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Die beiden Männer waren jetzt allein in der Schlucht, aber das Auge des jungen Offiziers hing noch immer an jenem Punkte, wo Danira verschwunden war. Er achtete nicht darauf, daß Jörg von seinem Felsstück herabkletterte und an seine Seite kam; erst als jener sich mit einem tiefen Seufzer bemerkbar machte, wurde er aufmerksam und fragte:
»Was hast du denn?«
Jörg legte vorschriftsmäßig die Hand an das Käppi:
»Herr Leutnant, ich wollt' ergebenst melden – hören konnt' ich nichts da oben, aber mit angesehen hab' ich die ganze Geschichte.«
»Wirklich? Nun das läßt sich nicht ändern, wenn mir deine Nähe auch nicht gerade erwünscht war. Ich hatte dich allerdings vollständig vergessen.«
»Das glaub' ich!« sagte Jörg mit einem zweiten, noch jammervolleren Seufzer. »Sie hatten überhaupt alles vergessen. Wenn unterdessen die ganze Krivoscie angerückt wäre und uns den Garaus gemacht hätte, ich glaub', Sie hätten es nicht einmal gemerkt. Wenigstens habe ich Wache gehalten und dabei fortwährend für Ihr Seelenheil gebetet, aber geholfen hat es nichts.«
»Das ist brav von dir!« erklärte Gerald, über den der ganze Übermut des Glückes gekommen war, der ihn über Sorge und Gefahr hinaus hob. »Ich hatte allerdings keine Zeit dazu, da ich mich, wie du ja siehst, inzwischen verlobt habe.«
»Herr Gerald!« Jörg vergaß in seiner Verzweiflung sogar den Respekt und gebrauchte die alte vertrauliche Anrede. »Herr Gerald, – um aller Heiligen willen – das ist ja fürchterlich!«
»Sich im Angesichte einer Todesgefahr zu verloben, meinst du? Ungewöhnlich ist es freilich, aber man kann nicht immer Ort und Zeit wählen.«
So hatte es Jörg nun allerdings nicht gemeint; er fand die Tatsache an sich fürchterlich, und mit einer Miene, die besser zu einem Leichenbegängnis als zu einem Glückwunsche paßte, sagte er:
»Ich hab' das längst gewußt! Noch vorgestern hab' ich dem Pater Leonhard gesagt: Geben Sie acht, Hochwürden, das gibt ein Unglück! Und wenn es passiert, stellt sich das ganze Tirol auf den Kopf und das Schloß Steinach dazu –«
»Nun, so laß sie auf dem Kopfe stehen.«
»Und die gnädige Frau Mutter trifft der Schlag«, fuhr Jörg in seinen düsteren Prophezeiungen fort.
»Meine Mutter!« sagte Gerald, der plötzlich ernst geworden war. »Ja, mit ihr werde ich einen schweren Kampf zu bestehen haben. Gleichviel, er muß durchgefochten werden. Kein Wort weiter, Jörg!« unterbrach er sich, als jener reden wollte. »Du weißt, ich lasse dir vieles hingehen, sobald es sich um mich handelt, hier aber hört meine Duldung auf. Du hast von jetzt an in Danira Hersovac meine künftige Gemahlin zu ehren; merke dir das und richte dich danach.«
»Nun, vielleicht werden wir vorher noch alle beide totgeschlagen!« meinte Jörg in einem Tone, als ob ihm dies zum ganz besonderen Troste gereichen würde. »Ich glaub' es nicht, daß dieser Hexenquell ein Mittel gegen das Totschlagen ist, und wenn die Feinde es wirklich nicht tun, dann besorgt es der verwünschte Stein, der da oben in der Luft hängt. Er hat sich schon bewegt; vorhin, als die Bora auf einmal wie toll und unsinnig einsetzte, hab' ich es ganz deutlich gesehen. Er nickte mir förmlich zu, als wollte er sagen: Wart' nur, jetzt fall' ich euch auf die Köpfe!«
Er wies nach oben, und Geralds Blick folgte der angedeuteten Richtung. Das weiße Mondlicht überflutete das dunkle Gestein, ohne ihm Licht geben zu können. Düster und drohend wie ein riesiger Schatten hing der Fels über dem Eingange der Kluft, und der Mondesschimmer brachte eine derartige Täuschung hervor, daß es auch dem jungen Offizier schien, als habe der Felsgipfel sich in der Tat tiefer herabgesenkt, und als sei die Öffnung kleiner geworden; aber er schüttelte abwehrend den Kopf.
