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Die Kupplerin

Lo Hollander besaß, seitdem sie im vergangenen Frühjahr ihr Elternhaus verlassen hatte, in Erkner ihre eigene Villa.

Ein Amerikaner hatte sie ihr geschenkt, Mister Bernt Mackenzie aus New-York, den sie drüben den Drahtkönig nannten, da alles, was mit der Erzeugung von Draht zusammenhing, in den Trust fiel, den er beherrschte.

Es war eine Laune von ihm gewesen, die er sich, wie er ihr lachend sagte, leicht leisten konnte. Er hatte die Villa für sechstausend Dollars bekommen. War eine Lo Hollander, die Tochter eines Mannes, der in Deutschland immerhin Geltung gehabt hatte, diese Summe nicht wert?

Es hörte sich eigentlich wie ein Märchen an, wenn man die Sache erzählte, und doch war sie im Grunde nur ein Abenteuer, wie deren in den Straßen Berlins täglich wohl Hunderte passieren mögen.

Auf der Straße hatte es sich auch zugetragen, im Berliner Westen, gegen zehn Uhr abends. Um diese Zeit stieg Mister Bernt Mackenzie, der in Bezug aus sein Alter schon recht reif und in Hinsicht auf seine äußere Erscheinung keineswegs ein Adonis oder auch nur sympathisch war, einem jungen Mädchen nach, das ihm durch ihr rotes Haar auffiel und ihn auch fesselte. Er schloß nicht mit Anrecht daraus, daß es gefärbt sei. Und daraus zog er auf seine Art gewisse Folgerungen, wie er es in solchen Fällen immer zu tun pflegte.

Sie gipfelten darin, daß er das junge Mädchen ansprach, da er sie für etwas hielt, das sie noch gar nicht war. Aber gerade dieser Umstand schmeichelte Lo und machte ihr Herrn Bernt Mackenzie sympathisch. Er hatte für sie den richtigen Ton getroffen.

»Sie täuschen sich,« erwiderte sie ihm lachend in reinstem Englisch, »die, die Sie in mir vermuten, – die bin ich nicht!«

Und sie setzte mit einem Blick, der Mister Bernt Mackenzies Erscheinung prüfend abschätzte, hinzu: »Nein, – leider ...«

»Well,« meinte er sachlich, »Sie brauchen ja nur zu wollen, – und dann sind Sie's, Sie Kind!«

Und auf seine kurze, geschäftsmäßige Art nannte er, als er endlich heraus hatte, wer sie sei, den Preis. Der war eben jene Villa in Erkner, die er soeben gekauft hatte, – wie so manches andere auch, für das er im Grunde gar keine Verwendung hatte. Nun, für diesen einen Zweck eignete sich das hübsche Haus recht gut. Und Lo imponierte das Angebot, gerade weil es so ungewöhnlich und so frech war. Sie sagte nicht nein, und der Handel war gemacht ...

Mister Bernt Mackenzie reiste schon am nächsten Morgen wieder ab, – über Köln nach Paris und von dort über London in seine Heimat.

Lo ließ er in der Villa in Erkner allein zurück, und trocken-nobel wie er war, fügte er dem Geschenk, das er ihr mit dem Haus gemacht hatte, noch einen Scheck aus zweitausend Dollars hinzu, der ihr, ohne daß sie ihrer Mutter lästig zu fallen brauchte, für die nächste Zeit erlaubte, sich auch in Erkner draußen den gewohnten Diener und die unentbehrliche Zofe zu halten.

So nebenbei schenkte er ihr auch noch ein Auto, für das er gleichfalls keine Verwendung mehr hatte. Und er verabschiedete sich von ihr mit der Versicherung, daß sie wohl selbst am besten wissen werde, was sie zu tun habe, um ihren Weg zu machen.

Lo wußte das. Sie war vor einigen Tagen eben neunzehn Jahre alt geworden ...

Ja, auf diese Weise war es gekommen, daß Lo Hollander, einen Tag zuvor noch ein junges Mädchen der allerbesten Gesellschaft, – was geworden war?

