Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Finale

Es war etwa acht Tage vor Weihnachten, und es ereignete sich um die Zeit, da die erste Morgenpost ausgetragen wurde. Dabei darf wohl angenommen werden, daß von der Seite, der die Urheberschaft an der Affäre zuzuschreiben war, ihre schnelle Entdeckung gewünscht wurde. Denn anders ließ sich die Tatsache, daß die Entdeckung so rasch erfolgte, nicht erklären.

Um jene Zeit, also kurz vor acht, läutete der Briefträger, der die erste Morgenpost zu bestellen hatte, an der Gartentür des Hauses, in dem sich die Pension Segaste befand. Sein Läuten blieb ohne Erfolg, denn niemand trat aus dem Hause, um ihm zu öffnen. Der Mann hatte aber eine Sendung zu bestellen, die die Unterschrift des Adressaten – des Fürsten Basil Lenski nämlich – nötig machte, und da er es außerdem eilig hatte, machte er rein mechanisch den Versuch, selbst zu öffnen, in der Annahme, daß die Gartentür vielleicht gar nicht verschlossen sei.

Er hatte recht, die Tür war offen. Er betrat also den Garten, stieg die vier Stufen zum Portal hinauf und fand auch dieses nicht verschlossen, sondern nur angelehnt. Er trat also in das Haus.

Im Hausflur aber machte er eine Entdeckung, die ihn im ersten Augenblick heftig erschreckte und ihn dann, als er sich gefaßt hatte, recht stutzig machte. Er wäre nämlich beinahe über ein Etwas gestolpert, das mitten auf den Fließen lag und das sich bei näherem Zusehen als der schon stark verweste Kadaver eines Dachshundes erwies.

Was sollte das bedeuten? Es war doch unmöglich anzunehmen, daß die, die das Tier hierher gelegt hatten, dies ohne alle Absicht getan haben sollten. Welche Absicht aber hatten sie damit verfolgt?

Im Grunde hatte der Mann, der nicht sonderlich tapfer war, jetzt Lust, einfach wieder umzukehren und der Angelegenheit, die ihm nicht recht geheuer erschien, nicht weiter nachzuspüren. Indessen, er war auch neugierig, und das bewog ihn nach einigem Zögern, seinen Weg doch fortzusetzen.

Da sich im Erdgeschoß nichts rührte und da er wußte, daß der Fürst seine Wohnung im ersten Stock hatte, stieg er die Treppe hinauf und klopfte an die Tür jenes Zimmers, in dem er den Fürsten schon des Öfteren Sendungen hatte quittieren lassen. Jedoch auch diese Tür war bloß angelehnt, und da von drinnen keine Aufforderung laut wurde, er möge eintreten, so stieß er die nur angelehnte Tür schließlich auf.

Er sah etwas, das ihn, dessen Nerven schon durch den Anblick des halb verwesten Hundes erregt waren, nun mit panischem Entsetzen erfüllte. Ohne seinem Schrecken laut Ausdruck geben zu können, prallte er wie geschlagen zurück und fühlte nur noch das eine Verlangen, schnell Kehrt zu machen und aus diesem Hause, das offenbar noch mehr an Unheimlichem barg, zu fliehen.

Das tat er auch. Als seien unsichtbare Verfolger hinter ihm her, die mit langen Gespensterhänden nach ihm griffen, so stürmte er die Treppe hinunter, setzte bebend über den toten Hund hinweg und flüchtete ins Freie.

Erst als er auch die Gartentür hinter sich hatte, blieb er stehen, nahm seine Kappe vom Kopf und wischte sich die schweißfeuchte Stirn. Dann rannte er mit aufgeregten Gesten bis zur nächsten Straßenecke, wo er zwei Schutzleuten winkte, die miteinander in ein Gespräch verwickelt waren. Sie traten verwundert auf ihn zu.

»Dort,« rief der Briefträger, nach rückwärts zeigend, atemlos, »dort, – in dem Haus –!«

»Was?« fragte der eine Beamte.

Der Briefträger faßte ihn am Arm. »Kommen Sie! Schnell! Es muß ein Verbrechen verübt worden sein! Dort in dem Haus liegt eine Tote!«

Die aufgeregte Szene war nicht unbemerkt geblieben, und so schlossen sich den beiden Beamten, die dem Briefträger jetzt eilends folgten, auch Passanten an, denen indessen der Eintritt in die Villa verwehrt wurde.

