Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 3
Johann Karl Wezel

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Drittes Kapitel.

Die Philosophie seines Pommers und Ulrikens Schattenriß schienen ihm seine vorige Thätigkeit wieder eingehaucht zu haben: er machte noch denselben Tag Anstalt, sich Bekantschaften, Gönner und Freunde zu verschaffen, die ihm mit Rath und Unterstützung beystehen sollten, und erfuhr von seinem hypochondrischen Freunde, daß er Bekantschaften von dieser Art in einem gewissen Italiänerkeller machen könte, wo er des Abends jederzeit Leute finden würde, die viel durch Empfehlung vermöchten.

Wie dauerte ihm der Nachmittag so ewig! und wie flog er, sobald es dunkel war, nach dem Keller! Er wagte eine halbe Bouteille Wein daran und hofte, daß ihm diese Ausgabe durch die neuen Bekantschaften wieder ersezt werden sollte. Ein merkurialischer Mann von unendlichem Geschwätze sprach für die ganze übrige Gesellschaft: man fragte sich rings herum zischelnd, wer der Fremde wäre, selbst der Schwätzer hielt mit seiner Predigt inne, und da Herrmann ein 346 Kleid mit einer schmalen Tresse trug, wurde die Neugierde so allgemein rege, daß man schlechterdings dahinter kommen wollte. Ein junger Kaufmann redte ihn an, gab ihm seine Adresse und erbot sich, ihn mit allen seinen Waaren, die er nach der Reihe hersagte, zu bedienen. Herrmann dankte sehr freundlich. – »Sie wollen hier studiren?« hub der Sprecher der Gesellschaft an: die Frage wurde mit einem der höflichsten Ja beantwortet. – »Kan ich Ihnen irgend worinne dienen,« fuhr jener mit geläufiger Zunge fort, »so werde ich mir eine Ehre daraus machen. Ich wollte, daß Sie schon ausstudirt hätten: ich habe izt eine Versorgung für Sie, die Ihr Glück machen würde. Die Kaiserin von Rußland hat an mich geschrieben, ihr einen Informator für den Sohn ihrer ersten Kammerfrau zu schaffen: ich schwöre Ihnen zu Gott, wer den Platz bekömmt, der hat sein Glück gemacht: straf mich Gott! es kan ihm gar nicht fehlen. Die Kaiserin ist seine Pathe und hat mir sehr viele Komplimente gemacht – ich habe den Brief nicht bey mir, aber ich kan ihn zeigen – 347 sie schreibt überaus gnädig, daß man sieht, es muß der Dame sehr am Herzen liegen, daß ihre Kammerfrau wohl versorgt wird: sie fängt ohngefähr so an – Monsieur, la reputation, dont Vous jouissez par toute l'Europe – und so weiter in diesem Tone fort. Oder wäre denn das nicht etwas für Sie? der erste Kammerherr beim König in Schweden braucht einen Sekretär. Sehn Sie, da wäre wieder Ihr Glück gemacht: sie dürfen ja, straf mich Gott! dem Herrn nur sagen, was für eine Stelle im Reich Sie haben wollen, so sagt er dem Könige, und ich weis, der König interessirt sich überaus für den Herrn: er hat selbst die Gnade gehabt, mich grüssen zu lassen, und empfiehlt mir die Sache, wie seine eigene. Ich habe Ihre Majestät meine unterthänigste Bereitwilligkeit versprochen, aber noch hab' ich, so wahr ich lebe! keinen Menschen gefunden, der so gut dafür wäre wie Sie: Sie sind gut gewachsen, und Ihr Glück ist gemacht, dafür lassen Sie mich sorgen! Ich parire hundert Dukaten, Sie sind in einem halben Jahre Reichsrath, oder was sie nun dort haben. 348 Nach China gehn Sie doch nicht, das weis ich schon: aber ich habe auch einen schönen Auftrag. – A propos, meine Herren,« fuhr er in Einem Athem fort und wandte sich zur übrigen Gesellschaft, »gestern hat mir die Fürstin von ** ein Kompliment sagen lassen durch den Bereuter vom Hofe. »Daß Er mir ja zu dem Manne geht!« hat sie noch aus dem Fenster nachgerufen, als er fortgeritten ist. »Ein halb Dutzend andre Kommissionen kan Er vergessen, aber nur mein Kompliment nicht.« – Er kam auch gerades Weges vor mein Haus geritten, eh er noch in einem Gasthof eingekehrt war. Der Mann hatte nun seine tausend Freude mich zu sehen – den berühmten Mann und den großen Gelehrten und was er mir denn noch weiter für Komplimente machte – er hatte gar nicht geglaubt, daß ich so aussähe, wie ein andrer Mensch: ich schwöre Ihnen zu Gott, der Mann freute sich, wie ein Kind: die Thränen standen ihm in den Augen, da er Abschied nahm. »Hören Sie!