763.

 

430.

... Es trifft sich glücklich, daß diese Fabeln Voltaires Streitschriften., die weit besser sind, als die des Aesop, hier ziemlich ungehindert verkauft werden können. Ich fange an zu glauben, daß der Buchhandel durch Herrn von Malesherbes Rücktritt nicht viel verloren hat. Man hat freilich den Literaten die Ehre angetan, sie demselben Ressort Dem Polizeiressort. zuzuweisen, wie die Freudenmädchen, denen sie, ich gestehe das ein, durch die Wichtigkeit ihres Gezänks, das Ziel ihres Ehrgeizes, die Mäßigung ihres Hasses und die Erhabenheit ihrer Gefühle auch ziemlich gleichen; mir scheint aber, daß sich niemand zu beklagen hat, wenn in Frankreich Presse, Religion und – sogenannte Liebe gleiche Freiheit genießen ...

 

431. An d'Alembert.

13. Februar 1764.

... Man kann nur dann aufhören, fanatisch zu sein, wenn man vorher aufhörte, absurd zu sein. Ich kann Ihnen versichern, daß das Buch Jean Meslier. einen sehr starken Eindruck auf alle seine Leser gemacht und einige bekehrt hat. Ich weiß, daß man sagt, die Philosophen verlangten die Toleranz für sich; es ist aber dumm und töricht zu sagen, wenn sie die Macht haben, werden sie keine andere Religion neben sich dulden ... Als ob die Philosophen je Fanatiker sein, ja Möglichkeit zur Verfolgung haben könnten Die Revolution von 1789 hat das Gegenteil bewiesen.. Gewiß, sie werden das Christentum nicht umbringen, aber das Christentum wird sie auch nicht vernichten; ihre Zahl wächst stetig, die jungen Leute, die einst die Macht in Händen haben werden, bilden sich bei ihnen; die Religion wird weniger barbarisch, die Gesellschaft gebildeter sein. Die Philosophen verhindern die Priester, Vernunft und Sitten zu verderben, machen die Fanatiker abscheulich und die Abergläubischen lächerlich. Kurz, sie können dem König, den Gesetzen und den Bürgern nur nützlich sein ...

Délices, 8. Mai 1764.

 

432.

... Haben Sie den Verlust von Madame de Pompadour Sie starb am 15. April 1764. Ihre Gunst hatte 19 Jahre gedauert, und sie hatte auch im Calasprozeß die Sache der Aufklärung gefördert. bedauert? Ich denke, ja; denn in ihres Herzens Grunde war sie mit uns; sie beschützte die Literatur, soweit sie konnte; nun ist ein schöner Traum zu Ende. Man sagt, sie sei mit einer Festigkeit gestorben, die Ihr Lob verdient. Alle Bäuerinnen sterben so, bei Hofe ist das seltner, weil man dort mehr am Leben hängt, und ich weiß nicht warum ...

7. September 1764.

 

433.

... Wahrlich, ich habe das Teufelsdiktionär gelesen, und es hat mich, gleich Ihnen, erschreckt; am meisten betrübt hat mich aber, daß es Christen gibt, die dieses schönen Namens unwürdig genug sind, um mich als Verfasser eines so antichristlichen Werks zu beargwöhnen Das »Dictionnaire Philosophique« oder »Portatif«, das Voltaire, weil die Enzyklopädie nicht mehr erscheinen durfte, auf eigene Hand und weit wirksamer verfaßte. ...

2. Oktober 1764.

 

434.

Zuerst beschwöre ich Sie, mein lieber großer Philosoph, bei Ihrem Seelenheil zu versichern, daß Ihr Bruder am »Portatif« keinen Anteil hat; denn Ihr Bruder schwört ... daß er diese Niedertracht nie geschrieben hat; und das muß man ihm glauben, denn die Brüder sollen nicht verfolgt werden. Ich bitte den Bruder daher nicht um offiziöse Lüge, sondern um offiziöses Geschrei; leisten Sie mir den großen Dienst, deutlich zu erklären, daß dieses von mir abgelehnte Buch nicht von mir ist, so können die Zunge der Verleumdung und die Hand der Verfolgung im Zaum gehalten werden ...