Der Briefträger spielte den Führer, ließ die beiden Schutzleute aber voraus gehen. Bei der Hundeleiche hielt man sich nicht weiter auf, sondern ließ sie so liegen, wie sie da lag.

Man stieg in den ersten Stock hinauf und stand schließlich vor der offenen Tür, die in jenes Zimmer führte, vor dem der Briefträger vorhin die Flucht ergriffen hatte. Und was sah man?

Man sah mitten im Zimmer, auf dem Teppich ausgestreckt, eine allem Anschein nach tote Frau liegen. Sie lag noch da, wie sie offenbar hingestürzt war, aus dem Rücken, mit gespreizten Armen. Aus ihrer Kleidung war zu schließen, daß sie den besten Ständen angehörte, und es wirkte einigermaßen verwunderlich, daß sie noch ihren Mantel und ihren Hut trug. Hatte man sie ermordet?

»Sonderbar,« sagte der eine Beamte, »das Haus scheint gar nicht bewohnt zu sein.«

Man trat jetzt ein und beugte sich über den leblosen Körper der Frau, ohne ihn zu berühren. Man erkannte indessen leicht, daß er schon leichenstarr war. Der Tod mußte schon am Abend zuvor eingetreten sein.

Dagegen suchte man vergebens nach einer Wunde. Staunen erweckte nur der Gesichtsausdruck der Toten. Großes Entsetzen malte sich darin. War die Dame infolge eines heftigen Schrecks vielleicht plötzlich vom Herzschlag gerührt worden?

»Schnell,« wandte sich der eine der beiden Beamten an den Briefträger, »holen Sie einen Arzt!«

Der Mann eilte davon, und die beiden Schutzleute begaben sich nun in das Erdgeschoß hinunter, um zu sehen, ob sie nicht irgend ein lebendes Wesen in dem Hause entdeckten.

Sie fanden alle Türen unverschlossen, doch welches Zimmer auch immer sie betreten mochten, es war völlig unbewohnt und machte einen seltsam toten Eindruck weil auch jede Uhr, die sich darin befand, stand.

Sie stiegen also wieder zu der Toten in den ersten Stock hinauf.

»Ich meine,« schlug der eine vor, »wir untersuchen jetzt die Zimmer hier oben.«

Sie schlugen vor allem eine Portiere zurück, die eine Tür verdeckte. Auch diese Tür, die in ein zweites Zimmer führte, war nur angelehnt, und sie konnten deshalb ohne weiteres in den angrenzenden Raum treten.

Sie taten es, blieben aber schon auf der Schwelle erschrocken stehen. Ein Anblick bot sich ihnen, der noch viel unheimlicher wirkte als das, was sie bisher gesehen hatten.

An einem Tisch, auf dem Spielkarten lagen, saß nämlich ein junger Mann.

Er saß steif da, mit dem Rücken gegen den Sessel gelehnt, mit schlaff herab hängenden Armen, und sein Kopf war auf höchst seltsame Art gegen seine linke Schulter eingeknickt.

Seine Augen waren geschlossen, und seine Wangen bedeckte eine wächserne Blässe. Auch er war tot.

»Das ist der Gipfel!« sagte der eine Beamte, wie um sich Mut zu machen, sehr laut.

»Es ist unheimlich,« flüsterte der andere.

»Sehen Sie eine Wunde?«

»Nein.«

»Trotzdem,« sagte der erste nach einer Weile, »es muß ein Verbrechen sein ...«

Sie näherten sich dem Toten, hüteten sich aber, ihn zu berühren. Auch er war schon vollständig steif. Die Karten, die auf dem Tisch lagen, ließen darauf schließen, daß man, ehe der Mann gestorben war, gespielt haben mußte. Wo aber war der Partner?

»Dort ist noch ein Zimmer,« sagte der eine Beamte, indem er auf eine dritte Tür zeigte.

»Ich möchte wetten,« flüsterte der zweite, »wir finden noch mehr.«

»Das reine Mordhaus!«

»Ob wir hinein gehen?«

»Wir müssen!«

Sie näherten sich der Tür, langsam und zaudernd, und stutzten, als sie sie gleichfalls nur angelehnt fanden. Keiner von ihnen brachte den Mut auf, sie aufzustoßen. Schließlich versetzten sie ihr beide gleichzeitig mit dem Fuße einen leichten Stoß, und sie ging auf.