« sagte er: »bey Ihnen wollte ich Tag und Nacht en suite sitzen und nur zuhören: ich kan es gar 349 nicht satt kriegen.« – und drückte mir die Hand; und da ich ihn vollends küßte, da wollt' er wie von Sinnen kommen. »Hören Sie!« sagt' er, »das ist mir so lieb, als wenn mich meine Fürstin geküßt hätte.« – Ha, ha, ha, ha. Er hat mir Aufträge über Aufträge mitgebracht: ich weis gar nicht, wo ich anfangen oder wo ich aufhören soll. Hört, Leute! ich rathe Euch, werdet nicht berühmt! Ihr denkt, das ist lauter Glückseligkeit, wenn man von Königen und Fürsten, bald von der schönen Dame, bald von dem vornehmen Herrn Komplimente und Aufträge bekömmt: aber ich schwöre Euch zu Gott, man wird seines Lebens nicht froh dabey. Bey Tische esse ich kaum sechs Bissen – so fällt mir der Brief ein – »der Henker! dem Geheimerathe hast du auch noch nicht geantwortet« – und so werf' ich die Serviette hin und setze mich und schreibe an den Herrn Geheimerath. Geh ich spatzieren, so bin ich kaum vor dem Thore– »halt! hast du die Verse nach Wien doch vergessen!« – gleich kehr' ich wieder um, und wenn andre Leute sich belustigen und das schöne 350 Wetter genießen, da sitz' ich in meinem Stübchen und mache Verse nach Wien. A propos – (womit er sich zum Kellerwirth hindrehte) – habt Ihr meine Ode auf die Leipziger Lerchen noch nicht gehört? Seht Ihr! solche Oden müßt Ihr Euch ein paar Duzend machen lassen und sie den Gästen vorlesen, wenn Sie Lerchen bey Euch essen: da werden Euch die Leute den Keller stürmen. Die Gräfin ** war die lezte Messe hier und ließ mich zu sich rufen, sie war kaum aus dem Wagen gestiegen. Des Abends konte ich nun nicht wegkommen, das war vorbey. Da die Lerchen kamen, fieng ich an: Ihre Excellenz, ich parire hundert Luisdor, ich bezahle Ihnen die Lerchen theurer als sie Ihnen der Wirth anschreibt.– Wie so? fragte sie. – »Ich parire tausend Dukaten, ich gebe Ihnen so viel Verse dafür, als sie alle zusammen Krallen an den Füßen haben.« – Sie wollte das sehn. Ich sagte: haben Sie nur die Gnade, mich fünf Minuten ins Nebenzimmer gehen zu lassen! – Ich gieng, und hört, Ihr Leute! in fünf Minuten komme ich mit funfzig Versen zurück, daß die 351 Dame ganz erstaunt ist. Hören Sie! sagte sie, ich lasse Sie nicht mehr mit mir essen, Sie müssen hexen können: ich habe Sie zwar für einen sehr großen Mann galten, aber so etwas ist mir noch nicht vorgekommen. – Da ich ihr nun vollends meine Verse vorlas, da gieng das Erstaunen erst recht an; da wollte die Dame gar nicht aufhören zu lachen: es that mir selber leid um sie; denn sie ist sehr korpulent und wollte nun gar nicht wieder zu sich kommen. Noch bey dem Abschiede fieng sie wieder an und drückte mir die Hand sehr gnädig.– »Ach, Sie sind ein scharmanter Mann! ein gar allerliebster Mann! man möchte sich bucklicht über Sie lachen; und so lange ich hier bleibe, dürfen Sie gar nicht von meiner Seite kommen. Sie müssen jeden Morgen den The bey mir trinken, und hernach nehm' ich Sie in Beschlag und lasse Sie nicht von mir bis zum Schlafengehn.«. – Ich sage: Ihre Excellenz, es ist mir eine hohe Gnade, aber meine vielen Geschäfte! es warten wenigstens dreyßig Briefe auf Antwort; und die Welt will doch auch befriedigt seyn: ich lebe doch 352s einmal für die Welt. – »Ach, Sie haben genug für die Welt gelebt; leben Sie nun einmal auch acht Tage für mich!« – Straf mich Gott! Sie hat mich des Morgens durch die Heiducken mit der Portechaise holen und des Abends wieder nach Hause bringen lassen: darüber hab' ich nun alles versäumt und kan diesen Winter mit meinen Briefen nicht fertig werden: da liegen an hundert zu Hause. Ja, denk' ich, wenn ich sie sehe: ihr werdet lange liegen müssen, ehe die Reihe an euch kömmt. – Stille! ich will Euch meine Ode vorlesen« –