Das war schwer zu sagen. Das, was ihr vorschwebte, war sie noch nicht so ganz geworden, wenigstens nicht in der Art der Frauen, die von einem Gewerbe leben, das im Grunde gar kein Gewerbe ist. Dem stand als Hindernis schon die Tatsache entgegen, daß sie selbst reich war oder es doch zu sein glaubte.

Aber jedenfalls war sie auf dem besten Wege dazu, ›so eine‹ zu werden, und es kann nicht geleugnet werden, daß dies auch ihr ganz fester Wille war. Versprach sie sich doch unerhörte Sensationen davon, wie sie andererseits auch glaubte, daß sie steigen werde, – auf die Art der Buhlerinnen vergangener Jahrhunderte, die an der Seite von Mächtigen ganze Völker beherrscht hatten.

Denn sie war trotz ihrer Jugend nicht nur schon von Grund aus verdorben, sondern auch ehrgeizig. Seinen Ehrgeiz aber, so meinte sie, könne ein Weib nur voll befriedigen, indem sie sich nicht dem Gefühl, sondern mit Haut und Haaren der Lust verschreibe. Und das wollte sie.

Sie konnte es auch, weil sie seit dem Tage, da ihrem Vater jenes Unglück zugestoßen war, von dem noch an anderer Stelle zu reden sein wird, so herrlich frei war. Genau so frei wie ihr Bruder Adalbert, der nun gleichfalls sein eigenes Leben lebte, ohne sich um die Mutter zu kümmern, die ja nicht minder ihre eigenen Wege ging.

Freilich, Frau Ruth Hollander war erschrocken, als ihre Tochter nach jenem ersten Abenteuer mit dem Amerikaner nicht mehr nach Hause zurückgekehrt war, aber sie hatte sich ebenso schnell wieder beruhigt, als Lo ihr schrieb, sie möge sich keine Sorgen machen: das nötige Dekorum nach außen hin werde sie, Lo, bestimmt wahren!

Auf dieses Dekorum allein, das man den Leuten gegenüber wahrte, kam es ja schließlich an. Im Grunde war Frau Ruth Hollander sogar froh, ihre Tochter nun los zu sein, da sie nur eine ständige Mahnung war, daß sie, Frau Ruth, bald vierzig wurde. Ach, was hatte sie, ehe sie endgültig alt und damit erledigt war, noch alles nachzuholen!

Das hatte sich im Frühjahr ereignet, und jetzt war es Winter. Man mußte sagen, daß Lo diese Zeit nicht hatte verstreichen lassen, ohne zu lernen und zu gewinnen.

Während sie an diesem trüben Novembernachmittag in ihrem Boudoir Zigaretten rauchend auf der Ottomane lag, stilvoll angekleidet und sich behaglich streckend, zog sie im Geiste eine Bilanz über das verflossene halbe Jahr. Sie addierte zuerst die Aktiv-, dann die Passiv-Posten und wog schließlich deren beide Summen gegeneinander ab. Sie war nicht unzufrieden, denn es ergab sich ein Gewinnposten für sie.

Dieser bestand vor allem in einer Erkenntnis. In der Erkenntnis nämlich, daß sie sich nicht getäuscht hatte. Ihre Vermutung, daß ein heftiges Verlangen nach ihr sein werde, wenn sie es nur verstünde, sich richtig anzupreisen, hatte sich nicht als falsch erwiesen.

Und sich effektvoll und dennoch mit einem gewissen Takt in Szene zu setzen, das hatte sie verstanden. Beweis: das Ergebnis. Wieviele Liebhaber hatte sie gehabt?

Wenn sie die Belanglosen strich, dann verblieben noch immer drei, denen man schon einige Geltung zusprechen konnte. Aber auch über diese, so stellte sie fest, war sie nun endgültig hinaus.

Zum Beispiel Viktor Lorrinser ...

