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Fast eine halbe Stunde lang war es vorwärts gegangen in einer Richtung, die der, in welcher Gerald gekommen war, entgegengesetzt lag. Danira schritt voran, und die beiden Männer folgten, aber es wurde kaum hin und wieder ein Wort gewechselt, denn alle drei hatten Mühe, sich durch den Sturm zu kämpfen, der mit jeder Minute heftiger wurde.
Das war freilich kein Sturm wie in den heimischen Bergen mit jagenden Wolkenzügen, mit Nebeln und Regenschauern, die die Erde in ihre Schleier hüllten, mit bebenden, brechenden Wäldern, wo der Aufruhr der Elemente die ganze Natur in ein wüstes Chaos zu verwandeln scheint. Hier trübte keine Wolke die Klarheit des Himmels, von dem die Sterne niederfunkelten, und hell und voll lag der Mondesglanz auf der felsigen Hochebene. In endloser Weite dehnte sich dies Felsenmeer aus, zerklüftet und zerrissen in tausend Spalten, die den Boden nach allen Richtungen hin durchzogen; aber das weiße Mondlicht und die tiefen, schwarzen Schatten jener Klüfte zeigten doch immer nur die gleiche Öde.
Hier rauschte kein Wald, zitterte kein Schilf im Winde. Wohl tobte es in den Lüften und brauste es über die Erde, als seien die Geister des Verderbens losgelassen, die nun dahinfuhren, um sich ihre Opfer zu suchen, aber ihre Macht brach sich an diesem toten, kalten Gestein, das nicht zu bewegen und nicht zu erschüttern war. Es lag etwas Unheimliches, Grausiges in dieser starren Ruhe mitten in dem wilden Sturmesatem, es war, als sei die ganze Natur in einen Todesschlaf gebannt, den nichts lösen konnte. Wie wild die Bora sie auch umtobte, sie gab nicht Antwort, sie blieb in ihrem starren Bann.
Und weiter ging es durch Sturm und Mondesglanz, immer weiter hinein in die Öde. Es schien den Männern, als müßten sie längst Weg und Richtung verloren haben, als gebe es kein Entrinnen mehr aus dieser Wildnis, wo eine Felsenwelle nach der andern sich erhob in ewiger, furchtbarer Einförmigkeit; aber Danira schritt unbeirrt dahin, ohne nur einmal in der Richtung zu schwanken; endlich blieb sie stehen und wandte sich um.
»Wir sind am Ziele, sagte sie, in die Tiefe deutend. »Dort ist der Wilaquell!«
Auch Gerald blieb stehen, um Atem zu schöpfen, und sein Blick folgte der angedeuteten Richtung. Der Boden senkte sich hier plötzlich, und er sah zu seinen Füßen eine Kluft, die durch einen mächtigen, weit überhängenden Fels wie durch ein Tor abgeschlossen wurde. Es war ein seltsames Steingebilde; breit und massiv emporwachsend, nach obenhin phantastisch zerklüftet, neigte sich der Gipfel so tief herab, daß es aussah, als müsse er sich loslösen und niederstürzen. Jenseits dieses Tores aber schien die Kluft sich weiter zu öffnen, denn man sah das Mondlicht glitzern in einer Flut, die leise bewegt dahinfloß.
»Dahinunter sollen wir?« fragte Jörg mißtrauisch und halblaut seinen Leutnant. »Der Fels hängt ja nieder wie eine von unsern reifen Weintrauben daheim. Ich mein', er fällt uns auf die Köpfe, sobald wir ihm nahe kommen. In dieser Krivoscie ist alles tückisch, sogar die Steine.«
»Der Stein fällt nicht«, sagte Danira, die die Worte gehört hatte. »Er hängt so seit Jahrhunderten, und kein Sturm hat ihn je erschüttert. Folgen Sie uns.«
Sie war bereits niedergestiegen, und Gerald folgte ihr ohne Besinnen; sie passierten beide das Felsentor, und Jörg konnte nicht umhin, sich ihnen anzuschließen. Er warf noch einen argwöhnischen Blick hinauf, denn er war es nun einmal gewöhnt, in diesem Lande alles und jedes als persönlichen Feind anzusehen, aber der Felsgipfel zeigte ausnahmsweise keine Lust, mit ihm anzubinden, er blieb ruhig in seiner drohenden Lage.