Auf diese Ankündigung hub sich einer nach dem andern in der Gesellschaft empor, um sich in die andre Stube zu begeben: allein der Deklamator stellte sich vor die Thür. – »Ihr wärt nicht werth, daß Euch die Sonne beschien, wenn ihr meine Ode auf die Leipziger Lerchen nicht anhörtet,« sprach er und trieb sie an den Tisch zurück. Sie mußten sich dem Zwange unterwerfen; er räusperte sich, gebot allgemeine Stille und hub an: 353

Wie wenn im Ocean die hocherhabnen Wellen
Mit grimmig wilder Wuth bis zu den Sternen schwellen;
Wie wenn ein schwarzer Sturm den Nationen Tod,
Und steilen Felsen Angst und bange Schmerzen droht;

»Die Stelle hab' ich dem Virgil gestohlen. aber dieser römische Homer könte sie nicht herrlicher ausdrücken, wenn er deutsch schriebe. Ich will Euch die Stelle einmal vorlesen: sie ist überaus prächtig: aber straf mich Gott! sie hat in meiner Ode nichts verloren.« – Er holte stehendes Fußes einen Virgil aus der Tasche, las die Beschreibung eines Sturms vor, und übersezte und erklärte die Schönheiten derselben mit der wortreichsten Beredsamkeit, doch jederzeit mit einer Wendung, daß Virgil einen Grad unter seiner Ode blieb. Die Gesellschaft schlich sich, einer nach dem andern, in die andre Stube, auch Herrmann folgte dem Beispiele, und der erzgelehrte Mann las den stummen Kellerwänden bald ein Stück aus seiner Ode, bald ein Stück aus dem Virgil oder Horaz in Einem unaufhaltsamen Flusse vor, stürzte mit seinen 354 fechtermäßigen Geberden ein Paar Gläser zu Boden und wurde nicht gewahr, daß er sich selbst predigte, bis ein Fremder zur Thür hereintrat. »Setzen Sie sich! Setzen Sie sich!« rief ihm der Deklamator entgegen: es war ein guter ehrlicher Wollhändler, der sich etwas langsam bewegte, und da er nicht gleich gehorsamte, wurde er mit gewaffneter Faust niedergestoßen. »Sind das Zeitungen?« fragte der Wollhändler phlegmatisch. – »Ja, mein lieber Freund,« antwortete der quecksilberichte Poet lachend, »Zeitungen aus dem Parnaß! Ihm zu Gefallen will ich wieder von vorn anfangen.« – Der Wollhändler horchte einige Zeit zu, allein da ewig nichts von Spaniern, Franzosen oder Engelländern kommen wollte, zog er gähnend sein Taschenbuch hervor und rechnete seine Bestellungen und Wechsel durch. Der begeisterte Dichter ward über seine Verachtung grimmig, riß ihm mitten im Lesen das Taschenbuch weg und warf es unter den Tisch, daß die Zettelchen, wie Schneeflocken, herumflogen. Der erstaunte Wollhändler wußte lange nicht, wie ihm geschah: endlich, da jener 355 ungestört fortlas, faßte er ihn bey der Krause, schüttelte ihn und sprach, die drohende Peitsche in der Hand: »den Augenblick les' Er mir meine Zettel auf, oder der Teufel soll ihm das Licht halten.«

Der Deklamator. Herr, hab' Er Respekt vor den Musen und ihren Schwestern, den Grazien!

Der Wollhändler. Was geht mich alles das Lumpengesindel an? Weis Er wohl, daß Er hier viele tausend Thaler unter den Tisch geworfen hat, die Er zeitlebens nicht bezahlen kan?

