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Das Telefon

Jetzt war es Zeit ...

Der junge Bert Hollander warf Hut und Stock von sich und ging dann, ohne seinen Pelz abzulegen, mehrere Male hastig durch das Zimmer. Er war soeben heim gekommen. Er sah blaß und sehr erregt aus, und von seiner sonst mit peinlicher Akkuratesse gescheitelten Frisur hingen ihm diesmal die Haare wirr in die Stirn. Er strich sie zurück, blickte in den Spiegel und warf dann auch den Pelz von sich. Er nahm gewaltsam Haltung an und schellte nach dem Diener.

»Ist jemand da gewesen?«

»Nein.«

»Es ist gut ... Das heißt, warten Sie! Wie spät ist es?«

Er zog selber die Uhr und stellte fest, daß es auf zehn ging. Draußen regnete es teils, teils fiel schon Schnee. Hin und wieder stieß ein wütender Sturm durch die Straßen. Es war eine recht ungemütliche Dezembernacht.

Bert fragte, ob sein Chauffeur zur Stelle sei, was der Diener bejahte.

»Gut, er soll sich bereit halten. In einer Stunde fahren wir ... Verstanden?«

Der Diener nickte.

»Und dann,« sagte Bert fahrig, »noch eins: ich bin in der nächsten Stunde für keinen mehr zu sprechen! Für keinen! ... Haben Sie mich verstanden?«

»Jawohl.«

»Es ist gut ...«

Bert entließ den Diener mit einer nervösen Geste und riegelte hinter ihm die Tür ab. Dann schaltete er das Licht des Kronleuchters aus und ließ nur die seidenstoffbehangene Lampe auf dem Schreibtisch aufflammen. Vor diesem warf er sich in den Stuhl, stützte den Kopf mit beiden Händen und versank in Grübelei. So verharrte er lange Zeit.

Plötzlich knackte ein Buchenscheit im Kamin, und Bert schrak auf. Er schloß ein Fach des Schreibtisches auf und entnahm ihm einen Browning. Den legte er vor sich hin auf den Tisch und starrte ihn an.

Ja, es war Zeit. Aber Zeit wozu? Zeit schon zum Ende? Oder Zeit, es noch einmal mit einem neuen Anfang zu versuchen?

Bert griff nach dem Browning, besah ihn von allen Seiten und hielt den kalten Lauf gegen die rechte Schläfe. Aber es war nur ein Spiel, was er da trieb. Er wußte, daß er den Mut nicht finden würde, los zu drücken. Immerhin, es gewährte eine Art Gefühl von Sicherheit, zu wissen, daß man es am Ende doch tun konnte. Wenn alle Stricke rissen! Aber war das denn schon der Fall?

Noch nicht. Noch blieb ihm ja die Flucht. Unten im Hofe stand der Mercedeswagen, und der Chauffeur wartete. Jetzt war es zehn. Wenn er um elf Uhr losfuhr, in gutem Tempo, dann konnte er bei dämmerndem Morgen in Hamburg sein.

Dort verbarg er sich. Verbarg sich so lange, bis das nächste Schiff nach Brasilien abfuhr. Er hatte ja einen Paß, auf einen fremden Namen, unter dem er es drüben von neuem versuchen konnte. Mit Hilfe des Geldes, das er unter verzweifelter Anspannung seiner letzten Kräfte heute zusammengerafft hatte. Freilich, es war ihm nur möglich gewesen dadurch, daß er eine Unterschrift gefälscht hatte, und es war nicht ausgeschlossen, daß man schon morgen in den Vormittagsstunden seiner Fälschung aus die Spur kam ...

Noch immer den Browning in der Rechten haltend, fuhr sich Bert mit dem Handrücken über die schweißfeuchte Stirn. Darauf legte er die Waffe aus den Tisch und griff in das Innere seines Rockes. Er hielt eine Brieftasche fest umklammert. Sie war unförmlich dick, angeschwollen von den vielen Geldscheinen, die er an diesem Tage gewaltsam erobert hatte. Er freute sich dieses Raubes, den er als eine Art Rache empfand, die er denen antat, die ja auch ihn vernichtet hatten. Denn wie, – war das Schicksal nicht wie mit Keulenschlägen über ihn hergefallen?

Wieder schrak Bert heftig auf. Was war das gewesen? Diesmal kein knackendes Buchenscheit im Kamin. Hatte es nicht geläutet?