 

435. An Voltaire.

Paris, 4. Oktober 1764.

Sie wollen also durchaus, mein lieber Meister, nicht der Verfasser dieser alphabetischen Niedertracht sein, die zum großen Ärgernis der Garasse Ein streitbarer Jesuit des 15. /16. Jahrhunderts, Feind Théophiles de Viau. dieses Jahrhunderts durch die Welt läuft? Sie haben jedenfalls sehr recht, nicht als Verfasser dieses Höllenwerks angesehen werden zu wollen; ich sehe auch nicht, aus welchen Gründen man es Ihnen aufhängen sollte. Ersichtlicherweise ist das Werk von mehreren verfaßt, ich habe mindestens vier Autoren darin erkannt: Beelzebub, Astaroth, Luzifer und Asmodeus ...

 

436. An d'Alembert.

25. März 1765.

Ist es wahr, daß Helvetius Mit dem Voltaire seit langem befreundet war, ohne alle seine Ideen zu teilen; vgl. Anm. 2 auf Seite 43. in Berlin ist? Mir scheint, das Requisitorium des Abraham Chaumeix Der Denunziant der Enzyklopädisten. Vgl. den Brief Katharinas II. vom 22. 8. 1765, auf Seite 268/69. hat ihm eine Lähmung der drei Schreibfinger zugezogen. Wußte er denn nicht, daß man die Inf. ... in Stücke reißen kann, ohne jedoch seinen Namen auf den tödlichen Dolch zu gravieren? Madame Denis umarmt Sie von Herzen, ich auch.

5. April 1765.

 

437.

... Es gibt wenig denkende Menschen. Mein früherer Schüler auf dem Throne schreibt mir, daß auf tausend nur einer kommt, das gleiche gilt ungefähr von den im Umgang angenehmen Menschen; ist jetzt aber ein Tausendstel der Menschen vernünftig, so werden sie sich in zehn Jahren verzehnfacht haben. Die Welt wird schrecklich aufgeklärt. Von allen Seiten kommen die Anzeichen einer großen Umwälzung der Geister. Sie glauben nicht, welche Fortschritte die Aufklärung in Deutschland gemacht hat. Ich spreche nicht von den Gottlosen, die offenkundig zu Spinozas System übergehen, sondern von den gebildeten Leuten, die keine festen Grundsätze über die Ursache der Dinge haben, die nicht wissen, was ist, wohl aber wissen, was nicht ist: das sind meine wahren Philosophen ...

 

438. An Voltaire.

Paris, 13. August 1765.

Ich hätte, mein lieber und berühmter Meister, fast meine Pension Vgl. den Brief vom 22. 11. 1765, auf Seite 251. bei dem himmlischen Vater nachgesucht, der mich sicher nicht schlechter behandelt hätte, als man mich in Versailles behandelt. Eine Darmentzündung hat mich mit einem Fuß in Charons Nachen gebracht, in den ich, scheint mir, ohne Bedauern einstieg.

 

439. An d'Alembert.

18. September 1765.

Mein lieber und werter Philosoph, so haben Sie denn endlich Ihre Pension. Sie haben sicher für die galante Art, in der man sie Ihnen gegeben hat, herzlich gedankt. Man hätte diese Sache allerdings weder rascher noch mit mehr Entgegenkommen behandeln können ...

 

440. An Voltaire.

7. Oktober 1765.

So haben Sie denn, lieber Meister, gleich Bruder Damilaville geglaubt, daß ich endlich meine Pension habe, täuschen Sie sich nicht: freilich hat die Akademie einen zweiten und noch deutlicheren und offizielleren Versuch ... gemacht. Aber seit dem 14. August ... hat der Minister noch nichts verlauten lassen ...

Paris, 22. November 1765.

 

441.