Der Deklamator. Er ist ein roher Mann. Straf mich Gott! Er glaubt wohl gar, daß Seine Zettel mehr werth sind als meine Ode.

Der Wollhändler. Das denk' ich! Für Seine purpurrothen und hochgethürmten Quodlibets geb' ich Ihm nicht einen Quark: aber mein Taschenbuch ist viele tausend Thaler werth. Den Augenblick les' Er auf!

Der Deklamator. Ich parire hundert Dukaten, Er weis nicht, wen Er vor sich hat. Ich bin der große Solstizius. Untertäniger Diener. 356

Der Wollhändler. Blitz! das ist ja wohl der Stizius, der mich nun sechs Messen her nicht bezahlt hat. Gut daß ich dich habe! He da! –

Der Wollhändler rennte ihm nach, aber der große Solstizius war entwischt, und er mußte sich bequemen, seine papiernen Reichthümer selbst aufzulesen. Hinter drein erfuhr er, daß dieser Mann nicht der Tuchmacher Stizius, sein übler Bezahler, sondern nur ein egoistischer Windbeutel sey; und Herrmann wurde von einem artigen bescheidnen Manne gewarnt, sich nicht mit dem Aufschneider einzulassen. »Wenn Sie Rath, oder Unterstützung brauchen,« sagte er, »so wenden Sie sich an ** und **: diese Männer dienen gern, so viel sie vermögen, und thun ohne Prahlerey alles, dessen sich dieser Windbeutel berühmt.« – Herrmann nahm den Rath um so freudiger an, da er schon bey dem ersten Anblicke das nämliche Urtheil über den Mann bey sich gefällt hatte, und trank eben das lezte Glas von seinem Weine, als sich ein anständig gekleideter Mann in seine Bekantschaft einführte, ihn 357 nach einigen Wendungen des Gesprächs um seine Freundschaft ersuchte und morgen zu Mittage zu sich zu Tische bat. Herrmann nahm die Partie an.

Die Gesellschaft bestund aus sechs Personen, und der Wirth führte das Wort – ein Mann von einer unendlichen, aber verworrenen Einbildungskraft und einem unpolirten Witze, der in Einem Athem von Grönland nach Ostindien, vom Großsultan auf den Bullenbeißer Sultan, vom Coeurbuben zu dem Mann im Monde hinübersprang: die Uebrigen aßen und schwiegen und bezahlten ihm die Mahlzeit mit unaufhörlichem bewunderndem Lachen über seine fantastisch-witzigen Seiltänzerspringe. Nach Tische hatte oder gab Jedermann Langeweile vor, und der Wirth trug auf ein Spielchen an: Herrmann wollte sein kleines Vermögen nicht daran wagen und machte sich unter dem Vorwande los, daß er kein Spiel verstünde: man ließ ihm seine Freiheit, ohne ihm mit einem einzigen Worte zuzureden. Als der Spieltisch schon zur Quadrille 358 in Bereitschaft war, fieng einer nach dem andern an, Quadrille langweilig zu finden und den lebhaftesten Widerwillen dagegen zu bezeugen. So wollen wir eine kleine Bank machen, schlug der Wirth vor: die meisten schrien Ja und lobten ihn über einen Einfall, auf welchen sie nie verfallen wären, und der übrige Theil willigte halb gezwungen aus bloßer Höflichkeit darein. Einer erzählte, daß er nun in einem halben Jahre nicht Farao gespielt habe; der Andre mußte erst überrechnen, wie lang er nicht dabey gewesen war; ein Dritter brachte zwey Jahre heraus, daß er keine Karten in einem Hasardspiele angerührt hatte; und der Vierte mußte sich erst besinnen, wie man es spielte. Der Wirth wurde Bankier, und Herrman eben so eingeladen wie vorhin, als wenn es gar nicht auf ihn abgesehn wäre: er bat, daß man ihm erlaubte, vorizt ein wenig zuzusehn, und es wurde ohne alle Schwierigkeit in sein Belieben gestellt. Man spielte äußerst niedrig: der Bankier verlor fast jedes Blatt, das er umschlug. Herrmann, als er so gewinnen sah, bekam keine kleine Lust, mit 359 zu gewinnen; und da der höchste Satz nur zwey Groschen seyn sollte und also die Gefahr so sehr klein war, so konte er unmöglich der Versuchung widerstehen, sein Glück auf die Probe zu stellen. So bald er Anstalt machte zu setzen, wollte man aufhören, und nur aus Höflichkeit gegen ihn verlängerte man das Spiel. Er gewann in Einem fort: in der Hitze des Glücke wurde von allen das Gesez, das den höchsten Satz bestimmte, merklich überschritten; und binnen einer Stunde war die kleine Bank gesprengt, und Herrmann beinahe funfzig Thaler reich. Ein Andrer erbot sich zwar, Bank zu machen, aber niemand hatte den mindsten Appetit dazu. Die Gesellschaft gieng aus einander und küßte sich so herzlich bey dem Abschiede, als wenn sie in Jahr und Tag nicht wieder zusammenzukommen gedächten. Herrmann wurde von seinem neuen Freunde auf ein Kaffehaus eingeladen, des Abends abgeholt und verlor die Hälfte seines Gewinstes wieder: so weh es ihm that, sie nicht wieder erobern zu können, weil er nicht mehr bey sich gesteckt hatte, so verbiß er doch seinen 360 Aerger und gieng mit gezwungner Mäßigung nach Hause. Dreymal hatte er schon seine übrige Baarschaft in den Händen, um mit ihr zum Spieltisch zurückzugehn, und dreymal zog ihn sein guter Genius warnend zurück.

