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IV

Barbieri, der Antiquar, stand auf der Treppe. Ein quicker, alter Herr, den Hut im Nacken, fuchtelte er aufgeregt mit einem Ebenholzstock, dessen silberne Krücke einen nackten Frauenoberkörper bildete. Wenn er den Stock aufstützte, lag sein dicker Zeigefinger, aufs angenehmste versorgt, zwischen den silbernen Brüsten und bot dem Beschauer einen Siegelring dar, gewaltig wie der Kardinalsreif des Patriarchen von Venedig. Manchmal steckte er die Hand samt der Stockkrücke in die Hosentasche, schob und ruckte unzufrieden mit dem Kleidungsstücke, als fände seine lebhafte Persönlichkeit nicht Platz genug darin. Er sprach sehr schnell und in vielen Tonhöhen mit einer heiseren Stimme, der aber wie den meisten italienischen Männerstimmen ein musikalisches Vibrato zugrunde lag.

Er begrüßte mich mit weiter Gebärde:

»Professore! Es ist brav, daß Sie sich des alten Barbieri erinnern. Ein lieber Besuch! Mir lieber als hundert von diesen schrecklichen Dollarieri ... Kommen Sie!«

Ich war Barbieri niemals vorher begegnet. Also mußte er mich mit irgendwem verwechseln. Wie charakteristisch für die ganze Verwirrung war es, daß ich, der auszog, um festzustellen, wer Saverio sei, selber für einen andern gehalten wurde. Der Antiquar ließ meine Hand nicht los, wandte sich aber zornig gegen den Burschen, der in unverschämter Haltung am Fuß der Treppe stand:

»Toni! Dieb! Gauner! Wo steckst du?«

Toni steckte sich mit vorsichtiger Gelassenheit eine Macedonia an, ehe er Antwort gab:

»Es ist einer da, der seine Rente abholen kommt, weil heut der erste Mai ist.«

Barbieri wütete:

»Ich rufe die Polizei ... du ...«

Toni betrachtete lange die Zigarette, mit deren Geschmack er nicht zufrieden schien; dann spuckte er leicht einen Tabakrest zur Seite und hielt gleichzeitig die Hand hin:

»Geben Sie!«

Barbieri litt:

»Geben Sie, geben Sie! ... Oh, Professore, das geht den ganzen Tag so. Von allen Seiten nichts als: Geben Sie, geben Sie ...«

Und er trennte sich schwer von einem zerknüllten Fünflireschein.

Dann sah er mich wie einen Mitverschworenen an:

»Das alles hat mir dieser Dämon eingebrockt. (Questo demonio insuperabile!) Geben Sie, geben Sie! Und Sie wissen es am besten, Professore, daß ich immer wie ein Vater zu ihm gewesen bin.«

Ich verstand, er meinte Saverio. Die Klage ging weiter:

»Zu meinem Sohn habe ich ihn erhoben. Was soll ich tun? Sieben Weiber sitzen mir zu Hause: Fünf Töchter, die Frau und die Schwägerin. Sieben Weiber und keine Bedienung, keine Erleichterung! Stellen Sie sich einen häuslichen Tisch vor, an dem sieben Weiber schwätzen, keifen, streiten, bei jeder Gelegenheit weinen, aufspringen, sich niedersetzen, hinauslaufen und wiederkommen! Wer kann das aushalten? Ermessen Sie mein Schicksal! Den ganzen Tag heißt es: Geben Sie, geben Sie! Und ich muß es schaffen! Aber für wen und wozu? Nichts als Weiber! Und ihn habe ich wie einen Sohn geschützt, den feindlichen Dämon! Nun, jetzt hat er es! Ihr jungen Leute, ihr ...«

Er breitete die Arme aus, als sehe er den neuen Mißstand zum erstenmal:

»Professore! Schauen Sie dieses Haus an! Immer wieder kostet es und kostet ... Wie lange kann ich die Last noch schleppen? Und am Ende werden es sieben Weiber als Perlen und Kleider am Leibe tragen.«

Der Palazzo war tatsächlich nicht wiederzuerkennen. Schmutz bedeckte die Stiegen, Eimer mit Kalk standen umher, Sägspäne häuften sich in allen Winkeln, auf den Fliesen der Halle lasteten ein paar große Granitquadern.

Umbau! Ich wußte, daß Barbieri für seine Umbautollheit überall bekannt war. Immer wieder kaufte er alte Paläste, riß sie zur Hälfte nieder, restaurierte, ruinierte, trug ab, führte auf, mischte eigenwillig alle Stile durcheinander, und wenn er sich ausgetobt hatte, schlug er die Objekte los. Diese verrückte Geschäftsführung setzte die Welt in Staunen. Man wußte niemals, ob Barbieri unermeßlich reich war oder bankerott.

Jetzt betrachtete er schmerzlich die Verwüstung!

