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Thorgrim fällt

Auch bei Gisli waren die Gäste zur Ruhe gegangen. Da sagte er zu Aud, die sich grad niederlegen wollte in ihrem Verschlage: »Ich muß doch nachschauen, Frau, ob auch die Gäule alle richtig versorgt sind, und dann will ich nochmal hinaus. Warte im Stalle auf mich und bleibe wach, bis ich wieder zurück bin!« Er legte einen dunklen Lodenmantel an mit Kapuze, schlug den Deckel der Truhe neben seinem Bette zurück und holte den Speer heraus, der dort seit Vesteins Falle gelegen; das Blatt war rostbraun vom Blute. Mit großen Augen schaute ihm Aud zu. »Komm jetzt!« sagt er leis.

Sie gehen miteinander hinaus, sie stehen im Stalle, die Türe knarrt auf, dicht fallen draußen noch immer durchs Dunkel die weißen Flocken, sie treten auf die Schwelle, und allein schreitet er hinaus in die Nacht, auf dem verschneiten Pfade zum Bache hinab, wo sie das Wasser holen von den Gehöften hüben und drüben. Er steigt hinein und watet stromabwärts bis dahin, wo der Weg jenseits nach Seehof führt. Vom Hofe aus tritt er durch die Haupttüre in den Stall – jeder Fleck ist ihm ja bekannt im Gehöfte, da er es selber erbaut hat. Drinnen knüpft er den Kühen und Ochsen, es sind je dreißig Stück zu beiden Seiten des Ganges, die Schwänze zusammen, und dann verrammelt er die Türe von außen so, daß sie keiner von innen aufmachen kann. Nun huscht er zum Wohnhaus hinüber, und sieh, Geirmund hat sein Teil geschafft, die Türen sind nicht verschlossen. Lautlos gleitet er hinein und riegelt sorgsam hinter sich zu, als wäre es schon vor Nacht geschehen. Auf der Schwelle des Schlafsaales steht er: drei Tranampeln brennen trübe im weiten Raume; vorsichtig späht er und horcht, ob nicht jemand wacht, aber das schwere Schnarchen der Räuschigen nur rasselt durch die Stille. Nun geht er in aller Ruhe zu Werk, übereilt nichts: eine Handvoll Binsen hebt er vom Boden, ballt sie zum Knäuel und wirft den Wisch über die Lampe, die ihm zunächst steht, sie erlischt, und nichts rührt sich danach. Auf die zweite hinauf knistert eine Schütte Gras, und auch sie geht aus, und alles schläft und schnarcht wie zuvor. Doch halt, nein, nicht alles! ganz hinten langt ein magerer Knabenarm zu einem Bettverschlage hervor, die Hand zieht die letzte Ampel an sich und löscht sie ... Im Dunkel schleicht Gisli zwischen den Schlafenden hindurch dorthin, wo Thorgrim und seine Schwester liegen: die Tür ist nur angelehnt; er öffnet sie lautlos und tastet mit der Linken vor sich, da rührt er an Thordis Brust, die schläft auf der äußeren Seite. »Wie ist deine Hand kalt, Thorgrim,« murmelt sie schaudernd. – »Was hast du?« brummt er schlummertrunken, »was soll ich?« Gisli steckt die Hand unters Hemd und wärmt sie an seiner Brust, bis die beiden wieder schlafen. Dann faßt er Thorgrim sacht bei der Schulter, der erwacht, glaubt, seine Frau ist's und dreht sich zu ihr herum. Da reißt ihnen Gisli mit der Linken die Decke herunter, mit der Rechten aber schwingt er »Graustahl«, den Speer, und stößt ihn dem Goden durch den Leib, daß die Spitze in die Bettstatt unter ihm kracht. Erschrocken fährt Thordis auf, hört es neben sich röcheln im Dunkeln, tastet nach Thorgrim, greift ins Blut, springt mit gellem Schrei aus dem Bett. »Mord! Licht herbei, Leute! ermordet ist Thorgrim, mein Mann!« Sie fahren auf von den Bänken und Betten ringsum, sie torkeln mit rauschschweren Köpfen und taumeln herbei, sie schreien durcheinander und wissen nicht, wo ein und wo aus, bis endlich durchs Getöse Börks Stimme erschallt: »Die Türen zu, alle, daß er uns nicht entwischt!«

Aber da war Gisli schon lange durch ein Seitenpförtchen im Kuhstall hinaus, und während das Vieh mit den zusammengebundenen Schwänzen in den Ständern hin und her tobte, und das Getöse im Haus schwoll, eilte er heim auf demselben Wege, den er gekommen. In der Stalltüre erwartete ihn Aud: er nickte ihr zu, da faßte sie stumm nach seinen Händen und drückte sie an ihre Brust, als wollte sie ihm ihr Herz hineingeben. Wortlos gingen sie miteinander zurück und legten sich nieder.