Der Verlust ließ ihn nicht ruhig schlafen: nicht sowohl aus Eigennutz und Gewinnsucht, als vielmehr weil ihm seine Ehre beleidigt schien, empfand er ihn so hoch und beschloß noch in derselben Nacht, den folgenden Tag die Hälfte seines Restes daran zu setzen, um seinen Ehrgeiz wieder zu versöhnen. Er war der erste auf dem Kaffehause, spielte an der Bank seines Freundes, den er nunmehr aus allen Umständen für einen Spieler von Profession erkannte, und gewann über achtzig Thaler. Der Mann besuchte ihn den morgenden Nachmittag und erkundigte sich mit einer Neugierde nach seiner Herkunft, Familie und seinen Vermögensumständen, als wenn er ihn über Artikel verhören wollte, doch auf eine so gute Art, daß er allen Schein einer lästigen Zudringlichkeit vermied. Er merkte wohl aus Herrmanns 361 Verlegenheit und stotternden Antworten, daß sein Reichthum nicht sehr erheblich seyn mußte, und daß er daher keine Prise war, wie er sie in ihm suchte: kaum war er so weit mit seinen Fragen gekommen, als er ihn durch überhäufte Freundschaftsbezeugungen so treuherzig machte, daß er seine Verlegenheit wegen seines Auskommens in ziemlich unverhüllten Ausdrücken gestund. Der Spieler, der ihn bis auf die lezte Faser ausgezogen hätte, wenn er bey Gelde gewesen wäre, legte ihm eine Börse auf den Tisch. »Hier, mein Freund!« sprach er; »spielen Sie aus dieser Börse, bey welcher Bank Sie wollen! den Gewinst theilen wir: den Verlust trage ich.« – Herrmann war über eine so unerwartete Freigebigkeit erstaunt, weigerte sich, sie anzunehmen, und wollte dafür danken, als sein Freund ihn mit den Worten verließ: »wir sehen einander heute auf dem Kaffehause.«

Wer war nun froher und der Glückseligkeit näher als Herrmann? – Er fand in der Börse vierzig Louisd'or, und war beinahe willens, gewisse zweyhundert Thaler besser anzuwenden 362 als zum ungewissen Spiel: allein sein Freund hatte sie ihm nur zu diesem Endzwecke geliehen, und er glaubte einen Diebstahl zu begehn, wenn er sie zu einem andern anlegte. Er spielte viele Abende hinter einander mit steigendem und fallendem, doch nie mit ausgezeichnetem Glücke, speiste täglich bey seinem Freunde, der eine Art von ofner Tafel für den Zirkel seiner Freunde hielt, und Glück und Vergnügen verdrängten Kummer, Unruhe und beinahe auch Ulriken, wenigstens dachte er nicht mit so wehmütigem Verlangen mehr an sie; und wenn es geschah, that er es mehr mit der Empfindung eines Versorgers als eines Liebhabers. Die neue Laufbahn, in welche ihn die Gewinnsucht seines Freundes hingeleitet hatte, und worinne ihn die Großmuth des nämlichen Mannes erhielt, brachte ihn unvermeidlich auf den Plan, sich auf einem so angenehmen Wege ein kleines Vermögen zu erwerben, alsdann Ulriken aufzusuchen und in einem unbekanten ländlichen Winkel sparsam mit ihr davon zu leben. Er theilte den Vorsaz seinem Freunde mit, der in vierzehn 363 Tagen schon zu einer so brüderlichen Vertraulichkeit mit ihm gelangt war, daß keiner dem Andern ein Geheimniß verschwieg: er billigte den Plan überaus und versprach alle mögliche Beyhülfe.