»Es kostet und kostet, Professore! Und einen Sohn habe ich nicht, der mich im Kampf mit der Gemeinheit unterstützen könnte. Ach, unser armer Saverio! Da kommen Tag und Nacht seine Freunde vorwurfsvoll zu mir. Sie sind auch sein Freund, Professore! Natürlich! Ich sage Ihnen, die Welt ist voll von Spionen. Besonders in unserm Beruf. Aber Sie können ruhig sein, Saverio geht es gut. Er entbehrt nichts. Es ist gesorgt für ihn. In der nächsten Woche bringe ich ihn in eine Privatheilanstalt. Ich wette mit Ihnen, er wird gesund werden ... Als ob ich nicht sein Lebtag für ihn gesorgt hätte! Ich ernähre sogar seine alte Mutter! Sie ist eine Landsmännin von mir. Aus dem Toskanischen ...«

Es stöberte Lügen. Saverio war gewiß kein gebürtiger Italiener. Darin hatte Mondhaus recht.

Barbieri stocherte mit seinem Stock in der Unordnung herum und schrie Toni und anderen unsichtbaren Domestiken Schimpfworte und Befehle zu. Niemand kam. Ich versuchte mein Anliegen vorzubringen. Auf alle Fälle, um keinen Fehler zu begehn, gab ich dem Alten einen Titel:

»Commendatore! Ich komme wegen der Bilder Saverios.«

Er schob mit der Hand die Ohrmuschel vor:

»Was? Reden Sie bitte etwas lauter!«

Ich wiederholte meine Bitte.

Er hörte angestrengt zu. Dann beschrieb er mit dem Stock einen großen Bogen:

»Bilder? Natürlich Bilder! Es ist mir eine Ehre. Alles sollen Sie sehen, was ich besitze. Sie sind ja ein Gelehrter, Professore!«

Hatte er mich verstanden?

In einer dummen Anwandlung behauptete ich plötzlich, daß ich mich mit moderner Kunst beschäftigte. Dadurch glaubte ich den Eindruck meines Interesses für Saverio abschwächen zu können.

Barbieri machte ein gequältes Gesicht:

»Welche Kunst, Freund?«

Ich rief mit Überwindung:

»Moderne Kunst!«

Er wurde böse:

»Moderne Kunst? Was ist das? Ein paar Dummköpfe in Paris, die so dumm sind, daß man sie für Schlauköpfe hält, haben daran verdient. Seither gibt es eine moderne Kunst.«

Er drohte in die Ferne: »Überall nur Gesindel!« Dann schob er mich vorwärts.

Auch die Zimmer und Säle waren alle um- und umgestürzt. Große Schränke standen in der Mitte; Tische, Truhen, Vitrinen, Kirchenchorstühle versperrten den Weg, Türen waren ausgehoben, Sopraporten abgenommen, Staub drang in die Lungen.

Barbieri stampfte plötzlich auf und stieß einen Schmerzensruf aus:

»Wissen Sie, was dieser Dämon mir angetan hat!? Eine Holzfigur, sag ich Ihnen, süß, wie vom Himmel selbst herabgefallen! Signierter Benedetto da Majano! Mein halbes Vermögen hat drin gesteckt und meine ganzen Nerven. Ich habe um dieses Stück gekämpft wie ein Held, vierzehn Nächte mindestens nicht geschlafen. Mit dem Beil, Professore, mit dem Beil hat sie der Dämon zerhackt und eingeheizt. Und die Polizei und Sanität kam zu spät. Was hätte er in seiner Tobsucht noch alles anstellen können! Jetzt schon ist der Schaden unermeßlich. Sie werden sagen: Die Assekuration! Alle trösten mich mit der Assekuration. Aber die Versicherungsgesellschaften sind Schlangen und winden sich heraus. Und wenn sie auch Geld bezahlen, ist denn ein Benedetto da Majano durch Geld ersetzlich? Freund, ich warne Sie! Vielleicht ist dieser ganze Wahnsinn ein Schwindel, eine Finte ...«

Barbieri führte mich durch die Säle.

Ich bewunderte zwei Basreliefs von Donatello, eine süddeutsche Madonna und noch eine Madonna und wieder eine Madonna. Vor der Formella eines Sakristeischranks, die Barbieri dem Gaddi zuschrieb, blieben wir lange stehn, und der silberne Frauenleib des Stockes fuhr entzückt den rhythmischen Faltenwurf eines Heiligengewandes entlang. Beim Anblick jeden Werks brach Barbieri in tränende Begeisterung aus und behauptete, kein Dollariere könne es ihm entreißen. Er schwor, daß er täglich die Klienten wegschicke, trotzdem sie ihn kniefällig bäten, seinen Schatz für jede Summe erstehn zu dürfen. Aber könne man sich von solcher Schönheit trennen? Er sei glücklich, wenn er einmal ein schwer verkäufliches Werk auftreibe, wie diesen Cartapesta-Engel zum Beispiel. (Der schmeidige Weiberleib auf dem Stock betastete einen mittelalterlich-strengen Kopf.) Aber schon sei heute der Direktor des Museums von Boston wie ein Fuchs um das Stück herumgeschlichen. Und morgen käme der Direktor des Museums von Cincinnati.