Endlich, mein lieber Meister, hat man – nicht auf meine Bitten, denn ich habe nicht gebeten, wohl aber auf die wiederholten Schritte der Akademie, das öffentliche Verlangen und die Entrüstung aller Schriftsteller Europas – mir die herrliche Pension von 3–400 Frank zugestanden (größer wird sie nicht ausfallen), worauf man mich seit sechs Monaten warten zu lassen, für richtig hielt. Sie können glauben, daß ich mein Leben lang diese schwere und dumme Beleidigung nicht vergessen werde, ich sage Beleidigung, weil das Hinzögern mich mehr verletzt hat, als eine kurze Absage es getan hatte, die mich gerächt haben würde, indem sie ihre Urheber an den Pranger stellte.

Die Menschen verdienen nicht, daß man sie aufklärt, und selbst die, die unsere Anschauungen teilen, verfolgen uns Z. B. Monsieur de Malesherbes.

 

442. An d'Alembert.

26. Juni 1766.

... Die Gemeinde der Weisheit beginnt sich auch bei uns auszubreiten, wo vor 12 Jahren der finsterste Fanatismus herrschte. Die Provinzen werden aufgeklärt, die jungen Richter scheuen sich nicht mehr, zu denken, es gibt Generaladvokaten, die Anti-Omers sind Omer Joly de Fleury, Mitglied des Pariser Parlaments, Gegner der Schutzblatternimpfung, die Voltaire befürwortete. ...

1. Juli 1766.

 

443.

... Sind Sie der Mann, um sich nach diesem jungen Toren, de la Barre genannt, und nach seinen Kameraden zu erkundigen, die, weil sie Polyeucte und Néarque Zwei Personen aus Corneilles »Polyeucte«, die sich gegen den heidnischen Kultus auflehnen. nachahmten, so freundlich verurteilt worden sind, Hand, Zunge und Leben zu verlieren? Man meldet mir, sie hätten in ihren Verhören erklärt, durch die Bücher der Enzyklopädisten zu der Verrücktheit, die sie begangen haben, angeregt worden zu sein ...

 

444. An Voltaire.

16. Juli 1766.

Haben Sie, lieber Meister, einen gewissen Herrn Pasquier, Rat am Gerichtshof Pariser Parlamentsrat, der den Tod de la Barres entschieden hatte und sehr scharf gegen die Aufklärer aufgetreten war., gekannt, der vorstehende Augen hat und ein großer Schwätzer ist? Man sagt, sein Kopf gleiche einem Kalbskopf, dessen Zunge zum Rösten gut sei. Das ist nie wahrer gewesen als heute. Er und sein Geschwätz haben das Todesurteil der jungen Leute verschuldet, die man höchstens in Saint-Lazare Damals ein Pariser Gefängnis für leichtsinnige Jünglinge. einsperren dürfte. Er ist, sagt man, gegen die Werke der Philosophen losgezogen, obgleich er sie selbst in seiner Bibliothek hat und sie mit Vergnügen liest, ... denn er ist durchaus kein Frömmler ...

 

445. An d'Alembert.

4. Juni 1767.

... Gott erhalte Ihre Sorbonne in dem Schlamme, darin sie watet Dem Schlamme der Unwissenheit.. Die Vettel hat den Philosophen doch einen wesentlichen Dienst erwiesen. Von einem Ende Europas bis zum andern beginnt man die Augen zu öffnen. Der Fanatismus, der seine Schmach fühlt und der den Arm der Obrigkeit brauchen muß, gesteht wider Willen seine Niederlage ein. Die Jesuiten werden überall vertrieben, die polnischen Bischöfe zur Toleranz gezwungen Durch König August II. von Polen.die Werke eines Bolingbroke, Fréret und Boulanger Aufklärer. Mit Lord Bolingbroke war Voltaire befreundet gewesen. sind überall verbreitet, das bedeuten ebensoviel Triumphe der Vernunft. Segen über diese glückliche Umwälzung, die in den Geistern der Gebildeten seit 15–20 Jahren vor sich gegangen ist. Sie hat meine Erwartungen übertroffen. Was die Canaille Das niedere Volk, das keine Zeit hat, sich zu bilden. betrifft, so gebe ich mich mit der nicht ab, die wird ewig Canaille bleiben. Ich bebaue meinen Garten; freilich muß es auch Kröten geben, die ja die Nachtigallen nicht verhindern, zu singen.

Adieu, Adler; geben Sie den Käuzchen, die noch in Paris nisten, 100 Schnabelhiebe.