Bert horchte aus. Es war totenstill im Zimmer. Jetzt kam ein Windstoß, und die Rahmen an den Fenstern erzitterten leicht. Und jetzt, – ja, ja: da war es wieder. Ein leises, langgezogenes, wie klagendes Läuten. Es war das Telefon.

Bert griff nach dem Hörer. Er tat es eigentlich wider seinen Willen, denn seine Absicht war es gewesen, das Läuten zu ignorieren und den Apparat abzustellen. Doch eine seltsame Neugier quälte ihn. Geschehen zuweilen nicht Wunder? Wer weiß, vielleicht war es gar eine rettende Hand, die sich ihm da durch die Nacht entgegen streckte. Freilich, der Gedanke war absurd. Aber hat der Mensch nicht zuweilen Momente, wo ihm gerade das Absurde als das Wahrscheinliche, ja Selbstverständliche erscheint?

Bert griff nach dem Hörer und meldete sich. Er tat es mit leiser, zögernder, unsicherer Stimme. Er hatte Furcht vor dem Absurden, und setzte zugleich doch seine Hoffnung darauf.

»Hier Adalbert Hollander, – wer dort?«

Er horchte und vernahm eine Weile gar nichts. Nur das bekannte Surren drang ihm entgegen, das den Eindruck eines Meeres von Geräuschen macht. Eine ganze Welt schien zu sprechen, mit blassen, abgestorbenen Stimmen, eine Welt von Toten, die ein gespenstisch posthumes Leben hatte. Und aus diesem tiefen Meer von schattenhaften Stimmen löste sich plötzlich ein Ton los, nein: ein Wort, das Leben für sich allein hatte und das für ihn bestimmt, an ihn gerichtet war, – an ihn, Bert Hollander, – ihn ganz allein!

»Hollander ...«

»Ja, hier Adalbert Hollander, – wer dort?«

»Bert Hollander ... Bert ... Bert ...«

Bert hörte nichts als eben diese zwei Worte. Er war schon erschrocken, als er sie das erste Mal vernommen hatte. Aber das, was ihre Wirkung unheimlich machte, war dieses: daß sie sich ständig wiederholten, daß er auf seine Fragen immer nur sie zu hören bekam, nur sie und nichts weiter ...

»Hier Hollander! ... Wer spricht?«

»Bert Hollander ... Bert ... Bert ...«

Das Unheimliche der Worte lag auch an dem Ton, in dem sie gesprochen waren. Welche Stimme konnte so reden? So kalt? So ruhig? So bestimmt? So, daß es wie ein Befehl klang und wie eine Drohung und doch auch wie eine Frage? Wer? Ihm war, als habe er die Stimme schon einmal gehört. Doch wo? Und wann? War es im Traum gewesen?

»Hier Hollander! ... So reden Sie doch! Wer spricht?«

»Bert Hollander ... Bert ... Bert ...«

Bert gab es auf. Er legte den Hörer nieder und lachte auf.

Wollte man ihn narren? Ihn erschrecken?

Unsinn!

Fest stand das eine, daß man frühestens erst morgen in den Vormittagsstunden hinter seine Fälschung kommen konnte. Er hatte also gar keinen Grund, sich schrecken zu lassen, und er erschrak auch nicht. Und wenn jemand Veranlassung zu haben glaubte, dumme Späße zu machen, dann hatte man es ja in der Hand, dem ein Ende zu bereiten, indem man das Telefon ganz einfach abstellte ...

Er stellte es aber doch nicht ab.

Warum nicht?

Aus Furcht? Aus jener Furcht eines Menschen heraus, der mit dem Feinde, der ihn verfolgt, doch in Kontakt bleiben möchte, um mit seiner Angst nicht im Uferlosen zu treiben?

Nein, aus Trotz! Er wollte es dem, der da die drohende Stimme aus dem Dunkel spielte, zeigen, daß sich ein Bert Hollander nicht fürchtete, und er wollte ihm, falls er noch einmal stören sollte, die passende Antwort nicht schuldig bleiben!

Doch zunächst ward es still, das Telefon meldete sich nicht mehr. Es meldete sich nicht mehr, obwohl Bert jetzt unter Herzklopfen darauf wartete. Noch mehr, er wünschte es sogar, es möchte wieder läuten, – ja, er horchte diesem leisen, langgezogenen, wie klagenden Laut der Glocke mit bittender Inbrunst entgegen. Umsonst. Es blieb totenstill ...

