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Thorkel wird am Thinge erschlagen

Gest Oddleifsohn, der weise, am Bardistrand rüstete seinen Segler: aufs Frühjahrsthing an die Dorschbucht wollte er, am Nordwestende der Breitenföhrde, dorthin hatten sich heuer die angesehensten Häuptlinge von weither zusammenbestellt. Eine Woche vorher kam die alte Thorgerd zu ihrem Sohn auf Besuch, rieb sich eine zeitlang schweigend die Nase und dann fragte sie ihn, ob er wüßte, daß sie mit dem Vestein, den der Gode Thorgrim auf Anstiften des Thorkel gefällt habe, verwandt seien. »Gewiß,« sagte Gest, »wenn man über die Großväter zurückzählt!« »Ja,« meinte sie, »ein wenig weitläufig ist's damit bestellt, immerhin, ein Gesippe bleibt auch im siebenten Grade noch einer!« Darin stimmte Gest ihr zu. Da hielt sie sich nicht mehr recht lange beim Sohn auf. Und kaum war sie weg, kamen zwei junge Burschen aufs Gehöft mit Stäben in den Händen, Landstreicher dem abgerissenen Gewand nach und dem Gebaren, aber nicht wie Bettlern schauten die Augen den Brüdern aus dem Gesichte: hell fielen dem einen die Ringelhaare in die Stirne, dunkel dem andern. Sie baten den Hausherrn um eine Unterredung; die gewährte er ihnen; und sie zog sich länger hin, als er gedacht hatte. Als er zum Thing fuhr, nahm er sie mit sich ins Schiff, setzte sie aber eine Strecke weit vor der Dorschbucht ans Land, denn von dort aus hatten sie einen kürzeren Weg als zur See. Sie schritten tüchtig aus und waren vor Abend noch auf dem Thingplatz. Da suchten sie das Zelt auf, in dem die Landstreicher und Hausierer, die Possenreißer und Bettler aller Art ihre Herberge hatten. Deren Oberster war einer mit Namen Hedin, ein Spaßvogel und durchtriebener Schlingel. Den Lumpenkönig hieß er sich selber und benahm sich darnach. Er empfing sie mit einer Blechkrone im Haar, auf seinem Throne, einer alten Kiste, und fragte sie mit gespreizten Worten, ob sie auch in Wahrheit zur Zunft derer von den zerrissenen Strümpfen und den durchlöcherten Hosen gehörten, und sodann nahm er sie gnädig in seinen Schutz. Da sagten sie, daß sie ein Anliegen an ihn hätten: sie kennten niemanden hier, ob er ihnen nicht die mächtigsten Häuptlinge weisen wolle unter der Menge? »Ei ja,« rief er und sprang sofort von seinem Throne herab, »da seid ihr grad an den Rechten gekommen, nicht die Häuptlinge nur, jede Bachstelze und jeden Finken kenne ich in ganz Island. Mir nach, Bursche!« Und er führte sie zum Strande hinab, begleitet von seinem ganzen Lumpengefolge. Dort ging's lebhaft zu. Kisten und Kasten wurden aus den gelandeten Fahrzeugen gehoben, Zelte aufgeschlagen, und über die Bucht glitt im Abendsonnenschein mit geblähten Segeln ein Schiff ums andre herein. »Seht ihr den Drachen mit der Purpurleinwand am Maste, mit dem Langen im Graubart vorne am Steven? Das ist der Gewaltige im Tälergau, Thord der Brüller, ein Urenkel der Unn! Und hinter ihnen auf dem blaugestrichenen Segler, der Hagre, von dem habt ihr doch wohl schon gehört: der Klügste ist's unter allen Männern auf Island, Gest Oddleifsohn!« »Und wer ist der dort rechts auf dem Hügel weiter landeinwärts?« fragte der ältere der Brüder, »der Dicke im Goldhelm?« »Das ist der Börk von Heiligenberg, der den Gisli zum Waldgänger gemacht hat vor vielen Jahren, aber erwischt hat er ihn immer noch nicht. Hier links aber, hier dicht bei uns,« er fing an zu flüstern, »der große Mann mit der Zobelmütze im Pelze, der sich so vornehm im Sessel zurücklehnt und zuschaut, wie seine Knechte die Fracht um ihn türmen, das ist Gislis Bruder Thorkel, der steht sich besser mit Börk als mit ihm!« Der Ältere sah hin. »Ein stattlicher Mann wahrhaftig,« sprach er laut, »dieser Thorkel! Das muß doch einer unsrer ersten Häuptlinge sein!« Thorkel wandte den Kopf und warf sich in die Brust. »Das herrliche Pelzwerk und die Schuhe aus gelbem Leder! Ach, und das prächtige Schwert erst mit den silbernen Buckeln und dem goldenen Griff! Wenn ich das doch nur einmal in Händen halten könnte und richtig betrachten!« Thorkel griff an seinen Gürtel. »Ein etwas seltsames Begehren ist das für einen Fremden wie dich,« sprach er, »aber du scheinst mir sonst ein verständiger Bursch zu sein nach deinem Reden.« Er nestelte das Schwert los und reichte es ihm in der Scheide. »Da, schau es dir an!« Der Bursche ergriff es und riß den Stahl heraus. Thorkel runzelte die Stirne. »Das erlaubte ich dir aber nicht, die Klinge zu ziehen!« »Darum fragte ich dich auch nicht!« rief der, schwang das Schwert hoch und schlug aus aller Wucht auf ihn ein: es klatschte, und Thorkels Kopf sprang vom Rumpf. Gell auf schrien die Bettler und stürzten davon. Ihnen entgegen kamen die Leute von den Buden her und von den Zelten gerannt. In wildem Gewühl unter lautem Geschrei wälzte die Menge sich durcheinander.