Das Tageslicht vergoldete sich schon. Und noch immer von Saverios Arbeiten keine Spur! Von den alten Kunstwerken aber strömte etwas Unerklärliches her, das mich deprimierte. Ich nahm allen Willen zusammen – wie müde war ich schon –, um nochmals meinen Wunsch auszusprechen.

In diesem Moment trat Toni ein, ohne die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen:

»Unten ist eine Frau.«

Barbieri röchelte wie ein Hund an der Kette:

»Was für eine Frau?«

»Nun, eine Frau!«

Barbieri hob den Stock. Toni stieß mit dem Fuß angelegentlich einen Schweinslederband zur Seite, der auf der Erde lag:

»Jung ist sie nicht. Es ist eine häßliche Frau.«

Barbieri keuchte:

»Du Lump, ich frage dich, was sie will!«

»Was wird sie wollen? Heute ist der Erste! Sie kommt um ihre Rente.«

Ich dachte, jetzt würde ein Skandal ausbrechen. Aber nach einer starren Weile warf Barbieri dem Burschen wiederum einen Geldzettel zu:

»Mörder, ich ermorde dich, wenn du es noch einmal wagst, mich zu stören!«

Und zu mir:

»Sehen Sie, das ist sein Dank, Professore!«

Der Saal, der früher Atelier geheißen hatte, war vollkommen ausgeräumt. Klavier, Grammophon, alles verschwunden; der Teppich lag zusammengerollt, die Vorhänge waren abgetragen.

Barbieri nahm den Hut vom Kopf und stellte sogar seinen ewigen Stock in einen Winkel. Er ging auf umständlichen Zehenspitzen wie in der Kirche. Und wirklich, an der Schmalwand des Raumes erhob sich ein mit Sackleinwand verhüllter Aufbau, der einem Altar glich. Der Alte sprach mit gedämpfter Stimme:

»Weil Sie es sind, Professore, werde ich Ihnen etwas zeigen, was wenig Menschen zu sehen gewürdigt waren.«

Er riß die Verhüllung von dem Aufbau fort. Ein Triptychon wurde sichtbar, dessen Seitenflügel leerstanden. Im Mittelfeld aber leuchtete, umströmt vom Rotgold des werdenden Abends, eine uralte Tafel. Barbieris Stimme klang wie von Rührung erstickt:

»Cimabue!«

Und nach einer Weile:

»In der Literatur nachgewiesen!«

Der alte Mann spielte mir nichts vor. Er war aufrichtig und stark erschüttert vom Anblick des Bildes. Er hielt den Kopf vorgeneigt wie in religiöser Verklärung und schwieg; nur sein schneller, vor Wonne schluchzender Atem war hörbar.

Die Tafel stellte Jungfrau und Kind, umgeben von Heiligen, dar. Die goldumkreisten Köpfe der Anbetenden traten dunkel zurück. Die Himmelskönigin aber leuchtete in den überirdischesten Farben. Da war vor allem das Rosa ihrer Tunika, ein Rosa, darin die Bläulichkeit mystischer Herbstzeitlosen aufgelöst schien. Das gestickte Blau des Mantels auch hatte kein Gleiches unter den Farben der Natur. Die grünlich-langen knochenlosen Finger hielten das Kind im weißen Faltenbausch der Windel mit preziöser Schüchternheit. Wenn etwas zum Weinen schön war in der Welt, so diese Himmelsfarben auf dem heilig-starren Aufbau des Ikons.

Das Folgende schreibe ich nur mit den größten Widerständen nieder. Derartige Empfindungen, deren Evidenz außerhalb des Vernünftigen liegt, verlangen eine Glaubenswilligkeit, die ich von niemandem fordern darf. Aber ich deute keine Lösung an, ziehe keine Folgerungen und stelle mit der ganzen mir zu Gebote stehenden Wahrhaftigkeit nichts anderes fest als einen inneren Vorgang.

Ich ziehe in Erwägung, daß Saverio bei meinem ersten Besuche eine eigentümlich starke Wirkung auf mich ausgeübt hatte, so daß ich während des laufenden Jahres ihn öfters im Traume gesehen habe, was mir bei so wenig bekannten Menschen fast niemals begegnet. Ferner vergesse ich nicht, daß mich an diesem Tage das Gespräch mit Mondhaus, die Nachricht vom Wahnsinnigwerden des Malers ziemlich aufgewühlt hatte, und daß ich seit Stunden schon einen brennenden Wunsch verspürte, die Werke des Kranken kennen zu lernen. Dazu kommt noch die Örtlichkeit (das Atelier, wo ich Saverio begegnet bin), meine Ermattung und der Umstand, daß ich seit der ersten Morgenmahlzeit nüchtern war. All diese Gründe sind stark genug, eine ungewöhnliche Reizbarkeit der Eindruckskraft zu erklären.