»Torheit! Du hörst es ja, der Fels neigt sich so seit Jahrhunderten. Er hat noch ganz andere Stürme ausgehalten als den heutigen, selbst die wildeste Bora vermag nichts gegen dieses starre Gestein. In jedem Falle aber haben wir hier die beste Verteidigungsstellung. Wir sind im Rücken gedeckt und können das Nahen der Feinde – Halt! Was ist das? Hörst du nichts?«
Die beiden Männer lauschten angestrengt. Auch Jörg war aufgefahren, denn auch er hatte einen fremdartigen Laut vernommen, aber der Sturm verwehte ihn vollständig. Es verging eine ganze Weile, da endlich setzte die Bora für einige Minuten aus, und jetzt klang es deutlich aus nicht allzu weiter Entfernung wie der Laut von Schritten und Stimmen, die dem Schalle nach einer ganzen Schar von Männern angehören mußten.
»Da sind sie!« sagte Gerald, der im Angesicht der Gefahr seine kühle Besonnenheit und Ruhe vollständig zurückgewann; seine Stimme verriet kaum irgendeine Erregung. »Hierher an meine Seite Jörg! Wir bleiben zusammen, solange wir überhaupt noch stehen. Sie sollen wenigstens erkennen, daß sie es mit Männern zu tun haben, die sich nicht wehrlos abschlachten lassen.«
Jörg kam der Aufforderung nach und stellte sich fest an die Seite seines Leutnants, aber er konnte doch nicht umhin, in diesem kritischen Augenblicke noch ein letztes Stoßgebet zu seinem Schutzpatron emporzusenden.
»Heiliger Georg! Ich hab' dir nie viel mit Bitten zugesetzt und hab' mir stets selbst geholfen, wo es nur irgend anging, aber hier geht es halt nicht mehr an. Du weißt, ich bin kein schlimmer Bub' gewesen bis auf die Lust am Raufen und Dreinschlagen, aber das hab' ich von dir, Sankt Jörg! Du hast ja auch stets mit dem Schwert dreingeschlagen und den Drachen zusammengehauen, daß er sich nur so krümmte. Also hilf uns beim Losschlagen oder tu' es lieber selbst, denn allein werden wir nicht fertig. Und wenn du durchaus nicht willst, dann gib uns wenigstens ein seliges End' und nimm dich des armen Heidenkindes, der Jovica, an, daß sie getauft wird und dereinst auch zu uns in den Himmel eingehe – Amen!«
Die Jovica – das war der letzte Gedanke des jungen Tirolers, die kam noch nach dem seligen Ende, und er wollte wenigstens die Beruhigung haben, sie im Himmel wiederzusehen.
»Bist du bereit?« fragte Gerald, der nicht einen Moment den Eingang aus den Augen verlor, aber das Murmeln seines Gefährten gehört hatte. Jörg richtete sich entschlossen auf.
»Zu Befehl, Herr Leutnant! Das Beten ist abgemacht, jetzt geht es ans Losschlagen, und ich denk', ich werd' meinem Namenspatron keine Schand' machen.«
Die Männer standen Seite an Seite, kampfbereit, die Waffen fest in den Händen und gefaßt auf einen Angriff, der ihnen freilich nur noch die Hoffnung auf einen ehrlichen Soldatentod ließ, denn wenn es hier überhaupt zum Kampfe kam, so waren sie auch verloren; aber Minute auf Minute verrann, ohne daß dieser Angriff erfolgte.
