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Herrmann wußte von allen diesen Begebenheiten nichts, und weil er Ulrikens eigenhändiges Billet gesehn hatte, hielt er den traurigen Abend, wo sie vorgiengen, für die Sterbestunde ihrer Tugend. Er siegelte noch denselben Abend, als er von Tische kam, den goldnen Ring, den er von Ulriken zum Unterpfande ihrer Liebe unter dem Baume empfieng, in ein Blatt, welches nichts als diese Worte enthielt:
»Ulrike, dieser Ring werde das Monument deiner Tugend, da er nicht länger das Band unsrer Liebe seyn darf. Weine bey ihm, wie bey dem Grabsteine einer Freundin, die plözlich in der Blüte ihres Lebens dahinstarb! Blutige Zähren sind für eine Tugend, wie die deine, nicht zu viel. Ich feire heute deinen Sterbetag; denn seit gestern bist du für mich todt.« –
Er konte sich nicht entschließen, das Briefchen abzuschicken, weil ihm Ulrikens Fall so unglaublich vorkam, daß er beinahe seinen eignen 83 Augen nicht traute. Nach langem Bedenken und Aengstigen stieg ihm der wunderliche Vorsatz auf, Vignali zur Vertrauten seines Kummers zu machen: sie hatte bisher so vielen verstellten Antheil daran genommen, daß ihn sein Mistrauen gegen sie gereute: sie hatte ihm seine Eifersucht und Ulrikens Untreue vorausgesagt und ihn vor der Leichtgläubigkeit gegen sie gewarnt; und der Erfolg gab ihrer Prophezeihung so völlig Recht, daß er sich über sich selbst wunderte, wie er ihr jemals Unrecht geben konte. Er tadelte sich, daß er ihr nicht eher sein Zutrauen schenkte, und wie die meisten Menschen, wenn sie recht entsezlich betrogen sind, faßte er izt das Vertrauen der Verzweiflung zu ihr: er war so arg hintergangen worden, daß es ihm nicht auf die Gefahr ankam, noch einmal hintergangen zu werden.
Leicht zu erachten, daß ihn Vignali nicht allein bey seiner Ueberredung von Ulrikens Falle ließ, sondern auch aus allen Kräften darinne bestätigte! Die schadenfrohe Frau war wegen des Streiches, wodurch Ulrike den Abend vorher ihre gewiß 84 geglaubte Rache vereitelt hatte, in völligem Ernste so herzlich auf sie erbittert, daß sie in einem ausgezeichnet heftigen Tone von ihr sprach. Herrmann war überhaupt ein sehr brennbarer Zunder und stund daher sehr bald in hellen Flammen: als er durchaus loderte, ließ die hinterlistige Vignali heimlich Ulriken rufen: unterdessen, bis sie kam, fachte sie seinen Zorn vollends bis zur gänzlichen Feuersbrunst an. Das gute Mädchen wurde durch die unerwartete Bothschaft in solche Freude versezt, daß sie zitterte: sie vermuthete Wiederkehr, Versöhnung, Reue, Verbindung auf ewig – alles, was nur gutherzige Liebe vermuthen kan. Sie eilte, schauernd vor Vergnügen und Erwartung, hinüber, und Vergebung schwebte ihr schon auf der Zunge: sie beschloß, gleich alle Entschuldigungen zu verbitten und nach dem ersten ruhigen Worte Verzeihung und neue stärkere Liebe entgegen zu rufen. So, mit gespannten Segeln der Erwartung, trat sie herein: sie bebte innerlich, als wenn sie das Fieber schüttelte.
Vignali that, als wenn der Besuch ein 85 Wunder für sie wäre, und schwazte so viel in sie hinein, daß Ulrike nicht zum Worte kommen und fragen konte, warum man sie habe rufen lassen. Die falsche Frau überhäufte sie mit Liebkosungen; berichtete ihr freudig, daß sie ins künftige ihre Besuche wieder, wie zuvor, fortsetzen könte, weil die Ursache aufgehört habe, warum sie der Herr von Troppau untersagt hätte; und nöthigte sie auf dem Sofa Platz zu nehmen, wo Herrmann in Schrecken und Erstaunen über diese plözliche Erscheinung, wie angefesselt, sitzen geblieben war. So gern sie diesen Platz im Herzen annahm, so rückte sie doch dicht an das äußerste Ende, um nicht den Anschein zu haben, als wenn sie Herrmanns Wiederkehr veranlassen oder gar den ersten Schritt dazu thun wollte. Er stund hastig auf, als sie sich sezte, wollte zur Thür hinaus und fand sie verschlossen – Vignali hatte bey Ulrikens Empfange verstohlner Weise das Schloß abgedrückt: – er wollte sie öfnen, aber Vignali rief ihn zurück und bat, Ulriken unterdessen zu unterhalten, bis sie mit einem Briefe fertig wäre, 86 den sie nothwendig itzo schreiben müßte. – »Sagen Sie ihr die Wahrheit!« zischelte sie ihm ins Ohr und gieng ins Kabinet.
Herrmann wandelte das Zimmer auf und ab, am ganzen Leibe kochend, wollte jeden Augenblick herausplatzen und hielt sich jeden Augenblick wieder zurück. Ulrike saß auf dem Sofa, spielte an Vignali's Arbeit, die an einem Tischchen angeknüpft hieng, und schielte darüber weg nach Herrmann hin, voller Erwartung, ob er nicht bald das Gespräch anfangen werde: vor Ungeduld, daß es nicht geschah, hatte sie schon etlichemal den Mund offen und schloß ihn sogleich wieder: es entschlüpfte ihr sogar zweimal ein Wort, aber schnell verwandelte sie es künstlich in einen tiefgeholten Husten. Die Liebe wollte sich bey Ulrikens Gegenwart in Herrmanns Herze wieder emporarbeiten: sie rang in ihm mit dem Zorne, wie ein Paar ergrimmte Riesen: Angstschweiß strömte ihm über das rothbraune geschwollne Gesicht; er schlug die Daumen vor Beklemmung und innerlichem Tumulte ein: der Zorn that einen gewaltsamen Stoß auf Seele und 87 Zunge, und die Worte stürzten sich, wie geflügelt, heraus.