Sie belächelte sich spöttisch, wenn sie daran dachte, daß sie ihn noch vor einem Jahr aus der Distanz angeschwärmt hatte, wie ein moderner Backfisch aus Berlin W., der heimlich von Dingen träumt, die so süß sind, weil sie verboten sind.

Nun kannte sie ihn persönlich, und zwar kannte sie ihn so, wie nur ein Weib, das entschlossen und auch fähig ist, der Lust bis an ihre letzten Abgründe zu folgen, einen Mann kennen kann.

Er war ein Dichter und schrieb so lasterhaft, daß er binnen wenigen Jahren der anerkannte Liebling geworden war. Er gab sich als Grandseigneur, wollte die halbe Welt kennen, hatte sich insbesondere im Orient und in Indien umhergetrieben, und wenn nach Ablauf eines Jahres das fällige Buch von ihm erschien, dann durfte man sicher sein, daß es in seiner Art wiederum ein Gipfel und eine noch nie dagewesene Sensation war.

Er beherrschte die Tonleiter des Sinnlichen wie kein Zweiter und schlug mit Vorliebe die Saiten des Unheimlichen an, so daß eine Melodie laut wurde, die teils sehr süße Gefühle, teils Gefühle des Grauens weckte. Diese Mischung hatte er, das mußte man ihm lassen, heraus.

War es also ein Wunder, daß Lo danach gebrannt hatte, seine persönliche und intime Bekanntschaft zu machen, um von ihm zu lernen?

Sie bedauerte heute ihre naive Neugier, denn das Fazit jenes Erlebnisses mit ihm, das gar keins gewesen war, drückte sich neben den zehntausend Mark, die es ihr mit Mühe und Not gebracht hatte, nur in einer groben Enttäuschung aus.

Lorrinser, der so berückend schrieb, der brünstige Szenen malte und in perversen Tönen und Farben schwelgte, erwies sich als ein Talmi-Gentleman, der sparsam und kleinlich die Kleider auftrug, die von wirklichen Kavalieren abgelegt worden waren. Er war, wenn man ihn scharf ins Auge faßte, eine Ausgabe aus zweiter Hand, ein Schundroman in schlechter Übersetzung, ein bloßer Wortemacher und im übrigen als Mann ein Wrack.

Er war das Wrack eines Mannes, der auch in seiner Jugend nie einer gewesen war, und der es nun, da er alt und reich war, doch um jeden Preis sein wollte. Das heißt, nicht um jeden Preis. Denn auch um diesen feilschte er noch, so daß man, wenn man nach einer kläglichen Nacht neben ihm erwachte, das Gefühl hatte, er werde nun sein Notizbuch ziehen und rechnen ...

Und Samuel Friedenthal?

An diesen Mann dachte Lo schon mit geringerem Widerwillen, da er sie wenigstens in einer Beziehung nicht so ganz enttäuscht hatte.

Ja, eine gewisse Großzügigkeit in Geldsachen mußte man ihm schon lassen, wenn er sich darin auch nicht mit Mister Bernt Mackenzie aus New-York messen konnte, der für eine flüchtige Laune das Gleiche geopfert hatte, wofür ein Samuel Friedenthal so etwas wie echtes Gefühl beanspruchte.

War es nicht erstaunlich, wie dumm die Männer waren, wie dumm und in den Vorstellungen, die sie sich von den Frauen machten, wie primitiv?

Das war nun derselbe Samuel Friedenthal, der als einer der gerissensten Bank-Jobber Berlins galt! Ein Greis, der in seinem eigenen Fett zu ersticken drohte, der mit den Händen redete und der, wenn ihm in intimen Stunden leidenschaftliche Geständnisse entschlüpften, doch in den Jargon fiel!

Was verlangte er, der, seit er die Schule verlassen hatte, bestimmt nur noch in Kursen und Zahlen gedacht und gelebt und der Gott und die Welt betrogen hatte?

Er verlangte Liebe!

Echte Liebe und ewige Treue dazu, an die er auch glaubte, da er sie ja, wie er meinte, glänzend bezahlte!