Ich bin nicht hellsichtiger als jeder normale Mensch. Die Fähigkeit, hie und da ein wichtiges oder unwichtiges Ereignis vorzufühlen, könnten wir alle leicht an uns wahrnehmen, wenn wir eine schärfere Beobachtungskraft für die wesentlichen Vorgänge innerhalb unserer Existenz aufbrächten. Aber wir verstehn und erleben ja nicht einmal den groben Mechanismus der körperlichen Abläufe. Um wieviel weniger können wir, einzig ins soziale Schema verstrickt, uns der feineren Grenzerlebnisse bewußt werden, die uns alltäglich begegnen.

Hier aber zeichne ich eines dieser Erlebnisse auf:

– Denn aus der uralten Tafel des Cimabue drang mit einer fast körperlichen Gewalt die Persönlichkeit Saverios auf mich ein. –

Ich habe nicht den geringsten Grund, an der Echtheit dieses gotterfüllten Altarbildes zu zweifeln. Man hat mir später allerdings versichert, daß es ausgepichte Methoden gebe, eine Holzplatte so zu präparieren, daß sie den Eindruck des grauen Altertums für den mißtrauischesten Forscher hervorrufe. Die Fälscher pflegen zum Beispiel die kunstvoll gebeizte Tafel mit einer dicken Wachsschicht zu überziehen und aus einiger Entfernung gehörige Schrotladungen gegen sie abzugeben, wodurch das Werk des Holzwurms täuschend nachgeahmt werden soll. Das habe ich gehört. Ob es wahr ist, weiß ich nicht. Man hat mir ferner Wunder von der Kunst genialer Restauratoren berichtet, die mit ihren bis in die letzte Schwebung genau abgestimmten Farbflächen und Farbplättchen aus rußigen, unerkennbaren Ruinen die Vision des alten Meisters zurückzaubern. Doch meiner geringen Erkenntnis wäre in diesem Falle eine Fälschung völlig unbegreiflich erschienen. Kann man eine Bildseele fälschen? Das Betäubende aber war gerade, daß Saverios Persönlichkeit mich mit einem Schlage traf. Saverios Persönlichkeit? Sie glich doch einem Strang verfitzter Widersprüche: Übertriebener Händedruck, Lebemannsmanieren. Lügen und ihr Eingeständnis, Prachtliebe und eine Wachtstubenpritsche, komödiantische Deklamation und das plötzliche Aufschluchzen, als er das Männerbildnis zeigte. Und bei so verzweifeltem Zerfallensein diese Einheit, die mich immer wieder beschäftigte, mir im Traum erschien und jetzt unsinnigerweise der Tafel des Cimabue sich vorschob? Doch was hatte jenes dunkle Männerbildnis, das ich aus dem spiegelnden Glase erraten habe, mit der hold-transzendentalen Farbigkeit des frühen Meisters zu tun?

Zuerst vermeinte ich, es sei etwas ›Okkultes‹, was ich hier erlebe, dann durchblitzte es mich wie eine Aufhellung: Saverio ist der Fälscher des Ikons. Schon eine Minute später verwarf ich aber entschieden diesen Einfall. Heute begnüge ich mich mit den skeptischen Begründungen, die ich kurz wiederhole:

Ermüdung und Überhungerung! Einfluß des Raumes! Die sonderbare Wirkung Saverios auf mich! Ergriffenheit über sein Schicksal. Der unerfüllte Wunsch nach Anblick seines Werkes, der mir aus der Tafel des Cimabue als die geschilderte Magie entgegenschlug. Mag damit erklärt sein was immer, mein Erlebnis war so stark, daß ich wegschauen mußte. Als ich wieder hinsah, hatte Barbieri das Triptychon verhängt.

Meine Hände waren eiskalt. Die Frage entstürzte mir wider Willen:

»Woher haben Sie das Bild?«

Barbieri hielt mir entsetzt den Mund zu, stöhnte auf und zog mich in ein Kabinett, das zur Not möbliert war. Dort machte er sich und mir Vorwürfe, daß ich ihm so sympathisch sei und er sich darum in Gefahr bringe. Ich solle nur immer ein Gelehrter bleiben und mich niemals in Geschäfte einlassen wie die Spione und Schwindler, die den Kunsthandel unsicher machen. Hätte er einen Sohn, er würde ihn auch zum Gelehrten bestimmen. Er ließ mich hundert Eide schwören, daß ich das große Mysterium nie und nimmer verraten werde. Selbst die Museumsgrößen der ganzen Welt und die berühmtesten Sammler, Mitchinson und Havemeyer, wüßten nur eine falsche Version.

Wir saßen einander gegenüber.