Der Eingang zu der Kluft war offen und unbewacht, und die Verfolger waren jetzt dicht vor demselben angelangt. Man hörte in den Pausen, die der Sturm machte, deutlich ihre Stimmen, die sich laut und heftig erhoben, aber niemand zeigte sich, niemand überschritt das Felsentor, eine unsichtbare Schranke schien sie fernzuhalten.
Eine bange, endlos scheinende Viertelstunde verfloß in dieser befremdenden Ruhe. Bisweilen zeigten sich hoch oben am Rande der Kluft einzelne Gestalten, die sich dunkel und scharf gegen den sternhellen Nachthimmel abzeichneten und offenbar versuchten, einen Einblick in die Tiefe zu gewinnen. Ihre Waffen blitzten im Mondlicht, aber kein Schuß fiel aus der Höhe. Endlich verschwanden sie wieder, und wilder und drohender erhob sich draußen das Stimmengewirr.
»Seltsam! Sie wagen es wirklich nicht, dem Quell zu nahen!« sagte Gerald halblaut. »Danira hat recht, die Tradition wird gehalten selbst dem Feinde gegenüber – ich hätte es nicht geglaubt.«
»Herr Leutnant, mir fängt die Sach' an langweilig zu werden«, erklärte Jörg. »Da stehen wir nun seit einer halben Stunde ganz gottergeben und bereit, uns massakrieren zu lassen – natürlich erst, nachdem wir selbst ein halbes Dutzend Feinde massakriert haben – und nun passiert gar nichts! Das ist offenbar Hexerei; dies Volk fürchtet sonst Tod und Teufel nicht und scheut sich vor einem Wasser.«
»Nun, so bleiben wir im Schutze dieses Wassers. Du hast die Warnung gehört: keinen Schritt über jenen Felsen hinaus! Was sie versuchen, was auch geschehen mag, wir weichen nicht von dem Quell, bis die Hilfe kommt – wenn sie überhaupt eintrifft.«
Die letzten Worte klangen düster und zweifelnd, der junge Offizier dachte an all die Möglichkeiten, die sich Danira in den Weg stellen konnten. Jörg aber sagte zuversichtlich:
»Die Kameraden lassen uns nicht im Stich, und Sankt Georg auch nicht. Er wird doch Einsehen haben und einem ehrlichen Tiroler beistehen gegen dies Mordgesindel. Es wär' auch schad' um uns beide, Herr Leutnant. Mir eilt es noch gar nicht mit dem Sterben; ich mein', in fünfzig Jahren ist auch noch Zeit dazu, und es tut auch nicht not, daß der Moosbacher Hof in fremde Hände kommt.«
Damit lehnte sich Jörg in aller Gemütlichkeit an die Felswand und begann sich die fünfzig Jahre auszumalen und darüber nachzudenken, wie Jovica sich freuen werde, wenn er lebend und gesund im Fort wieder eintreffe. Er kam schließlich zu dem Resultate, daß eine derartige irdische Begegnung doch am Ende dem Wiedersehen im Himmel vorzuziehen sei, das bei dem Heidentum des Findlings doch immerhin zweifelhaft blieb. –
Stunde um Stunde verging; die Nacht begann allmählich zu weichen, die Sterne flimmerten matter und verblichen einer nach dem andern, und kalte, graue Dämmerung legte sich auf die Erde. Auch die Bora hatte nachgelassen; sie setzte nur bisweilen noch in einzelnen heftigen Stößen ein, die dann mit verdoppelter Gewalt dahinrasten; aber die Pausen dazwischen wurden immer länger, der Sturm war augenscheinlich im Weichen begriffen.