›Wenn ich abergläubisch wäre‹, dachte Bert, ›dann könnte ich annehmen, daß hinter den Unglücksfällen, die mich in letzter Zeit betroffen haben, System steckt. Daß im Verborgenen eine Hand tätig gewesen ist, die alles arrangiert und geleitet hat. Warum? Nur weil es jemandem Spaß gemacht hat? Oder weil jemand existiert, der mich so tödlich haßt?

Womit hatte es eigentlich begonnen?

Im Grunde damit, daß er so irrsinnig viel im Spiel verloren hatte. Und immer nur gegen den einen, jenen Russen, der es auf ihn abgesehen zu haben schien. Es war doch sonderbar, daß gerade er immer gegen ihn im Verlust gewesen war, mit stets steigenden Summen, während andere sich zuweilen mit viel Glück gegen ihn behauptet hatten. Fast hätte man glauben mögen, daß der Grund hierzu im Mystischen, Übersinnlichen liegen müsse.

Der Fürst hatte ja wirklich etwas Unheimliches an sich, vor dem einem graute, obwohl es andererseits wiederum mächtig anzog. Ja, obgleich es so war, daß er, Bert, ihn wieder aufs neue herausgefordert hatte, konnte man doch sagen, daß der Zwang dazu doch ganz allein vom Fürsten ausgegangen war ...

›Wie ich ihn hasse,‹ dachte Bert, ›so sehr, daß ich ihn kalten Blutes töten könnte!‹

Er hatte mit einem Male ein Gefühl, als müsse auch all das andere Unglück, das ihn betroffen hatte, in seinem Ursprung auf irgendeine Weise mit dem Fürsten zusammenhängen. Beweise besaß er freilich keine, und der Gedanke war überhaupt, wenn man ihn objektiv überprüfte, absurd. Aber er war ja eben heute geneigt, nur das Absurde für wahr zu halten und allem Tatsächlichen nur Scheinwert beizumessen!

Wie sollte er sich zum Beispiel erklären, daß in seiner Papierfabrik in Mühldorf, diesem einzigen seiner Unternehmungen, das sich wahrhaft glänzend verzinst hatte, so plötzlich jener Riesenbrand ausgebrochen war, der die Anlage vollständig vernichtet hatte –?

… halt, hatte es nicht soeben wieder geläutet?

Bert fuhr zusammen. Ein Windstoß rüttelte an den Fenstern. Dann war es still. Und jetzt, – jetzt kam es wieder: der leise, lang gezogene, klagende Laut der Glocke ...

Bert griff nach dem Hörer.

»Hier Adalbert Hollander! ... Wer dort?«

»Bert Hollander ... Bert ... Bert ...«

»Wer spricht? ... Zum Teufel, wer? ... So melden Sie sich doch!«

»Bert Hollander ... Bert ... Bert ...«

Es war dasselbe Spiel wie vorhin. Und auch dieselbe Stimme.

Woher kannte er sie nur?

Daß er sie schon einmal gehört hatte, war sicher. Aber es mußte schon sehr, sehr lange her sein. Und vielleicht hatte er sie doch bloß geträumt. Gab es das, daß man von Dingen träumte, von Menschen, denen man dann erst nachträglich wirklich im Leben begegnete? Und nannte man das nicht Hellsehen? Und gab es nicht auch gewisse Anzeichen, von denen es hieß, daß sie einem den Tod anzeigten?

Bert fürchtete sich plötzlich und mutzte doch lächeln. Ja, dem Unheimlichen der Gedanken, die ihn packten und die ihn nicht mehr los ließen, war etwas Süß-Wollüstiges beigemischt. Irgendeine Gefahr war im Anzuge, das erschien ihm als sicher.

Aber konnte man der Gefahr, wenn man sie bezwang, nicht vielleicht noch einen Gewinn abjagen? Angenommen, daß der Einsatz, den man leistete, das eigene Leben war: hatte man da nicht auch Aussicht, etwas zu gewinnen, das zu diesem Einsatz in einem gleichartigen Verhältnis stand?

Bert nahm den Gedanken an den Brand, der ihn zum armen Mann gemacht hatte, wieder auf. Soviel war erwiesen, daß das Feuer auf verbrecherische Weise gelegt worden war. Von wem? Von einem Menschen, den der Fürst gedungen hatte?