Sie blickten in ein dunkles Zimmer, vor dessen Fenstern die Vorhänge dicht zugezogen waren. Es mochte ein Schlafzimmer sein, denn ein breites, niedriges, sehr luxuriöses Bett stand darin.

In diesem Bett lag ein Mensch.

Er war mit einer seidenen Decke zugedeckt, und man nahm auf dieser nur die zarten, schmalen Hände und in den Kissen den Kopf wahr, der von reichem rotem Haar umflossen war.

Man erkannte ein junges Mädchen.

Die beiden traten ein und beugten sich über den Körper. Wäre die wächserne Blässe in dem Gesicht nicht gewesen, hätte man glauben können, eine Schlafende vor sich zu haben. Eine ruhig Schlafende, die sehr jung und sehr schön war und deren Antlitz im Gegensatz zu den zwei anderen Leichen nichts von Schrecken oder Angst verriet. Ein Zug von Freude und von Glück lag sogar um die Lippen dieser Toten. So konnte wohl nur ein Mensch aussehen, den das Leben mitten im Schlaf verlassen hatte, während er eben glücklich geträumt hatte ...

»Was soll man dazu sagen,« meinte der eine Beamte.

Der andere zuckte mit den Schultern. »Nichts. Wir müssen warten, bis der Arzt und die Staatsanwaltschaft kommt. Das Nähere wird die Untersuchung dann schon ergeben.«

Sie gingen in das erste Zimmer zurück und traten dann auf den Korridor hinaus. Auch alle weiteren Räume der Villa öffneten sie dann noch, ohne irgendein Hindernis zu finden. Das Verwunderliche war nur, daß alle Uhren in dem Hause still standen und daß außer den drei Toten kein Mensch darin zu finden war. Die wenigen, die es bewohnt hatten, hatten es offenbar in der vergangenen Nacht verlassen.

Als die Schutzleute ihre oberflächlichen Feststellungen eben beendet hatten, trafen der Arzt und kurz nach ihm ein Kommissar der Kriminalabteilung ein. Das Haus wurde streng abgesperrt, aber die Untersuchung, die man jetzt auf die peinlichste und gründlichste Art anstellte, hatte kein anderes Ergebnis als jenes, das schon die erste Untersuchung gezeitigt hatte.

Als das Erstaunlichste ergab es sich auch diesmal, daß keiner der drei Toten auch nicht die geringste äußerliche Wunde aufwies, so daß, wenn ein Mord vorlag, man zunächst nicht wußte, mit welchen Mitteln er verübt worden war.

Auch von den Tätern fehlte jede Spur, doch richtete sich der Verdacht sogleich auf jenen russischen Fürsten Basil Lenski, von dem man wußte, daß er die Villa allein bewohnt hatte, und der aller Wahrscheinlichkeit nach geflohen war ...

… Um dieselbe Zeit, da man in dem Hause der Pension Segaste noch aufgeregt damit beschäftigt war, nach den Zusammenhängen zu fahnden, die wohl zwischen den drei Toten, die man dort gefunden hatte, bestehen mußten, fuhr vor der Privat-Irren-Anstalt des Professors Doktor Allmuth Liebreich in Hirschweide bei Berlin ein pompöses Auto vor.

Der einzige Insasse, der es auch zugleich führte, war ein ansehnlicher Herr in elegantem Pelz. Er entstieg dem Wagen und läutete vor dem Eingang nach dem Pförtner.

Als dieser kam und öffnete, fühlte er sich bei dem Anblick des Fremden von einem starken Unbehagen ergriffen. Der Herr im Pelz trug nämlich an der Stelle, wo seine Nase sitzen sollte, einen abscheulichen Fleischlappen, der seinem Gesicht etwas Grauenhaftes und Furcht Erweckendes gab.

Zögernd stellte der Pförtner die Frage nach dem Begehr des Fremden.

»Ich muß Herrn Professor Liebreich sprechen,« sagte der Fremde, »in dringender Angelegenheit.«

»Bitte,« sagte der Pförtner und ließ den Fremden ein.

Er führte ihn an dem Anstaltsgebäude vorüber zu der Villa in kokettem Schweizerstil, die die Privatwohnung des Professors bildete. Dort bat man den Fremden, eine Weile im Wartezimmer Platz zu nehmen.

Aber zunächst war es noch nicht der Professor selbst, der kam, sondern ein junger Assistent von ihm, der den Fremden nach dessen Namen fragte.