Die Tiefe war nicht bedeutend, nach einigen Minuten erreichten sie den Boden und standen nun in einer Kluft, die sich nach obenhin weit öffnete, und deren einzigen Zugang das Felsentor bildete. Hier rauschte auch die Flut, die sie von obenher gesehen hatten, eine jener Wasseradern, die oft plötzlich aus dem Felsboden des Karst hervorbrechen und nach kurzem Laufe ebenso plötzlich wieder verschwinden. Sie bewährte auch hier ihre segenspendende Macht, denn ringsum sproßte frisches Grün, dürftig zwar und eng begrenzt, aber es war doch ein Lebenszeichen dieser erstarrten Natur, und Leben war auch in dieser klaren Flut, die mit leisem Wallen und Rauschen sich ihren Weg bahnte.
Danira lehnte sich an die Felswand mit einem tiefen Atemzuge. War es Erschöpfung von dem raschen Gange oder Erregung – das Mädchen bebte am ganzen Körper und schien wirklich dieser Stütze zu bedürfen.
»Wir sind zur Stelle«, sagte sie leise. »Hier sind Sie in Sicherheit.«
Gerald, der inzwischen die Umgebung gemustert hatte, schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Die Sicherheit wird nur solange währen, bis man unsern Zufluchtsort entdeckt, und das wird nur bald geschehen. Obrevic kennt die Schlucht jedenfalls ebensogut wie Sie; sobald er das Dorf durchsucht hat, wird er ungesäumt unserer Spur folgen.«
»Gewiß! Aber vor jenem Felsentor macht er Halt, den Umkreis des Wilaquells wird er nicht betreten, er müßte Ihnen denn die Hand reichen wollen; feindlich hebt sich diese Hand hier nicht gegen Sie. So wild und rachedurstig Marco auch sein mag, selbst er wird es nicht wagen, den Friedensbann dieses Ortes zu brechen.«
Der junge Offizier stutzte und ließ noch einmal einen forschenden Blick durch die Kluft gleiten.
»Deshalb also führten Sie uns hierher? Was schützt denn aber diesen Ort, daß er uns schützen soll?
»Ich weiß es nicht! Sage, Tradition, Aberglaube mögen vor undenklichen Zeiten den Bann gewoben haben – genug, er besteht noch heute in seiner alten Kraft. Ich kannte schon in meiner Kindheit den Wilaquell und seine Friedensmacht. Später, als ich in der Ferne war, tauchte mir die Erinnerung daran bisweilen auf wie eine halbvergessene Sage, die nur noch der Märchenwelt angehörte. Seit ich zurückgekehrt bin, weiß ich, daß dies Märchen eine rettende Wahrheit einschließt. Der Quell ist geheiligt, mehr als die Schwelle irgendeines Gotteshauses. Hier ist selbst der Mörder, der Verräter sicher, hier weicht selbst die Blutrache zurück, dies furchtbare Familiengesetz unseres Volkes. Noch hat keiner es gewagt, diesen Bannkreis zu verletzen, und versuchte es einer – er wäre verfemt bei all seinen Stammesgenossen!«
»Und Sie glauben, daß dieser Bann selbst den Fremden, den Feind schützen wird?«
»Ja!«
Die Antwort klang in so voller Bestimmtheit, daß Gerald keinen Einwand erhob, obgleich er zweifelte.
»Ein Rätsel mehr in diesem rätselvollen Lande!« sagte er langsam. »Warten wir ab, wie es sich für uns lösen wird. Wir sind heimtückisch in einen Hinterhalt gelockt und stehen voraussichtlich allein gegen eine ganze Schar von Feinden, da wird es wohl keine Feigheit sein, wenn wir uns solchem Schutze anvertrauen.«
Er sah sich nach Jörg um, der die Sache sofort von der praktischen Seite genommen und inzwischen die ganze Schlucht genau und gründlich untersucht hatte. Da er nichts Verdächtiges fand, war er auf ein großes Felsstück gestiegen und hatte dort Posto gefaßt, wo er zugleich den Eingang und seinen Leutnant im Auge behalten konnte, denn er fürchtete noch immer eine plötzlich ausbrechende Hexerei Daniras. Leider konnte er da oben nicht hören, was die beiden miteinander sprachen, dazu war das Tosen des Windes zu heftig, aber er konnte sie wenigstens beobachten, und so stand er denn fest und unerschrocken auf seinem Posten, bereit, sich als Mann und Soldat gegen einen andringenden Feind zu wehren und zugleich mit seinem ganzen Vorrat an Christentum seinem Leutnant zu Hilfe zu kommen, wenn diesen etwa hinterrücks der böse Feind packen sollte – der brave Bursche fürchtete weder Tod noch Teufel.