Die Freundschaft wurde noch inniger durch ein Verdienst, das sich Herrmann zufälliger Weise um ihn erwarb. Er hörte eines Abends ein Komplot wider seine Bank machen, die die Zusammenverschwornen schlechterdings sprengen wollten: er benachrichtigte seinen Freund davon, daß er die nöthigen Maasregeln dawider nehmen konte, und aus Dankbarkeit versprach dieser, bey dem ersten glücklichen Streiche, den er machen würde, ihm zu Errichtung einer eignen Bank eine Summe zu geben, die er nicht wieder bezahlen sollte, im Fall daß er unglücklich damit wäre.

Auch diese Gelegenheit erschien. Einen reichen Liefländer lockte man auf die nämliche Weise ins Garn, wie Herrmann gekirrt wurde, da man nur sein bordirtes Kleid, und seine leere Börse nicht kannte: der junge Mensch wurde durch den kleinen Gewinst, den man ihn anfangs 364 machen ließ, so hitzig, und durch den nachfolgenden Verlust so aufgebracht, daß er sein Glück schlechterdings zwingen wollte und in Einem Niedersitzen alle Wechsel verlor, die er in Leipzig zu seinen Reisen nach Frankreich und England theils heben, theils stellen lassen sollte. Den Tag darauf dachte er seinen Verlust einigermaßen wieder zu erobern, und verlor an einen andern Spieler um die Hälfte so viel als gestern, gegen einen Wechsel: der arme Unglückliche stellte ihn mit Thränen und hätte in der Angst und Betrübniß seine Seele verpfändet, wenn es verlangt worden wäre. Arnold – so hieß Herrmanns Freund – ließ den jungen Menschen täglich bey sich speisen und erlaubte ihm nicht anders, als unter seiner Aufsicht zu spielen: er streckte ihm von Zeit zu Zeit einige Louisdor vor, um bey andern Banken vielleicht das Reisegeld nach Hause zu gewinnen, allein das Glück blieb sein entschloßner Feind: alles Vorgestreckte gieng den vorigen Weg. Arnold ermahnte ihn täglich, wieder nach Hause zu reisen, weil der Termin seines Wechsels bald verflossen war. »Sie 365 kommen augenblicklich in Verhaft,« sagte er ihm unaufhörlich; »und Sie haben mit einem harten geizigen Manne zu thun.« – Nichts half: der unglückliche Junker getraute sich nicht, vor seinem Vater zu erscheinen, und wußte doch auch keine andre Partie zu ergreifen. Arnold rieth ihm, Kriegsdienste zu nehmen; allein dazu fand er in seinem weichen zarten Körperchen nicht den mindesten Beruf. Sein Hofmeister, der bey einem Freunde etliche Meilen von Leipzig zum Besuch war, getraute sich gleichfalls nicht, vor einem Vater zu erscheinen, dessen ihm anvertrauter Leibeserbe alle seine Wechsel verspielt hatte, und antwortete dem jungen Herrn gar nicht auf den Brief, worinne er ihm seinen Unfall klagte, sondern nahm aus Verzweiflung die Flucht. Ueber der Unentschlossenheit des Junkers rückte der Zahlungstermin heran, und was man ihm prophezeiht hatte, erfolgte: auch hier schlug sich Arnold ins Mittel, zwang den Gläubiger durch vieles Zureden, daß er sich mit der Hälfte der schuldigen Summe beliebigen ließ, und streckte sie dem Schuldner auf einen weit 366 hinaus gestellten Wechsel vor: der junge Mensch wurde durch diese Güte so gerührt, daß er einen kleinen Ring, den ihm Fräulein Renatchen zum Andenken ihrer Gewogenheit auf die Reise mitgegeben hatte, aus der innersten Beinkleidertasche zog und ihm mit Thränen der Dankbarkeit zum Geschenk überreichte. Arnold, als er erfuhr, welchen Werth der Zuneigung der Ring für seinen Besitzer hatte, lehnte das Geschenk