Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 3
Johann Karl Wezel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Kaum waren sie bey Lairessen fünf oder sechs Minuten gewesen, als sich Vignali eines nöthigen Besuchs erinnerte und Herrmannen bis zu ihrer Rückkunft zu verziehen bat: sie gieng und begab sich heimlich in die Nebenstube.

Lairesse war neben der Tänzerin auch einige Zeit Schauspielerin gewesen, in beiden zwar gleich mittelmäßig, aber sie hatte doch zuweilen im Nothfall auch zweite Liebhaberinnen gespielt. Ohne Zweifel mochte sie dies auf den Einfall bringen, ihren Unternehmungsplan ganz theatralisch einzurichten.

Sie sprachen einige Zeit von lieben und geliebt werden, und Herrmann, der erst während seines Aufenthalts bey Vignali so 125 hochgelehrt in diesem Fache geworden war, redte darüber mit zufriedner Selbstgenügsamkeit: Lairesse wußte nicht mit dem zehnten Theile seiner Erfahrung und Beredsamkeit davon zu sprechen, ob sie gleich seit ihrem siebzehnten Jahre im Tempel der Liebe diente. Plözlich sank sie in Ohnmacht – aber nur in eine künstliche Ohnmacht, versteht sich! Man sagte ihr als Schauspielerin nach, daß sie nur zwo Aktionen meisterhaft zu machen verstünde – sich wie ein Klotz auf das Theater hinzuwerfen und in Ohnmacht zu fallen: man versicherte deswegen, daß sie die größte Aktrice des Erdbodens seyn würde, sobald Jemand ein Stück von lauter Ohnmachten schriebe. Auch gelang ihr die gegenwärtige so täuschend, daß ihr Herrmann mit ängstlicher Besorgniß sein vergoldetes Riechfläschchen in die Nase goß: das war ein unseliger Streich, der dies Meisterstück von Ohnmacht durchaus verdarb; denn die Menge der hinabströmenden stark riechenden Essenz verursachte ihr einen erstickenden Husten: doch zog sie sich sehr gut aus dem widrigen Zufalle: sie schlug mit richtiger 126 Steigerung des wiederkommenden Lebens und mit einem zärtlichen Blicke nach Herrmannen die Augen auf und blieb liegen, wie sie die Ohnmacht auf das Kanape hingeworfen hatte.

»Was haben Sie denn?« fragte Herrmann.

»O du Ungeheuer!« antwortete Lairesse mit kraftlosem Zorne: »du wirst mich wohl noch umbringen.«

Herrmann. Ich?

Lairesse. Ja, du, du!

Herrmann. Ich erstaune. Wie das?

Lairesse. Daß du so schön und doch so unempfindlich bist! Ich armes Mädchen bin in dich verliebt, so lang ich dich kenne: so oft ich dich nur sehe, wandelt mir eine Ohnmacht an; und du, kieselhartes Herz, thust gar nicht, als wenn du meine Noth wüßtest. Ich werde gewiß noch vor Liebe sterben, wenn du mir nicht beyzeiten zu Hülfe kömmst. Komm, du Pavian! gieb mir einen Kuß! –

Sie zog mit diesen Worten den neben ihr stehenden Herrmann nach sich hin und nahm sich den Kuß mit einer so zweydeutigen Umarmung, 127 daß sich der Tugendheld nach einer flüchtigen Anwandelung von süßer Schwachheit losriß und mit stolzem Muthe, wie ein tapfrer Ritter, der abermals ein Abentheuer glücklich bestanden hat, auf sie herabsah.

»Ach, der vermaledeyte Kuß!« fieng Lairesse wieder halb ohnmächtig an: »da wird mir schon wieder schlimm. Komm mir zu Hülfe, du Unmensch! Ich ersticke: mache mir Luft!«

»Lairesse!« sagte Herrmann mit trocknem Lächeln: »geben Sie sich nicht zu viele Mühe! Ich errathe Ihr Spiel: so fängt man mich nicht.«

»Seht mir einmal das Affengesicht!« rief Lairesse lachend und sprang auf. »O lacht ihn doch aus! Da wird man dich lange fragen: willst du mich gleich im Guten lieben? oder ich drücke dir die Kehle zu.«

Wirklich faßte sie ihn auch so fest bey dem Halse, daß er zu ersticken glaubte und sich mit Mühe von ihren Armen losmachte. »Lairesse, das ist Beleidigung, aber nicht Scherz,« sprach er unwillig.

Lairesse. Denkst du, daß ich scherze? – 128 Hab' ich dirs denn nicht deutlich gesagt, daß ich dich liebe? Aber ich weis schon, ich bin nicht die erste, die du hast verschmachten lassen.

Herrmann. Desto besser! So können Sie sich um so viel leichter beruhigen.

Lairesse. Desto schlimmer! willst du sagen. – Fürwahr, ich schämte mich: so ein hübscher Mensch und thut so steif und hölzern, wenn sich ein Mädchen die Mühe giebt, sich in dich zu verlieben! Bin ich dir denn nicht hübsch genug? – Ueber den Delikaten!

Herrmann. Zur Gesellschafterin sind Sie mir hübsch genug: und mehr verlang' ich nicht.

Lairesse. Aber damit bin ich nicht zufrieden. Gesellschaft ohne Liebe ist etwas kahl.