»Unverschämte!« stürmte er auf sie los: »wie kanst du die Frechheit begehn, dich vor meine Augen zu wagen? Ist es dir nicht genug, daß du eine Ehrlose bist, die Zucht und Tugend vergaß? Willst du sogar mich zum Zeugen deiner Schande machen? Soll ich nicht blos wissen, soll ich sogar sehn, wie tief du gesunken bist? – O wenn doch ein Erdbeben unter dir den Boden geöfnet hätte, als der lezte Funke deiner Tugend erlosch! – In der nämlichen Minute erlosch auch meine Liebe, und kein Mensch hat noch so fürchterlich gehaßt, als ich seitdem. Du bist seitdem in meinen Augen ein so niedriges elendes Geschöpf geworden, das ich nicht zermalmen, das ich noch tiefer verachten möchte, als den Staub, den meine Füsse treten. Meine Liebe war fest wie Himmel und Erde, aber mein Haß ist stärker als der Tod.« –
Ulrike wollte zitternd ein Paar Worte einschieben, aber er rief ihr sogleich zu: »Schweig, Unwürdige! schweig, daß ich deinen Hauch nicht 88 einathme! Hier! nimm diesen Brief!« – Todesangst überfiel ihn, als er ihn aus der Tasche zog: alle seine Muskeln arbeiteten, wie bey einer gezwungnen Trennung von dem Liebsten, was er sich entreißen konte: mit zitternden Händen warf er ihn auf den Tisch und sezte bebend hinzu: »Da! lies und weine!« –
Ulrike riß ihn auf, fuhr zusammen, als ihr der Ring entgegenfiel, und die Thränen quollen ihr vor Unwillen aus den Augen, indem sie las. Stolz, Liebe, Dankbarkeit, waren auf das äußerste beleidigt: sie war sich lebhaft bewußt, daß Herrmann zuerst mit Kaltsinnnigkeit angefangen, zuerst den Briefwechsel unterbrochen hatte, und nun noch oben drein so eine schnöde Behandlung, die sie nach aller Ueberzeugung nicht verdiente! Sie schwieg lange und wußte nicht, was sie thun sollte: immer war es ihr, als wenn sie seinen bleyernen Ring vom Finger ziehen und eben so verächtlich hinwerfen müßte: gleichwohl war es hart, sich zu scheiden, ohne sich vorher zu verständigen. Ihr Zorn verbrauste bald. »Aber sage mir, Heinrich!« fieng sie 89 an, »was bewegt dich zu so einem ungerechten Schritte?«
Herrmann. Wie sehr er gerecht ist, wird dir dein Gewissen sagen.
Ulrike. Wer hat mich bey dir verläumdet?
Herrmann. Diese meine Augen zeugen wider dich.
Ulrike. Worinne denn?
Herrmann. O du Schamlose! Also willst du noch wider dich selbst zeugen, daß du nicht blos verführt, daß du verderbt bist? – Wehe, wehe über uns beide, daß wir in diese Stadt, in dies Grab der Unschuld kamen! Aus Engeln macht sie Teufel, die beharrlichsten frechsten Teufel.
Ulrike schwieg. Mit wehmüthigem Tone fieng sie wieder an: »Heinrich, ich bitte dich mit Thränen, reiß nicht wegen einer schwarzen Grille dein Herz von dem meinigen!«
Herrmann. Wenn Thränen deine Seele wieder rein zu waschen vermögen, dann bade dich darinne. – Aber wie sollen sie dies vermögen? Einmal verscheucht, kehrt die Unschuld 90 nie in ihre entheiligte Wohnung zurück. – Gott! wer hätte sich das im Schlafe träumen lassen? daß eine so frische Blume so bald verduften sollte? – Aber sie ist dahin! Wer mag einen Leichnam und die Unschuld eines Mädchen wider ins Leben bringen? – Lege dich und stirb! Was nüzt dir dieser elende Odem? seit gestern bist du doch nur eine herumwandelnde, langsam modernde Leiche. –
Ulrike, die den Grund seines Grolls nunmehr errieth und argwohnte, daß man ihm eins von ihren gestrigen Billeten gezeigt und verläumderische Auslegungen davon gemacht habe, sprang auf, daß der Arbeitstisch, der vor ihr stand, umstürzte, und warf sich um Herrmanns Hals. »Ich bitte dich,« sprach sie, »laß dir deinen schrecklichen Argwohn widerlegen!«
Herrmann ließ sie nicht ausreden: er stieß sie von sich zurück. »Weg von mir!« rief er: »deine Umarmung ist mir izt ein Abscheu, deine Berührung ein Ekel. Mein Entschluß ist unerschütterlich, wie ich deine Tugend glaubte: ich mag nicht lieben, was ich verachten muß. 91 Nimm deinen Ring und stecke ihn dem Ersten, dem Besten an den Finger, der deine Schande nicht weis oder niedrig genug denkt, um sie nicht zu achten. – Sprich nicht Ein Wort zu deiner Entschuldigung! Du kontest schwach seyn: aber ich mag keine lieben, die nicht stärker war, als die Schwächste, ob man sie gleich warnte.« –
Ulrike machte noch einen Versuch, ihn zu besänftigen, aber er gebot ihr zu schweigen, wie vorhin. Ihre Empfindlichkeit über eine solche Unwürdigkeit schwoll in ihr von neuem auf: sie konte sich unmöglich länger zurückhalten, sondern brach in einem harten scheltenden Tone aus. Er stund am Fenster, das Gesicht nach der Straße gekehrt.
»Undankbarer!« hub sie an. »So lohnest du denen, die dich lieben? Erst lockst du die gutherzige Schwäche, daß sie dir in den Morast folgt, und wenn sie mitten im Sumpfe steckt, dann reißest du deine Hand von ihr los, daß sie umstürzt und darinne erstickt? Weil dich größre oder vielleicht listigere Schönheiten reizen, darum machst du Uebereilung zum Verbrechen, 92 um nur mit mir zanken und brechen zu können. Geh, Verblendeter! versuche, ob eine einzige von denen, die dich von mir abgezogen haben, sich den Finger deinetwegen ritzen wird! ob sie aus Liebe zu dir nur eine Schleife ihres Kleides hingeben wird! Gerathe in Noth und versuche dann die Liebe dieser schönen Gesichter! – Heinrich, laß dich nur überzeugen! Gern, gern will ich dir ja verzeihen –
Herrmann. Du mir verzeihen? Welche Unverschämtheit! – Du mir? die Verbrecherin dem Beleidigten?