Vor der Schlucht des Wilaquells lagerte die Schar der Verfolger, die mit zäher, unermüdlicher Ausdauer hier ausharrte seit Stunden. Danira kannte ihre Stammesgenossen und kannte vor allem Marco Obrevic; sie wußte, daß er nicht wieder von der Spur des Feindes wich, wenn er es auch nicht wagte, dem Quell zu nahen. Noch hatte er es in der Tat nicht gewagt; aber jetzt schien seine unbändige Natur den Sieg davonzutragen über die Schranke, die ihm Halt gebot.
Es war offenbar ein Streit ausgebrochen zwischen den Männern; ihre Stimmen hallten laut durcheinander, am lautesten die Marcos. Er stand inmitten seiner Gefährten, die er alle überragte; aber seine Haltung war trotzig und herausfordernd, als sei er im Begriff, seinen Willen mit den Waffen in der Hand durchzusetzen. Stephan Hersovac bemühte sich vergeblich, Frieden zu stiften.
»Laßt ihn, er droht nur, er wird es nicht ausführen«, rief er den andern zu. »Du wirst den Quell nicht verletzen, Marco, die beiden in der Schlucht können uns ja nicht entgehen; aber wir müssen warten, bis –«
»Warten!« unterbrach ihn Marco, dessen Stimme den kochenden Grimm verriet, der in seinem Innern wühlte. »Warten wir nicht hier seit Mitternacht? Mag ihnen die Hölle das Geheimnis verraten haben, sie kennen es, müssen es kennen! Keine List, keine Drohung bringt sie zum Ausbrechen, sie weichen nicht von dem Quell. Sollen wir vielleicht tagelang hier lagern, bis der Hunger sie heraustreibt, oder bis sie im Fort vermißt werden, und man herbeikommt, um sie zu befreien? Was dann?«
»Dann hat sie der Wilaquell geschützt, und du mußt es geschehen lassen«, sagte einer von den Männern, ein Alter mit eisgrauem Haar, aber kraftvoller, ungebeugter Gestalt.
»Nimmermehr!« brach Marco wild aus. »Eher reiße ich ihn an dieser Stätte nieder, und brächte es mir selbst Verderben. Monatelang habe ich ihn nun allein gesucht, immer ist er mir entgangen. Jetzt endlich habe ich ihn in der Hand, und nun ziehe ich die Hand nicht eher wieder zurück, bis sie rot ist von seinem Blute. Ich habe es geschworen und werde es halten. Kein Bann schützt den, der mir den Vater und euch den Führer erschlug.«
»Der Wilaquell schützt alle!« sagte jener Alte mit großem Nachdruck. Zurück, Marco! Unsinniger! Du ziehst das Unheil herab auf dich und uns alle, wenn du den Frieden brichst.«
»Meint ihr etwa, ich wäre nicht Mann genug, es allein mit den beiden da unten aufzunehmen?« höhnte Obrevic. »Bleibt zurück! Ich nehme die Tat auf mich. Gib Raum, Stephan, ich will in die Schlucht!«
Ein drohendes Murren erhob sich von allen Seiten gegen den jungen Führer. Die Männer waren ihm gefolgt mit vollem, stürmischem Beifall, als er ging, den Feind zu vernichten. Der fremde Offizier hatte das Haupt ihres Stammes getötet; sie alle waren berufen, den Gefallenen zu rächen, in erster Linie der Sohn. Das war etwas Gebotenes, Unabwendbares, das vollzogen werden mußte nach ihren Rechtsbegriffen. Ein jeder bot die Hand dazu, und kein einziger machte sich Skrupel darüber, daß man das Opfer hinterlistig in eine Falle gelockt hatte und nun zu zehn über den einzelnen herfiel. Danira hatte wahr gesprochen, hier galt nur die Tat allein; wie sie vollzogen wurde, das kümmerte keinen.