Gerald war zu Danira getreten, die noch an der Felswand lehnte, aber sie wich zurück. Es lag eine stumme, aber so entschiedene Abwehr in dieser Bewegung, daß er es nicht wagte, ihr weiter zu nahen. Die Rettung, die sie ihm zugesagt, schien nur eine Schranke mehr zwischen ihnen aufzurichten; er fühlte das, und es war ein Blick des Vorwurfs, mit dem er zurücktrat.
Danira sah das nicht oder wollte es nicht sehen, obgleich das Mondlicht beider Züge hell beleuchtete. Hastig, als wolle sie jedem wärmeren Worte zuvorkommen, fragte sie:
»Wo befinden sich Ihre Leute?«
»Sie sind im Fort, wir kehrten nach dem Ausfall von heute morgen wieder dorthin zurück und die Kameraden, denen wir Hilfe brachten, mit uns.«
»Und man ahnt dort nichts von der Gefahr, in der Sie schweben?«
»Im Gegenteil, man wird mich in voller Sicherheit glauben. Der Plan war ja so schändlich klug erdacht! Ein sterbender Kamerad, der einen letzten Auftrag in meine Hände legen will – seine Brieftasche als Beglaubigungszeichen – das bezeichnete Dorf, das ich und wir alle noch von unsern Truppen besetzt glauben – umsichtig genug ist Obrevic gewesen; männlicher wäre es freilich gewesen, wenn er mich im offenen Kampfe gesucht hätte, ich floh ihn wahrlich nicht. Er zog es vor, wie ein Meuchelmörder zu handeln, trotzdem er sich Krieger und Häuptling nennt.«
Die Stirn Daniras verfinsterte sich, aber sie schüttelte leise das Haupt.
»Sie rechnen mit Ihren Begriffen von Ehre! Hier ist das anders, hier gilt nur die Tat, mit dem Denken darüber gibt man sich nicht ab. Joan Obrevic ist von Ihrer Hand gefallen, und der Sohn muß ihn rächen, so will es das Gesetz des Stammes. Auf welche Weise, danach fragt Marco nicht, er kennt nur ein Ziel, die Vernichtung des Feindes, und kann er das nicht im offenen Kampfe erreichen, so greift er zur List. Ich habe den Schwur gehört, den er leistete, als wir am Morgen nach jener Flucht wieder die heimischen Berge betraten, und er wird ihn halten, brächte es ihm auch selbst Verderben. Darum eben sind Sie hier nur für den Augenblick sicher. Ich kenne Marco; wenn er es auch nicht wagt, dem Wilaquell zu nahen, so wird er den Eingang bewachen, wird Sie hier förmlich belagern, bis Sie zu irgendeinem Verzweiflungsschritt getrieben werden und in seine Hände fallen. Die Ihrigen müssen benachrichtigt werden um jeden Preis.«
»Das ist unmöglich! Wer sollte, wer könnte eine solche Botschaft übernehmen?«
»Ich!«
»Wie, Sie wollten –«
»Ich will nichts halb tun, und die Rettung ist erst zur Hälfte vollbracht, wenn keine Hilfe von außen kommt. Aber ich muß warten, bis Marco im Dorfe angelangt ist; er wird dort jede Hütte, jeden Stein untersuchen, und inzwischen gewinne ich Zeit, zu gehen.«
»Nimmermehr!« fuhr Gerald auf. »Das gebe ich nicht zu. Sie könnten Obrevic begegnen, und auch ich kenne ihn. Errät er, ahnt er nur, was Sie vorhaben, so wird er Sie töten.«
»Das wird er!« sagte Danira kalt. »Und da täte er recht.«
»Danira!«
»Wenn Marco den Verrat mit dem Tode straft, so ist er in seinem Recht, und ich würde nicht zucken bei dem Streich. Ich rufe ja die Feinde zu Hilfe um eines Feindes willen, das ist Verrat – ich weiß es.«
»Und warum retten Sie mich denn um einen solchen Preis?« fragte der junge Offizier, das Auge fest auf sie gerichtet.