von sich ab, bestellte die Post für ihn, versah ihn mit Reisegeld und übergab ihn einem liefländischen Kaufmanne, der ihn in die Hände des gnädigen Papas liefern sollte. Noch den Abend vor der Abreise fährt dem unbesonnenen Jünglinge der Spielgeist in den Kopf: er besaß noch zwanzig der auserlesensten hellglänzendsten Kremnitzer Dukaten, die dem theuren Kinde die gnädige Frau Mama von ihrem Spielgelde nach und nach zurückgelegt und in einem rothen saubern Beutelchen von Gros de Tour, worauf sie mit eigner Hand das Familienwappen in Gold stickte, als einen Nothpfennig auf den Weg mitgegeben hatte, mit dem Befehle, diesen Schatz, wo 367 möglich, unversehrt wieder zurückzubringen. Um dem Befehle desto leichter zu gehorchen, nähte der Herr Sohn nach seinem ersten großen Verluste dies Beutelchen in der linken Uhrtasche fest und glaubte, daß es der Satan selbst nunmehr nicht wegstehlen sollte: auch widerstand er die ganze übrige Zeit tapfer allen Versuchungen, den Gefangnen zu erlösen, sah jeden Abend bey dem Schlafengehen darnach, ob seine Fesseln noch unversehrt wären, und in Gesellschaft, wo er gieng und stund, untersuchte alle fünf Minuten seine linke Hand das Befinden des rothen gestickten Beutelchens. An jenem unglücklichen Abende führte ihn die Dankbarkeit auf das Kaffehaus, um seinen Freund Arnold noch einmal zu umarmen: Arnold warnte ihn vor dem Spiele, allein er glaubte sich über alle Reizungen erhaben und trat an einen Tisch, um blos zuzusehn: da stand er, sah neidisch Summen gewinnen und verlieren, und zappelte vor Begierde! Bald graute er sich hinter dem Ohre, bald nahm er den Hut ab und fächelte sich, – er glühte am ganzen Leibe von dem innerlichen Kampfe – 368 seine Linke deckte unaufhörlich das rothe Beutelchen, arbeitete zuweilen an den Zwirnbanden, um sie loszureißen, und stund hastig wieder davon ab, wenn ihm die Möglichkeit, die schönen Dukaten zu verlieren, einfiel. Lange drehte er sich so in dieser ängstlichen Unentschlossenheit herum: endlich gab die Leidenschaft seinem Herze einen Stoß: er foderte von dem Marqueur ein Messer, trat in einen Winkel und schnitt die ganze Uhrtasche heraus, um sich nicht zu lange dabey aufzuhalten. Grinzend vor Freude trat er an den Tisch, das Beutelchen in der Linken, sezte eine Maria Theresia nach der andern und verlor sie: seine Dukaten waren so hervorstechend, daß ihnen der Tailleur einen besondern Platz anwies, und Jedermann mit Bewundrung nach ihnen hinblickte. Izt prangten sie alle zwanzig vor dem Bankier: dem Junker traten die Thränen vor Aerger in die Augen. »So mag der Teufel den Beutel auch holen!« sprach er weinerlich, nahm eine Karte und sezte das rothe Beutelchen darauf: der ganze Tisch lachte, der Tailleur schlug um, und mit der ersten Karte war auch das 369 rothe Beutelchen in seiner Gewalt. Der unglückliche Junker schlug sich an den Kopf, weinte und jammerte: das ganze Kaffehaus versammelte sich, die schönen zwanzig Dukaten und das schöne Beutelchen zu beschauen: auch Arnold erschien und fragte nach der Ursache seines Wehklagens. »Ach, der gnädigen Mama rothes Beutelchen!« rief er unaufhörlich mit bangem Trauerton, schlug die Hände über den Kopf zusammen und stürzte sich zur Thür hinaus. Arnold lief ihm nach und wich nicht von seiner Seite, bis er auf dem Postwagen saß, damit er nicht sein Reisegeld noch oben drein verspielen sollte.