Vor meinen Augen schwankte der silberne Frauenoberleib. Barbieri erzählte:

In der Nähe von S. liege auf einem der Hügel eine sehr alte Abbazia, eine Abtei, die den Benediktinern gehöre. Das kleine Konventgebäude sei noch immer wohlerhalten. Im Jahre 1824 aber habe ein Erdbeben oder Bergrutsch stattgefunden, welchem die zur Abtei gehörende, etwas abseits stehende romanische Kirche zum Opfer gefallen sei. Die Ruine wurde aus unbekannten Gründen bisher nicht abgetragen; die Mönche wehren sich dagegen, was einen ewigen Streitpunkt zwischen weltlichen Behörden und Klerus bilde. Mit Hinblick auf Leibesgefahr sei die Einsturzstelle von einem weitläufigen Plankenverschlag umgeben und mit Stacheldraht versichert. Niemand dürfe den Ort betreten, einzig der Abt besitze den Schlüssel zum Baufall.

Barbieri schilderte nun mit funkelnder Leidenschaft, wie er, anläßlich eines Besuches in S., einem witternden Tiere gleich, immer wieder um die abgesperrte Ruine geschlichen sei, ohne jeden Anhaltspunkt in seinen Sinnen die Wahrheit vorwegspürend, und wie er es auf das Unauffälligste angestellt habe, den mißtrauischen Benediktinerabt beim Weine kennen zu lernen. Er berichtete von dem tagelangen Fangspiel zwischen dem Mönch und ihm, wie er die ganze Gegend nach brauchbaren Repressalien gegen das Kloster ausgekundschaftet, bis er endlich den glatten Weißfisch von einem Benediktiner in erbarmungslosen Händen gehalten habe.

Seine Stimme schwankte, als er den Eintritt in die Ruine beschrieb und die Ohnmachtsanwandlung angesichts dieser ungeheuren Schatzkammer bekundete. Denn die höchste italische Kunst, alle Meister der frühen Jahrhunderte hatten sich in diesem zusammengebrochenen Gotteshause Rendezvous gegeben, Haupt- und Seitenaltäre, Schiff, Chor, Wände, Kanzel und Sakristeien, ja selbst die Grüfte und Unterkellerungen zu schmücken.

Hier machte der Antiquar eine Pause und versicherte sich mit einem schnellen, verdeckten Blicke meiner Gläubigkeit. Er berührte mich mit den Knien:

»Ich verrate Ihnen meine Existenz, Professore, und Sie werden mich nicht vernichten. Vielleicht kann ich Sie einmal dahin mitnehmen. Sie würden etwas Großes erleben. Man muß aber vorsichtig mit diesen Mönchen umgehn. Noch in hundert Jahren werden wir nicht fertig sein mit dem Inventar. Ich habe einen Geheimvertrag mit dem Vatikan. Wehe mir, wenn die Dollarieri etwas erfahren. Nächstes Jahr ist anno santo. Die Priester wollen verkaufen, denn die Kirche braucht Geld. Verstehen Sie? Die Dollarieri müssen nur die Sache riechen, und schon lizitieren sie mich. Und die Kirche, sie hat die Macht zu binden und zu lösen! Warum sollte sie nicht meinen Vertrag lösen können? Sorgen, Professore, Sorgen ...«

Er kehrte zur Abtei zurück:

»Stellen Sie sich vor, Freund, eine windige Mondnacht wie auf einem Film. Der Prior und ich tragen die Laternen. Hinter uns fünf Mönche in ihren weißen Kutten. Horchposten sind ausgestellt. Und wir fördern die Reliquien aus dem heiligen Bergwerk, oh, die allergöttlichsten Reliquien! Stellen Sie sich das nur vor!«

Ich stellte es mir lebhaft vor und meinte die rasche dumpfe Begleitmusik zu hören, die zu einer Verschwörerszene passen mag.

Barbieri stieß den Stock laut auf den Boden:

»So, jetzt wissen Sie, woher der Cimabue stammt. Ich, Professore, bereichere die Welt, nicht mich. Fünfundsiebzig Prozent erhalten die Benediktiner. Ja, die Kirche versteht's, scharfe Geschäftskontrakte zu machen. Und wer trägt das ganze Risiko? Ich!«

Er schrie auf:

»Aber die Welt haßt mich! Nehmen Sie Dubosc! Dubosc besitzt keine Seele für die Kunst, keine Augen, aber dreihundert Millionen Dollar. Die Museumsleute und Kunsthistoriker müssen nach seiner Pfeife tanzen. Er befiehlt: ›Es ist höchste Zeit, daß wir den alten Barbieri kompromittieren. Barbieri wird mir zu groß. Was tun wir, Smithers?‹ Und Dr. Smithers, Glasgow, der Sklave, macht eine tiefe Verbeugung: ›Wie Eure Dollarmajestät befehlen!‹ Und binnen vier Wochen erscheint eine Publikation von Smithers, Glasgow, worin der wedelnde Dollarhund behauptet, der Buchstabe M der Sockelinschrift von dieser und jener Madonna wäre ein Buchstabe M, der im Jahre 1322 noch nicht existiert habe und erst im Jahre 1347 in Schwang gekommen sei. Das ist Wissenschaft! Die Experten und Sammler fallen um. Dubosc aber schenkt Smithers seine Photographie in Brillantrahmen. Und ich, Professore, und ich, der ich Augen und eine Seele habe ...«