»Kennen Sie mich nicht mehr?« fragte der Herr im Pelz. »Ich bin Fred Hollander.«

»Wer?«

Der Herr im Pelz wiederholte den Namen und blickte dabei den Assistenzarzt voll an.

»Unmöglich,« murmelte der.

»Doch, Fred Hollander, – der bin ich!«

»Derselbe, der bei uns –?«

»– interniert war, ja. Und der im September vorigen Jahres von hier entwichen ist ... Sie erinnern sich doch?«

»Schon,« sagte der junge Mann, »aber –«

»Der bin ich,« wiederholte der Herr im Pelz mit Nachdruck.

»Sie scherzen ...«

»Das tue ich durchaus nicht, denn es geht mir, wenn sich der Herr Professor nicht meiner annimmt, an den Kragen.«

»Wieso?«

»Weil man mich sucht.«

Wer sucht Sie?«

»Die Polizei.«

»Warum?«

»Weil ich drei Menschen ermordet habe.«

»Herr,« rief der Assistenzarzt aus und sprang auf, »Sie sind –!«

»– verrückt,« nickte der Herr im Pelz und lächelte ruhig. »Sie haben recht. Der Herr Professor selbst hat ja meinen Irrsinn amtlich bescheinigt. Und das ist meine Rettung ... Wollen Sie ihn nicht rufen?«

»Einen Augenblick,« sagte der Assistenzarzt hastig, maß den Fremden noch einmal mit einem sonderbaren Blick und entfernte sich rasch.

Er stürzte hinüber in die Privatwohnung des Professors und ließ sich nicht abweisen, obwohl ihm das Mädchen bedeutete, der Herr Professor sitze eben beim Frühstück.

Bei diesem ließ sich Professor Doktor Allmuth Liebreich, der Junggeselle war und der nachts oft erst recht spät das Bett aufsuchte, nicht gern stören. Deshalb traf den Assistenten bei dessen Eintritt ein nicht eben gnädiger Blick. Doch das störte den jungen Mann dies eine Mal nicht.

»Ein Verrückter ist da,« rief er mit allen Zeichen einer großen Erregung aus, »ein komplett Irrsinniger, – und der will Sie sprechen!«

»Mensch,« sagte Professor Doktor Allmuth Liebreich halb vorwurfsvoll und halb gelassen, »– ein Verrückter, sagen Sie? Und das regt Sie auf? Wo wir in unserem Sanatorium doch nur Verrückte haben?«

»Ja, aber die Umstände, Herr Professor! Der Mann ist nämlich nicht nur verrückt, sondern er bildet sich auch ein, verrückt zu sein!«

»Wie das?«

»Er behauptet, er sei Fred Hollander!«

»Wer?«

»Fred Hollander, der uns im vergangenen Herbst entwischt ist! Der will er sein! Ist es aber natürlich nicht! Er ist ein ganz Fremder! ... Und er behauptet außerdem, die Polizei sei hinter ihm her!«

»Weshalb?«

»Denken Sie: er sagt, er habe drei Menschen ermordet! ... Das sagt er. Es könne ihm aber nichts geschehen, weil er ja Fred Hollander sei, dessen geistige Unzurechnungsfähigkeit Sie, Herr Professor, amtlich bescheinigt hätten!«

»So,« sagte der Professor, indem er sich endlich erhob und seinen Bart von den Resten eines genossenen weichen Eis befreite, »der Fall interessiert mich ... Wie sieht der Mann aus?«

»Geradezu unheimlich ... Er hat keine Nase.«

»Sie verstehen mich nicht ... Ich meine: sieht er arm oder wohlhabend aus?«

»Er trägt einen kostbaren Pelz und ist mit eigenem Auto hergekommen.«

»Schön,« sagte der Professor, dessen Mißmut plötzlich verflogen war, »ich bin sogleich zur Stelle.«

Wenige Minuten später trat er in das Zimmer, in dem der Herr mit dem Pelz noch wartete. Er ging lächelnd auf den Fremden zu, der sich erhob und dem Professor seine Rechte zur Begrüßung entgegenstreckte. Der schüttelte sie herzlich. Man sah es ihm an, daß er sogleich im Bilde war und auf alles eingehen würde, was der offenbar also doch Irrsinnige vorbringen würde. Er verfügte ja im Umgange mit solchen Leuten über jenen Ton, der nötig und allein richtig war.

