Edgar Wallace
Die drei von Cordova
Edgar Wallace

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16

Der Mann, der von Black ›Mr. Farmer‹ genannt wurde, blieb allein im Zimmer zurück und wartete noch einige Minuten. Dann nahm auch er seinen Mantel, der hinter der Tür hing, setzte seinen Hut auf, zog in aller Ruhe seine Handschuhe an und verließ das Haus.

Er schlug dieselbe Richtung ein wie seine beiden Besucher. Als er ans Ende der Straße kam, war ihr Auto längst abgefahren.

Er bog in die Camberwell Road ein, und als er im Licht der Straßen- und Schaufensterlampen dahinging, sah man, daß der hübsche große Mann mit dem feinen, blassen Gesicht zwar unauffällig, aber sehr gut gekleidet war.

Er benützte eine Straßenbahn, stieg in der Nähe des ›Elephant and Castle‹ aus und ging schnell die New Kent Road entlang. Dann bog er in eine der kleinen Nebenstraßen ein, die zu einem Labyrinth enger, ärmlicher Gassen in jenem Bezirk führen, der im Westen von der East Street und im Osten von der New Kent Road begrenzt wird. Eine kleine Strecke weiter waren die alten Häuser abgerissen und durch neue Gebäude ersetzt worden. Ein großes, beleuchtetes Schild über einem mächtigen Portal kündete der Nachbarschaft an, daß sich hier die Freiapotheke befand, obwohl jeder, der im Umkreis wohnte, diese Einrichtung sehr gut kannte.

Im Flur war eine Tafel angebracht, auf der die Namen von drei Ärzten standen. Ein kleines, auswechselbares Schild hinter jedem Namen zeigte außerdem an, ob der betreffende Arzt zugegen oder abwesend war.

Mr. Farmer trat an die Tafel heran. Das Schildchen hinter dem Namen des ersten Arztes meldete: ›Nicht zugegen.‹ Mr. Farmer wechselte es um in ›Anwesend‹, dann trat er ein, ging durch den langen, geräumigen Warteraum und kam in ein Zimmer, auf dessen Tür ›Dr. Wilson Graille‹ zu lesen war.

Er schloß die Tür hinter sich und drückte auf eine Klingel, nachdem er Hut und Mantel in den Kleiderschrank gehängt hatte. Gleich darauf erschien ein Diener.

»Ist Doktor O'Hara im Hause?« fragte er.

»Jawohl, Doktor.«

»Sagen Sie ihm, daß er bitte zu mir kommen möchte.«

Einige Minuten später trat ein mittelgroßer, stattlich aussehender Mann ein.

»Nun, was hast du erreicht?« fragte er, nahm sich unaufgefordert einen Stuhl und setzte sich.

»Sie haben angebissen«, sagte Gonsalez leise lachend. »Ich glaube, sie haben etwas vor. Sie waren sehr begierig zu erfahren, ob wir etwas unternehmen wollen. Es ist das beste, wenn du Manfred benachrichtigst. Wir wollen heute nacht eine Sitzung abhalten. Was denkst du von Despard? Glaubst du, daß er sehr böse sein wird, weil ich seinen Namen genannt habe?«

Er sprach jetzt ohne den Akzent, der Black so völlig getäuscht hatte.

»Ach, sicher nicht.«

»Ich habe ihn ja auch nur deshalb gewählt, weil ich wußte, daß er heute abend verreist.«

»Und die anderen?«

»Mit Ausnahme des Kunstkenners existieren sie überhaupt nicht.«

»Wenn er nun aber Nachforschungen anstellt?«

»Das ist nicht seine Art. Er wird sich damit begnügen, Despard zu beobachten, vielleicht noch den anderen. Despard reist heute abend ab, und der andere fährt am Mittwoch nach Amerika. Du siehst, es stimmt alles genau mit dem überein, was ich Black erzählt habe.«

Er nahm die zwei Zehnpfundnoten aus seiner Westentasche und legte sie auf den Tisch.

»Zwanzig Pfund«, sagte er und gab sie seinem Freund. »Du kannst irgendein gutes Werk damit tun.«

Poiccart steckte sie ruhig in die Tasche.

»Ich werde sie dem Kinderheim in Brady überweisen. Zwar wird den Kleinen das Leben dadurch nicht gerettet, aber doch auf alle Fälle angenehmer gemacht.«

Beiden schien plötzlich derselbe Gedanke zu kommen, denn sie lachten gleichzeitig.

»Black würde Augen machen, wenn er wüßte, für welchen Zweck sein gutes Geld verwendet wird«, meinte Graille – mit anderem Namen Farmer und in Wirklichkeit Gonsalez.

Er zwinkerte vergnügt mit den Augen.

»Sie hätten wohl zu gern erfahren, wer der vierte ist?« fragte Poiccart.

»Ja, natürlich. Aber ich möchte wissen, ob sie mir geglaubt hätten, wenn ich ihnen gestanden hätte, daß ich selbst einer der vier bin und die Identität des vierten ebensowenig kenne wie sie selbst.«

Poiccart erhob sich und schaute nachdenklich ins Feuer. »Ich habe mich schon oft gefragt, wer es sein könnte. Du nicht auch?«

»Ich habe mir diese Neugierde schon abgewöhnt«, entgegnete Gonsalez. »Wer es auch immer sein mag, ich freue mich, daß es ein hochherziger Mann ist, der eifrig für unsere Sache arbeitet.«

Poiccart stimmte ihm zu.