Der Antiquar erhob sich, seine Feinde zu vernichten:

»Sie sollen mit mir nicht spielen. Im neuen Italien könnte man ihnen das Handwerk schon legen. Wissen Sie, was diese Kunstspione und Narren alle sind?«

Er zischte:

»Ich weiß, was sie sind!«

Violette Flecke des Triumphes begannen sich auf seinen Wangen abzugrenzen:

»Und wissen Sie, was dieser Tage in unserer Stadt hier stattfindet?«

Er säuselte vor Scham:

»Ein Kongreß der Homosexuellen findet statt, Professore! Sage und schreibe ein Kongreß dieser Leute. Eine perverse Schweinerei in unserm neuen, männlichen Italien!«

Die Tatsache des Kongresses allerdings schien Barbieri recht gelegen zu kommen:

»Darf das fascistische Italien derartige Unzüchtigkeiten dulden? Dürfen sich solche Smithers hier herumtreiben? Nein, nein, nein, Professore! Hinaus mit ihnen!«

Und er schloß leise:

»Ich habe dem Duce einen langen Brief geschrieben und seine Aufmerksamkeit auf den Kongreß gelenkt!«

Mit gefährlichem Vibrato, das jeden Zweifel zum Hochverrat gestempelt hätte, fragte er mich:

»Wissen Sie, daß Benito Mussolini jeden Brief eines Italieners liest?«

Ich gab zu, daß dies eine bewundernswerte Leistung sei.

Jetzt aber donnerte er sein Glaubensbekenntnis:

»Der Duce sieht es als seine höchste Aufgabe an, das italienische Geschäft vor den Eindringlingen zu schützen.«

Toni schob sich durch die Türe und meldete:

»Die zwei Herrschaften sind da und auch das Essen für Sie, Herr!«

Der Antiquar ließ einen langen Wehlaut vernehmen:

»Die Herrschaften sind da, immer diese Herrschaften ... Wem habe ich das zu verdanken, als Ihrem Saverio, Professore ...«

Wir stiegen die Treppe herab. Plötzlich hielt er mich mit einem Ruck fest:

»Sieben Weiber sitzen mir zu Hause, sieben Verbraucherinnen, und die jüngste ist schon siebzehn. Soll die eine einen neuen Pelz bekommen, muß ich den andern allen auch neue Pelze kaufen, macht sieben Pelze. Und es müssen teure Pelze sein, dafür bin ich Barbieri. Ermessen Sie mein Schicksal! Welche Hilfe habe ich dafür, welche Behaglichkeit, welche Bedienung? Ein Halunke bringt mir das Essen im Korb, als wäre ich ein Maurer. Verkünden Sie das der Welt, Professore! Sie wird's nicht glauben ...«

Und mit dem Tone echten Leidens:

»Einen Sohn hätte ich haben sollen! Dubosc hat drei Söhne und sie sind alle im Geschäft!«

Neuerdings bemächtigte sich Barbieris die Erbitterung, und er begann ausführlich den Tobsuchtsanfall Saverios zu schildern, mit dem die Krankheit begonnen hatte, und das Schicksal seines Benedetto da Majano zu beklagen. Die Hand, die mich am Rock faßte, zitterte:

»Er betrügt Sie und mich, Professore! Denken Sie an meine Worte! Dieser Wahnsinn ist eine Erpressung ... Wen aber beschuldigt man am Ende? Mich und wieder mich!«

Ich weiß nicht, warum ich mich jetzt nicht verabschiedete, sondern mich von dem Antiquar in ein anderes Zimmer drängen ließ. Es war wohl der letzte Rest von Hoffnung in mir, einen Blick der Erkenntnis zu tun. Aber hatte ich nicht mehr als genug gesehn?

Es war Nacht geworden.

Die von Toni gemeldeten Herrschaften standen in dem Zimmer, wo ein Teil des Tisches mit einer gebrauchten Serviette gedeckt war. Ich erkannte die Contessa Fagarazzi und einen fremden Herrn, den Barbieri als Avvocato Sanudo vorstellte, während er mich mit einem deutschen Namen und ausgedehnten Titel präsentierte, von dem ich mir nie hatte etwas träumen lassen.

Sanudo war ein graziler Mann mit feuchten Lippen und einem nachsichtig-tückisch geneigten Köpfchen. Er lächelte unveränderlich schmachtend, aber es war, wenn man so sagen darf, ein Schmachten der Logik, das seine Züge nicht verließ.