Das war so dumm, daß es eben durch seine Dummheit wiederum versöhnte, und das wahrhaft entsetzte Gesicht, das Samuel Friedenthal gemacht hatte, damals, als er sie mit John erwischt hatte, – dieses Gesicht, das gerechteste Empörung, Abscheu und ohnmächtige Wut zugleich ausdrückte, würde Lo niemals vergessen und um seinetwillen würde sie Samuel Friedenthal auch in ewig dankbarer Erinnerung behalten!

Freilich, der kleine John ...

Dieser besaß für Lo nur diesen Vornamen, denn im Grunde stellte er nur eine nette Sache vor, mit der man spielte.

Er roch nach Stall und konnte sich entzückend rüde benehmen, was ja begreiflich war, da er zu den erfolgreichsten Jokeys in Karlshorst zählte.

Sehr klein war er, sehr dünn und leicht und doch ungemein energisch und ohne alle Furcht. Er war sehr wohl imstande, den Mann herauszukehren, er fluchte und spuckte und schlug auch zu. Es war das Prächtige an ihm, daß er keine Spur von Seele hatte, daß er so ganz triebhaft und rein Tier war, das Männchen, das nur das eine wollte und sonst nichts.

Lo hatte Verständnis für dergleichen, und eben weil er so war, wie er war und wie sie auch selbst sein wollte, eben deshalb kam sie fast in Gefahr, ihn lieb zu haben und sich an ihn zu verlieren.

Aber rechtzeitig besann sie sich noch, und lachend ließ sie ihn eines Tages von ihrem Diener zur Tür hinauswerfen. Er verrechnete sich arg, wenn er meinte, er könne ihr das, was ihr ein Samuel Friedenthal für geheuchelte Gefühle bezahlte, durch reelle Schläge wieder abnehmen. Immerhin, es beschlich sie ein drolliges Gefühl von Wehmut, wenn sie die blauen Flecke an ihrem Körper betrachtete, die von ihm herrührten, und den Stallgeruch, den er immer mitgebracht hatte, vermißte sie eine Zeitlang noch stark ...

Lo warf die halb ausgerauchte Zigarette fort, gähnte und sprang auf.

Sie trug ein dünnes Gewand aus chinesischer Seide, dessen Farben ihrem Haar einen vorzüglichen Rahmen gaben. Dies Haar war brennend rot.

Sie trat vor den Spiegel, betrachtete sich und war sehr zufrieden.

Sie lächelte fast kindlich. Sie wußte, daß sie nicht dadurch wirkte, daß sie schön war, sondern durch ein Etwas, das sich mit Worten schwer ausdrücken ließ. Sie verhieß Lustgefühle, nach denen das Verlangen nur ganz heimlich in der Phantasie des Mannes lebt, und man fühlte, daß sie sich nicht nur des Geldes wegen preisgab, das man ihr schenkte, sondern weil Lust und Sinnlichkeit allein die Elemente waren, in denen sie atmen konnte ...

Sie klingelte nach ihrer Zofe, und diese meldete ihr, daß die Dame, die ihr Kommen angekündigt habe, schon da sei und fragen lasse, ob das gnädige Fräulein sie empfangen wolle.

»Ja,« sagte Lo, »führen Sie sie herein.«

Lo griff noch einmal nach dem Brief, den sie am Morgen empfangen und der sie veranlaßt hatte, nicht nach Berlin hinein zu fahren, wo sie für diese Stunde eigentlich ein Rendez-vous vereinbart hatte. Er war mit ›Beate Freifrau von Seckendorf‹ unterzeichnet. Diesen Namen kannte sie.

Sie kannte ihn als einen solchen, der in Kreisen, in denen man noch einigen Wert auf Sauberkeit des Charakters legte, als außerordentlich anrüchig galt. Nicht daß man Frau von Seckendorf direkt etwas hätte nachweisen können. Nein, aber man munkelte allerlei über sie.