Ein heimlicher Schauer lief Bert über den Rücken. Wie kam er auf diese Vermutung, die im Grunde doch nichts anderes als irrsinnig war? Nun, es fiel ihm eben eine Bemerkung ein, die der Fürst jüngst einmal, als man sich eben an den Spieltisch sehen wollte, ihm gegenüber getan hatte.

»Sie sollten nicht mit mir spielen,« sagte da der Fürst.

»Warum nicht?«

»Weil doch ich es bin, der mit Ihnen spielt ... Merken Sie das nicht?«

»Sie spielen mit mir? Wozu?«

»Um Sie zu ruinieren.«

»Das können Sie nicht,« sagte da Bert und lachte.

»Vielleicht doch,« erwiderte der Fürst darauf im ernsten Tone, »denn meine Verbindungen reichen sehr weit ...«

Im gleichen Augenblick mußte Bert auch an Moses Biach denken und an die Lux-Papiere.

Wie, konnte nicht auch Moses Biach nur ein gedungenes Subjekt sein, ein Beauftragter jener unterirdisch tätigen Macht, die es hartnäckig gerade auf ihn abgesehen hatte?

Gewiß, er kannte den Mann schon lange, und sie hatten schon manches Geschäft miteinander gemacht. Aber warum hatte ihm der Jude mit so unvermittelter Leidenschaftlichkeit plötzlich Lux-Papiere angeboten, die, wie er schwor, enorm steigen würden?

Das taten sie zunächst auch. Sie stiegen, und Bert kaufte noch mehr von ihnen. Legte, verzweifelt alles auf eine Karte setzend, sein letztes Vermögen gerade in diesen Papieren an. Es waren reichlich sechs Millionen gewesen, und er hätte, wenn er sie rechtzeitig abgestoßen hätte, sich noch retten können.

Aber Moses Biach widerriet und bat fast brünstig. Bis mit einem Male unerwartet der Kurssturz kam, ganz plötzlich über Nacht, hervorgerufen durch ein vermessenes Börsenmanöver von einer Seite, deren Identität nicht festzustellen war.

Bert hatte nach Moses Biach gerufen, und der war auch gekommen. Aber er war mit einem Male nicht mehr derselbe. Nicht mehr der allezeit Liebenswürdige, nein: Kriecherische, nicht mehr der alte Moses Biach, der fast stolz darauf war, wenn man ihn halb spaßhaft und halb im Ernst eine Canaille geheißen hatte ...

Er zeigte sich zugeknöpft und eisig. Freute er sich nicht insgeheim der leidenschaftlichen Vorwürfe, die er anhören mußte? Er hörte sie ruhig an und zuckte, als gehe ihn das Ganze nichts an, kaum mit den schiefen Schultern.

»Hinaus!« brüllte ihn Bert an, der an sich halten mußte, um ihm nicht an die Gurgel zu fahren und ihn zu erwürgen.

»Nein,« sagte da Moses Biach, »wir sind miteinander noch nicht fertig.«

»Nicht fertig, – wie?«

»Nein, Sie sind mein Schuldner.«

»Ich?«

Und nun stellte sich etwas heraus, das Bert auf das maßloseste überraschte. In aller Heimlichkeit hatte Moses Biach alle Verbindlichkeiten, die Bert eingegangen war, aufgekauft, hatte so Berts gesamte Schulden in eine einzige Hand, nämlich in die seine, gebracht, um sie ihm nun zur Zahlung zu präsentieren. Ganz kalt und geschäftsmäßig und mit einem Unterton von Hohn.

Warum hatte er das getan? Nie und nimmer aus eigenem Antrieb. Denn ein Mann wie er wäre der Letzte gewesen, der für sein gutes Geld Forderungen erworben hätte, von denen er wußte, daß sie, wie die Dinge jetzt nach dem Brande in Mühldorf und nach dem Sturz der Lux-Papiere lagen, einfach uneinbringlich waren.

Wer aber war sein Hintermann, jener geheimnisvolle Eine, der aus einem dunklen Hinterhalt heraus auf Bert unausgesetzt ein Kesseltreiben veranstaltete und der sein Opfer nun endlich schußgerecht vor sich hatte?

Bert verlegte sich aufs Bitten, doch Moses Biach erwies sich als hart.