»Bitte,« sagte er zu dem Herrn im Pelz, »behalten Sie doch Platz!«

»Ich danke,« sagte der Fremde.

Sie setzten sich einander gegenüber, und nur ein kleiner Tisch stand zwischen ihnen. Es machte den Eindruck, als richteten sie sich auf eine behagliche Unterhaltung ein. Sowohl der Fremde als auch der Professor zeigte die unbefangenste und heiterste Miene.

»Sie sind also Fred Hollander?« fragte der Professor in freundlichem Tone.

»Gewiß. Sie erkennen mich doch?«

»Nun, es scheint mir, ein klein wenig haben Sie sich doch verändert, – seit –«

»– seit jener Nacht, meinen Sie, in der ich Ihnen entwischt bin? ... Übrigens, haben Sie am nächsten Morgen jenen Herrn entdeckt – ich glaube, er hielt sich für einen Dichter –, der so freundlich war, die Kleidung mit mir zu tauschen?«

»Woher wissen Sie –? fragte der Professor verblüfft.

»Aber,« sagte der Herr im Pelz und lächelte, »wie sollte ich das nicht wissen, wo ich es doch gewesen bin, der den Guten leider seiner Kleidung berauben mußte? ... Ich habe inzwischen mancherlei getan.«

»Was?« fragte der Professor.

»Zunächst erschien es mir als das Wichtigste, rasch ins Ausland zu entkommen,« erklärte der Herr im Pelz »nach jenem Orte in der Schweiz, in dem ich mein Geld verborgen hatte ... Sie wissen doch: das viele Geld, die Millionen, nach denen meine Familie vergebens fahndete ... Nun, es gelang mir besser, als ich erst dachte. Es gelang mir mit Hilfe eines fremden Autos, dessen Besitzer auf der verrückt schnellen Fahrt leider den Tod fand ... Ich glaube, der Mann hieß Schnabel, war ein Schieber, und man muß seine Leiche mit zerschmettertem Kopf irgendwo im Straßengraben gesunden haben.«

»Hm,« machte der Professor.

»Ja,« fuhr der Mann im Pelz gelassen fort, »und dann, als ich im Besitze meines Geldes war, das eben ein ehemaliger Freund von mir veruntreuen wollte, – da führte mich mein Weg nach Hamburg. In Hamburg aber, da hatte ich viel Glück. Dort lernte ich einen Russen kennen, einen geflüchteten Fürsten Basil Lenski aus Moskau, der mir sogleich durch eine besondere Eigenart seines Gesichtes ins Auge fiel ... Der Mann hatte nämlich keine Nase.«

»Wie?«

»Nein, keine Nase. Das gab ihm ein Aussehen, das aus der Welt nicht mehr seinesgleichen hatte. Der Mann sah so unheimlich und so einzigartig aus, daß ich sofort den heftigen Wunsch in mir verspürte, ich möchte er sein ... Und wissen Sie, was ich tat?«

»Nein,« sagte der Professor.

»Ich kaufte ihm seine Papiere ab.«

»Seine Papiere?«

»Ja. Aber Sie haben ganz recht. Was konnten mir die Papiere des Fürsten Basil Lenski aus Moskau nützen, wenn mein Äußeres nicht der Personalbeschreibung und dem Bilde, das die Papiere enthielten, entsprach? ... Das sah ich ein. Und weil ich es einsah, so tat ich ein übriges. Ich suchte einen Chirurgen auf.«

»Einen Chirurgen –?«

»Ja. Und zwar einen Mann, der ein Künstler in seinem Fach ist ... Dem bot ich eine Million an.«

»Eine Million? Wofür?«

»Dafür, daß er eine kleine Operation an mir vornehmen sollte ... Und er nahm die Million!«

»Er nahm sie?«

»Ja. Und er nahm die kleine Operation, die ich von ihm verlangte, vor ... das wissen Sie, worin die bestand?«

Der Professor schwieg.