Herrmann. Auch daran soll es nicht fehlen: ich liebe Sie, und habe Sie geliebt, so lange wir einander kennen.

Lairesse. Und das ist deine ganze Liebe, wie sie bisher gewesen ist? – Die ist verzweifelt trocken und langweilig. Ich will dich eine bessere lehren. Aber du Heuchler! kennst sie lange.

Herrmann. Und wenn ich sie kennte? 129

Lairesse. So wärst du Schläge werth, daß du so unwissend thust und dich nicht gescheidter aufführst, als ein kleines Kind. – Stehst du nicht da, wie eine Bildsäule? –

Sie sang ihm ein Liedchen vor, dessen Hauptgedanke war, daß Genuß der lezte Zweck der Liebe ist, und die lezte Strophe schloß sich:

Einladend winkt ein Sofa dir,
Gepolstert für die Liebe –

»Schweigen Sie!« unterbrach sie Herrmann. »Entheiligen Sie nicht einen Namen, der nur auf Ihrer Zunge und nicht in Ihrem Herze ist! Ich will Ihnen mit zwey Worten sagen, wie ich hierüber denke. Liebe und Buhlerey sind bey mir zwey verschiedene Dinge: merken Sie sich das!«

Lairesse schlug ein Gelächter auf, als wenn sie springen wollte. – »O du hochweiser Stockfisch!« rief sie und stieß ihn von sich. »Ich will die Leute auf der Gasse zusammen rufen, daß sie dich auslachen helfen. Der Mensch redt, wie ein Schulmeister. – Lieber Herr Schulmeister, seyn Sie doch nicht so grämlich! – Die Buhlerey! wo hast du denn das Wort her?« 130

Herrmann. Das Wort ist alt: aber die Sache hab' ich izt an Ihnen wahrgenommen.

Lairesse. Die Buhlerey? – Was der Mensch für ein Orakel ist! Ein lebendiges Buch der Weisheit bist du.

Herrmann. Und Sie ein verbuhltes Mädchen!

Lairesse. Ihre Dienerin! – Warum misfällt denn Euer Hochweisheiten das Buhlen so sehr?

Herrmann. Weil die Stimme der Ehre in mir ruft, daß ich mich nicht wegwerfen soll.

Lairesse. Mit mir wirfst du dich weg? – O mein kleiner Herr, Er muß sichs für eine Ehre rechnen, daß ich mich mit Ihm abgebe. Prinzen, Lords, Grafen, Barone haben meine Gütigkeit mit Dank erkannt: man ist so verlegen nicht, wie Sie denken. Ihr kleines Persönchen mag in Ihren Augen sehr liebenswürdig seyn: aber solche Schlaraffengesichter kan man alle Tage haufenweise bekommen, wenn man nur wollte.

Herrmann. Lairesse, Sie werden so beleidigend, daß ich zürnen muß.

Lairesse. Allons, zürnen Sie doch! Sie werfen doch nicht etwa die Leute mit Goldbörsen todt? – Der arme Schlucker! spricht so weise, wie ein Buch! will sich nicht wegwerfen! Ich würfe mich weg: wissen Sie das?

Herrmann. Sie werden so unverschämt, daß ich gehn muß.

Lairesse. Geh! geh! Wer hat denn dich Polisson gerufen? – Aber noch eins! Du bist ein Narr. –

Dies sagte sie ihm in einem leisen vertraulichen Tone und wollte die Lobrede mit einer derben Ohrfeige begleiten: doch Herrmann fieng ihre Hand auf, ergrimmte, hub den Stock in die Höhe und drohte: »Ich werde dich strafen, du niederträchtige Dirne!«

Lairesse. Strafe mich! hier steh ich. Siehst du hier zehn Finger? und an jedem einen Nagel? Alle zehn sollen sie dir auf den ersten Schlag in deinen Schelmenaugen liegen. –

Herrmann gieng, um nicht zu einer Mishandlung hingerissen zu werden. In der Thür knipp sie ihn von hinten zu empfindlich in die Arme. – »Wirf dich nicht weg!« schrie sie. 132 Herrmann drehte sich, und der Zorn übernahm ihn so sehr, daß er den Stock mit der völligen Absicht zu strafen aufhub. – »Schlagen Sie zu!« rief Vignali hereintretend: »das Geschöpf hat es verdient.« – Sie glühte vor Aerger; und da Herrmann ihren Befehl nicht vollzog, gab sie Lairessen einen empfindlichen Stoß mit der Faust und sagte leise zu ihr: »Du bist ein tummes Vieh: nun kanst du noch heute dein Packet zusammenmachen.«

»Kommen Sie! wir wollen gehn,« sprach sie außer Athem und nahm Herrmanns Arm.»–

Vignali! Vignali! das war stark verrathen: auch merkte Herrmann nunmehr das ganze Spiel, das er vorhin nur dunkel argwohnte. Dem Herrn von Troppau wurde seit dieser Zeit von Vignali tägliche und stündliche Vorstellung gethan, daß er Lairessen den Abschied geben sollte, und nach einigen Weigerungen willigte er, obgleich sehr ungern, darein: Lairesse kam, demüthigte sich vor Vignali, bat um Verzeihung, und der Herr von Troppau mußte sie behalten. 133

 


 << zurück weiter >>