Aber jetzt handelte es sich darum, eine uralte, geheiligte Tradition zu durchbrechen, an die noch niemand zu rühren gewagt hatte, und jetzt erhob sich der Aberglaube, der bei dem Naturvolke mächtiger war als selbst die Religion, und stellte sich drohend zwischen Gerald und seine Verfolger. Der Wilaquell war geheimnisvoll verknüpft mit all den Sagen des Landes, dem er angehörte; ihn verletzen, hieß Unglück herabziehen auf dieses Land und Volk. Nur eine Natur wie die Marcos, der außer seinem eigenen Willen kein Gesetz anerkannte, konnte es überhaupt versuchen, sich dagegen zu erheben, und als er es tat, machten seine Gefährten Miene, ihn mit Gewalt zu hindern. Sie umringten ihn und verlegten ihm den Weg zu der Schlucht; die Waffen blitzten, und es schien, als sollte der Streit blutig entschieden werden, als Stephan Hersovac sich von neuem in das Mittel legte.
»Gebt Frieden!« rief er, indem er sich Bahn machte und sich an die Seite seines Freundes stellte. »Soll unser eigenes Blut fließen um eines Feindes, eines Fremden willen? Bleibe zurück, Marco, du weißt nicht, was du tust«, und, die Stimme dämpfend, so daß nur Obrevic allein ihn verstehen konnte, sprach er weiter:
»Du willst uns morgen noch einmal zum Angriff führen. Kein einziger folgt dir mehr, wenn du Blut vergossen hast an dieser Stätte, du bist verfemt, und alle wenden sich von dir!«
Er hatte das rechte Mittel ergriffen, den wilden Obrevic zu bändigen. Dieser ließ einen unterdrückten Ausruf der Wut hören und biß die Zähne zusammen, aber er machte keinen Versuch mehr, den Kreis zu durchbrechen, der ihn umgab. Er wußte nur zu gut, daß seine entmutigte, zusammengeschmolzene Schar ihm nur widerwillig zu dem Kampfe folgte, mit dem er noch einen letzten, verzweifelten Schlag auf den Gegner führen wollte, daß sie ihr Heil nur noch in der Unterwerfung sah. Noch zwang die Macht seiner Persönlichkeit die Widerstrebenden, ihm zu folgen; aber es war zu Ende mit dieser Macht, wenn er wirklich mit erhobener Waffe jenen Bannkreis überschritt.
Da kam von der Richtung des Dorfes her eine einzelne Gestalt, dem Anschein nach ein Knabe. Es war jener Hirtenbube, den man ausgesandt hatte, um Gerald die falsche Nachricht zu überbringen, der den Führer gemacht hatte und dann zu Marco geeilt war, um ihm Nachricht zu geben. Er kam in eiligem, stürmischem Laufe gerade auf die Männer zu und erreichte sie endlich erschöpft und außer Atem.
»Marco Obrevic, wahre dich!« stieß er abgerissen hervor. »Es kommen Soldaten – wohl das Doppelte eurer Zahl – sie suchen ihn, den fremden Offizier, und euch!«
Alle fuhren auf bei der unerwarteten Nachricht; Marco aber rief heftig:
»Du lügst! Sie können noch keine Nachricht haben; sie glauben das Dorf besetzt von den ihrigen. Sind sie dort?«
»Nein, sie zogen vorbei, ohne sich aufzuhalten, ohne zu fragen. Sie ziehen nach dem Wilaquell, ich habe den Namen gehört.«
»Das ist Verrat! Woher wissen sie, daß er dort ist? Im Dorfe müssen sie ihn glauben! Wer hat ihnen die Botschaft gebracht?«
»Laß das jetzt«, unterbrach ihn Stephan. »Du hörst es, sie sind uns an Zahl doppelt überlegen. Wir können nicht hier den Kampf aufnehmen, das bringt uns Verderben. Fort, solange es noch Zeit ist.«
»Und der dort unten soll frei ausgehen? Erst will ich mit ihm abrechnen, und wissen will ich, wer der Verräter ist. Sprich, Bube, warst du es? Hast du dich bestechen lassen und uns die Feinde herbeigerufen? Antworte, oder du bist des Todes!«
Er hatte mit rauher Hand den Boten ergriffen und schüttelte ihn, als wolle er seine Drohung wahr machen; der Knabe sank in die Knie.