So handelte dieser sonderbare Mann beständig: er lebte vom Raube im eigentlichen Verstande, und theilte seinen Raub mit Andern, die weniger hatten, als er: wen er nicht plündern konte, den beschenkte er, oder plünderte die Leute und erzeigte ihnen hinter drein die größten Wohlthaten, interessirte sich so brüderlich für sie wie für diesen Junker, und verschwendete durch seine aufrichtige gutgemeinte Vorsorge oft die Hälfte der Beute wieder an demselben 370 Menschen, dem er sie abgenommen hatte. Jede Betrügerey verabscheute er im Glücke, aber in der Noth war ihm keine zu verächtlich, wenn sie nur ein wichtiges Objekt betraf: überhaupt konte er nie im Kleinen arbeiten, und er kannte keine andre Niederträchtigkeit, als kleine Summen durch schlechte Mittel zu erobern suchen: dies nannte er Beutelschneiderey. Seine größte Stärke war die Kunst, junge und alte, erfahrne und unerfahrne Leute zum Spiel zu verleiten, und zwar so unmerklich, daß sie die Absicht der Verleitung gar nicht argwohnten. Seine Leidenschaften waren Verschwendung und Liebe, für deren Befriedigung er jeden Streich unternahm, und oft gesellte sich auch ein gewisser Ehrgeiz hinzu, daß er sich schmeicheln konte, einen gesezten oder vorsichtigen Menschen überlistet und wider seinen Willen zu einer Handlung gebracht zu haben, die er zu vermeiden suchte. Der nämliche Ehrgeiz schien ihn größtenteils auch bey seinen verliebten Unternehmungen zu regieren; die seinen Anerbietungen muthig widerstund, konte auf seine Freigebigkeit sichre Rechnung machen, 371 ohne daß er die mindeste Erkenntlichkeit dafür verlangte, und er verließ gemachte Eroberungen sogleich wieder, weil ihm der Sieg keine Mühe kostete. War er einmal aus Mitleid oder innere Zuneigung Jemandes Freund geworden, dann dünkte ihm keine Aufopferung, keine Gefahr, keine Arbeit zu groß, um seinem Freunde zu helfen oder Vergnügen zu machen.

Davon war Herrmann ein lebendiger Beweis: von der Minute an, da er sich das Geständniß seines Mangels entwischen ließ, wurde Arnold sein unermüdeter Freund und Wohlthäter, besonders nachdem er aus der Nachricht, die ihm Herrmann eines Abends von dem Komplote wider seine Bank gab, schließen konte, daß der junge Mensch Zuneigung für ihn fühlte: einen solchen Beweis wartete er gemeiniglich ab, und auch ein geringerer Dienst, als ihm Herrmann that, war ihm hinlänglich dazu. Seinem Versprechen gemäß, schenkte er ihm von dem Gewinst, den der liefländische Junker einbrachte, die Hälfte, um selbst Bank zu halten. Das Glück breitete seine Flügel über Herrmann aus und träufelte Gewinn und 372 Reichthum auf ihn herab: er legte sich von Zeit zu Zeit einen Theil seines Gewinns zu Ausführung seines Plans mit Ulriken zurück und wiegte sich, wie ein auserwählter Günstling, in dem Schooße der Freude und der süßesten Hofnung. Allmälich verlor er freilich seinen verliebten Zweck ganz aus dem Gesichte, und spielte nicht mehr, um zum Besten seiner Liebe zu gewinnen, sondern um zu spielen. Seine ganze Thätigkeit wurde auf diesen Punkt hingerissen, und seine Leidenschaft so überspannt heftig, daß ihn selbst Arnold darüber tadelte. Wie bald waren nun Musen und Wissenschaften aus seinem Kopfe verscheucht! Bald wollte er spielen, um nebenher studiren zu können, wollte immer morgen den Anfang machen, und immer erschien nur der künftige Morgen für das Spiel: bald verwarf er das Studiren als einen Umweg, um zu Ulrikens Besitze zu gelangen, und hofte, nach einem halbjährigen Gewinnen schon genug beysammen zu haben, um mit ihr in philosophischer Stille und Genügsamkeit den Rest deines neunzehnjährigen Lebens auf dem Lande 373 zuzubringen: er schwankte bald zu diesem, bald zu jenem Plane; jeder Tag brachte einen neuen hervor, bis sie endlich samt und sonders verdrängt, und nur Spielen sein Denken, Trachten und Begehren wurde.

 


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