27. April 1768.

 

446.

Ja, ich habe das Abendmahl zu Ostern Um sich gegen Verfolgungen zu sichern. genommen, und was mehr ist, ich habe selbst das Weihbrot gereicht; wir hatten eine sehr gute Brioche Ein sehr leckeres Buttergebäck, das pain bénit gehört nicht zum Abendmahl, es wird als Zeichen der Gemeinschaft unter die Anwesenden verteilt. Damals stiftete es der Patronatsherr, in diesem Falle Voltaire. für den Pfarrer. Ich erfülle gern alle meine Pflichten und gestatte mir keine weltlichen Vergnügen mehr: ich habe die Priestergewänder, die mir bei den Aufführungen der »Semiramis« gedient haben Voltaire spielte gern bei sich Theater., dadurch geweiht, daß ich sie der Sakristei meiner Kapelle Voltaire hatte 1761 eine neue Kirche in Ferney errichtet. schenkte; ich werde vielleicht aus dem Theater eine Kleinjungenschule machen, wo ich über den Ackerbau unterrichten lasse. Dann will ich einmal sehen, ob Jansenisten und Molinisten Jesuiten; beide gingen fanatisch gegen die Aufklärer vor. mir noch etwas anhaben können; ... fährt man fort, mich zu verleumden, so lege ich diese neuen Prüfungen am Fuße meines Kreuzes nieder. Bei meinem Tode habe ich die Absicht, Sie mit meiner Kanonisierung zu beauftragen. Einstweilen seien Sie überzeugt, daß es keinen Bußfertigen gibt, der Sie mehr liebt als ich ...

 

447. An Voltaire.

Paris, 13. Mai 1768.

Gott ist mein Zeuge, lieber Meister, wie sehr ich von dem Schauspiel erbaut bin, das Sie am vergangenen 3. April gegeben haben ... indem Sie das Weihbrot zur großen Freude des himmlischen Jerusalem ... austeilten ... Der Tiger mit den Kalbsaugen Parlamentsrat Pasquier, vgl. Anm. 3 auf Seite 252. liebt die Brioche sehr, und Sie sollten ihm bei der nächsten Wiederholung dieser schönen Zeremonie eine schicken, denn ich weiß, er sucht sich jetzt von den bösen Reden, die man ihm zuschreibt, rein zu waschen. Trauen Sie ihm jedoch nicht zu sehr; denn timeo Danaos et verba ferentes. Vor allem ersuchen Sie, wenn Sie können, die Herren Charol oder Grasset und deren Gevatter Michel Rey Ein bedeutender holländischer Verleger, bei dem die meisten Aufklärungsschriften erschienen, auch solche Voltaires. nicht so viel Zeug zu drucken, das man die Einfalt hat, Ihnen zuzuschreiben ...

Paris, 31. Mai 1768.

 

448.

Ich benutze, lieber erlauchter Meister, eine Gelegenheit, die sich bietet, um Ihnen anders als durch die Post zu schreiben und Ihnen frisch von der Leber weg meine Ansicht zu sagen. Ich weiß, Sie beklagen sich über Ihre Freunde, und was diese von der Zeremonie, die Sie vergangene Ostern glaubten vollziehen zu müssen, gesagt haben, oder wie Sie meinen, haben sagen lassen. Ich weiß nicht, ob einer unter ihnen sie laut getadelt hat, es steht jedenfalls fest, daß ich zu diesen nicht gehöre, es steht jedoch auch nicht minder fest, daß ich sie in Ihrer Lage nicht billigen kann. Vielleicht habe ich unrecht, denn Sie kennen ja besser als ich die Gründe, die Sie dazu bestimmt haben, ich kann aber nicht umhin zu fragen, ob Sie sich diesen Schritt auch reiflich überlegt haben. Sie kennen die Wut der Frömmler gegen Sie; wissen, daß sie Ihnen, freilich ohne Beweis, aber doch als Behauptung alle Flugschriften zuschreiben, die gegen ihr Idol auf den Markt kommen. Alle sind überzeugt, daß Sie ihm Verderben geschworen haben, und fürchten sogar, daß Sie damit Erfolg haben könnten. Sie können sich denken, ob sie Sie hassen, und ob sie bereit sind, jede Gelegenheit, Ihnen zu schaden, zu benutzen! Haben Sie geglaubt, diese Leute durch Ihren neuerlichen Entschluß von der Fährte zu locken? Die meisten gehen zur Osterbeichte, ohne zu glauben; sie halten Sie sicher nicht für dümmer als sich selbst und betrachten Ihre Beichte daher nur als eine weitere Anstößigkeit: so äußern sie sich darüber ... Ich fürchte daher, lieber Freund, daß Sie an dieser Komödie, die vielleicht für Sie gefährlich ist, nichts gewonnen haben Voltaire war darüber anderer Ansicht. Vgl Voltaires Brief an d'Argental vom 22. 4. 1768, auf Seite 141/43. – D'Alemberts Befürchtung erwies sich als grundlos. ... !