Börk im Goldhelm am Hügel sah zum Strand nieder. »Was gibt's dort?« rief er, »was ist das für ein Getümmel?« Grad rasten die beiden Brüder unter ihm ihn. »Sie streiten, ob Vestein auch Söhne gehabt habe!« rief der Jüngere, und sie setzten in gewaltigen Sprüngen übers Feld dem Wald zu.

Vorm Zelte der Landstreicher tobte die Menge. Kreidebleich im Gesichte reckte Hedin, der Lumpenkönig, die Hände und schwor, er kenne die Burschen nicht, zum ersten Male habe er sie heute gesehen, wie sie ihn um Aufnahme gebeten. Schließlich mußte man es ihm auch glauben, denn wenig wahrscheinlich war es, daß das Gesindel es gewagt hätte, mit solch einem verwegenen Anschlag sich zu befassen. Da kam Börk und berichtete, was der jüngere der Brüder ihm zugerufen hatte, ehe sie im Walde verschwanden, und er wollte sofort die Anklage wegen Mordes am Thinge in die Wege leiten gegen die Söhne des Vestein. Aber Gest riet, das zu lassen: wären es wirklich Vesteins Söhne gewesen, sie hätten sich doch wohl gehütet, sich selber zu verraten. »Auf eine falsche Fährte locken wollen sie uns, die Mörder!« Nun sendeten sie Leute aus zur Verfolgung der beiden, aber die kehrten nach einigen Tagen zurück, ohne auch nur eine Spur gefunden zu haben.

Seit dem Tage, da Gisli in die Acht kam, war Thordis wortkarg geworden und unwirsch im Umgang mit ihrem Manne und dem Gesinde. Ihre Schönheit schwand allmählich, ihre Wangen fielen ein und wurden fahl wie Asche, als verzehrte sie von innen ein Brand. Als Börk ihr aber die Ermordung Thorkels mitteilte, schien sie sich nicht viel daraus zu machen. »Daß es auch ihn traf, ist nicht mehr als billig, denn er war's, der Thorgrim aufhetzte gegen Vestein,« sagte sie und sonst nichts.