»Herr, ich tat nur, was du mir befohlen, nichts weiter! Ich wartete, bis ich die Fremden in das Haus des Stephan Hersovac eintreten sah. Es war niemand dort als sein Weib und Danira.«
»Danira!« wiederholte Marco in dumpfem, grübelndem Tone. »Sie war verschwunden, als wir anlangten, wo kann sie sein?«
»Marco, entschließe dich!« drängte Stephan ungeduldig. »Die Truppen sind beim Dorfe, in einer halben Stunde können sie hier sein. Laß uns aufbrechen.«
Obrevic hörte nicht; er stand regungslos da, das Auge auf den Boden geheftet, als brüte er über irgendeinem ungeheuren Gedanken. Der Instinkt der Eifersucht leitete ihn auf die rechte Spur, und plötzlich zuckte es wie ein Blitz nieder und zerriß das Dunkel – er erriet die Wahrheit.
»Jetzt weiß ich es, ich kenne den Verräter!« brach er in furchtbarster Erregung los. »Danira – darum also erbleichte sie und zitterte damals, als ich diesem Gerald von Steinach Blutrache schwor. Sie will ihn retten, selbst um den Preis des Verrates; aber das gelingt ihr nicht. Erst fällt er von meiner Hand, und dann sie, die uns jetzt die Feinde heranführt. Keinen Aufbruch! Keinen Rückzug! Wir bleiben und erwarten den Feind!«
Es war ein unsinniges Vorhaben, mit der kleinen Schar den Kampf gegen eine doppelte Übermacht aufzunehmen; es stellte die sichere Niederlage in Aussicht. Das fühlten all die Männer, und deshalb weigerten sie sich, zu gehorchen. Ungeduldig und zornig forderten sie den Aufbruch; von allen Seiten hallten die Rufe, aber umsonst. Seit Obrevic in Gerald seinen Nebenbuhler erkannt hatte, fragte er nicht mehr danach, ob er sich und all seine Gefährten dem Verderben überlieferte; sein bis zum Wahnsinn gereizter Haß kannte nur den einen Gedanken: Rache!
»Wagt ihr es nicht, standzuhalten?« rief er. »Feiglinge! Ich weiß es längst, was ihr im Sinne habt. Geht denn zur Unterhandlung, zur Unterwerfung, ich bleibe! Aus dem Wege, Stephan! Aus dem Wege, sage ich – hindere mich nicht, oder du fällst zuerst!«
Er schwang drohend die Handschar; Stephan wich zurück. Er kannte diese blinde Wut, die nicht Feind und Freund mehr unterschied, und auch die andern kannten ihren Führer. Niemand trat ihm mehr in den Weg, nur jener Alte mit dem grauen Haar und den blitzenden Augen rief ihm warnend zu:
»Marco Obrevic, wahre dich! Der Wilaquell duldet keine Rache und kein Blut!«
Marco lachte auf mit schneidendem Hohne.
»Nun, so soll er mir wehren! Und wenn der Gott da oben selbst vom Himmel herunterstiege, er hinderte mich nicht, ich halte meinen Schwur!«
Es waren fast dieselben Worte, die Danira vor einigen Stunden an dieser Stelle gesprochen hatte; aber was dort ein Ruf der Todesangst gewesen war, das wurde hier zur wilden, höhnischen Herausforderung. Marco richtete das trotzige Haupt empor zu dem immer lichter werdenden Morgenhimmel, als wolle er ihm diese Herausforderung in das Antlitz schleudern, und mit hoch erhobener Waffe betrat er das Felsentor, den schützenden Bannkreis.