Bert bat um Aufschub. Moses Biach bewilligte schließlich zur Not acht Tage. Das gab Bert wiederum Mut. Er bat um Geld. Er forderte rund eine Million, mit der er imstande sein würde, sich wiederum flott zu machen. Daß das noch möglich sei, das glaubte Bert natürlich selbst nicht.

Aber er redete und beschwor den Juden mit dem Mute des Verzweifelten. Und das Sonderbare war, daß Moses Biach plötzlich nachgab. Er sei bereit, sagte er, das Geld zu geben, gegen einen Wechsel, der aber noch die Unterschrift eines Zweiten tragen müsse. Und er nannte den Namen eines reichen Bekannten Berts.

»Halten Sie das Geld bereit« sagte Bert zu ihm, »ich werde Ihnen die Unterschrift in längstens zwei Tagen bringen.«

Er hatte sie gebracht, und zwar heute. Und das Geld hatte bereit gelegen, und Moses Biach hatte es ihm gegeben. Hatte es ihm gegeben und erst dann einen Blick auf die Unterschrift geworfen, einen kühl-spöttischen Blick, der Bert gepeinigt hatte. Wie, hegte Moses Biach denn schon Verdacht?

»Die Unterschrift,« sagte der Jude, »ich meine, – die ist doch richtig?«

»Wie?« fragte Bert, indem er erblaßte.

»Nu,« sagte Moses Biach gleichsam begütigend, »ich hab ja keine Sorge!«

Er betonte auf recht sonderbare Art das ›ich‹, und indem sich Bert dieses Umstandes jetzt erinnerte, wußte er mit einem Male mit voller Bestimmtheit, was Moses Biach mit dieser spöttischen Bemerkung gemeint hatte.

Jawohl der Jude wußte, daß die Unterschrift nicht echt war, und gerade das war ihm recht. Er war es nicht, der sein Geld verlor, sondern jener geheimnisvolle Dritte, der mit Hilfe Moses Biachs darauf hingearbeitet hatte, daß er, Bert, auch noch zum Fälscher werde. Denn damit hatte er ihn nun endgültig in der Hand ...

›Trotzdem,‹ murmelte Bert, ›diese Nacht gehört noch mir, und mein Auto wartet ...‹

Ja, es war Zeit, – aber man sollte ihn nicht bekommen! Er lachte heiser. Er besaß nicht nur die eine Million, nein, er hatte auch sonst noch zusammengerafft, was sich irgend hatte zusammenraffen lassen. Alles war vorbereitet, schon lange, er hatte seinen Paß, und eines Tages würde drüben in den Südstaaten ein Mann auftauchen, der es mit dem Leben noch einmal versuchen würde, – diesmal umsichtiger, kälter und klüger ...

»Teufel!« rief Bert aus und sprang hoch.

Das Telefon!

Es meldete sich schon wieder. Diesmal in einem kurzen, heftigen, befehlenden Ton.

Bert griff nach dem Hörer. Seine Hand zitterte.

»Hier Adalbert Hollander, – wer dort?«

»Bert Hollander, – sind Sie's?«

Das war die gleiche Stimme wie vorhin. Oder doch nicht. Es war eine andere Stimme. Sie klang härter, befehlender, männlicher. Geradezu drohend klang sie und jeden Widerspruch gleichsam im Vorhinein verbietend. Und doch war etwas an ihr, das auf die erste Stimme hinwies. Sie hatte bei allem männlich-harten Klang eine gewisse Milde. Ja doch, – jetzt wußte es Bert bestimmt, – diese Stimme hatte er schon einmal gehört! Doch wo? Und wann?

Noch einmal schallte es aus dem Telefon: »Bert Hollander, – sind Sie's?«

»Ja,« antwortete Bert, »wer ruft mich?«

»Ich!«

»Wer?«

»Bert Hollander, – halten Sie sich bereit!«

»Halloh!« rief Bert verzweifelt. »Wer spricht dort?«

Schweigen ...

Bert legte den Hörer nieder, setzte sich und wischte sich von der Stirn den kalten Schweiß. Er zitterte angstvoll. Und sein Puls jagte.

War es die Polizei, die da mit ihm ein grausames Katze- und Maus-Spiel trieb?

›Unsinn,‹ sagte Bert zu sich, ›ich sehe Gespenster!‹

Und plötzlich fuhr es ihm durch den Kopf: die Stimme!