»Weil ich muß!«
Die Worte klangen nicht hingebend, sondern herb und bitter. Es lag darin ein trotziges Aufbäumen gegen die Macht, welche mit dem Willen auch das ganze Sein und Wesen des Mädchens in Fesseln geschlagen hatte, und der sie grollte selbst in dem Augenblick, wo sie sich ihr beugte. Sie hatte den Fremden, den Feind an den geheiligten Quell gerettet, obgleich sie wußte, daß eine solche Rettung als Verrat und Entweihung galt, sie war bereit, alles für ihn zu opfern, und wandte sich doch in demselben Moment beinahe feindselig ab von ihm und seiner Liebe.
Die Bora vermochte es nicht, in die Tiefe der Kluft einzudringen, um so wilder tobte sie droben in der Höhe und brauste um die Felsen, als wollte sie deren Gipfel niederreißen. Die alten Sagen erzählen, daß in solchen Sturmnächten die Geister all der Erschlagenen niedersteigen, deren Blut jemals diesen Boden gerötet, und es war in der Tat, als seien es Geisterheere, die dort in den Lüften kämpften und in rasender Flucht dahinjagten. Dazwischen klang es wie von tausend Stimmen, die höhnend, drohend, zischend durcheinander wogten, und zuletzt einten sich all diese Stimmen und all dies Toben und Heulen zu einer wildbrausenden Melodie, zu einem Triumphliede, das nur von Verderben und Vernichtung sang.
Wovon hätten sie denn auch sonst Kunde geben sollen in diesem Lande, wo die Menschen ebenso starr und erbarmungslos waren wie die Natur, die sie umgab. Hier galt ja der Kampf allein als die Losung. Ein wilder Trotz gegen jeden Zwang, selbst gegen den des Gesetzes und der Sitte, ein blutiger Streit und knirschendes Unterliegen! So war es von Anfang an gewesen, so war es noch heute, und wenn die Geister der Sage wirklich dort auf den Schwingen des Sturmwindes dahinjagten, so kämpften sie noch im Tode miteinander.
Und inmitten dieser Welt des Kampfes stand der Friedensbann des Wilaquells. Woher er stammte, wer ihn ausgesprochen, das wußte niemand, das lag in grauer Vorzeit, aber er wurde gehalten mit jener unverbrüchlichen Treue, mit der alle Naturvölker an ihren Traditionen hängen. Vielleicht war es der Instinkt des Volkes selbst, der sich einst diese Schranke gegen die eigene Willkür und Wildheit aufgerichtet und wenigstens einem Orte den Frieden gewahrt hatte – gleichviel, er wurde gewahrt, und die rauhen Söhne des Gebirges neigten sich ehrfurchtsvoll diesem Bannkreis, den noch keiner feindlich überschritten hatte.
Der Mond stand jetzt hoch am Himmel, und sein Schimmer fiel mit voller Klarheit in die Tiefe der Kluft. Das bläulich geisterhafte Licht floß nieder an den dunklen Felswänden und legte einen silbernen Schleier auf die klare Flut des Quells, der so unberührt von all dem Sturmestoben dahinfloß. Oben Sturm und Kampf, und hier unten im Schutze der mächtig aufstrebenden Felsen nur ein Wehen und Rauschen, das zu flüstern und zu mahnen schien, das wilde Kämpfen aufzugeben und Frieden zu machen an dem Friedensquell.
»Sie müssen!« nahm Gerald das letzte Wort Daniras wieder auf. »Wohl, auch ich mußte, und auch ich habe gekämpft und gerungen gegen eine Macht, die meinen Willen in Fesseln schlug, aber ich hasse diese Macht nicht mehr, wie Sie es tun. Wozu denn noch länger die ohnmächtige Schranke der Feindseligkeit zwischen uns aufrecht erhalten, wir wissen es ja beide, daß sie nicht standhält, wir haben es lange genug versucht. Ich habe den Ruf gehört, der von Ihren Lippen kam, als ich so unvermutet über die Schwelle Ihres Hauses trat. Es war mein Name – und der klang anders als dies harte, starre: Ich muß!«
Danira gab keine Antwort, sie hatte sich abgewandt und konnte doch diesen Augen und dieser Stimme nicht entfliehen. Der leise, halbverschleierte Ton bahnte sich mächtig den Weg zu ihrem Herzen, es war umsonst, daß sie die Hände darauf preßte, er fand den Eingang doch, und sie hörte ihn durch all das Sturmesbrausen:
»Seit dem Tage, wo ich Ihre Felsenheimat betrat, stand nur ein Bild vor meiner Seele, war nur ein Gedanke darin – Sie wiederzusehen, Danira. Ich wußte es, daß wir uns noch einmal begegnen mußten! Warum ließen Sie mir auch jene Botschaft zurück? Sie wollten meine Verachtung nicht mit sich nehmen, die meine allein nicht, wo Sie jedem andern Urteile Trotz boten. Die Worte standen vor mir Tag und Nacht, ich konnte sie nicht wieder los werden, sie haben mein Schicksal entschieden.«
»Es war ein Abschiedswort«, murmelte das Mädchen mit halberstickter Stimme. »Ich glaubte, Sie niemals wiederzusehen, und es war Ihre Braut, der ich die Botschaft anvertraute.«
»Edith ist meine Braut nicht mehr«, sagte der junge Offizier schwer und dumpf.