Da setzte die Bora noch einmal ein, mit einem letzten, machtvollen Stoße. Wieder raste es durch die Lüfte und brauste es über die Erde, als seien alle Geister des Unheils losgelassen. Die Männer hatten sich zu Boden geworfen, um der Gewalt des Stoßes zu entgehen, und der Knabe mit ihnen. Da bebte und zitterte dieser Boden plötzlich unter ihnen, und über ihnen donnerte es wie Gewittersturm. Es war ein Krachen, Schmettern, Brechen, als stürze die ganze Kluft zusammen – dann tiefe, grauenhafte Stille. –
Stephan war der erste, der sich wieder aufrichtete, aber sein dunkles Antlitz wurde erdfahl, als er um sich blickte. Jenes mächtige Tor, das die Natur selbst der Schlucht geschaffen, stand nicht mehr; statt seiner sperrte ein Berg von Steintrümmern und Geröll den Eingang. Der Felsgipfel, der seit Jahrhunderten drohend herabhing, war gefallen, – der Wilaquell hatte seine Unverletzlichkeit gewahrt.
Auch die andern erhoben sich jetzt; aber keiner sprach ein Wort. Stumm und scheu blickten sie auf die Trümmerstätte und auf die Leiche ihres Führers, den der stürzende Fels erschlagen hatte. Marco Obrevic lag darunter begraben; nur das Haupt war teilweise sichtbar, aber es war das Haupt eines Toten.
Die wilden Söhne der Berge waren vertraut mit allen Schrecken des Kampfes, sie sahen dem Tode täglich und stündlich in das Antlitz, aber vor diesem Zeichen erbebten sie doch, und die furchtbare Antwort, die der Hohn ihres Führers gefunden, war auch für sie gesprochen.
Die Männer umdrängten Stephan Hersovac, das jüngere, jetzt das einzige Haupt ihres Stammes. Es fand eine halblaute, eifrige Beratung statt; aber sie war nicht von langer Dauer und schien mit vollster Einstimmigkeit zu enden. Nach einigen Minuten trennte sich Stephan von seinen Gefährten und trat von einer andern Seite her an den Rand der Schlucht. Er rief dort einige slavische Worte hinab. Gerald, der der Sprache vollkommen mächtig war, antwortete ebenso; dann gab der nunmehrige Führer das Zeichen zum Aufbruch, und still und düster zog die kleine Schar davon. Sie konnte die Leiche Marcos nicht mit sich nehmen; es hätte Stunden gebraucht, um die Trümmer hinwegzuräumen, die seinen Körper deckten.
*
Durch das fahle, graue Licht des Morgens zog die Truppe heran, die zur Befreiung Geralds und Jörgs abgesandt war, mit ihr Pater Leonhard, der sich angeschlossen hatte, als er hörte, um wessen Rettung es sich handelte, und der nun mutig und unverzagt den beschwerlichen Marsch durch Sturm und Nacht ertrug. Es war allmählich hell geworden, so daß man alles deutlich unterscheiden konnte, und man sah noch Stephan und seine Gefährten in der Ferne verschwinden.
»Wir werden doch nicht zu spät kommen!« sagte der Offizier, der die Abteilung führte. »Da ziehen die Feinde hin! Wenn sie nur ihr blutiges Werk nicht schon getan haben.«
»Das wolle Gott nicht!« rief der Pater. »Wir sind zur Stelle, aber ich sehe das Felsentor nicht, das Danira uns beschrieb; dort liegt nur ein Haufe von Steintrümmern. Sollten wir uns geirrt haben?
»Das wird sich ja in der nächsten Minute zeigen. Vorwärts! Laßt uns die Schlucht untersuchen. Wir müssen die beiden finden, lebend oder tot.«
Im Geschwindmarsch ging es vorwärts; aber ehe es noch möglich war, einen Einblick in die Schlucht zu gewinnen, rief man schon die Namen der Vermißten.