Die Fagarazzi setzte sich mit rückgeschlagenem Schleier steif an ein Tischende. In dem regungslosen Email ihres Gesichtes wirkten die mit Tusch gezogenen Augenbrauen wie auf einem japanischen Stich. Ich fürchtete, plötzlich würde ihr Tick ausbrechen und das violette Mündchen sich krümmen, werfen, drehen und zucken. Es geschah nicht. Vielleicht hatte, da Saverio verloren war, ihr Mund und ihre Seele Ruhe. Vielleicht gab ihr das Leid um ihn Kraft und Festigkeit. Dennoch, trotz aller Künstlichkeiten, erschien sie mir diesmal viel jünger. In ihren Augen war eine kämpferische Anspannung entbrannt. Unverkennbar zeigte sich der Reiz ihrer Verlebtheit!

Barbieri begann Sanudo liebenswürdig zu umspinnen:

»Ich habe einiges für Ihr Studio vorbereitet, Avvocato! Sie werden mich loben!«

Die Haltung der Contessa Fagarazzi und diese Bemühung des Antiquars um den Advokaten ließen die Annahme zu, daß Barbieri seinen Besuchern gegenüber in einer nachteiligen Lage war. Die beiden schienen Rechtsansprüche und -mittel in der Hand zu haben, die ihm gefährlich zu werden drohten. Daß diese Rechtsansprüche mit Saverio im Zusammenhang standen, konnte nicht bezweifelt werden. Hatte Barbieri nicht immer wieder über seinen Dämon gezetert? Und es war nicht unmöglich, daß die Contessa mit diesem Dämon verheiratet war und nun, starr wie ihr künstliches Gesicht, die Forderungen ihres wehrlosen Gatten vertrat.

Barbieri ließ sich ächzend nieder und haute seinen Stock neben sich auf den Tisch hin:

»Wissen Sie, daß ich gestern eine schwere Panne gehabt habe? Achsenbruch zwischen Stra und Padua. Der Wagen völlig unbrauchbar! Wir mußten mit der Bahn zurückfahren!«

Da hörte ich zum erstenmal die Stimme der Frau, eine Stimme, nicht minder mädchenhaft als ihre Gestalt:

»Derartige Möglichkeiten sind schon von mir bedacht. Ich habe deshalb dafür gesorgt, daß uns am Montag für alle Fälle ein Wagen zur Verfügung steht ...«

Barbieri sah unendlich belustigt drein:

»Sie sind eine einzigartige Frau, Contessa! Aber ich habe mir erlaubt, Ihnen zuvorzukommen. Heute schon trifft der neue große Wagen, den ich von Turin telegraphisch bestellt habe, in Mestre ein!«

Und zu mir gewandt:

»Sie müssen wissen, Professore, die Ärzte erklären, daß eine mehrstündige Autofahrt für meinen Zustand die bedenklichsten Folgen haben könne. Und dennoch werde ich am Montag viele viele Stunden im Auto sitzen! Die Gesellschaft der Contessa wird mein Schutz sein. Nein, Professore, ich entziehe mich niemals einer Pflicht. Mit sechzig Jahren habe ich mich freiwillig zum Frontdienst gemeldet. Meine Schuld war es nicht, wenn sie mich nicht behalten haben ...«

Alle saßen. Ich blieb, trotz der lebhaften Aufforderung Barbieris, mich auch zu setzen, stehen. Der Avvocato sah mich mit seinem gescheiten Schmachten immer wieder erstaunt an. Ich bildete eine empfindliche Störung. Nur der Antiquar, der mich mit Gott weiß wem verwechselte, war von meiner Anwesenheit höchst erbaut. Er führte das große Wort, verbreitete sich über die sieben Weiber, über sein elendes Leben, über Dubosc und die unedle Konkurrenz im allgemeinen. Dann klagte er darüber, daß er die alte Spannkraft nicht mehr besitze und dennoch den ganzen Tag lang Konferenzen abwickeln müsse. Früher hätte er zuweilen ein gefährlicher Gegner sein können, jetzt aber wäre er so gleichgültig und abgeklärt, daß es ihm den größten Spaß mache, wider sein eigenes Interesse die Sache einer sympathischen Gegenpartei zu verteidigen. Bei dieser Behauptung verneigte er sich lächelnd gegen die Contessa.

Er bat um Verzeihung, daß er in Anwesenheit der Herrschaften seine Mahlzeit einnehme, aber er sei ja ein alter Mann.

Während er sich aus dem Korbe bediente, stellte er die Behauptung auf, der Mensch solle, um ein anständiges Alter zu erreichen, langsam essen. Und er aß seine ›pasta‹ überaus langsam, wo er doch dem Aussehen nach ein rascher Schlinger sein mußte.

Ich erkannte, daß dieses Essen wie alles andre, wie sein Schwätzen, seine Offenherzigkeit, seine Gedankenflucht, nichts andres war, als ein kluges Hinhaltungs- und Zermürbungsmanöver des Feindes. Auch mich, der ich gekommen war, Saverios Bilder zu sehn, hatte er hingehalten und zermürbt. Warum?