Ein Mond etwa war vergangen nach dem Frühjahrsthing an der Dorschbucht. Ein milder Abend war's, und im stillen Wasser der Speerföhrde fingen die Sterne an, sich zu spiegeln. Aud trat aus dem Haus, um das Zauntor vor Nacht zu verriegeln, denn Gisli saß zu der Zeit in seinem Felsenverstecke jenseits des Flusses. Da sah sie aus der Bergschlucht im Süden zwei Gestalten hervorschwanken und durch die Dämmerung aufs Gehöft zuwanken wie graue Schatten. Sie blieb ruhig am Gatter stehen und blickte ihnen entgegen. Junge Burschen waren es, in Fetzen hing ihnen das Gewand am Leibe, hohläugig schauten sie, die Wangen eingefallen bis auf die Knochen. Mühselig schleppten sie sich heran. »Muhme Aud, birg uns! Seit vielen Wochen hatten wir nichts zu essen! Kennst du uns nicht mehr? Vesteins Söhne sind wir, den Vater rächten wir an Thorkel, der liegt tot!« Und sie sanken erschöpft zu Boden. »Gudrid!« schrie Aud ... Sie knieten vor ihnen, die Frauen, flößten ihnen vorsichtig Milch ein und gaben ihnen Brot in kleinen Stücken zu essen. Da erholten sie sich allmählich von ihrer Schwäche und erzählten, wie sie sich an den Thorkel herangemacht hätten am Thing und ihn erschlagen. Aud schüttelte ihnen die Hände und Tränen liefen ihr über die Backen. »Wackre Jungen, arme Jungen!« rief sie, »und doch kann ich nicht mehr für euch tun, als euch Wegzehrung geben. Gislis Bruder ist Thorkel, den ihr erschlugt, und meines Mannes Ehre muß ich rein halten in unserm Hause. Macht euch davon, rate ich, ehe er euch erblickt!«

Als Gisli sich zu Nacht ins Haus geschlichen hatte und sich am Herdfeuer wärmte, sagte Aud, sie hätte ihm eine Neuigkeit zu verkünden: »Dein Bruder Thorkel ist tot!« Er fuhr zusammen. »Wie erfuhrst du's?« »Vesteins Söhne, die ihren Vater rächten und ihn am Thinge erschlugen, sagten es mir.« Er ward dunkelrot im Gesichte. »Du nahmst sie ins Haus, Aud?« Nach dem Schwert neben sich griff er und sprang auf. »Wo sind sie?« »Weit von hier, Gisli, tu dein Schwert in die Scheide. Meinen Neffen, Wegzehrung gab ich ihnen – deines Bruders Mörder aber wies ich von unserer Schwelle!« Er saß auf die Bank nieder, atmete schwer und war nun so bleich, wie er vordem rot gewesen war im Gesichte. »Ein kluges Weib habe ich und ein gutes. Aber ich glaubte, die schwerste Stunde meines Lebens wäre gekommen, daß nun zwischen dich und mich auch das Schicksal getreten sei, uns zu trennen.« Sie setzte sich neben ihn und legte ihm den Arm um die Schulter. »Nie soll das sein! Nichts weiß ich im Himmel und auf Erden so mächtig, daß es mich scheiden könnte von dir!«

Von den zwei Traumfrauen Gislis aber kam nun die schlimme zumeist, und immer wieder suchte sie ihn zu haschen, ihm mit ihren blutigen Händen das Gesicht zu besudeln, oder ihm den Kopf zu tauchen in eine Schüssel voll Blut. Eines Nachts jedoch erschien ihm, nachdem sie lange weggeblieben war, die freundliche auch. Sie ritt auf einem Schimmel weiß wie Schnee, und ihr Gesicht glänzte. Sie lud ihn in ihr Heim zu sich. Da führte sie ihn an der Hand in eine Halle, die war hoch und weit und voller Licht, mit bunten Teppichen an den Wänden und weichen Kissen rings auf den Bänken. »Bleibe nur eine Weile hier,« sagte sie, »sieh dir alles recht an, und laß es dir wohl sein, denn nach deinem Tode sollst du für immer hierher kommen und dich nach der langen Unrast in Ruhe all meiner Habe und Herrlichkeit freun!«


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