Paris, 17. Dezember 1768.

 

449.

Ich liege zu Bett mit einem Schnupfen, lieber erlauchter Meister, und bediene mich eines Schreibers, um Ihnen sofort zu antworten. Ich wundere mich, daß Sie einen Brief nicht erhalten haben, in dem ich Ihnen vor 14 Tagen den traurigen Zustand unseres armen Freundes Damilaville Voltaire war mit diesem eifrigen Enzyklopädisten recht befreundet gewesen. meldete, der am 13. dieses Monats zu leben oder richtiger zu leiden aufgehört hat. Seit drei Wochen war das Leben nur noch eine Qual für ihn, er hatte fast keine Besinnung, und sein Tod ist ein Verlust nur für seine Freunde. Man hat ihm die Beichte abgenommen, ohne daß er etwas verstanden, und ihm die letzte Ölung gegeben, ohne daß er es verspürt hatte ...

 

450. An d'Alembert.

23. Dezember 1768.

... Ich werde Damilaville mein Leben lang betrauern. Ich liebte die Unerschrockenheit seiner Seele und hoffte, daß er am Ende meine Zurückgezogenheit teilen würde ...

13. Januar 1769.

 

451.

Ich schicke Ihnen, mein lieber Philosoph, Ihren dänischen Hund D'Alemberts Rede in der Académie française, die er in Gegenwart des Königs von Dänemark gehalten hatte. wieder, er ist schön, wohlgebildet, mutig, kräftig, und taugt mehr als all diese kleinen Schoßhündchen, die in Paris lecken und belfern ...

 

452. An Voltaire.

Paris, 22. Februar 1770.

Wie glücklich sind Sie, lieber erlauchter Meister, mit Ihren 66 Jahren noch mehrere Stunden täglich arbeiten zu können. Seit zehn Wochen bin ich gezwungen, auf jede Art Arbeit zu verzichten, mein Kopf ist so schwach, daß ich Ihnen kaum zu schreiben imstande bin. Er ist fast so wirr wie die Bewegungen des neuen Generalfinanzkontrolleurs, von dessen schönen Operationen auch Sie gehört haben werden Der Abbé Terrai, der, um den Finanzen aufzuhelfen, einen teilweisen Staatsbankrott bewirkte und einfach die Zinsen gewisser Staatsanleihen nicht auszahlte., so wirr wie der der armen Verleger der Enzyklopädie, deren traurige Geschäftslage Ihnen sicher bekannt geworden ist Sie sind schließlich noch auf ihre Kosten gekommen.. Gern würde ich kommen, Ihre Einsamkeit zu teilen, kann aber in dem Zustand, in dem ich bin, keinen Ortswechsel vornehmen, obgleich ich mich hier nicht wohl fühle ...

Sie machen die Enzyklopädie also ganz allein? Die Fortsetzung des »Dictionnaire Portatif«. Sie haben recht, man hat zu viele Tagelöhner bei diesem Unternehmen beschäftigt und zu viel unnützes Geschwätz mit aufgenommen. Wahrlich, es lohnt der Mühe, solche Angst davor zu haben und arme Verleger deshalb zu ruinieren! Es ist ein Narrenkleid mit einigen Stücken guten Stoffs und gar zu viel Lumpen ...