Ja doch! Er hatte sie gehört! Und er wußte mit einem Male auch, wo er sie gehört hatte und wann!

Ja damals, vor Jahren, – als er noch ein Kind gewesen war ...

Bert mußte an seinen Vater denken. Zwar wies er den Gedanken an ihn mit aller Gewalt von sich, aber es nützte nichts, er kam wieder. Kam wieder und fraß sich fest. Fraß sich in seinem Gehirn fest, fraß sich tief dort ein und war nicht mehr zu entfernen. Es war ein Gedanke, der Gift in sich hatte, und dieses Gift fühlte Bert jetzt in seinen Adern brennen. Und er stützte den Kopf in beide Hände und schloß die Augen.

War es der Vater gewesen, der ihn soeben gerufen hatte?

Bert fuhr mit der geballten Faust sich durch die Haare und dachte: ›Was für verrückte Ideen ich heute habe!‹

Der Alte würde sich hüten. Er saß setzt in irgendeinem sicheren Versteck des Auslandes und lachte sie alle aus. Mit Recht. Was hatte es genützt, daß man es versucht hatte, ihn unschädlich zu machen? Nichts. Er war ihnen entwischt und freute sich nun des Raubes, den er nun endgültig in Sicherheit gebracht hatte. Die vielen, vielen Millionen, die der Familie gehörten, – wo waren sie?

Bert sprang auf und durchmaß mit erregten Schritten das Zimmer. Der Sturm rüttelte an den Fenstern, Regenschauer prasselten gegen die Scheiben, aber er merkte es nicht. Er war von dem Gedanken an das viele Geld, das der Familie und damit auch ihm entgangen war, dermaßen hypnotisiert, daß er sogar das Gefühl für die Zeit verloren hatte und nicht mehr wußte, daß es doch seine Absicht gewesen war, die Nacht für die Flucht zu benützen. In ihm brannte plötzlich hell der Haß.

›Der Lump,‹ fluchte er, ›der Gauner!‹

Aber in seinen Flüchen krümmte sich nur die Ohnmacht. Und auch eine Art Reue regte sich in ihm. Aber er bereute jene Tat, die sein Gewissen beschwerte, nicht deshalb, weil sie ein Verbrechen gewesen, sondern weil sie mißlungen war. Und damit flammte auch schon wieder sein Haß auf. Der Haß gegen den Alten, der nun also doch triumphierte, während er, sein Sohn, nach einer kurzen Glanzzeit vor dem hämisch prophezeiten Abgrund stand ...

›Ich muß fort,‹ sagte Bert zu sich, ›und wäre es auch nur, um den Alten in seinem Versteck aufzustöbern!‹

Damit fiel ihm sein Vorhaben wieder ein, und er erschrak heftig, als er, die Uhr ziehend, merkte, daß es schon auf Mitternacht ging.

›Gott,‹ murmelte er, ›wie bin ich zerfahren, bringe alles wirr durcheinander und weiß nicht mehr, was ich will!‹

Dennoch horchte er, anstatt sich, was er eigentlich wollte, schnell für die nächtliche Fahrt fertig zu machen, noch eine Weile in die tiefe Stille des Zimmers hinein.

Der Sturm draußen, so schien es, hatte nachgelassen, nur ganz leise trommelten dann und wann noch ein paar Tropfen des dünnen Regens gegen die Scheiben. Auch die Glut im Kamin war fast vollständig erloschen. Es lag etwas Beklemmendes in dieser absoluten Ruhe, die nicht einmal mehr von dem Ticken der Uhr belebt wurde. Denn diese war stehen geblieben, und ihre Zeiger wiesen aus fünf Minuten vor zwölf.

›Jetzt,‹ dachte Bert, ›jetzt ist es Zeit ...‹

Er wollte eben an den Schreibtisch treten, um seinen Browning und seine Brieftasche einzustecken, als ihm mit einem heftigen, kurzen, schrillen Laut die Glocke des Telefons entgegen bellte.

Er prallte zurück. Doch das kurze Läuten wiederholte sich. Da griff er, um sich Ruhe zu verschaffen, ein letztes Mal nach dem Hörer.