Ulrike. Wer beleidigte zuerst? du oder ich? Rede!
Herrmann. Wer zuerst Tugend, Unschuld und Schaam beleidigte! Wer war das? du oder ich? Rede!
Ulrike. Blinder! merkst du nicht, in welchen Wahn dich meine Feinde gestürzt haben?
Herrmann. Deine größte Feindin bist du selbst: du hast mir einen Wahn entrissen, den süßesten Wahn, daß du die Tugend selbst seyst.
Ulrike. Verliert man durch eine Unbesonnenheit sogleich die Tugend? 93
Herrmann. Ha! eine feine Philosophie! Man hat nur Eine Tugend und nur Ein Leben.
Ulrike. Möcht' ich doch fast dieses nicht mehr haben, da ich die erste nicht mehr besitzen soll! Kan der grausamste Barbar härter seyn als du? Zu verdammen, ohne den Beschuldigten anzuhören!
Herrmann. Solch alltägliches Gerede wird dich fürwahr von keiner Schuld lossprechen. Hier steht sie an deiner Stirn: sie spricht aus allen Zügen deines Gesichts. – Mein Schluß ist einmal gefaßt: meinen Ring hast du: unsre Herzen bleiben getrennt, und wenn uns tausend Ringe zusammenbänden. Sey glücklich, so sehr du es verdienst! Wir sind in Zukunft zween Menschen, die einander nur kennen. –
Er gieng.
»O ich Elende!« rief Ulrike und warf sich auf den Sofa. »Ich selbstbetrognes Mädchen! Da sitz' ich nun in der Fremde unter Wölfen, die mich alle anheulen, und auch der einzige, der mich liebte, ist ein grimmiger Wolf geworden. Da sitz' ich nun, von allen verlassen! 94 verworfen von Mutter und Anverwandten! verrathen von Freunden! verläumdet, verfolgt! verstoßen von dem Einzigen, der mir alles dies ersetzen sollte! der mich zur Verrätherin an meinem Glück, meiner Ehre und an meiner ganzen Wohlfahrt machte! – O hätt' ich mirs nie einkommen lassen, Jemanden zu lieben, den ich nicht lieben durfte! Nun ist das unbesonnene Mädchen gestraft – Gott weis es, härter gestraft, als Onkel und Tante es können! – Ach daß jemals ein Fünkchen Liebe gegen einen solchen Starrköpfigen, Mürrischen, Undankbaren in meinem Herze glimmte! Nun hab' ichs versucht, was Liebe ist – ein blinkender rothschimmernder saurer Apfel, der die Zähne stumpft, lieblich anzusehn, und herbe bis in die Seele, wenn man ihn kostet. – Es ist schrecklich! so vieles für Einen Menschen zu leiden und zu thun, seine ganze Hoffnung auf Einen Menschen zu bauen, und auf einmal mit dem ganzen festen Gebäude von Hofnung einzusinken! in die tiefste Verachtung und Verworfenheit hinabzustürzen! – Was wird nun aus mir 95 werden? – Ein herumirrendes scheues Täubchen, mitten in die weite große Welt hinausgejagt! – Freilich, wer verjagte es? Wär es im Taubenschlage unter den Flügeln seiner Freunde geblieben, wie wohl wär' ihm izt!« –
Sie weinte: eben trat Vignali herein, und ob sie gleich den ganzen Auftritt von einem Ende zum andern an der halbofnen Kabinetthür gehört hatte, so erkundigte sie sich doch, warum sie Herrmann verlassen habe und warum sie weine.
»Um meine Liebe!« brach Ulrike mit einem Thränenstrome aus: »und Sie, Vignali, Sie sind ihre Mörderin.« –
Vignali. Ich? Wie denn das? – Ach! hier liegt ja ein Ring! hat etwa die eisenfeste Treue einen Riß bekommen? – Ich kondolire.
Ulrike. Wehe der elenden Spötterin, die den Riß machte! die durch Verführungen, Aufhetzungen, Anschwärzungen meine Ruhe untergrub!
Vignali. Mädchen, von wem reden Sie denn? Wer wird sich denn die Mühe geben, 96 Ihre Liebe zu stören? Wenn Herrmann Ursache findet, mit Ihnen zu brechen, wer kan sie ihm gegeben haben, als Sie selbst?
Ulrike. Oder die Boshaften, die ihn durch falsche Eingebungen wider mich einnahmen!
Vignali. Sie schwärmen. Das sind Fantomen, die Ihnen Ueberdruß und Langeweile machen. Sie sind des Menschen satt gewesen, und weil der Trank schal geworden ist, soll Ihnen Jemand etwas widriges hineingeworfen haben. Wer kan für verdorbnen Appetit?
Ulrike. Vignali, Sie sind die falscheste heimtückischste Frau, die es geben kan: das sag' ich Ihnen dreist unter die Augen.
Vignali. Und ich nehm' es nicht übel; denn Sie sind halb verrückt: aber ich begreife nur nicht, worüber Sie sich eigentlich beschweren. Wenn eine Schüssel nicht schmeckt, langt man nach der andern, und hat man sich überladen, so fastet man. Sie mögen sich eine etwas starke Indigestion der Liebe zugezogen haben. Sie machten es also recht klug, daß Sie dem unschmackhaften Liebhaber den Laufzettel gaben: 97 was wollen Sie weiter? – Sie werden vielleicht ein Paar Tage, auch wohl Wochen fasten: aber Geduld, liebes Kind! der Appetit kömmt wieder; er kömmt gewiß wieder.
Ulrike. Vignali, ich mag Ihre hämischen Verdrehungen nicht länger ertragen. Ich verlasse Sie.