»Ich bin sicher«, fuhr Gonsalez begeistert fort, »daß er schon große und ehrenvolle Taten vollbracht hat.«

Poiccart nickte ernst.

»Übrigens habe ich auch den alten Lord Verlond aufgesucht«, sagte Gonsalez. »Du erinnerst dich doch, daß Nummer vier uns nahelegte, ihn einmal auf die Probe zu stellen. Er ist ein verbitterter alter Mann mit einer scharfen Zunge.«

Poiccart lächelte.

»Er hat dir wohl gesagt, du sollst dich zum Teufel scheren?«

»Ja, so etwas Ähnliches. Schließlich hat er unter viel Gemurre und Gebrumme zehn Schilling herausgerückt. Aber ich habe mich köstlicher über ihn amüsiert, als das halbe Pfund wert ist.«

»Du hast mir die zehn Schilling nicht für unseren Fonds hier gegeben?«

»Nein, sie waren für andere Zwecke bestimmt«, erwiderte Gonsalez lächelnd.

Sie konnten sich nicht weiter unterhalten, denn es kamen Patienten. Eine Viertelstunde später waren die beiden voll an der Arbeit; sie verbanden Wunden, gaben Ratschläge bei Krankheiten und teilten Medizinen aus. Ihre Hilfeleistungen wurden von den Bedürftigen dieses übervölkerten Stadtteils dankbar in Anspruch genommen.

Das große Haus mit der Freiapotheke und dem Ambulatorium verdankte seine Errichtung und Unterhaltung der Freigebigkeit dreier Ärzte, die plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht waren. Eines Tages stiftete dann ein Unbekannter fünftausend Pfund zur Unterstützung ihrer Arbeit; später erschien er eines Abends persönlich, in einen langen Mantel gehüllt, das Gesicht von einer Maske bedeckt. Er schlug den drei Menschenfreunden vor, ihn in ihren Bund aufzunehmen. Keiner kannte ihn, außer Manfred vielleicht, der das Anerbieten sofort annahm und dem Fremden vertraute. So war er denn ihr Mitarbeiter geworden.

Gelegentliche Beobachter beschrieben die drei Ärzte als Sonderlinge, die ihrem guten Werk jedoch fanatisch ergeben seien. Sie gehörten keiner Organisation an, auch deutete nichts darauf hin, daß sie etwa mit einer religiösen Gemeinschaft in Verbindung stünden, die ebenfalls Notleidenden ärztlichen Beistand spendete. Es war über alle Zweifel erhaben, daß sie die nötigen Kenntnisse und Diplome zur Ausübung ihres Berufes besaßen. Einer von ihnen, Leon Gonsalez, war überdies ein hervorragender Chemiker.

Es war beinahe elf Uhr abends geworden, als die beiden Freunde ihre Arbeit beendet hatten. Der letzte Patient war entlassen, das letzte angstvolle Wimmern eines kranken Kindes verklungen. Die Türen wurden verschlossen, und die Putzfrauen machten sich daran, die Zimmer zu reinigen.

Gonsalez und Poiccart trafen sich müde, aber doch befriedigt von ihrer Arbeit, in ihrem Büro wieder. Dieser gutausgestattete Raum diente den dreien auch als gemeinsames Wohnzimmer. Ein großes Feuer brannte im Kamin, bequeme Armsessel und Ottomanen standen im Zimmer. Ein schwerer, weicher Teppich bedeckte den Boden, und an den Wänden hingen wertvolle Radierungen.

Sie besprachen die behandelten Fälle, verglichen ihre Notizen und erzählten sich interessante Einzelheiten.

Manfred war schon früh am Abend ausgegangen und noch nicht zurückgekehrt.

Plötzlich klingelte es.

Leon Gonsalez sah nach der Anzeigetafel.

»Es ist die Tür zur Apotheke«, sagte er auf spanisch. »Es ist wohl besser, wir sehen einmal nach, wer es ist.«

»Wahrscheinlich wieder ein kleines Mädchen«, meinte Poiccart, »dessen Vater tot oder betrunken ist.«

Sie mußten lachen bei der Erinnerung an diesen Vorfall, der sich tatsächlich ereignet hatte.

Poiccart öffnete die Tür und sah einen Mann im Eingang stehen.

»Es ist ein schweres Unglück passiert, gerade um die Ecke. Kann ich den Mann hierherbringen, Doktor?«

»Was ist denn geschehen?«

»Ich weiß es nicht, jedenfalls scheint er einen Messerstich erhalten zu haben.«

»Bringen Sie ihn herein.«

Poiccart ging schnell zu Gonsalez zurück.

»Ein Opfer einer Messerstecherei. Kann er in dein Sprechzimmer gebracht werden, Leon?«

Gonsalez erhob sich rasch.

»Ja – ich werde gleich den Operationstisch herrichten.«

Wenige Minuten später trugen ein paar Leute den Bewußtlosen herein. Die beiden Freunde erkannten ihn sofort wieder.

Sie legten ihn vorsichtig auf den Operationstisch und machten mit geschickten Händen die Wunde frei, während ein Polizist, der die Leute begleitet hatte, die Neugierigen aus dem Zimmer entfernte.

Als Gonsalez und Poiccart mit dem Verletzten allein waren, sahen sie sich bedeutsam an.

»Wenn ich mich nicht irre«, sagte Leon leise, »so ist das Mr. Willie Jakobs.«


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