Josef Wenter
Monsieur, der Kuckuck, der Sonderbare
Josef Wenter

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Nachtstück

Der Gauch kauerte sich an den Stamm der schwarzen Fichte. Er äugte ins Land hinaus, das in tiefer Dämmerung lag. Er dachte, daß es nun an der Zeit wäre, den Wildgänsen nachzufahren. Er fühlte, daß ihn die Welt hier nicht mehr mochte, daß sie nur mehr mit sich selbst beschäftigt sei und die wenigen Leute, die hierbleiben würden, gar nicht beachtete. Er war neugierig, wo er wohl landen würde, wenn er sich einmal vornahm, wirklich zu wandern. Wenn die Sonne kam, wollte er Ernst machen. Die goldenen Augen fielen ihm zu, er steckte den Kopf unter den rechten Flügel und verwahrte den linken Fuß im Gefieder; und hockte ein. Und wollte schlafen.

Da huschte eine, die ihm in der tiefen Dämmerung gefolgt war, auf die benachbarte Fichte.

»Jickikik!«

Nicht laut. Aber berückend.

Monsieur fuhr aus den Federn. Schlank saß er, wild aufgereckt und äugte ins Dunkel, aus dem das Geschäker gekommen war. Aber er sah nichts.

Wolken hatten den Mond verhüllt.

Sein Herz schlug ihm im Halse, und er fand kein Wort. Gebannt saß er und bewegte keine Feder. Das Gesetz aller Tagleute, den Schlafbaum nicht mehr zu verlassen, wenn die Luft unsichtig ward, verbot ihm, auch nur seinen Ast zu wechseln. Aber er hätte es auch nicht gekonnt.

»Du hast gerufen!« sagte die Gauchin auf der Fichte. »Hast du mich gerufen?« 166

Monsieur fand kein Wort vor dieser heimlichen Flöte einer Frau seines Geschlechts.

Hatte er gerufen? Ja, er hatte gerufen. Aber hatte er sie gerufen? Das wußte er nicht. Ihm war, als hätte er sich selber angerufen, weil ihm das Herz so voll ward. Aber das war vielleicht immer so und ganz in der Ordnung und mußte so sein.

»Bist du noch immer verliebt?« lachte sie.

»Quawawawa!« stotterte Monsieur. Mehr brachte er nicht heraus.

»Jickikik!« kicherte es.

Oh, das traf sein Herz. Er flatterte auf, ging aber sofort auf seinen Ast nieder. Es war unmöglich zu fliegen, ohne sich den Kopf einzurennen.

»Bleib, wo du bist!« befahl sie. »Erzähle mir, wie du verliebt bist!«

»Kurrh!« sagte der Gauch, und alle Federn sträubten sich ihm. »Ich weiß es nicht!«

»Jickikik«, lachte sie. »Hast du enges Gefieder?«

»Habe ich!« sagte er atemlos.

»Möchtest immer fliegen? Immerzu, immerzu fliegen, jagen? Ja?«

»Immerzu! Immerzu!«

»Und weißt nicht wohin!? Nicht wohin?!«

»Weiß nicht!«

»Hinter mir her fliegen? Ja?«

»Kurrh!« –Frost schüttelte ihn.

»Und ist dir der Hals eng, vor heißem Guguh, das schreien möchte? Ist er?«

»Guguh!« – Es kam nur dumpf und gurgelnd. 167

»Jickikikik«, kicherte sie. »Du bist verliebt! Natürlich bist du verliebt!«

»Bin ich! Quawawawa!«

»Noch immer! Oh, Männchen du! Es ist Herbst! Ich wandere!«

»Ich wandere mit!«

»Morgen!«

»Morgen!« – Dann war es still.

»Hast du viel geliebt in der Sommerzeit?« fragte sie wieder.

»Quawawa!« – Das war unbestimmte Aussage. Monsieur schämte sich seines Jünglingsherzens.

»Ach, du brauchst mir nichts zu erzählen! Morgen sehe ich deinem Schnabel alles an!«

Der Gauch schwieg. Jetzt bangte ihm vor dem Morgen; denn sie hatte eine so hochmütig erfahrene Art zu reden.

»Schläfst du?« fragte sie nach einer Pause.

»Wie soll ich schlafen?«

»Du gefällst mir!«

»Du siehst mich ja gar nicht!«

»Ich fühle dich!«

»Kurrh!«

»Schlafe jetzt! Wir wandern morgen mitsammen!«

»Ich wandere nicht!« trotzte er; und quälte sich.