Vignali. Das wird auch wirklich das Beste seyn. Alte Liebe und alte Eichen fallen freilich nicht ohne große Erschütterung: es geht durch Mark und Bein, wenn so eine tiefe Wurzel aus dem Herze gerissen wird, das weis ich wohl. Drum gehn Sie, schaffen Sie sich die Kleider vom Leibe, nehmen Sie eine Herzstärkung ein, stecken Sie sich in die Federn bis über den Kopf und schlafen Sie bis an den späten Morgen. Der Appetit wird schon wieder kommen. –
Ulrike riß sich mit thränenden Augen und erstickendem Aerger von ihr hinweg: Vignali küßte, tröstete sie, trocknete ihre Zähren ab und beklagte mit vieler Politesse, daß sie um Herrmanns willen nunmehr, wenigstens auf einige 98 Zeit, ihre Besuche wieder einstellen werde, begleitete die schluchzende Trostlose bis an die unterste Thür; und dann in einem Rennen die Treppe hinan, ins Zimmer hinein! und mit drey Händeklatschen und drey Sprüngen rief sie ein lautes Viktoria!
Sie vertauschte ihren Anzug mit einem weißatlaßnen Deshabillé, frischte ihre Wangen mit neuem Rosenroth auf, stellte in der weitausgeschnittnen Kleidung die Reize des Busens mehr als gewöhnlich zur Ansicht dar, gab ihnen Glanz und duftenden Wohlgeruch, den Augenbramen ein tieferes Kolorit, und den Augen ertheilte die Freude ohne ihr Zuthun Feuer und Lebhaftigkeit: die blendende Hand schien mit dem Kleide von Einem Stoffe zu seyn, so einen täuschenden Uebergang bahnte dem Auge die dunklere Farbe des Aufschlags. Selbst der Athem wurde schwach, aber lieblich parfumirt: alles strahlte von Schönheit an ihr, alles duftete Liebe und Wollust: mit jeder Bewegung breitete sich ein sanfter Hauch von ihr aus, wie ein erquickendes Abendlüftchen, das den Blumen ihre Wohlgerüche geraubt hat.
Herrmann wurde durch ihr Mädchen 99 befehligt, zu Madame Vignali zu kommen. Er gieng ins gewöhnliche Zimmer und spatzierte gedankenvoll auf und nieder, war lange allein, und Niemand regte sich. Das Zimmer wurde von zwey dämmernden Wachslichtern nur halb erhellt: Düsternheit und Stille machten die Scene feierlich. Plözlich erhub sich im Kabinet ein Gesang: es war Vignali selbst. Ihre Stimme war mittelmäßiger als ihre Kunst, aber durch die fingerbreite Oefnung einer Flügelthür schien sie vortreflich. Sie sang ein französisches Liedchen, das den Abschied eines beleidigten Liebhabers an seine ungetreue Schöne enthielt: die Melodie verlor sich bald in leise zärtliche Klagetöne, und stürmte bald in brausenden Accenten des Zorns; und das Adieu des Schlusses wiederholte sie etlichemal mit so hinsterbender erlöschender Schwäche, als wenn es die Liebe selbst mit dem lezten Lebenshauche ausspräche. Herrmann stund mitten in dem Zimmer horchend: ihm wars, als wenn das lezte Adieu aus seinem Herze herausdränge, als wenn der Ton in seiner Kehle stürbe: die plözlich darauf folgende Stille machte 100 den Abschied eindringender und die Empfindung wahrer und stärker: es schien das Verstummen der Scheidung zu seyn. Dies stumme Intermezzo wurde durch ein ander Lied unterbrochen: der geschiedene Liebhaber hatte eine Andre gewählt, drückte voller Berauschung seine Freude über die neue Wahl aus, triumphirte, die vorige Verletzung der Treue gerochen zu haben, und lobte seine neue Schöne von allen Seiten: das Lied tanzte so munter und frölich dahin, wie ein Triumphgesang und wurde gegen das Ende ganz übermüthig froh. Unmittelbar darauf folgte eins der wollüstigsten: der begünstigte Liebhaber schilderte voller Trunkenheit die Scene des Genusses mit lichten Farben, und was dem Ausdrucke an Kraft und Mysteriosität fehlte, ersezte Vignali durch gewisse täuschende Accente, durch wohlangebrachte Pianos, und besonders durch die angemeßne Veränderung des Tempo: die Stimme ersank, wie von der Stärke der Wonne überwältigt, und verstummte mit zitternden abgebrochenen Lauten. Herrmann stand mit ofnen Ohren und verwirrten 101 Gedanken noch auf dem nämlichen Flecke des Zimmers da, als sich die Kabinetthüre öfnete: ein labender Duft von lieblichen Wohlgerüchen athmete durch sie daher. die Göttin erschien und leuchtete durch die dämmernde Atmosphäre des Zimmers, wie ein neuaufgehender Stern: noch nie war in Herrmanns Augen ihr Gesicht so blendend, nie ihre Figur so majestätisch gewesen: der Eindruck auf seine durch den Gesang gestimmten Sinnen war hinreißend. – Ein gewaltiger erschütternder Schlag.
»Sind Sie schon da?« fragte Vignali, als wenn sie nichts um seine Gegenwart wüßte. »O Sie sind ein Mensch, des Küssens werth!« – und so flog sie mit ofnen Armen zu ihm hin, drückte ihn dicht an die Brust und gab ihm einen berauschenden entzückten Kuß. Herrmann konte vor Behaglichkeit und Erstaunen sich nicht erkundigen, wodurch er einen so schönen Lohn verdient hatte: sie faßte seine Hand, streichelte, drückte und schloß sie in die ihrigen.
»Sie haben Ihrem Affen den Abschied gegeben?« fieng sie an: »Sie haben sich bey der 102 Scene so meisterhaft betragen, daß ich Sie krönen muß.« – Sie nahm aus der Kommode einen Kranz von Wachs und steckte ihn mit einer großen Haarnadel auf seinem Kopfe fest, führte ihn zum Spiegel, umschlang ihn mit einem Arme und ließ ihn sich in dieser angenehmen Gruppe im Spiegel erblicken: dabey stimmte sie ein Siegesliedchen an, worinne er mit Lorbern gekrönt und unter die Sterne versezt wurde; und sie konte es ungehindert in dieser Stellung durchsingen; denn Herrmann dachte nicht daran, vom Spiegel wegzusehn, so sehr hatte er sich in die Gruppe vertieft, die darinne stand. Sie beschloß den Gesang mit einem Kusse, den er sich mit schielendem Blicke im Spiegel geben sah, wie er ihn auf seinen Lippen fühlte: er schien ihn in dem Glase mitzuempfinden.