Indessen waren sie auf Seehof, bis der Morgen herangraute, allmählich zu sich gekommen. Sechzig Mann schickte Börk hinaus, nach den Spuren des Mörders in der Umgegend zu suchen, mit den andern sechzig wollte er sofort zu Gisli hinüber nach Wang. »Ich möchte nicht, Thorkel, daß du es als Feindseligkeit aufnimmst gegen deinen Bruder, aber das Haus durchforschen müssen wir ihm!« »Oh,« rief er, »mir liegt ja am meisten daran, daß nichts in dieser Sache versäumt wird, selber will ich euch hinüberführen, um Umschau zu halten!«

Thorir Hasenfuß stand gerade unter der Türe und reckte gähnend die langen Arme zum Dachbalken empor, da sah er sie von Seehof heranziehen, und stracks stürzte er durch die Wohnstube in den Schlafraum zu Gisli mit großem Geschrei: ein gewaltiger Haufen rücke heran in Waffen unter Tosen und Toben! »Ermorden, Herr, wollen sie uns gewiß samt und sonders, das Dach überm Kopf anstecken, verbrennen im Haus wollen sie uns!« »Halt den Mund, Memme!« fuhr Gisli ihn an, hieß jeden ruhig seinem Geschäfte nachgehen wie immer, legte sich wieder hin und sprach dabei die Verse:

»Kein Geschrei erschreckt mich:
Oft genug schon schlürfte
Edeln Blutes Ströme
Meines Schwertes Schneide!

Hör' ich sie auch toben
Ob des Heerbaums Tode,
Brüllen ›Mord‹ die Männer,
Kalten Blutes bleib ich!«

Da hallte Waffengetöse draußen vor der Türe und ein Durcheinander von Stimmen, den andern voran polterte Thorkel ins Haus und gleich in den Verschlag hinein zu Gisli, erblickte vorm Bett seine Schuhe, vereist und voller Schnee, schutzte sie mit dem Fuß schnell unters Bett, und schon stampfte Börk in die Tür mit den Seinen. Gisli richtete sich auf und begrüßte sie mit zusammengezogenen Brauen aber gelassen: was sie so früh schon und so stürmisch hergetrieben hätte von Seehof bis an sein Bett? – »Eine große Neuigkeit, Bruder!« rief Thorkel, »und die allerschlimmste, die 's geben könnte für uns! der Schwager ist erschlagen!« Er berichtete ihm, was geschehen war und bat ihn um Rat, was zu tun sei. »Ja,« sagte Gisli, »große Neuigkeiten und schlimme Dinge zeigen oft ein verwandtes Gesicht! Wir wollen euch nun zunächst helfen, Thorgrim ehrenvoll zu bestatten, das sind wir euch schuldig!«

Sie machten sich alle miteinander nach Seehof auf. Danach ward Thorgrim am Ostende des Teiches beigesetzt, in dem Drachenschiff, auf dem er einst aus Norwegen nach Island heimgekehrt war. Als sie aber den Grabhügel schließen wollten, trat Gisli noch einmal heran, hob einen gewaltigen Feldstein, schier einen Felsblock, vom Boden, warf ihn zum Goden in den Kielraum des Drachens hinein, daß alle Planken erdröhnten, und rief: »Wenn das Fahrzeug hier je ein Sturm vom Flecke führt, so verstehe ich's nicht, Totenschiffe festzumachen, wie sich's gehört!«

Diese Worte wurden von den Umstehenden viel beredet und manche fanden, es habe dem verzweifelt ähnlich geklungen, was Thorgrim seinerzeit beim Binden der Leichenschuhe gesagt habe an Vesteins Grabe.

Als die Leute vom Begräbnis heimkehrten, begleitete Gisli den Thorkel nach Wang und sprach: »Nun ist es an dir, Gesippe, dafür zu sorgen, daß das Band zwischen Seehof und Wang nicht zerreißt und unsre Spiele weitergehen im Winter!« Thorkel sagte, gewiß, er werde sich ebenso zuverlässig zeigen wie Gisli vorm Jahre.

Thorgrim war ein Mann ganz nach Thordis' Herzen gewesen, sie hatten einander sehr lieb gehabt und stets gut zusammengelebt. Wenige Stunden, nachdem er an ihrer Seite niedergestochen war, wurde sie von Krämpfen befallen, und andern Tages gebar sie ein Knäblein, das wurde nachmals einer der größten Häuptlinge auf Island, Thorgrims Sohn Thorgrim, der bekam wegen der vielen Streitigkeiten, die er in seiner Jugend hatte, den Beinamen Snorri, d. i. der Zänker, und als den Goden Snorri kennt ihn Islands Geschichte.

Börk war auf Seehof geblieben, um Thordis zu helfen, und als sie sich vom Wochenbette erholt hatte, warb er um sie: es sei doch wohl das Gescheiteste, was sie tun könnten, einen stärkeren Schutz hätte sie an ihm als an irgend einem andern im Gau, auch bleibe so beider Vermögen hübsch beisammen, und das werde kein Nachteil späterhin für ihren Sohn! – »Das ist richtig,« sagte sie, »dennoch sollst du wissen, Börk, wenn ich wieder heirate, tue ich's aus einem Grunde allein: in Thorgrims Hochsitz neben mich lasse ich nur den Mann kommen, der es mir zuschwört, Rache für ihn zu nehmen.« »Das würde ohnehin an mich fallen!« entgegnete Börk; auch hätte er da schon einiges in die Wege geleitet; ob sie sich an das Unwetter in der Nacht vor vierzehn Tagen erinnere? da hätten sie dem Grim Geiernase, dem Hexenmeister, ein Zaubergestühl am Strande gezimmert gehabt, von dort hätte er im Dunkel den Mörder Thorgrims übers ganze Land hin verwünscht, daß er an keiner Stelle und Statt weder Ruhe fände noch Rast! Wie Wolfsgeheul sei es durch den Sturm bis in den Schlafsaal zu ihnen gedrungen, und keiner habe ein Auge zutun können die Nacht! – Darauf einigten sie sich, der Börk und die Thordis, und beschlossen im nächsten Sommer nach Heiligenberg überzusiedeln.


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