 

453. An d'Alembert.

Ferney, 27. April 1770.

Es hat nicht den Anschein, lieber Philosoph und Freund, als ob Sie dem lebenden Voltaire eine Statue errichten werden; eher dem sterbenden. Ich kann nicht weiter; seit einigen Tagen fühle ich, daß ich am Ende meiner Kräfte bin. Ich betrachte mich bei Ihrem edlen Unternehmen als der, welcher den Namen gibt. Will man ein Denkmal gegen Fanatismus und Verfolgung aufrichten, so müßte man Sie oder Diderot an diese Stelle setzen; ich bin nur eine Vorstufe.

Bitte, geben Sie dem Denkmal keinen Kapuzinerbart; denn bin ich auch Kapuziner, so trage ich doch den Bart nicht Voltaire war wegen einer Gefälligkeit, die er den Kapuzinern in Gex erwiesen hatte, zum Laienkapuziner ernannt worden.. Es wäre nicht übel, wenn Friedrich II. sich unter die Subskribenten einreihen wollte; das würde freigebigen, aber armen Literaten ihr Geld ersparen. Er schuldet mir diese Genugtuung, und Sie sind der einzige, um ihm dieses gute philosophische Werk vorzuschlagen Im Salon von Mme. Necker war die Errichtung einer Statue Voltaires angeregt worden; vgl. auch den Brief Nr. 253 auf Seite 154 ...

7. Juli 1770.

 

454.

... Sie sind der Freund des Erzbischofs von Toulouse. Ich bin sicher, daß Sie ihn zur Subskription aufgefordert haben, da er unser Kollege ist. Das ist aber nicht genug, er soll auch zu den Rächern der Unschuld gehören. Alle Jugend vom Toulouser Parlament ist zu den Philosophen übergegangen, alle Tage erhalte ich davon deutliche Beweise, die Alten freilich sind noch barbarische Druiden. Madame Calas, die ich gestern mit all ihren Kindern umarmte, sagte mir, daß der Generalprokurator Riquet das Urteil gefällt hatte, sie zu hängen und einen ihrer Söhne mit Lavaisse zu rädern. Diesen Teufelsanwalt haben wir auch in der Sirvenaffäre gegen uns. Wir verlangen bedeutende Entschädigungen, die man uns auch schuldig ist; Riquet ist dagegen. Können Sie uns die Protektion des Erzbischofs besorgen? Man muß sich manchmal mit alten Feinden gegen die neuen verbinden.

Mit Genf liege ich etwas im Krieg, weil ich etwa 100 Genfer bei mir aufgenommen und hier sofort eine bedeutende Uhrenfabrik errichtet habe, die Genf Konkurrenz macht. Der Herzog von Choiseul unterstützt mich aus allen Kräften, macht meine Sache zu der seinen, die Herzogin bestärkt ihn noch, und wir sind ihm äußerst verpflichtet. Die allgemeine Duldung herrscht bei mir in höherem Maße als in Venedig Wegen innern Zwistigkeiten hatte eine Anzahl Genfer Bürger Genf verlassen, und sie waren von Voltaire in Ferney aufgenommen worden. Der Minister des Auswärtigen, Herzog von Choiseul, protegierte die aufblühende Kolonie, in der Protestanten und Katholiken miteinander in Frieden lebten. ...

 

455. An Voltaire.

26. Dezember 1772.

Ja, ja, gewiß, mein lieber und erlauchter Freund, ich werde den reizenden Brief, den der König von Preußen Ihnen geschrieben hat, überall zu lesen geben, ohne jedoch Abschriften davon nehmen zu lassen. Dieser Brief macht in erster Linie dem Fürsten, der ihn schrieb, Ehre; dann Ihnen, der das nicht gerade nötig hat; endlich der Literatur und Philosophie, die in dem Zustande der Unterdrückung, unter der sie seufzen, dieses Trostes wohl bedürfen Friedrich II. hatte sich sehr bereitwillig an der Subskription für Voltaires Statue beteiligt, und Voltaire lag daran, daß diese Genugtuung überall bekannt wurde.. Sie können sich nicht denken, welchen Grad die Wut der Inquisition erreicht hat. Die Beamten bei der Gedankensteuer, königliche Zensoren genannt, streichen aus den Büchern, die man ihnen freundlichst unterbreitet, die Worte Aberglauben, Tyrannei, Toleranz, Verfolgung, ja sogar Bartholomäusnacht; denn am liebsten bereitete man uns allen eine solche ...