»So gefallen Sie mir!« fuhr Vignali fort und gieng umfaßt mit ihm das Zimmer hinab. »So sind Sie ganz der liebenswürdige Mensch, wofür ich Sie gehalten habe. Ein Mensch, wie Sie, konte sich unmöglich mit einer so närrischen Liebe lange abgeben: hab' ichs nicht 103 vorausgesagt? – Ein Mensch, wie Sie, kan lieben, wo er will« –
Hierbey trat sie vor ihm hin und gab ihm einen sehr bedeutungsvollen Blick.
»Wo er will!« fuhr sie fort. »Er darf nur anklopfen, nur winken, nur gebieten. Nur Ein Wort dürfen Sie sprechen, und Jedermann wird Ihnen mit der Liebe zuvorkommen. O Sie haben schon manche Eroberung gemacht!« –
Dabey schoß sie einen zweiten verliebten Blick auf ihn und klopfte ihm die Backen. Bewegung und Rede wurden immer belebter, immer auf die Empfindung eindringender, und Herrmann blieb immer stumm: in einem so überspannten Tone war Vignali noch nie mit ihm umgegangen. Er war uns aller Fassung, so hatte sie ihn überrascht, und in seinem Kopf und Herze drehte sich alles wie in einem großen Wirbel herum. Man brachte spanischen Wein und einen Teller Gebackenes: Vignali trank zu Ehren des großen Herzenbezwingers Herrmann, zu Ehren seiner gemachten, nahen und künftigen 104 Eroberungen: er mußte dem Anstande zu Gefallen ihrem Beispiele folgen und bemerkte sehr bald eine gänzliche Revolution in sich: die trüben Schatten, die der Zorn und die Trennung von Ulriken in seinem Kopfe zurückließen, verschwanden, sein ganzer Horizont wurde lichter, und lebhaftere hellere Bilder tanzten mit muntern Gestalten rings in ihm herum.
»Wo denken Sie sich nunmehr mit Ihrem Herzchen hinzuwenden, wenn ich fragen darf?« hub Vignali an.
»Nirgends!« antwortete Herrmann mit einem abgebrochenen Seufzer. »Einmal getäuscht, mag ichs nicht zum zweitenmale werden.«
Vignali. Nirgends? – Wissen Sie, daß Sie da eine Lüge der ersten Größe sagten?
Herrmann. Keine, Madam! So gewiß dieser Wein vor meinen Augen steht, so gewiß ist dies mein fester unveränderlicher Entschluß.
Vignali. Und ich wette mit Ihnen, der feste Entschluß soll schon heute nach dem Essen sehr wandelbar seyn. 105
Herrmann. Ich schwöre Ihnen, Madam –
Vignali. Fi! fi! schwören Sie nicht! Wissen Sie nicht, daß man grüne Augen und schwarze Nägel bekömmt, wenn man falsch schwört? Und Sie wollten sich muthwillig ihre schönen verliebten Augen und ihre schönen fleischfarbenen Nägel verderben? – Nein, um alles in der Welt geb' ich nicht zu, daß Sie schwören.
Herrmann. Sie scherzen, Madam; und ich rede sehr ernsthaft.
Vignali. Auch ich! In völligem Ernste versichre ich Sie, daß Sie einen Meineid begiengen, wenn Sie die Liebe verschwüren.
Herrmann. Und ich betheure Ihnen nochmals, daß ich nie wieder lieben werde. Soll ich nicht wissen, was ich will und empfinde?
Vignali. O, wenn Sie das wüßten, dann redten Sie ganz anders mit mir.
Herrmann. Sie sind ungemein drollicht. Warum sollt' ichs denn nicht wissen? 106
Vignali. Weil Sie nicht verliebt seyn wollen und es doch schon sind.
Herrmann. Ich? verliebt? – Fürwahr, das kömmt mir izt nach einer so widrigen Erfahrung am wenigsten ein. Wenn Ulrike so gewiß tugendhaft wäre, als ich nicht verliebt bin –
Vignali. Was wetten Sie? Sie sinds.
Herrmann. Wetten Sie, so viel Sie wollen!
Vignali. Sie sind verliebt, dabey bleib' ich, und ich weis auch in wen.
Herrmann. Lustig! – In wen denn?
Vignali. In mich. –
Herrmann sah sie starr und bestürzt an: er war so jämmerlich in die Enge getrieben, daß er weder Ja noch Nein sagen konte. Sie füllte die Pause des Gesprächs mit einem Blicke, einer Miene aus, die ihn beinahe glaubend machten, daß sie die Wahrheit gesagt habe.
»Närrchen!« sagte sie mit einer kleinen Frechheit: »das hab ich dir lange schon angemerkt, daß du in mich verliebt bist. Dein schelmisches 107 Auge hat mirs jeden Tag millionenmal gesagt. Du armes Kind! bist wahrhaftig ganz trunken von Liebe: wie dir die Backen glühn! wie du so schmachtend nach mir blickst! wie dir das kleine Herz schlägt! – Und nun gar ein Seufzer? – Du brennst ja wahrhaftig so ganz lichterloh vor Liebe, daß dir die Funken aus den Augen sprühen: nur Geduld, mein Puppchen! Ich bin eine vernünftige Frau: ich weis, was die Liebe eines solchen Amors heißt: wir wollen die Flamme schon löschen, ehe du in Asche zerfällst.«
Herrmann. Madam, ich begreife nicht, was Sie mir heute noch überreden werden.
Vignali. Ueberreden? – Gar nichts! Ich erzähle dir ja nur, was du fühlst, was du bist. Ich sage dir, daß du der liebenswürdigste Mensch unter der Sonne bist, ein Adonis, mit allen Schönheiten des Geistes und des Körpers geschmückt, – ein Kupido, der mit seinen Augenstrahlen tödtlicher verwundet, als mit Pfeilen, – ein Gott, den Dichter und Mahler nicht schöner erfinden können: ist denn das nicht wahr? 108
Herrmann. Vermnthlich nicht! denn das Lob ist überspannt.