Unmöglich hatte sie sich freilich schon durch ihren geschäftlichen Verkehr mit allerhand notorischen Schiebern gemacht, deren Spezialität die unerlaubte Ausfuhr von Gold und fremden Devisen nach dem Ausland bildete. Aber das hatte man noch immer mit der Not ihrer materiellen Lage entschuldigt. Sie war zwar kinderlos, aber ihr Mann, der schon im Frieden über seine Verhältnisse gelebt hatte, war als Offizier im Kriege gefallen und hatte sie in völliger Verarmung zurückgelassen. Sie war erst vierzig Jahre alt und hatte wohl keine Lust, sich den geänderten Verhältnissen ohne Kampf zu fügen. Da hatten sich die Dinge eben entwickelt, wie sie sich entwickeln mußten.

Trotzdem, es war kaum glaublich, daß eine Frau von ihrer Abkunft hätte so tief sollen sinken können. Was man ihr nachsagte, war nämlich nichts weniger als dies: daß sie das Handwerk einer Kupplerin ergriffen habe und ausübe. Nicht öffentlich natürlich und nicht in jenen groben Formen, in denen es etwa ein Weib ausübt, das nur auf einen bürgerlichen Namen hört. Nein, es hieß, sie habe ihre Kundschaft in den allerfeinsten und allerzahlungsfähigsten Kreisen, insbesondere unter den reichen Ausländern, und die Frauen und Mädchen, mit denen sie jenen die Bekanntschaft vermittle, rekrutierten sich auch keineswegs aus dem üblichen Abschaum der Straße ...

Was an diesen Gerüchten Wahres war, das ließ sich natürlich nicht feststellen. Ausschlaggebend für Lo war nur das eine, daß sie diese Gerüchte kannte und auch glaubte. Deshalb sah sie dem Besuche der Frau von Seckendorf mit großer Neugier entgegen.

»Freifrau von Seckendorf,« meldete in diesem Augenblick die Zofe.

Eine Dame trat ein, die auf Lo sofort den allerbesten Eindruck machte. Man sah ihr ihre vierzig Jahre kaum an. Sie trug sich sehr apart und sehr diskret und wahrte die Formen der allerbesten Gesellschaft. Wer sie also sah, dem wäre der Gedanke, daß sie einem schändlichen Handwerk obliege, geradezu als absurd erschienen. Mit einigen verbindlichen Worten des Dankes nahm sie auf dem ihr von Lo angebotenen Stuhl Platz.

Beide Frauen benützten die einleitenden konventionellen Phrasen, die sie wechselten, nur dazu, um sich gleichsam zu prüfen. Nicht mit dem, was sie einander sagten, verständigten sie sich schon von vornherein, sondern mit dem, was hinter ihren Worten und was insbesondere in ihren Blicken lag. Frauen haben ja für diesen Blick, der sich für den Bruchteil einer Sekunde völlig preisgibt, einen feinen Instinkt. Lo lächelte verständnisvoll, und Frau von Seckendorf wußte damit auch schon, wie weit sie gehen und daß sie unter allen Umständen auf Diskretion rechnen dürfe. Trotzdem lag es wohl zunächst an Lo, daß sie der anderen, die die schwerere Aufgabe hatte, helfend entgegenkam.

»Wie geht es Ihnen?« fragte Frau von Seckendorf.

Lo machte eine Geste, die nicht allein auf die glänzende Einrichtung ihres Zimmers hinwies, sondern auf ihr Haus überhaupt und auf alles, das ihm gehörte. »Wie Sie sehen, recht gut!«

»Ich bewundere Sie, liebes Kind!«

Frau von Seckendorf tat diesen Ausruf im Tone einer herzlichen Begeisterung, die nicht gespielt war. Dabei musterte sie die glänzende Erscheinung Los mit den Augen einer Mutter, die auf ihre Tochter ungemein stolz ist. Lo fühlte sich von ihr angezogen. Sie nickte ihr dankbar lächelnd zu.

»Sie haben das gewisse Etwas, das sich durchsetzt,« fuhr Frau von Seckendorf fort. »Ich möchte daraus schwören, daß Sie nicht mehr allzu lange in Berlin sein werden ... Deutschland ist arm geworden,« setzte sie nach einer Weile hinzu, indem sie seufzte.