»Hier Adalbert Hollander,« sagte er laut, »wer dort?«

»Ein guter Bekannter!«

»Wer?«

»Ein Mann, Bert Hollander, der Ihnen raten möchte, Berlin heute noch nicht zu verlassen.«

»Wer sagt Ihnen, daß ich –? ... Übrigens, wer sind Sie?«

»Ein Feind.«

»Ein Feind?«

»Ja. Der Sie aber doch noch retten möchte, Bert Hollander. Oder der Ihnen vielmehr die Möglichkeit geben möchte, sich vielleicht selbst zu retten.«

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß Sie das Spiel noch einmal wagen sollen.«

»Welches Spiel?«

»Das Spiel um Ihr Leben.«

»Haha!«

»Doch, Bert Hollander, – es geht um Ihr Leben! ... Oder wollen Sie leugnen, daß Sie sich die letzte Million, mit der Sie jetzt flüchten wollen, durch eine Fälschung erschlichen haben?«

»Ich protestiere –«

»Ihre Proteste sind nutzlos, Bert Hollander, – jetzt kann Sie nur noch ein letztes Wagnis retten!«

»Welches Wagnis?«

»Ihr letztes Spiel! Ihr Spiel mit mir! Das müssen Sie wagen!«

»Mit Ihnen?«

»Ja.«

»Wer sind Sie?«

»Erraten Sie das nicht?«

»Sind Sie der Fürst?«

»Ja, ich bin der Fürst. Fürst Basil Lenski. Pension Segaste. Der Sie erwartet. Bestimmt. Noch diese Nacht.«

»Herr –!« brüllte Bert atemlos.

»– der Sie noch diese Nacht erwartet,« fuhr die unerbittliche Stimme fort, »damit Sie mit ihm Ihr letztes Spiel wagen! Es geht diesmal um das Ganze! Es geht um Ihr Leben, Bert Holländer, das Sie entweder gewinnen oder verlieren! ... Werden Sie kommen?«

»Nein!« brüllte Bert und schleuderte den Hörer in maßloser Wut zu Boden.

Aber schon im nächsten Augenblick erkannte er, welches Unheil er angerichtet hatte. Der Draht war zerrissen! Eine neue Verbindung war nicht mehr herzustellen!

Bert sah den Schaden und griff sich ratlos an den Kopf. Er wollte nachdenken, überlegen, einen Plan fassen, doch seine Gedanken verwirrten sich. Eine Empfindung, gemischt aus Angst und Grauen, schüttelte ihn. Und nur das eine stand nun mit Sicherheit für ihn fest: er wußte endlich, wer sein unerbittlicher Feind war!

Der Fürst! Ob er am Ende unten an den Ausgängen schon die Polizei postiert hatte?!

›Fort,‹ dachte Bert, ›nur fort!‹

In wahnsinniger Eile steckte er seinen Browning und seine Brieftasche zu sich und fuhr in seinen Pelz. Dann riegelte er die Tür auf und schrie nach dem Diener.

Der kam.

»Den Wagen ankurbeln,« befahl Bert mit heiserer Stimme, »aber schnell, – ich habe Eile!«

Und blind rannte er die Treppen hinunter. Trat vor das Haus. Und atmete auf, als kein Mensch da war, der auf ihn zutrat, um ihn zu verhaften.

Der Wagen fuhr vor.

Bert warf kaum einen Blick auf den vermummten Chauffeur, der ja schon instruiert war.

Eilig stieg er ein. Warf sich, das Schwinden seiner Kräfte spürend, halb ohnmächtig in die Polster.

Der Wagen zog an.

Bert schloß beseligt die Augen. Und lächelte matt und schwach.

… Plötzlich erwachte er wieder.

Hatte er denn geschlafen? Was war das? Warum hielt der Wagen?

Er riß die Augen auf und richtete sich auf.

Wahrhaftig, der Wagen stand. Und soeben wurde der Schlag geöffnet.

Von wem?

Das blasse Licht einer Straßenlaterne fiel auf das Gesicht eines Menschen, den er kannte ...

Die Nase!

»Wer, der sie nur einmal gesehen hatte, hätte sie wohl je wieder vergessen sollen!

Der Fürst!

Was wollte er?

»Sie sind also doch gekommen,« sagte der Fürst und lächelte seltsam. »Es ist gut. Wir wollen spielen.«

Er machte eine Geste, die Bert stumm einlud, auszusteigen.

Bert war es, als befinde er sich im Traum. Und traumhaft gehorchte er der Geste.

Der Fürst führte ihn in sein Haus.

Es war die Pension Segaste.


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