Vignali. Lobte die Liebe wohl jemals anders als überspannt? – Laß doch einmal sehn, ob dein Lob nicht eben so überspannt ausfallen würde, wenn du mich schildertest! Laß einmal hören! – Du schielst nach meinem Busen? Ich merke wohl, damit fiengst du dein Gemählde am liebsten an. – Wohlan! Fürs erste also, was sagst du von meinem Busen?
Herrmann. Madam, Sie setzen mich außer mir: alle meine Sinne benebeln sich.
Vignali. Laß sie sich benebeln! Antworte mir nur auf meine Frage! – Wie findest du meinen Busen?
Herrmann. Ich finde, daß er ein Meisterstück der Natur ist, zween Marmorhügel, mit Rosen bekrönt.
Vignali. Wie der Mensch so gut treffen kan! – Und dann?
Herrmann. Ein Blumenpfad zwischen zween Rosengärten, wo Wonne und Entzücken strömt – zween lieblich duftende Marmortempel der 109 Liebe, wo man ihr täglich ein reichliches Opfer von Küssen bringen möchte –
Vignali. In der That, diese Beschreibung ist allein schon einer Erkenntlichkeit werth. Man muß dich lieben, man mag wollen oder nicht. Du bist einzig. –
Dabey erfolgte eine feurige Umarmung, die zu Opfern in dem Tempel der Liebe unausweichbare Gelegenheit gab.
»Und die Hand?« fragte Vignali.
Herrmann. Es ist Vignali's Hand, die man nicht schildern, nur küssen, nur drücken, nur liebkosen kan. Die Seele zittert, wenn man sie nur berührt: jedes Streicheln von ihr thut erquickender, als ein kühles Lüftchen am schwülen Abend: ein Druck von ihr belebt mit so schauernder Wonne, daß das Herz flattert und davon fliegen möchte.
Vignali. Das ist vermuthlich eine Schmeicheley –
Herrmann. Nein, Vignali, die selbständigste Wahrheit, gefühlte, tausendfach gefühlte Wahrheit! 110
Vignali. Aber das Lob ist doch überspannt.
Herrmann. Wollen Sie meine Empfindungen schon wieder besser wissen, als ich? – O den tausendsten Theil verschweig' ich ihnen, weil ich mich zu kraftlos fühle, es auszudrücken.
Vignali. Sie sind ein loser Schmeichler.
Herrmann. Wenn ich Ihnen nun sage, daß ich nicht schmeichle! So wahr ich lebe! ich schmeichle Ihnen nicht.
Vignali. Wer weis, was Sie mir alles heute noch überreden werden?
Herrmann. Vignali, Sie ärgern mich mit Ihrem Widerspruche. Glauben Sie, daß ich ein elender fader Schwätzer bin, der Ihnen gelernte Liebestiraden hersagt? Denken Sie, daß ich zu schwach, zu dummköpficht bin, um das Schöne und Vortrefliche zu empfinden? – Bey dem ersten Besuche, den ich Ihnen machte, überzeugten Sie mich, daß Sie die größte, die hinreißendste Schönheit sind. Ich habe seit jener Stunde Ihren Werth täglich mehr empfunden: so mistrauisch ich gegen Ihre Freundschaft war, – ich bekenne izt frey, daß ich dies war, und 111 wohl mir, daß ichs nicht mehr zu seyn brauche! – aber alles Mistrauen hinderte mich nicht, Ihre Liebenswürdigkeit zu erkennen, zu bewundern, anzubeten: Vignali ist falsch, sagte ich oft, aber schön; und wenn ich damals Jemanden außer Ulriken hätte lieben können –
Vignali. So wäre ichs gewesen? – Wie glücklich, wenn ichs glauben dürfte!
Herrmann. Sagen Sie mir nur, was Ihnen meine Aufrichtigkeit gerade heute so verdächtig gemacht hat! Ich sage Ihnen die innersten Gedanken meiner Seele, und doch bezweifeln Sie meine Aufrichtigkeit!
Vignali. Zürne nur nicht! Ich glaube dir ja. Du hättest mich also damals geliebt, wenn dich Ulrike nicht gehindert hätte? Ulrike hindert dich nicht mehr; und du liebst mich?
Herrmann. Ja, ich würde! aber ich habe geschworen, nie wieder zu lieben.
Vignali. Nein, Kind! Du hast nicht geschworen: besinne dich!
Herrmann. Aber ich habe mir vorgenommen, ein feierliches Gelübde zu thun – 112
Vignali. Vorgenommen ist nicht gethan! So kan ich dich vor der Narrheit bewahren. – Ein Mensch von deinem Alter, deiner Figur, deinem einnehmenden Wesen will die Liebe verschwören? – Man wird sich zu dir drängen, dich bestürmen, dir die Liebe aufzwingen: siehst du nicht, wie man mich neidisch anschielt, wenn ich mit dir fahre, mit dir gehe? wie alle Augen auf dich nur gerichtet sind? wie die Damen sich zischeln, dich anlächeln, dir gern gefallen möchten? wie alle vom höchsten und niedrigsten Stande stehn bleiben, wo sie dich erblicken, dir nachsehn, einander halbleise zurufen: »ah, ein allerliebster Mensch! ein sehr schöner Mensch! ein Mensch zum küssen! zum aufessen!« – und dabey fliegt dir mancher Seufzer, mancher zärtliche Blick entgegen. Vor zwey Tagen lorgnirte dich eine alte alte Dame in der Komödie so lüstern, so schmunzelnd, als wenn sie durch deinen Anblick wieder verjüngt würde: – Und ein so allgemein geliebter Mensch will der Liebe entsagen? Wie lange wird man dich denn das Gelübde halten lassen? – Siehst du nun die 113 Thorheit ein? – Liebe, liebe und laß dich lieben! Wenn du nicht mehr lieben kanst, dann thue dein Gelübde! Izt genieße der Liebenswürdigkeit, womit dich die Natur nicht umsonst beschenkt hat!
Herrmann. O Vignali! Sie sind eine verführerische Frau.
Vignali. Aber doch zu deinem Besten, zu deiner Glückseligkeit? – In unaufhörlichem Taumel überfüllender Freuden, von Vergnügung zu Vergnügung hineilend, immer überflüssig reich an Wonne, stets genießend und doch nie gesättigt, immer nach neuer Lust lechzend – nennst du das keine Glückseligkeit?