»Sie bestand darin, daß er aus meinem Gesicht die Nase herausschnitt.«

»Wie?«

»Die Nase herausschnitt, ja. Und mir dafür als Ersatz eine künstliche Nase einsetzte, mit Hilfe des kleinen Fingers meiner linken Hand, der nun, wie Sie sehen, dieser kleine Finger jetzt fehlt ... Für einen modernen Chirurgen übrigens ein Kinderspiel! Die Operation gelang auch. Nach Verlauf von wenigen Wochen war ich geheilt und mein Äußeres in einem solchen Maße verändert, daß mich kein Mensch mehr als den ehemaligen Fred Hollander erkannt hätte, ein jeder aber mich für jenen Fürsten Basil Lenski aus Moskau halten mußte, dessen Papiere ich ja besaß ... Erst jetzt, verehrtester Herr Professor, hielt ich die Zeit für gekommen, mich nach Berlin zu wagen. Und das tat ich. Ich reiste in meine Heimatstadt, mietete mich unter dem Namen des Fürsten Basil Lenski aus Moskau ganz allein in der Pension Segaste ein, und kein Mensch kam natürlich auf den Gedanken, daß ich der verschwundene Fred Hollander sein könnte, – ja, auch Sie wären auf diesen Gedanken nicht gekommen, obwohl Sie mich doch jetzt – nicht wahr? – endlich erkennen?«

Der Herr im Pelz schwieg und blickte den Professor voll an. Der seinerseits faßte den Fremden schärfer ins Auge, wollte aufspringen, beruhigte sich aber nickte nur und lächelte einigermaßen verzerrt.

»Erkennen Sie mich jetzt?«

»Ja.«

»Das freut mich. So darf ich mir jetzt also wohl erlauben, in meiner Erzählung fortzufahren?«

»Ich bitte Sie darum,« sagte der Professor freundlich. »Vor allem aber möchte ich Sie das eine fragen, was wollten Sie in Berlin?«

»Mich rächen.«

»An wem?«

»An meiner Familie.«

»Wofür?«

»Dafür,« versetzte der Herr im Pelz gelassen, »daß meine Familie Sie, Herr Professor, für Geld dafür gewonnen hatte, mich für irrsinnig zu erklären ... Oder halten Sie mich in der Tat für irrsinnig?« setzte der Herr im Pelz nach einer kleinen Pause hinzu.

»Jawohl.«

»Schon allein der Umstand, daß Sie mir so antworten, beweist mir, daß Sie es nicht tun. Sie wissen, daß mein Gehirn genau so normal ist wie das Ihre. Aber das können Sie natürlich nicht zugeben, da Sie, wenn Sie sich zu Ihrem ersten Gutachten in einen Widerspruch setzten, sich fangen würden. Sich in Ihrer eigenen Schlinge fangen würden ... Und darauf, sehen Sie, gründete ich meinen Plan.«

»Welchen Plan?«

»Den Plan, mich an den Meinen zu rächen. Denn ich sagte mir, daß, was immer ich Verbrecherisches tun würde, ich dafür strafrechtlich doch nicht zur Verantwortung gezogen werden könne, weil, – nun, weil ich eben nach Ihrem sachverständigen Urteil geistig nicht zurechnungsfähig bin!«

»Und in diesem Sinne haben Sie auch gehandelt?« fragte der Professor.

»Ja.«

»Was haben Sie getan?«

»Ich habe, um die Tauglichkeit meiner Waffe zu prüfen, zunächst einen Staatsanwalt umgebracht.«

»Herr!«

Der Herr im Pelz zuckte mit den Schultern. »Es war leider nicht zu umgehen, denn ich mußte wissen, ob meine Waffe etwas tauge. Zudem, so sagte ich mir, hatte die Welt an dem Mann nicht viel verloren.«

»Sie haben ihn umgebracht?«

»Ja. Aber auf sehr humane Weise, gleichsam im Schlaf ... Auf dieselbe Art, ganz schmerzlos und ohne daß sie eine Ahnung davon hatte, habe ich dann auch meine Tochter getötet.«

»Wie?!«

»Es war eine verdienstvolle und gute Tat, scheint mir, die ich da getan habe, da sich das Mädchen auf Wegen befand, die sie einem viel schlimmeren Ende zuführen mußten ... Es blieben mir also nur noch mein Sohn und meine Frau.«

»Haben Sie die auch ermordet?«

Der Herr mit dem Pelz nickte mit ernster Miene. »Das habe ich, – das heißt, eigentlich nur meinen Sohn ... Er fand den Tod, den er verdiente. Er fand ihn beim Spiel. Er spielte mit mir, und er spielte um sein Leben, und es war das erste Mal, daß er gegen mich gewann, – nämlich seinen Tod ... Blieb also nur noch meine Frau.«

»Die haben Sie nicht ermordet?«

»Nein. Sie hat sich selbst getötet.«

»Sich selbst –?«

»Vielmehr ihr böses Gewissen hat sie getötet, ihr Schuldbewußtsein ... Sie starb vor Schreck, als sie mich erblickte, – denn sie war die einzige, die mich sogleich erkannte, trotz meiner Entstellung, – sie erkannte mich an meinem Blick ...«

»– und starb?«

»– starb, bei meinem Anblick von einem Herzschlag getroffen!«

Beide schwiegen nun eine Weile und senkten, wie um ihre Gedanken zu verbergen, die Augen.

