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Oben auf dem Dachboden bearbeitete Frank Fellowe seinen Punchingball und ließ an ihm all seinen Ärger über die Unannehmlichkeiten des Lebens aus.
Sergeant Gurden machte ihm in jeder Weise das Dasein schwer. Er gab ihm den unangenehmsten Dienst und ermüdende, langweilige Arbeit, auch packte er ihm außergewöhnliche Pflichten auf, wo er nur konnte. Und außerdem hatte sich Frank doch selbst die Aufgabe gestellt, die Tätigkeit Oberst Blacks und seiner Leute zu beobachten. Wenn er gewollt hätte, wäre es ihm ein leichtes gewesen, alle Hemmnisse mit einem Schlag zu beseitigen, aber das war nicht seine Art. Frank wollte unter allen Umständen Blacks Pläne durchkreuzen und zunichte machen. Andere Interessen, die ihn ebensosehr hätten in Anspruch nehmen können, stellte er zurück – wenigstens für eine Weile.
*
Die Tochter des Millionärs Sandford, die Frank Fellowe zufällig bei der Verhütung eines Unfalls kennengelernt hatte, traf ihn nach einiger Zeit wieder. Klopfenden Herzens hatte sie der Begegnung entgegengesehen. Als er damals beim Versagen der Bremsen auf den Wagen gesprungen war, hatte sie Dankbarkeit und Bewunderung für ihn gefühlt. Und dieser Eindruck vertiefte sich, als sie mit ihm zusammen im Zoo spazierenging. Sie hatte ihn nämlich zu einem gemeinsamen Zoobesuch eingeladen, weil sie gern genauer wissen wollte, wer eigentlich ihr Retter war.
Sie hatte gefürchtet, daß sie sehr enttäuscht sein würde. Denn ein stattlicher Polizist in Uniform konnte in Zivilkleidung recht kläglich aussehen. Wer wußte denn, was für einen vulgären Geschmack er vielleicht bei der Wahl seines Anzugs zeigen würde, ganz zu schweigen von Krawatte und Schuhen!
Sie hatte daher vorsichtshalber beschlossen, nur die entlegensten Wege mit ihm zu gehen. Als ihr nun ein hübscher, tadellos gekleideter Herr entgegentrat, war sie außerordentlich überrascht. Er sah gar nicht wie ein Polizist in Zivil aus.
Nachdem sie bei zwei Käfigen gewesen waren, übernahm er die Führung und erzählte ihr Dinge über wilde Tiere, von denen sie noch nie etwas gehört hatte. Er machte ihr die feinen Unterschiede zwischen fünf verschiedenen Arten von Luchsen klar und erzählte ihr kleine Anekdoten von der Jagd im Dschungel. Sie hörte ihm atemlos vor Bewunderung zu. Dann führte er sie zu einem ihr bisher ganz unbekannten Gebäude, in dem die kranken Tiere wieder gesund gepflegt wurden.
Aber es war unmöglich, an einem Tag alles zu besichtigen, und so mußten sie sich immer wieder dort treffen.
Außerdem ritten sie manchmal in den frühen Morgenstunden miteinander über die Heide von Hampstead. Sie vermutete natürlich, daß er sein Pferd gemietet hätte, obwohl er nicht immer dasselbe Tier ritt.
»Wie viele Pferde haben Sie eigentlich in Ihrem Stall?« fragte sie eines Tages neckend.
»Sechs«, sagte er prompt. »Während der Saison reite ich viele Jagden mit –«
Aber dann hielt er plötzlich inne. Seine Voreiligkeit hatte ihn wieder einmal in böse Verlegenheit gebracht.
»Aber Sie sind doch Beamter – Polizist?« sagte sie erstaunt. »Ich meine – ach, verzeihen Sie, wenn ich eben unhöflich war.«
Er wandte sich im Sattel zu ihr.