Herrmann. Schweigen Sie, Vignali! sonst schwatzen Sie mir meine ganze Vernunft hinweg.
Vignali. Ah, quel drôle! Was willst du denn nun vollends gar mit der Vernunft? Was geht dich die Vernunft an? – Lerne von mir, was leben heißt, und wie man leben muß! –
Sie erzählte ihm nunmehr eine Menge 114 verliebter Geschichten, die sie bey ihrem Aufenthalte in Paris erlebt hatte, mahlte ihm die wollüstigsten Scenen mit Freiheit und ohne Schleier, und unterrichtete ihn in allen Geheimnissen der Buhlschaft, daß er in diesem einzigen Abende Kenntnisse erlangte, die ihm Paris in Jahren nicht hätte verschaffen können. Die Schamröthe, die zu Anfange ihrer Erzählungen seine Wange färbte, verwandelte sich bald in das glühende Roth eines innern Wohlgefallens, und in allen Muskeln des Gesichts drückte sich das Arbeiten seiner aufgeregten Fantasie aus. Er fühlte ungekannte Regungen, ein Feuer, das tief ins Mark drang: alle Fibern waren vom süß hinabschleichenden Weine gespannt, Blut und Lebensgeister liefen in übereiltem gedrängtem Tumulte durch Adern und Nerven, und ungeheure Massen von üppigen Bildern rasch und dicht hinter einander durch den Kopf.
Sie speisten allein zusammen: der Gerichte waren wenige, aber alle ausgesucht leckerhaft und stark gewürzt. Herrmanns gereizte Neubegierde führte nunmehr selbst die Fortsetzung des 115 abgebrochnen Gesprächs wieder herbey: der Ton wurde immer kühner, immer freyer, die Beschreibungen immer unverhüllter: er schien mit allen begeisterten Sinnen in einer See von Entzücken zu schwimmen, die Augen verengerten sich und blinkten nur noch durch schmale Ritzen hindurch, alle Gegenstände bemahlten sich mit den Farben des Regenbogens, sein Mund sprach durch ein unaufhörliches inniges Lächeln, er zitterte vor Gluth, und sah Vignali nur noch mit seiner Fantasie, wie sie mit ihm alle die Scenen des Vergnügens durchwanderte, die sie ihm eben izt geschildert hatte: alle Herzoginnen, Markisinnen und berühmte Schönheiten, von welchen ihm Vignali erzählte, spatzierten in den bezauberndsten naktesten Reizen, die ihnen seine Einbildungskraft sogleich lieh, durch den Kopf, und alle sahen, wie Vignali, aus: wenn ihm seine Gedanken einen erzählten Auftritt ausmahlten, waren die handelnden Personen allemal Vignali und er.
In dieser Berauschung wäre nichts leichter gewesen, als den überwältigten, seiner unmächtigen Herrmann allmälig auf den entscheidenden 116 Punkt zu führen: allein Vignali gerieth in der Verfolgung ihres Siegs außer Fassung: die Freude, ihrem Zwecke so nahe zu seyn, machte sie hitzig, und die Vorstellung seiner Unverfehlbarkeit verleitete sie, in der Gradation einen Sprung zu begehen. Sie lenkte den eingeschläferten Liebhaber mit einer zu raschen Wendung von der Erzählung fremder Gegebenheiten auf sich und ihn: sie stand plözlich vor seinen Augen, wie eine freche unzüchtige Buhlerin, nicht mehr unter dem Bilde verführerischer Liebe, die unmerklich hinreißt, sondern als ein foderndes geiles Weib. Dieser beleidigende Anblick schoß, wie ein Lichtstrahl, durch seine Seele und verscheuchte auf einmal alle Schatten des Traums, welche sie umhüllten: er sprang mit empörter Empfindung und unwilliger Verachtung auf.
»Vignali, ich verabscheue Sie!« rief er zornig und gieng. Sie riß sich hastig empor und eilte ihm nach: allein in der Uebereilung des ersten Schreckens verwickelte sie sich in ihre losflatternde Kleidung und stürzte: eben so schnell rafte sie sich wieder auf und erwischte ihn 117 noch bey dem Arme: als er eben die Thür zumachen wollte, zog sie ihn mit allen Kräften wieder herein. Sie wollte schlechterdings siegen und wiederholte ihren Sturm mit so vieler Unbesonnenheit, daß er sich gewaltsam aus ihren Armen wand und sie von sich stieß. – »Laß mich, unwürdige Buhlerin!« rief er: »du bist mir ein Abscheu.«–Er gieng auf sein Zimmer.
Vignali wütete fast über diese unerwartete Katastrophe: sie tobte, wie in einer Verirrung, in dem Zimmer herum, riß sich den Kopfputz herunter und warf ihn an die Erde, das schöne Gesicht wurde zum wahren Medusenkopfe vom Zorne gemacht, das weiße Atlaskleid zerknittert und beschmuzt, vom Leibe gerissen und auf einen Stuhl geschleudert: der schöne Marmorbusen kochte vor Aerger und wollte zerspringen. In diesem verwilderten Zustande brachte sie die halbe Nacht zu: ein reicher Thränenstrom quoll aus den aufgeschwollnen Augenliedern, und kaum war ihre Hitze durch ihn ein wenig gemildert, so sann sie auf Entwürfe, den Unglücklichen auf 118 das empfindlichste zu demüthigen, der sie so empfindlich gedemüthigt hatte.
Desto froher und entzückter triumphirte Herrmann über die errungnen Lorbern, als wenn er den Euphrat und Ganges überwunden hätte: sein eignes Verdienst stieg in seinen Augen desto höher, wenn er an die Gefahr zurückdachte, in welcher er schwebte, und wie nahe er dem Unterliegen gewesen war, fast nur ein Haarbreit davon entfernt. Vignali war ihm durch die lezte Uebereilung so verächtlich, so widrig, so ekelhaft geworden, daß er an ihre glühende wollüstige Miene und ihre freche Stellung nicht denken konte, ohne den lebhaftesten Abscheu wider sie zu empfinden. Er dünkte sich ein unüberwindlicher Held der Tugend und glaubte mit stolzer Zuversicht, nunmehr die gefährlichsten Angriffe überstehn zu können.