Danira fuhr auf in jäher, schreckensvoller Überraschung.
»Nicht mehr Ihre Braut? Um Gottes willen, was ist geschehen? Sie haben das Band gelöst –?«
»Nicht ich, Edith tat es, und ich fühle erst jetzt, wie recht sie tat. Diese sonst so lachenden und unbefangenen Kinderaugen sahen mir tief in das Herz hinein, sie errieten, was ich damals selbst noch nicht wußte oder nicht wissen wollte. Wohl hat mir der Vater die Rückkehr offen gelassen, wenn ich den Traum überwinden könnte. Ich konnte es nicht und jetzt – bei allem, was mir heilig ist – jetzt will ich es auch nicht mehr. Was ist denn die Wirklichkeit, das Glück eines ganzen Lebens gegen den Traum dieser Minute, für den ich vielleicht das Leben hingeben muß. Aber ich klage die Hinterlist nicht mehr an, die mich hierher lockte, sie brachte mir dies Wiedersehen, und das ist nicht zu teuer erkauft mit der Todesgefahr, die mich jetzt umschwebt, nicht zu teuer mit dem Tode selbst!«
Es war wirklich Gerald von Steinach, von dessen Lippen diese Worte kamen, der kühle, besonnene Mann mit den eisigen Augen, der nicht lieben konnte. Jetzt brach es wie ein Glutstrom von seinen Lippen und flammte hinüber in die Seele Daniras; auch ihre Kraft hielt nicht mehr stand vor dieser Sprache der Leidenschaft, und als Gerald jetzt zum zweitenmal ihr nahte, da floh sie nicht mehr zurück vor ihm, aber ihre Hand, die er ergriffen hatte, zuckte in der seinigen.
»Vielleicht bringe ich Ihnen den Tod!« sagte sie leise mit tief aufquellendem Weh. »Es ist ja nun einmal meine Bestimmung, Unheil zu bringen, hier wie dort. Wäre ich früher gegangen, nur einige Wochen früher, so hätten wir uns nie gesehen, und Sie wären glücklich geworden an Ediths Seite. Ich weiß es ja, daß sie sich nur hinter Launen und Eigensinn verschanzt; ihr Herz gehört dem Manne, der ihr zum Gatten bestimmt ward. Es ist die erste ernste und tiefe Empfindung ihres Lebens, das Erwachen aus dem Kindertraum. Jetzt erfährt sie auch das erste bittere Weh – durch mich! Und sie ist doch das einzige Wesen, das ich jemals geliebt habe.«
Sie wollte ihm ihre Hand entziehen, aber vergebens, er gab sie nicht frei und beugte sich zu ihr nieder, so nahe, daß sein Atem sie umwehte.
»Das einzige Wesen? Danira, soll denn nicht einmal diese Stunde uns Wahrheit bringen? Wer weiß, wie kurz mir noch das Leben zugemessen ist? Ich glaube es nicht, daß Obrevics Wildheit und Rachsucht vor diesem Orte Halt machen wird, ich bin darauf gefaßt, ihm zum Opfer zu fallen. Aber einmal noch muß ich meinen Namen von deinen Lippen hören, so wie er mir vorhin entgegenklang, die Bitte darfst du mir nicht verweigern. Wenn diese Lippen selbst jetzt, im Angesichte des Todes, herb und stolz das Geständnis verschließen, wohl, ich verlange es nicht – aber nennen mußt du mich, wie meine Mutter mich nennt, nur ein einziges Mal noch mußt du ›Gerald‹ sagen.«
Seine Stimme bebte in leidenschaftlichem Flehen. Es schien vergebens zu sein, denn Danira verharrte stumm und regungslos noch einige Sekunden. Endlich wandte sie ihm langsam das Antlitz zu, und ihr Auge tauchte tief in das seinige.