 

456. An d'Alembert.

8. Februar 1775.

Mein großer Bertrand, unser aller Meister, Sie lassen Ihren alten Raton Bertrand und Raton, zwei muntere Spießgesellen, deren Namen d'Alembert und Voltaire sich hier zulegen. links liegen, seit Sie unter dem Namen des Sekretärs der Akademie Sekretär der Geistlichkeit sind. Ich bin nicht mehr der glückliche Raton, den Sie manchmal die Kastanien für Sie aus dem Feuer holen ließen. Ich hole nur die Kastanien für mein kleines Ländchen Gex aus dem Feuer und habe bei diesem Abenteuer die Pfoten der Generalsteuerpächter mehr verbrannt als die meinen. Es ist ein schönes Gefühl, mein neues kleines Vaterland von der Habgier jener 78 Häscher befreit zu haben, die nichts anderes waren als 78 Straßenräuber, die im Namen des Königs wüteten Voltaire betrieb die Steuerbefreiung des Ländchens Gex insofern, als er, von den dortigen Ständen unterstützt, der Generalsteuerpächterei anbot, ihre Beamten zurückzuziehen und sich mit einer jährlichen Pauschalsumme für die indirekten Steuern zu begnügen..

 

457. An Voltaire.

24. Juni 1776.

Ich habe Ihnen mein Unglück Der Tod von Mlle. de Lespinasse. nicht mitgeteilt, lieber und sehr verehrter Meister, erstens weil ich nicht die Kraft zu schreiben hatte, dann weil ich nicht zweifelte, daß ein gemeinsamer Freund Sie unterrichtet. Den Trost der Philosophie werde ich erst empfinden, wenn sie mir Schlaf und Appetit wiedergeben wird, die ich verloren habe. Mein Leben und meine Seele sind leer, und der Abgrund des Schmerzes, in dem ich mich befinde, scheint mir bodenlos. Ich versuche, mich aufzurütteln und zu zerstreuen, bisher ohne Erfolg. Ich habe seit einem Monat, wo mich dieses furchtbare Unglück betraf, mich nur mit einer Lobrede beschäftigen können, die ich bei Laharpes Aufnahme In die Académie française. vorlas und in der sich mehrere Anspielungen auf meine Lage befanden, die das Publikum die Freundlichkeit hatte, mit zu empfinden und zu verstehen. Dieser Erfolg hat meine Trauer nur vergrößert, da die unglückliche Freundin, die es interessiert hatte, ihn ja nie erfahren wird.

Adieu, mein lieber Meister; wenn meine arme Seele ruhiger und weniger zerrissen sein wird, werde ich Ihnen von andern Schmerzen schreiben, die ich mit Ihnen teile, die aber in diesem Augenblick von einem größeren und durchdringenderen Leid beherrscht werden. Erhalten Sie sich uns, und lieben Sie stets tuum ex animo.

 

458. An d'Alembert.

Paris, 19. März 1778.

Ich sehe gern durch Ihre Fenster, lieber Meister, und noch mehr durch Ihre Augen. Sie sind mein Sehender. Obgleich ich wie tot bin, gedenke ich doch heute in die Akademie Voltaire war am 10. Februar in Paris eingetroffen und hatte dort eine rastlose Tätigkeit entfaltet; durch ihn erhielten die Arbeiten der Académie française am »Dictionnaire« einen neuen Antrieb. – Er starb in Paris am 31. Mai 1778; vgl. auch Anm. 5 auf Seite 174 zu kommen. Ich werde versuchen, selbst gut zu sehen und die andern sehend zu machen, und von morgen ab mich ununterbrochen an die Arbeit zu setzen. Ich will sterben in gemeinsamer Aufklärung mit Ihnen und in Ihrem Dienst.


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