»Herr von Steinach! – Gerald!« – klang es gleichzeitig von den Lippen des Offiziers und des Geistlichen, und Bartel, der auch mit dabei war und die empfangene liebevolle Zurechtweisung seines Freundes und Landsmannes völlig vergessen hatte, rief im jammervollsten Tone dazwischen:
»Jörg! Jörg Moosbacher!«
»Hier ist der Jörg!« tönte die Stimme des unverwüstlichen Tirolers, der soeben aus der Schlucht emportauchte. »Und hier ist auch mein Leutnant, frisch und gesund! Grüß Gott, Kameraden! Ich wußt' es ja, ihr würdet uns nicht im Stich lassen. Und eine hochwürdige Geistlichkeit ist auch dabei? Grüß Gott, Hochwürden!«
Er erkletterte vollends den felsigen Abhang, und hinter ihm erschien Gerald, beide stürmisch und freudig bewillkommt. Jetzt gab es ein förmliches Kreuzfeuer von Fragen, Erklärungen und Berichten; während Gerald aber seinem Kameraden und dem Pater Leonhard ausführlich erzählte, was geschehen war, erwischte Jörg seinen Landsmann am Ärmel und sagte eindringlich und beweglich:
»Bartel, du kommst aus dem Fort – was macht die Jovica?«
Auch Pater Leonhard hatte einer ähnlichen Anfrage Rede zu stehen. Gerald ergriff die erste Gelegenheit, ihn beiseite zu ziehen, und fragte unruhig und besorgt:
»Wo ist Danira? Ist sie im Fort zurückgeblieben?«
»Nein, sie ist nach dem Dorfe zurückgekehrt, nachdem sie uns den Weg gewiesen, so daß wir ihn nicht mehr verfehlen konnten. Sie wollte nicht Zeuge des voraussichtlichen Kampfes sein. Gerald, mir ist, als trage das Mädchen irgendeinen unseligen Entschluß mit sich herum. Es war ihr kein Wort darüber zu entreißen, aber ich fürchte, sie entdeckt den Ihrigen, was sie getan hat, und dann ist sie verloren.«
»Jetzt nicht mehr!« sagte der junge Offizier mit unterdrückter Bewegung. »Der Kampf ist zu Ende, wir werden Frieden machen. Stephan Hersovac hat mir beim Abzuge zugerufen, er werde morgen mit einigen seiner Genossen im Fort erscheinen, um die Unterhandlungen einzuleiten. Ich glaube, er wollte es längst; nur Obrevics Einfluß hielt ihn bisher zurück.«
»Gott sei Dank! Dann kann und wird er an der Schwester den Weg nicht rächen, den er morgen selbst antritt; sie war nicht zu bewegen, in unserm Schutze zu bleiben.«
»Ich denke, jetzt wird sie sich dem meinigen anvertrauen«, sagte Gerald mit einem hellen Aufleuchten seiner Augen. »Sie soll es noch in dieser Stunde erfahren, daß kein Blut hier geflossen ist außer dem des Unseligen, der dort erschlagen liegt, und das hat keine Menschenhand vergossen, das war ein Urteil des Gottes selbst, den er herausforderte. Hochwürden, Sie sind zu spät gekommen, um dem Toten dort den letzten Trost zu spenden. Er starb unversöhnt mit sich und seinem Gott.«
Sie wandten sich nach der Trümmerstätte, die die andern bereits umstanden; vor dem Pater Leonhard öffnete sich der Kreis. Langsam trat der Priester näher und blickte einige Sekunden schweigend nieder auf das starre, blutige Haupt; dann hob er das Kreuz empor, das er am Gürtel trug, und es über den Toten hinstreckend, sagte er mit tiefem Ernst:
»Die Rache ist mein! spricht der Herr. Ich will vergelten!«
*