»Gerald!«
Es war nur ein einziges Wort, aber es lag alles darin, das so heiß ersehnte Geständnis, die vollste Hingebung, das ausbrechende Glück, und es war auch ein Aufjubeln des Glückes, mit dem Gerald jetzt die Geliebte an seine Brust zog.
Über ihnen tobte der Sturm, und um sie schwang die Todesgefahr ihre dunklen Flügel, aber mitten aus Sturm und Todesgrauen blühte eine Seligkeit empor, in der jede Erinnerung an die Vergangenheit, jeder Gedanke an die Zukunft unterging. Gerald und Danira dachten nicht mehr an Leben und Tod, und wäre ihnen in derselben Minute ein blutiger Untergang bereitet gewesen, sie hätten ihm ins Auge gesehen mit dem vollen, leuchtenden Glück im Herzen.
»Dank!« sagte Gerald mit Innigkeit, ohne die Geliebte aus seinen Armen zu lassen. »Jetzt komme, was da will, ich bin gerüstet!«
Seine Worte riefen auch Danira zur Wirklichkeit zurück, sie richtete sich empor.
»Du hast recht, wir müssen dem Kommenden begegnen, ich muß fort.«
»Fort! In diesem Augenblick, wo wir uns gefunden haben! Und ich soll dich in eine Gefahr hinauslassen, die ich nicht mit dir teilen kann?«
Das Mädchen machte sich sanft, aber entschieden los aus seinen Armen.
» Du schwebst in Gefahr, Gerald, ich nicht, denn ich kenne Weg und Steg in meiner Felsenheimat und werde Marco zu vermeiden wissen; er kann jetzt im Dorfe angelangt sein. Sei ohne Sorge, es gilt deine Rettung, da werde ich vorsichtig sein. Aber ehe ich gehe, gib mir dein Wort, nicht von dem Wilaquell zu weichen, dich durch keine List, durch keine Drohung von hier vertreiben zu lassen. Nur hier allein ist Sicherheit und Rettung für dich und deinen Begleiter, beim ersten Schritt über jenes Felsentor hinaus seid ihr verloren.«
Der junge Offizier blickte unruhig und besorgt auf die Sprechende. Er sagte sich freilich, daß sie sicher war, selbst bei einer Begegnung mit seinen Verfolgern; es ahnte ja niemand, woher sie kam oder wohin sie ging, und ein Vorwand war bald gefunden. Blieb sie an seiner Seite, so mußte sie sein Los teilen und fiel vielleicht als erstes Opfer der Rachsucht ihres Volkes; und doch wurde es ihm so unendlich schwer, sein kaum gewonnenes Glück von sich zu lassen.
»Ich weiche nicht von dem Quell«, erwiderte er. »Glaubst du, daß ich jetzt noch sterben möchte? Ich habe das Leben nie so geliebt wie jetzt, wo meine Danira der Preis desselben ist, und ich bin bereit, darum zu kämpfen; ich kämpfe ja um Glück und Zukunft.«
Seine Blicke suchten wieder die ihrigen, die ihn nicht mehr flohen, aber jene großen, dunklen Augen hafteten mit einem seltsamen Ausdruck auf seinen Zügen, so weich und doch so düster und schmerzvoll, es leuchtete auch nicht ein Strahl jenes Glückes darin, das mit so heller Zuversicht aus seinen Worten hervorbrach.
»Der Preis deines Lebens!« wiederholte sie. »Ja, Gerald, das will ich sein, mit vollem, ganzem Herzen, und nun – lebe wohl!«
»Lebe wohl! Gott gebe, daß du glücklich das Fort erreichst; bist du erst dort, so werden meine Kameraden meine Retterin zu schützen wissen vor der Rache deiner Stammesgenossen.«
Er sprach das ahnungslos und zärtlich, aber er mußte wohl unwissentlich jene dunkle Tiefe in dem Wesen des Mädchens berührt haben, die auch ihm rätselhaft blieb. Danira zuckte auf, als habe man ihr eine Beleidigung in das Antlitz geschleudert; die alte Wildheit schien sich wieder aufbäumen zu wollen, aber es war nur ein Moment, dann wurde sie gewaltsam niedergezwungen.
