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Nun blieb es eine ganze Reihe von Jahren ruhig im Gau, und die Leute gingen ihrer Arbeit ungestört nach. Mittlerweile wuchsen die Kinder des Thorbjörn heran. Der Vater hatte den Jüngsten am liebsten, den er nach seinem Bruder Gisli genannt hatte, denn sie glaubten damals, mit dem Namen werde auch der Geist des Vorfahren wiedergeboren im Spätern. Freilich, hier war fürs erste nicht viel davon zu merken: wortkarg war der Knabe, versonnen und lieber allein als unter den Leuten, so daß manche meinten, hinter seiner Stirn unter den Schädelknochen dürfte nicht allzuviel stecken. Da mußte man schon sagen, daß der ältere, Thorkel, es besser verstand zur Geltung zu bringen, was an ihm war. Auf keinem Gastgelage im Gau fehlte er, stets hatte er einen Schwarm von Burschen um sich, denn er hatte Kunde von allem, was weitum im Lande geschah, wußte kurzweilig zu erzählen, und wo es einen rechten Streich zu ersinnen galt, war er der eifrigste und der erste – nur wenn's ans Ausführen ging, hielt er sich meist nicht mehr so weit vornedran. Aber aus einem anderen Grunde noch war es den jungen Surendalern um Thorkel zu tun: er hatte eine schöne Schwester.
Die Schönste, das war sie im ganzen Gau unbestritten, die Thordis. Hell wie eine schlanke Birke im Frühjahr, wenn aus dem Gezweige die Knospen erschimmern! Voller Verheißung konnten ihre Augen blicken, daß es einem ganz enge ums Herz ward, und dann doch wieder stolz. Wen immer sie vor die Tür hinausbegleitete, da war keiner, der nicht den Kopf mehr als einmal nach ihr zurückgewandt hätte. Und das tat ihr wohl bis in die Fingerspitzen hinein.
Bard und Kolbjörn, zwei junge Bauern im Surendal, beide angesehen und reich, bemühten sich um Thorkels Freundschaft am eifrigsten unter allen. Bard war ein baumstarker Bursch, laut, lustig, hitzig und schnell am Schwertgriff mit der Hand. Kolbjörn überlegte sich's länger, ehe er sich entschloß, und ließ es nicht so leicht merken, worauf er es abgesehen hatte. Da entschied sich Thorkel für Bard.
Nun trabte Bards Hengst schier alle Tage den Weg von seinem Gehöfte zu dem des Hersen. Und bald blieb Thordis nicht mehr unter der Tür stehen, wenn er schied, sondern geleitete ihn noch ein gut Stück heimwärts. Das behagte ihrem Vater übel, dem Thorbjörn, und eines Abends stellte er den Bard vor der Türe zur Rede – er war damals schon ein betagter Mann, voll grauer Haare und ein wenig vornübergebeugt und nicht mehr recht bei Kräften wie in seiner guten Zeit, denn er war erst spät zum Heiraten gekommen. »Glaubst du nicht, Bard,« sagte er, »deine Besuche hier könnten einmal ein schlechtes Ende nehmen? oder meinst du, ich sehe es ohne weiteres mit an, wie du meine Tochter verführst?« Bard fuhr auf. »Was willst du? mir drohen? du Wrack von einem Heerschiff, bleibe du ruhig im Hafen, rate ich dir!«
Die drinnen in der Stube hatten jedes Wort gehört. Als Thorbjörn ins Haus zurückkam, rührte sich keines: blutrot war Thordis geworden, Thorkel sah an die Decke hinauf, und Gisli starrte stumm vor sich nieder. Thora weinte. »Ja,« sagte der Vater, warf den Krückstock ins Eck und blickte zu Gisli hinüber, »'s ist schlimm mit dem Altern: wie das Gedächtnis doch schwindet! nun weiß ich es nicht mehr, hatte ich nur Töchter gezeugt oder waren auch Söhne darunter!«
Bard aber kam nach wie vor, sobald es dunkelte, nur daß er nicht mehr in die Stube ging, aber das brauchte er auch nicht, denn meist wartete Thordis schon draußen am Zaune auf ihn. Da nützte alles Einreden der Mutter nichts und ihr Schelten.
Eines Tages ritten Bard und Thorkel über Land. Da gesellte sich Gisli zu ihnen: er war im Helm, mit dem Schwert an der Seite, aber ohne Mantel und Speer. Die beiden Gesellen gaben auf ihn nicht acht und unterhielten sich eifrig. »Kein Wort mehr spricht er mit uns,« sagte Thorkel und zuckte die Achseln, »und die meiste Zeit liegt er zu Bett!« »Eine Plage ist's mit den alten Narren!« rief der andere, »mich freut's nur, daß du ein verständiger Bursch bist!« »Jaja, nun freilich,« murmelte Thorkel. Da ritt Gisli vor den Bauer hin und griff dem Roß in die Zügel. »Du, Bard, ich wollte dir nur sagen, daß es von heut ab ein Ende hat mit deinen Besuchen bei Thordis!« Bard sah ihn erstaunt an. »Wer will mir's verbieten?« »Ich!« sagte Gisli. Der andere zog die Stirne kraus. »Du willst mir die Tür sperren, du Schlafmütze du!« brüllte er auf, »nimm dich in acht!« Er hob den Speer. Da zog Gisli das Schwert, und ehe der andere noch zum Stoß ausgeholt hatte, schlug er es ihm durch den Helm in den Schädel. Vom Hengste herab stürzte Bard. Thorkel schrie auf und sprang aus dem Sattel zu ihm hin: aber da war nicht mehr zu helfen, er war tot, soviel auch sein Gesell über ihm jammerte und fluchte.
Gisli sah ihm eine Weile schweigend zu, dann nahm er ihn bei der Schulter. »Bruder,« sprach er, »spät besonnen ist besser als gar nicht! Stumpf war deine Klinge geworden, für dich tat die meine das Werk! Laß uns die Schwerter tauschen zum Zeichen, daß wir wieder gut sind: das wäre keine Schande und kein Schaden für keinen von uns beiden!« Doch Thorkel wollte von nichts hören, stieg zu Roß und ritt stracks davon zu einem entfernten Verwandten des Bard, einem Witwer mit zwei erwachsenen Söhnen, der wohnte auf der Insel Saxa in der Föhrde nahebei und hieß Skeggi, das ist Bartmann. Er war weitum bekannt und gefürchtet, denn er pflegte alle seine Rechtshändel – und er hatte nicht wenige – auf die Weise zu erledigen, daß er den Gegner zum Zweikampfe forderte und erschlug. Ihm meldete Thorkel den Totschlag und sprach: »Nun steht es so, daß mir ein großer Verlust entstanden ist durch den Tod Bards: schwer werde ich jetzt allein aufkommen gegen den Vater und Gisli! Da wollte ich, du würdest mir an die Seite treten wie der Gefallene, und dafür wollte ich dir die Thordis zum Weibe verschaffen! Es wäre dir ja wohl auch ein Ersatz für deinen Gesippen!« Skeggi grinste: das ließe sich hören, ein mächtig schönes Mädchen wäre sie, und ihre Mitgift sei nicht zu verachten!