»Ich besitze ein kleines Privatvermögen«, erwiderte er und zwinkerte ein wenig mit den Augen. »Ich bin erst seit zwölf Monaten Polizist. Vorher war ich . . . war ich kein Polizist.«
Er drückte sich nicht verständlich genug für sie aus; da er aber sehr verlegen zu sein schien, wechselte sie das Gesprächsthema. Im stillen wunderte sie sich freilich über seine Äußerungen, obwohl sie sich sonderbar angenehm berührt fühlte.
Seltsamerweise tauchte nach diesem Ritt der Gedanke in ihr auf, daß sie nicht mehr mit ihm zusammenkommen dürfe. Aber dann hätte sie ihn doch auch früher nicht treffen dürfen? War es denn schicklicher, mit einem einfachen Polizisten auszureiten als mit einem Mann, der zu ihrer eigenen Gesellschaftsklasse gehörte? Trotz dieser Überlegung sah sie ihn wieder, und mit der Zeit nannten sich Konstabler Fellowe und Miss Sandford in ihren Unterhaltungen ›May‹ und ›Frank‹.
Theodore Sandford, ein energischer, unbeugsamer Mann, war sehr demokratisch gesinnt. Er scherzte mit seiner Tochter über ihren Polizisten, machte Andeutungen über ›heimliche Besuche in der Küche‹ und fragte auch, ob sie ihm etwas Gutes zu essen gegeben habe. Schließlich aber sprachen sie miteinander über Franks Zukunft. Mußte er wirklich bei der Polizei bleiben? Er hatte doch selbst zugegeben, daß er über Vermögen verfügte. Warum sollte er die untergeordnete Stellung eines gewöhnlichen Polizisten beibehalten?
Diese Unterhaltungen nahmen allmählich ernste Formen an, und eines schönen Tages setzte sich May hin und schrieb Frank einen Brief, der eigentlich mehr ein Ultimatum war. In ihrem Eifer schickte sie das übereilte Schreiben ab, aber sie bereute es gleich darauf heftig.
Theodore Sandford sah mit einem gutmütigen Lächeln von seinem Schreibtisch auf.
»Du bist jetzt also wirklich böse mit deinem Polizisten?«
Aber May faßte die Sache nicht scherzhaft auf. Auf ihren hübschen Zügen zeigte sich Entschlossenheit.
»Mr. Fellowe kann natürlich tun, was er will«, sagte sie achselzuckend. »Ich habe keinerlei Einfluß auf ihn.« Sie wußte sehr wohl, daß sie nicht die Wahrheit sprach. »Aber man hat doch wenigstens das Recht, von seinen Freunden zu verlangen . . .«
Vor Ärger und Verdruß traten ihr die Tränen in die Augen. Ihr Vater sah sie prüfend und fast ängstlich an. Seine Frau war gestorben, als seine Tochter noch ein kleines Kind gewesen war, und er fürchtete immer, die Anzeichen der Krankheit, die seine über alles geliebte Frau so früh dahingerafft hatte, auch bei May zu entdecken, obwohl diese bis jetzt immer gesund gewesen war.
»Mein Liebling«, sagte er zärtlich, »du mußt dich nicht über deinen Polizisten aufregen. Ich bin sicher, daß er alles für dich tun wird, wenn er nur halbwegs menschlich denkt und fühlt. – Du siehst übrigens schlecht aus«, fügte er besorgt hinzu.
»Ich bin heute abend sehr müde.« Sie umarmte ihn.
»Du siehst in der letzten Zeit immer so matt aus. Auch Black sagte es neulich, als er dich sah. Er empfahl mir einen sehr tüchtigen Arzt – ich habe mir auch seine Adresse aufgeschrieben.«
Sie schüttelte energisch den Kopf.
»Ich brauche keinen Arzt«, sagte sie bestimmt.
»Aber –«
»Bitte – quäle mich nicht«, bat sie und lachte wieder. »Du mußt mich nicht zwingen wollen.«
In diesem Augenblick klopfte es, und ein Diener trat ein.
»Mr. Fellowe möchte seine Aufwartung machen.«
Sie schaute sich schnell um.