»Doch nicht so ganz,« warf Lo wie beiläufig hin.

Frau von Seckendorf schüttelte den Kopf. »Glauben Sie mir, das alles ist Blendwerk, sonst nichts ... Oder haben Sie eine Abneigung gegen das Ausland?«

»Fm Gegenteil!« rief Lo aus.

»Denken Sie an Paris! ... Ein Mädchen, das hier in Berlin Beziehungen anknüpft, das wirft sich weg. Das ist meine Ansicht. Man lebt hier nur für den Augenblick. In Paris aber kann man steigen.«

Lo hörte Frau von Seckendorf aufmerksam zu. Diese sprach kühl und doch mit einem Unterton von Begeisterung, die echt war. Sie wies auf das Großzügig-Internationale der Gesellschaft hin, das Paris bevölkerte, und sie sprach von London und von New-York. Amerika, das sei zur Zeit der Gipfel. Nur dort könne man wahrhaft Karriere machen ...

»Ich habe New-York in guter Erinnerung«, bemerkte Lo.

»Ich weiß,« sagte Frau von Seckendorf diskret. »Auch ich hatte den Vorzug, Mister Bernt Mackenzie zu kennen.«

»Ah!«

»Ja. Er ist ein charmanter Herr und ein überaus tüchtiger Geschäftsmann. Nur – ich weiß nicht, ob Sie mich auch recht verstehen werden –, ich meine, meinem Gefühl nach ist er allzu ausschließlich nur Geschäftsmann und darüber hinaus nichts ... Vor allem fehlt ihm das eine, was den Mann von wahrhafter Bedeutung erst ausmacht: das Gefühl für die eigene Würde, liebes Kind. Er ist zu sehr Plebejer. Das drückt sich zum Beispiel darin aus, wie er mit den Frauen umgeht. Nämlich, für ihn ist die Liebe nicht mehr als eine Zerstreuung, für die man im Grunde gar keine Zeit hat und die man deshalb im Handumdrehen und schnell erledigen muß. Geld spielt dabei natürlich keine Rolle. Aber auch das ist würdelos ... Sagen Sie, hat er Ihnen nicht diese Villa geschenkt?«

»Ja,« sagte Lo.

»Das war ein reiner Glücksfall, – ich meine: für ihn! ... Er ist nämlich in seinem Geschmack nicht allzu wählerisch und hätte, wenn er nicht das Glück gehabt hätte, Sie zu treffen, auch mit einer anderen vorlieb genommen, bei der er sich aus die gleiche Art abgefunden hätte, was dann recht geschmacklos gewesen wäre ... Übrigens, darf ich mir noch eine zweite Frage erlauben?«

»Gern.«

»Kennen Sie Herrn Lorrinser?«

»Den Dichter?«

»Ja.«

Lo nickte belustigt.

»Sehen Sie,« sagte Frau von Seckendorf, »das war einer jener Reinfälle, vor denen Sie sich in Zukunft streng hüten müssen ... Dieser Mann ist gar kein Mann, sondern ein altes Weib, das aus Erlebnissen, die es gar nicht gehabt hat, schmutzige Romane fabriziert, und das gewerbsmäßig ... Gewiß, sein neuer Roman wird für Sie in gewisser Hinsicht eine Reklame bedeuten. Aber dem steht entgegen, daß Ihnen eine solche Reklame in den Kreisen, die ich im Auge habe, nur schaden kann ... Aus dem gleichen Grunde sollten Sie auch – verzeihen Sie! – einen Menschen wie jenen Herrn Samuel Friedenthal meiden!«

»Sie wissen –?«

»Ja ... Verstehen Sie mich nicht falsch, mein Kind, und vergessen Sie vor allem nicht, daß ich Ihr Bestes im Auge habe. Aber Sie ahnen gar nicht, wie schnell und wie sehr ein Schmuck an Wert verliert, wenn ihn wer trägt, für den er nicht gemacht ist ... Haben Sie nicht selbst das Gefühl gehabt, daß Herr Samuel Friedenthal nichts ist, als eine vergröberte neue Auflage des Mister Bernt Mackenzie, nur daß ihm das Relief des übergroßen Reichtums fehlt, das dieser doch gehabt hat?«

Lo war verlegen, errötete leicht und nickte.