»Ich bedarf eures Schutzes nicht, so wenig wie ich jener Rache fürchte, das geht mich allein an! – Lebe wohl, Gerald, noch einmal – lebe wohl!«
Er zog sie nochmals in seine Arme, er hörte ja nicht das Trennungsweh in diesen Worten, nur die volle, hingebende Zärtlichkeit, die ihm an seiner Danira noch so fremd war. Aber sie ließ ihm kaum eine Minute zum Abschiede, sondern riß sich los, als fürchtete sie das längere Beisammensein. Er sah, wie sie sich über den Quell neigte und leise die Lippen bewegte, als wollte sie den Geliebten seinem Schutze empfehlen; dann stieg sie rasch aufwärts und verschwand in dem dunklen Felsentor.
Oben angelangt, blieb Danira stehen. Nur eine Minute Ruhe nach diesem stummen, qualvollen Kampfe! Sie wußte ja allein, was diese Trennung bedeutete, Gerald durfte nicht ahnen, daß es ein Abschied auf ewig war, er hätte sie sonst sicher nicht von seiner Seite gelassen.
Er kannte trotz alledem Danira Hersovac nicht. Wohl war sie ihrem Volke fremd geworden, im Zwiespalt mit all seinen Sitten und Anschauungen, mit ihrem eigenen Denken und Fühlen drüben im Lager des Feindes, dem sie einst so trotzig entflohen war, aber das unsichtbare, mächtige Band des Blutes behauptete dennoch sein Recht und nannte das, was sie zu tun im Begriff stand, mit dem furchtbaren Namen: Verrat.
Sie wollte die fremden Truppen zu Hilfe rufen, und wenn Marco standhielt – und er würde standhalten – dann gab es ein Blutbad um des einen willen, der nicht sterben sollte, nicht sterben durfte, kostete seine Rettung auch den höchsten Preis. Von dem Augenblicke an, wo Danira wußte, daß diese Rettung in ihren Händen allein lag, gab es für sie keine Wahl mehr. Sie mußte! Es war eine Notwendigkeit, der sie sich willenlos beugte, aber leben mit der Erinnerung an das, was geschehen war, und glücklich sein an der Seite des Geliebten – der Gedanke kam nicht in die Seele des Mädchens.
Die Tochter des einstigen Häuptlings konnte den Verrat begehen, aber sie konnte ihn auch sühnen. Wenn Gerald gerettet und in Sicherheit war, dann zurück zu dem Bruder und zu Marco, dem Haupte des Stammes, und bekennen, was sie getan. Die Verräterin traf der Tod, sie wußte es – um so besser! Dann war der ewige Zwiespalt der Geburt und der Erziehung für immer geendet.
Sie warf noch einen Blick in die Tiefe, wo die Flut des Wilaquells im Mondlicht schimmerte. Geheimnisvoll aus dem Felsengrunde geboren, trat er nur einmal zutage, blickte nur einmal auf zum Licht, um dann wieder in unterirdischen Klüften zu verschwinden; und doch war sein kurzer Lauf ein Segen für jeden, der ihm nahte. Auch hier hatte er ein wenn auch nur kurzes Glück gegeben, das nur einmal leuchtend aufblitzte und nun in Trennung und Tod enden sollte, aber es wog doch ein ganzes Leben auf.
Noch immer kämpften jene unsichtbaren Heere in den Lüften, noch immer klangen ihre Stimmen höhnend und drohend herab und sangen das wilde Lied von Verderben und Vernichtung. Danira war vertraut mit den Sagen ihrer Heimat, sie verstand dies Drohen des Sturmes, und wie zur Antwort richtete sie das Haupt empor.
»Vergebens! Ich lasse mich nicht mehr zurückhalten! Wenn ich den Verrat begehe, so habe ich mir auch selbst das Urteil gesprochen, und Marco wird es erbarmungslos vollziehen, es müßte denn Gott selbst vom Himmel niedersteigen und Gnade verkünden. Du sollst gerettet sein, Gerald, ich werde, was ich dir versprach – der Preis deines Lebens!«
Sie trat den Weg an, und durch die sturmumbrauste, mondbeglänzte Felsenöde eilte sie dahin – zur Rettung.
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