Ich wohnte einem furchtbaren und unergründlichen Kampfe bei, das sah ich den hellen Augen der Fagarazzi an, die immer angespannter und begeisterter strahlten. Nicht nur wohnte ich diesem Kampfe bei, ich nahm, ohne es zu wollen, teil an ihm, denn Barbieri verwendete meine störende Person als Bundesgenossen. Ich glaubte zu erkennen, daß es in diesem Ringen um weit mehr ging als um Geld.

Sanudo zog andächtig ein Konvolut hervor und legte einige Blätter des rastrierten Notaritätspapiers vor sich hin, worauf in Italien Verträge und Dokumente festgelegt werden. Er räusperte sich und versuchte mehrmals mit einem mahnenden »dunque« der Szene ein Ende zu setzen.

Barbieri erklärte daraufhin, das Fletchersystem mit seinen zweiunddreißig Kaubewegungen sei ungenügend, man müsse fünfundvierzig aufwenden, um den Bissen verdauungsfähig zu machen. Auch wäre es sehr gut, jedesmal dazu ein winziges Schlückchen Wein zu trinken.

Die leise Mädchenstimme der Fagarazzi erklang:

»Sie haben vollkommen recht, Commendatore! Ihre Gesundheit ist uns noch wertvoller als Ihnen. Lassen Sie sich nicht stören! Wir haben alle Zeit der Welt.«

Niemals in meinem ganzen Leben ist mir die Undurchdringlichkeit der Menschen so bewußt geworden wie in jener Stunde. Aber ich empfand sie nicht als eine Gegebenheit des Lebens, mit der man sich abfinden muß, sondern als etwas Böses, Widergöttliches, als das Hindernis aller Liebe, als den dämonischen Ursprung aller Verzweiflung. Drei Menschen saßen hier, die mir völlig fremd waren, mich nichts angingen, und dennoch bettelten meine gequälten Nerven um eine Wahrheit, die ich nicht fordern durfte und die wohl ungreifbar war. Kannte sie der Advokat Sanudo, dessen schmachtende Überlegenheit sie zur Schau zu tragen schien? Nein! Man hatte ihn gewiß nicht weiter eingeweiht, als es zum Zwecke seiner Assistenz und für das gestempelte Amtspapier gut war. Und die beiden Kämpfer, Barbieri und die Fagarazzi? Man sah es beiden an, daß sie die Trümpfe des Gegners noch nicht kannten. Was bedeutete diese Autofahrt? Sollte Saverio in eine Privatanstalt gebracht werden? Fürchtete sich Barbieri davor? War der Wahnsinn echt, geheuchelt oder gar abgekartet? Und warum? Undurchdringlichkeit! Und wenn ich alle Tatsachen wüßte, würde sich nicht dahinter neue Undurchdringlichkeit auftun? Das furchtbarste: Ich selber spielte in dieser Begegnung der Schicksale eine undurchdringliche Rolle. Das nachsichtig-tückische Lächeln Sanudos bemühte sich, diese meine Rolle zu verstehn. Und nicht genug damit! Mir selber war ich undurchdringlich. Eine krankhafte Vorstellung bemächtigte sich meiner, daß es nicht mein eigener Wille war, der mich hierhergeführt hatte. In dieser grauenhaften Minute würgte mich trägen, egoistischen Menschen eine schier unerträgliche Angst um diesen wildfremden Saverio und ein mächtiger Seelenbefehl: Hilf ihm!

Mich durchzuckte der Gedanke, wie oft schon durch Bestechung von Ärzten und Gerichtsbeamten Gesunde in Irrenhäuser gesperrt wurden, nur damit der Kronzeuge irgend eines Unrechts verschwände. Waren nicht Barbieri und die Gräfin, beide, zu einer solchen Tat fähig? Vor ohnmächtigem Denken biß ich die Zähne zusammen. Aber mir war nur, als atme ich betäubenden Kohlendunst ein.

Die offenen Fenster des Zimmers gingen auf einen großen Garten, der hinter dem Hause lag, und den ich bei meinem ersten Besuch nicht gesehn hatte. Die Äste einer Platane drangen fast in den Raum. Ein Schwarm großer Nachtschmetterlinge gesellte sich zu uns, stürzte gegen Wände, Decke, Lampe und verursachte das Geräusch von rasch umgewendeten Seiten und pochenden Fingerknöcheln.

Da überkam mich ein Zustand, den ich nicht Traurigkeit, Schwermut, Melancholie und noch viel weniger ein physisches Mißbefinden nennen kann.

Es gibt ein Unwohlsein der geistigen Natur, schlimmer als alles. Man möchte sich niederlegen, wo man steht auf offener Straße, ohne Hoffnung, sterben zu können ...

Dennoch gelang es mir, trotz heftigem Widerstand des Antiquars, mich mit freundlichem Grinsen und höflichen Dankesworten zu verabschieden.


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