»Nun. Damit erübrigt es sich eigentlich für mich, daß ich auch noch von jenem Burschen rede, dem John, der –«

Lo lachte, sprang auf und machte eine abwehrende Geste. »Ich bitte Sie, schweigen Sie, – das ist vorbei!«

»Das freut mich,« sagte Frau von Seckendorf, indem sie ihrer Stimme diesmal einen leicht zärtlichen Ton gab. »Es freut mich für Sie und auch für mich. Denn ich habe Sie wirklich schon lieb gewonnen. Und ich denke, wir verstehen uns wohl auch?«

»Ja,« sagte Lo.

»Und wir dürfen einander doch auch vertrauen?«

»Gewiß,« sagte Lo.

»Ich danke Ihnen!«

Frau von Seckendorf war aufgestanden und auf Lo zugetreten, deren Hand sie nahm und leise drückte. Dabei blickte sie ihr prüfend in die Augen. Lo senkte den Blick.

»Wissen Sie, daß Sie sehr schön sind?«

Lo schwieg.

»Aber nicht nur das,« fuhr Frau von Seckendorf fort, »Sie haben auch Glück. Sie haben sehr großes Glück. Und es liegt nur an Ihnen, ob Sie nach ihm greifen und es festhalten wollen.«

»Wie das?« fragte Lo verwirrt.

»Kommen Sie, setzen wir uns!«

Frau von Seckendorf ließ sich in einem Fauteuil nieder und Lo schob einen Hocker zu ihren Füßen, auf dem sie Platz nahm.

Sie hatte plötzlich großes Vertrauen zu dieser Frau, die sicherlich nicht ohne die Absicht gekommen war, ihr ein vorteilhaftes Angebot zu machen. Lo dachte in diesem Augenblick nicht an Geld. Ihr war, als müsse ihr die Kupplerin etwas weitaus Wichtigeres bringen.

»Man hat Sie bemerkt,« sagte Frau von Seckendorf nach einer Pause des Schweigens.

»Wer?« fragte Lo.

»Jemand, der große Macht hat. Nicht nur durch den großen Reichtum, den er besitzt. Sondern auch sonst.«

»Ein Mann?«

»Ein Fürst.«

»Ein Fürst?«

»Ein russischer Fürst, der sich nur vorübergehend hier in Berlin aufhält. Der demnächst nach Paris reisen wird und von dort weiter nach New-York ... Er schickt mich zu Ihnen.«

»Zu mir?« fragte Lo verwundert. »Kennt er mich denn?«

»Noch nicht. Aber er möchte gern Ihre Bekanntschaft machen.«

»Wie heißt er denn?« fragte Lo.

»Erraten Sie es nicht?«

»Nein.«

»Fürst Basil Lenski.«

»Der –?«

Lo war erschrocken. Auch sie hatte natürlich von dem Fürsten gehört. Das war ja derselbe, von dem man sich eben jetzt soviel erzählte. Soviel Sonderbares, aus dem man nicht klug wurde. Hieß es nicht auch, er sei verrückt?

Frau von Seckendorf lächelte spöttisch. »Verrückt? Wer sagt das?«

»Man erzählt es sich ...«

»Man! Das ist die Masse, die aus einer Persönlichkeit, der wirklich Bedeutung zukommt, natürlich niemals klug wird ... Liebes Kind, reden Sie so etwas nicht gedankenlos nach! Der Fürst ist genau so normal wie wir, wir beide! Aber er ist klüger und bedeutender als wir! Als wir alle!«

»Und er schickt Sie zu mir?«

»Das tut er. Er interessiert sich für Sie. Und wenn Sie Ihr Glück machen wollen, dann liegt das ganz allein bei Ihnen!«

»Hat er nicht einen körperlichen Fehler?« fragte Lo.