»So!«

»Ich liebe –« Ganz redete er nicht aus.

»Wen?« schäkerte sie.

»Dich!«

»Jickikikik! Bist du bei Tage auch so übermütig!?«

»Kurrh!« – Er plusterte sich. – »Warte, bis es 169 Tag wird!« Das kam rasselnd; denn es kostete ihn Mut, so zu reden.

»Vielleicht werde ich warten!«

»Bis ich wandere, wirst du warten!« Er prüfte seine Kraft.

»Jickikikikik! Männchen!«

»Quawawawa!«

Dann war es still. –

»Gefällt es dir am blauen Fluß?«

»Natürlich!? log er.

»Dort werden wir verliebt sein! Ja?«

»Guguh«, er gurgelte dumpf.

»Nun sei still, Männchen! Ich fürchte Besuch von Nachtleuten! Schlafe!«

»Quawawawa!«

Jetzt kam der Mond und hing klar in der Fichte. Er traf des Gauchs Goldaugen, daß der ihm den Rücken kehrte; aber schlafen konnte er darum doch nicht.

Die Gauchin saß im schwarzen Dunkel. Sie wollte eben einnicken, da eräugte sie den Gauch im Mondlicht.

Sie kicherte ins Gefieder; »Er ist ein heuriges Kerlchen! Ich habe es mir gleich gedacht!«

Dann wurde sie nachdenklich.

»Schläfst du?« rief sie hinüber.

»Kann nicht!« sagte er und trippelte im Mondlicht auf dem Ast.

»Wer hat dich denn großgefüttert?«

»Warum?«

»So!«

»Es ist lang her! Ich erinnere mich nicht!« log er. 170

»So? Lang her!?« kicherte sie. »Nun, denke einmal nach!«

»Ich glaube, es waren Bachstelzen. Sie hatten es immer mit dem Wasser!« sagte er obenhin.

»Droben, auf der Waldwiese?«

»Möglich!«

»Jickikikik!«

»Gute Leute!« schnarrte er.

»Oh ja«, kicherte sie, »aber jetzt schlafe!«

Der Mond war hinter die Wolken gegangen. Es wurde tiefe Nacht.

»Ein Bub von mir!« lachte die Gauchin in ihr Gefieder. »Nun werde ich allein reisen und will mich heimlich davon machen. Aber gerufen hat er wie ein Mann!« kicherte sie stolz und lustig.

Monsieur war endlich eingenickt. Die Gauchin wartete auf den Mond; und als er kam, schlich sie sich lautlos von Ast zu Ast, flatterte wie ein Schatten von Baum zu Baum und schlief auf einer Föhre am Waldrand.

Noch schien der Morgenstern gelb und groß, da schwang sie sich in die Höhe und strich schlank unter dem ergrünenden Himmel den fernen Gebirgen zu.

Monsieur schreckte auf aus unruhigem Schlaf. Das Quarren reisender Reiher hatte ihn geweckt. Er äugte nach der Fichte. Die war leer. Sie hatte nicht auf ihn gewartet.

Da schwoll ihm das Herz in der Bedrängnis großer Verlassenheit und schweifender Sehnsucht. Er erhob sich in den stoßenden Morgenwind. 171

»Kurrh!« sagte er und maß die Ferne der blauen Gebirge mit seinen Goldaugen. Und ward überwältigt von dem dunklen Willen seines erlauchten Geschlechts und gewiesen durch die hellen Triebe seines liebedürstenden Herzens. Als der Glanz der aufgehenden Sonne niederstürzte in das Land seiner Kindheit, flog der Gauch den reisenden Wildgänsen und quarrenden Reihern nach und jener seltsamen Frau, die seine Mutter war.

Das Jahr war satt. Festlich hatte es getafelt auf geschmücktem Plan. Sein glückliches Auge umdämmerte Schlaf. Hingebreitet in willfährige Gefilde würde es ruhen und in seinen Träumen den ewigen Kreis schauen, der nun im Osten neue Gestirne heraufführt, kälter funkelnde, unmilde herrschende; bis diese wieder im Westen versinken und mit dem östlichen hohen Jupiter das goldene Halbrund des Zirkels naht, in dessen heiterem Bereich die Breiten aufglänzen zu Blüte und Reife, und das erfüllt ist von den Chören der jubilierenden Vogelleute.


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