»Wo ist er denn?« fragte sie.
Mr. Sandford sah, daß sie errötete, und schüttelte lächelnd den Kopf.
»Er wartet unten im Empfangszimmer.«
»Ich werde hinuntergehen«, wandte sie sich an ihren Vater.
»Er wird sicher sehr liebenswürdig und nett zu dir sein – er ist hoffentlich ein Gentleman.«
»Wie, daran wagst du zu zweifeln?« rief sie aufgeregt. »Natürlich ist er ein Gentleman!«
»Verzeih, daß ich davon sprach«, entschuldigte sich Theodore Sandford.
*
Als May in das Empfangszimmer trat, las Frank in ihrem Brief, der ihn so eilig hergeführt hatte.
Er gab ihr die Hand und hielt sie einen Augenblick, kam dann aber sofort auf den Grund seines Besuches zu sprechen. Es fiel ihm schwer genug, denn niemals war May ihm so schön erschienen wie an diesem Abend.
May Sandford gehörte zu den Frauen, deren Schönheit so ungewöhnlich ist, daß man sie schwer beschreiben kann.
Nicht ein einzelner Zug macht ja die Erscheinung einer Frau aus; ihre Schönheit ergibt sich aus vielen charakteristischen Einzelheiten – aus der Form des Mundes, der Haltung des Kopfes, der Frisur, dem Teint, der Art, die Schultern zu tragen, den Linien des Körpers, dem beschwingten Gang.
May Sandford war wirklich eine Schönheit. Schon als Kind war sie bezaubernd gewesen, und als sie älter wurde, verlor sie nichts von ihrem Charme, sondern war zu immer vollkommenerer Schönheit herangereift.
»Sie können doch nicht im Ernst meinen, was Sie mir geschrieben haben – das ist doch nicht Ihre Überzeugung?«
Sie neigte den Kopf.
»Ich . . . ich . . . hielt es für das beste«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich fürchte, wir werden uns über gewisse Dinge nicht verständigen können. Sie waren in der letzten Zeit recht schroff, Mr. Fellowe.«
Sein Gesicht war sehr blaß.
»Ich kann mich nicht darauf besinnen, daß ich besonders unliebenswürdig zu Ihnen gewesen wäre«, erwiderte er ruhig.
»Sie können unmöglich Polizist bleiben!« Sie ging zu ihm und legte ihre Hände auf seine Schultern. »Sehen Sie denn das nicht ein – selbst Papa scherzt über Ihre Stellung. Es ist einfach schrecklich. Ich bin sicher, daß auch die Dienstboten darüber reden. Ich bin ja nicht hochmütig, wirklich nicht, aber . . .«
Frank warf den Kopf zurück und lachte.
»Aber May, begreifen Sie denn nicht, daß ich bestimmt kein Polizist wäre, wenn nicht ein zwingender Grund dazu vorläge? Ich tue diesen Dienst weiter, weil ich es meinem Vorgesetzten versprochen habe.«
»Aber . . . aber . . .« Sie war völlig verwirrt. »Wenn Sie Ihren Abschied von der Polizei nehmen, haben Sie doch gar keinen Vorgesetzten mehr?«
»Ich kann meine Stellung nicht aufgeben«, sagte er schlicht. Er dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Sie fordern von mir, daß ich mein Wort brechen soll, daß ich ein größeres Unrecht begehen soll als das, was ich sühnen will. Das können Sie doch nicht wollen!«
Sie trat enttäuscht von ihm zurück.
»Ich verstehe – Sie wollen es nicht tun.« Sie streckte die Hand aus. »Ich werde Sie auch nie wieder darum bitten.«
Er nahm ihre Hand, drückte sie einen Augenblick und ließ sie dann sinken. Ohne ein weiteres Wort ging sie aus dem Zimmer. Frank wartete noch ein paar Sekunden – hoffte wider alle Vernunft, daß sie ihr Verhalten bereuen werde. Aber die Tür blieb geschlossen.
Niedergeschlagen verließ er das Haus.