Voll Uebermuth gieng er den Morgen darauf sehr zeitig zum Thee, um durch seinen Triumph die gedemüthigte Ueberwundne noch mehr zu kränken. Vignali war sehr freundlich und höflich, aber äußerst niedergeschlagen: je mehr sie 119 ihren Mißmuth merken ließ, je mehr zwang er sich zur Aufgeräumtheit und Lustigkeit: je weniger und einsylbiger sie sprach, je geschwätziger und lebhafter plauderte er: alle seine Geberden und Mienen waren angestrengt munter, und man konte im eigentlichen Verstande von ihm sagen, daß er im Angesicht des überwundnen Feindes sein Te Deum anstimmte.
Vignali senkte den Blick, nahm Verschämtheit und Verwirrung an und sagte ganz abgebrochen mit unterdrückter Stimme: »Lieber Herrmann, ich muß Sie wegen einer Unbesonnenheit um Vergebung bitten, die mich in Ihren Augen nothwendig erniedrigen muß.« –
»Das ist alles längst vergeben und vergessen!« rief Herrmann mit freudigen Verbeugungen, ohne zu merken, daß Vignali ihn durch ihre Reue mehr hintergieng, als er sie durch seine Großmuth.
Vignali. Bey Ihnen vielleicht, aber nicht bey mir! Sie sind in der That ein gefährlicher Mensch: ich merke wohl, man muß auf seiner Hut bey Ihnen seyn: Sie können so unvermerkt 120 das Herz wegstehlen – und Sie wissen, wie schwach ein weibliches ist! – so unvermerkt hinreißen, daß man aus aller Fassung geräth und halb verwirrt handelt. Sehn Sie alles gestern Vorgefallne als Handlungen einer Verrückten an: auch war ichs wirklich: die Liebe, womit Sie mich erfüllten, hatte meinen Verstand angegriffen: ich raste.
Herrmann. Denken Sie nicht mehr daran! Eine solche Kleinigkeit –
Vignali. Nein, Herrmann, für mich ists keine Kleinigkeit, wenn es gleich ein Mensch, der so edel und großmüthig denkt, wie Sie, dafür hält. Welche weggeworfne verächtliche Meinung muß ich Ihnen von mir eingeflößt haben? Man muß so erhaben denken, wie Sie, um mich nur eines Anblicks zu würdigen. Aber nehmen Sie meine Reue zur Versöhnung und den Zustand der Verirrung, in welchen mich das Feuer der Liebe versezte, zur Entschuldigung an! Wollen Sie mich hassen? – ich hab' es verdient. Wollen Sie mir den kleinen Rest von Liebe erhalten, den Ihre Güte in Ihrem Herze für mich 121 noch übrig gelassen hat? – es ist ein Geschenk, das ich mit Stolz und Dankbarkeit empfange und durch die feurigste Gegenliebe erwiedern werde.
Herrmann. Geben Sie meiner Liebe keinen solchen Werth! Sie ist meine Pflicht. Ich thue wahrhaftig nur meine Schuldigkeit, wenn ich Sie liebe.
Vignali. Spötter!
Herrmann. Ich versichre Sie auf mein Leben, ich spotte nicht. Kan man bey einer Venus wohnen und sie nicht anbeten?
Vignali. Ich vergebe diesen beißenden Scherz Ihrem Uebermuthe: ich dächte, meine Reue hätte mehr Schonung verdient, als solche empfindliche Spötteleyen.
Herrmann. Ich schwöre Ihnen bey meiner Seele, ich spotte nicht.
Vignali. Schweigen Sie! ich kenne diese Sprache. Sie sollten aber nur bedenken, daß ich ein Weib bin und Sie ein Mann sind, und daß ein Weib Mitleiden und keinen Spott verdient, wenn die Liebe ihre Ueberlegung zu 122 Boden wirft: inzwischen muß ich auch meinem Geschlechte die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß es nur wenige Männer giebt, wie Sie. Sie sind ein wahres Muster von Tugend und Standhaftigkeit.
Herrmann. Madam, Sie beschämen mich.
Vignali. So ein heroischer Muth! so ein männlicher Widerstand gegen die Versuchung. Ohne mir schmeicheln zu wollen, unter tausend, vielleicht zehntausend Mannspersonen würde nicht einer so herzhaft der Macht der Liebe getrozt haben. Ihr Heroismus verdiente einen Platz in der Chronik von Berlin.
Herrmann. Das, das ist Spott, Madam: aber so sehr Sie sich vielleicht innerlich darüber aufhalten werden, so muß ich Sie doch ernsthaft versichern, daß ich über alle Verführungen der Liebe hinaus bin: das dank' ich den Grundsätzen der Ehre und des Gewissens, womit mich mein Lehrer, wie mit einem doppelten Schilde, bewafnet hat: mich schrecken keine Gefahren, weil mich keine überwinden. Vignali's Schönheiten können mir Liebe einflößen, aber nie 123 bewegt mich Schönheit noch Liebe zu einer Handlung, die meine Ehre brandmahlte; die mich in meinen Augen verfluchenswerth machte; die mich zeitlebens, wie eine Hölle, peinigte: – nie, nie bewegt mich etwas zu einer solchen Vergehung, das betheure ich Ihnen zuversichtlich.
Vignali. Wahrhaftig, man möchte vor Ihnen auf die Kniee fallen: Sie sind ein Gott. – Aber mich däucht, auch Jupiter ließ sich oft von Nimphen fangen?
Herrmann. Ihres Jupiters lach' ich: der verdiente fürwahr kaum Aufwärter in einem Bordelle zu seyn – der schwachköpfichte Jupiter!
Vignali. Aber er hatte Eine Tugend – er bildete sich nicht mehr Stärke ein, als er besaß. –
Sie sagte dies mit einem bedeutungsvollen Ernste: aber Herrmann, ob er den Verweis gleich verstund, lachte insgeheim desselben. Er ward so stolz auf Vignali's Demüthigung, daß er sich mehr solche Versuchungen wünschte, um sie, wie Herkules die Ungeheuer, zu bekämpfen und zu besiegen – so sicher ward er durch sein 124 gestriges gutes Glück, daß er sich von Herzen freute, als ihm Vignali Nachmittags einen Besuch bey Lairessen vorschlug. – »Aha!« dachte er: »da blüht ein zweiter Lorber für dich!«