Der Professor war der erste, der den Kopf wieder hob. Er rückte an seiner goldenen Brille und räusperte sich.

»Und das alles, was Sie mir da erzählen, ist auch wahr?«

»Es ist so wahr wie die Tatsache, daß man eben jetzt die drei Toten in der Pension Segaste entdeckt haben und nach mir als dem vermutlichen Mörder suchen wird.«

»Und da meinen Sie –?«

»Daß mir nichts geschehen kann, ja. Aus zweifachem Grunde nämlich.«

»Aus –?«

»– zweifachem Grunde, ja. Erstens: ich bin doch irrsinnig ... Wie?«

»Ja ... Und zweitens?«

»Zweitens ...«

Der Herr im Pelz lächelte seltsam und zog sein goldenes Zigaretten-Etui aus der Tasche seines Pelzes und spielte mit ihm.

»… zweitens ist es ein Ding der Unmöglichkeit, daß man mir einen Mord nachweisen kann.«

»Wieso?«

»Der Grund liegt in der Besonderheit der Waffe, mit der ich meine Opfer getötet habe.«

»An der Besonder –?«

Der Herr im Pelz nickte und öffnete sein Zigaretten-Etui. »An der Besonderheit meiner Waffe, ja ... Wissen Sie, womit ich meine Opfer getötet habe?«

»Nein.«

»Mit Gift.«

»Mit Gift?«

»Mit Schrumbin.«

»Was ist das?«

»Das ist ein Gift, das neben seiner absoluten Tödlichkeit noch eine zweite Eigenschaft aufweist, die – nicht ihresgleichen hat ... Aber wollen Sie sich nicht bedienen?«

Der Herr im Pelz hielt dem Professor artig sein Zigaretten-Etui hin. Der bediente sich und steckte, ebenso wie sein Partner, eine Zigarette in den Mund.

»Schrumbin nämlich,« fuhr der Herr im Pelz fort, indem er aus der Tasche seines Pelzes eine Streichholzschachtel hervorholte, »tötet augenblicklich, zersetzt das Blut, ist aber, wenn der Tod eingetreten ist, im menschlichen Körper nicht mehr nachzuweisen.«

»Wie?«

»Jawohl.«

»Und in welcher Form,« fragte der Professor auf das höchste interessiert, »nimmt man dieses Gift zu sich?«

»Das werde ich Ihnen sogleich sagen ... Aber wollen Sie zuvor nicht Feuer nehmen?«

Der Herr im Pelz hatte ein Streichholz angeritzt und hielt es dem Professor hin. Der brannte seine Zigarette daran an und tat einen tiefen Zug. Das Gleiche tat sein Partner. Dann sahen sie einander an.

»Man verabfolgt Schrumbin etwa –«

Der Herr im Pelz machte eine Pause, und der Professor, begierig, das Weitere zu erfahren, tat mechanisch einen zweiten Zug aus der Zigarette.

»– in Form einer Zigarette wie diese hier, die mit dem Gift getränkt ist.«

Auch der Herr im Pelz tat einen zweiten Zug an der Zigarette und blickte den Professor lächelnd an.

Professor Doktor Allmuth Liebreich erblaßte plötzlich. Wurde leichenblaß, wollte aufspringen, konnte es aber nicht.

Er stieß nur einen letzten Schrei aus.

Diesen Schrei, so schwach er war, hörte doch der junge Assistenzarzt, der sich im Nebenzimmer aufhielt, um, wenn es nötig sein sollte, auf alle Fälle zur Stelle zu sein. Er hörte ihn, riß die Tür auf und drang in das Zimmer.

Ein höchst sonderbarer Anblick bot sich ihm da. Er sah beide Männer einander gegenüber sitzen, bleich mit eingeknicktem Kopf, eine noch glimmende Zigarette in der Hand.

Sie waren tot ...

»Hilfe!« schrie er und lief entsetzt aus dem Zimmer.


 << zurück