»Was heißt das?«

»Man sagt, er habe keine Nase.«

»Gewiß,« bestätigte Frau von Seckendorf, »diesen Fehler hat er ... Aber würde Sie das in einem solchen Maße genieren, daß Sie –?«

»Ich weiß nicht,« sagte Lo.

Frau von Seckendorf lächelte.

»Er soll unheimlich aussehen,« ergänzte, sich gleichsam entschuldigend, Lo.

»Was heißt das: unheimlich? ... Ist das nicht ein Schreckwort für Kinder?«

»Gewiß.«

»Fürchten Sie sich vor ihm?«

»Nein,« sagte Lo.

Dies entfuhr ihr ganz plötzlich. Sie dachte an die Pläne, die sie gefaßt hatte, und daran, wie dumm es von ihr wäre, wenn sie ihre Entschlossenheit gerade in einem Augenblick fallen ließe, wo sie am nötigsten war. Eine fehlende Nase! Sollte das etwa das Hindernis sein, über das sie stolperte?

»Ich meine, daran gewöhnt man sich doch,« sagte sie zögernd.

»An die fehlende Nase?« sagte Frau von Seckendorf lächelnd. »Gewiß.«

»Und Sie sagen, er schickt Sie? Er schickt Sie zu mir?«

»Ja.«

»Und es ist seine Absicht, sagen Sie, mich –?«

»Sie an sich zu ziehen, ja. Und das dauernd. Sie mit sich zu nehmen, ins Ausland, in die große Welt ... Wissen Sie, was das bedeutet?«

Lo stemmte die Ellenbogen gegen die Knie und drückte ihr Gesicht gegen die Hände. In dieser Stellung verharrte sie, ohne ein Wort zu sagen. Eine unerklärliche Bangigkeit war plötzlich über sie gekommen, zugleich aber das heftige Verlangen, die Hand zu ergreifen, die sich ihr da aus dem Dunkel entgegen streckte. Warum zögerte sie? War die Stunde, die ihr das Glück brachte, nicht da?

»Nun?« sagte die Kupplerin.

Lo blickte auf. Es schien ihr, als sehe sie das Gesicht der Frau, die sie verkaufen wollte, mit einem Male in einem neuen Licht. Neue Bangigkeit wollte sie beschleichen. Zugleich aber erwachte auch ihr Trotz. Wie, sollte sie sich künftig vorwerfen dürfen, daß sie in der entscheidenden Stunde Angst gehabt habe?

Sie lächelte. Sie lächelte und sah die Kupplerin spöttisch an. Und sie nickte.

»Ich will,« sagte sie dann.

»Schön,« sagte Frau von Seckendorf, indem sie sich über Lo neigte und einen Kuß auf ihr Haar drückte. »Ich wußte es ja, daß Sie sich nicht fürchten würden.«

»Vor was sollte ich mich fürchten?« sagte Lo und lachte.

»Freilich, vor was! Sie sind ja kein Kind! Und Sie werden bestimmt Ihr Glück machen!«

»Das werde ich!« sagte Lo.

»Was soll ich dem Fürsten also melden?«

»Daß ich bereit bin.«

»Wann?«

»Gleich,« sagte Lo, »zu jeder Stunde.«

Frau von Seckendorf stand auf. Es war dunkel im Zimmer geworden. Die Konturen ihres Körpers zeichneten sich schattenhaft gegen das Fenster ab. Lo hatte die Empfindung, ein Gespenst zu sehen.

»Ich danke Ihnen. Ich werde dem Fürsten Ihre Antwort überbringen. Und ich werde dann selber kommen, um Sie zu holen ... Wie?«

»Ja,« sagte Lo.

Noch einmal fühlte sie die Lippen der Frau auf ihrem Haar. Sie erschauerte leicht. Dann schloß sie die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war sie allein.

Da lachte sie plötzlich laut.

Lachte und schaltete das elektrische Licht ein.


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