Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

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VI.

Jupiter, Juno, Apollo, Minerva, Venus, Bacchus, Vesta, Ceres, Viktoria, Quirinus, Serapis, Momus und Merkur.

Jupiter und Juno mit allen übrigen Bewohnern des Olymps sitzen in einer offnen Halle des Olympischen Palasts an verschiedenen großen Tafeln: Ganymed und Antinous schenken den Göttern, Hebe den Göttinnen den Nektar ein; die Musen machen Tafelmusik, die Grazien und Horen tanzen pantomimische Tänze, und Jokus reizt die seligen Götter von Zeit zu Zeit durch seine Karikaturen und Lazzis zu lautem Gelächter. Im Augenblicke der größten Fröhlichkeit kommt Merkur eilfertig angeflogen.

Jupiter. Du hast dich verspätet, mein Sohn, wie du siehest. Was bringst du uns neues von da unten herauf?

Venus zu Bacchus . Er scheint schwer daran zu tragen. Wie verstört er aussieht!

Merkur. Das neuesten was ich mitbringe, ist nicht sehr geschickt, die Fröhlichkeit, die ich hier herrschen sehe, zu vermehren.

Jupiter. Wenigstens ist es deine Miene nicht, Merkur. Was kann sich denn so schlimmes zugetragen haben, daß es sogar die Götter in ihrer Freude stören soll?

Quirinus. Hat etwa ein Erdbeben das Kapitol umgestürzt?

Merkur. Das wäre eine Kleinigkeit.

Ceres. Hat ein heftiger Ausbruch des Aetna mein schönes Sicilien verwüstet?

Bacchus. Oder ein unzeitiger Frost die Campanischen Weinstöcke versengt?

Merkur. Kleinigkeiten! Kleinigkeiten!

Jupiter. Nun, so rücke heraus mit deiner Jammergeschichte!

Merkur. Es ist weiter nichts, als – Er hält ein.

Jupiter. Mache mich nicht ungeduldig, Hermes! Was ist denn weiter nichts als –?

Merkur. Nichts, Jupiter, als – daß du zu Rom – auf eine Motion, die der Imperator in eigner Person im Senat gemacht hat – durch eine überwiegende Mehrheit der Stimmen – förmlich abgesetzt worden bist.

Die Götter stehen alle in großer Bewegung von der Tafel auf.

Jupiter, welcher allein sitzen bleibt, lachend. Nichts als das? – Dessen habe ich mich schon lange versehen.

Alle Götter auf einmal. Jupiter abgesetzt! ists möglich? Jupiter!

Juno. Du redest irre, Merkur – Aeskulap, fühl ihm doch an den Puls!

Die Götter. Jupiter abgesetzt!

Merkur. Wie gesagt, förmlich und feierlich, mit einer großen Mehrheit von Stimmen, für einen Strohmann – was sage ich? ein Strohmann ist doch etwas! – für weniger als einen Strohmann, für ein Unding erklärt, seiner Tempel, seiner Priester, seiner Würde eines obersten Beschützers des Römischen Reichs beraubt! –

Herkules. Das ist eine tolle Neuigkeit, Merkur – Aber, so wahr ich Herkules heiße, er schwingt seine Keule, das sollen sie mir nicht umsonst getan haben!

Jupiter. Ruhig, Herkules! – Also hätte Jupiter Optimus Maximus, Capitolinus, Feretrius, Stator, Lapis usw. seine Rolle ausgespielt?

Merkur. Deine Bildsäule ist umgeworfen, und sie sind in voller Arbeit begriffen auch deinen Tempel zu zerstören. Die nämliche Tragödie wird in allen Provinzen und Winkeln des Römischen Reichs gespielt. Überall stürzen Legionen bocksbärtiger Halbmenschen, mit Fackeln und Mauerbrechern, Hämmern, Hacken und Äxten daher, und verwüsten in fanatischer Wut die ehrwürdigen Gegenstände des uralten Volksglaubens.

Serapis. O wehe! wie wird es da meinem herrlichen Tempel zu Alexandrien, und meinem prächtigen Koloßbilde ergehen! Wenn die Thebaische Wüste nur die Hälfte ihrer heiligen Waldteufel über sie ausspeit, so ist keine Rettung.

Momus. O mit dir hat es keine Not, Serapis. Wer wird sich unterfangen dein Bild anzutasten, da es zu Alexandrien eine ausgemachte Sache ist, daß bei dem geringsten Frevel, den eine gottesräuberische Hand an demselben beginge, Himmel und Erde zu Trümmern gehen, und die ganze Natur ins alte Chaos zurück sinken würde?

Quirinus. Man kann sich nur nicht immer auf dergleichen Sagen verlassen, mein guter Serapis. Es könnte dir ergehen wie der massiv goldnen Bildsäule der Göttin Anaitis zu Zela, von welcher man auch glaubte, der erste, der sich an ihr vergriffe, würde auf der Stelle vom Schlage getroffen zu Boden stürzen.

Serapis. Und wie ging es dieser Bildsäule?

Quirinus. Als der Triumvir Antonius den Pharnazes bei Zela aufs Haupt geschlagen hatte, wurde die Stadt samt dem Tempel der Anaitis ausgeplündert, und niemand konnte sagen, wo die massiv goldne Göttin hingekommen war. Nach einigen Jahren trug sichs zu, daß August zu Bononien bei einem Veteran des Antonius übernachtete. Der Imperator wurde herrlich bewirtet, und da über der Tafel die Rede auf das Treffen bei Zela und die Plünderung des Tempels der Anaitis fiel, fragte er seinen Wirt als einen Augenzeugen, ob es wahr sei, daß der erste, der Hand an sie gelegt habe, plötzlich tot zu Boden gestürzt sei. – »Du siehst diesen Verwegenen vor dir«, antwortete der Veteran, »und du speisest wirklich von einem Beine der Göttin. Ich hatte das Glück, mich ihrer zuerst zu bemächtigen; Anaitis ist eine sehr gute Person, und ich gestehe dankbarlich, daß ich ihr meinen ganzen Wohlstand schuldig bin.«

Serapis. Da gibst du mir einen schlechten Trost, Quirinus! Wenn es so in der Welt zugeht, wie uns Merkur berichtet, so kann ich meinem Koloß zu Alexandrien kein besseres Schicksal versprechen. Es ist doch entsetzlich, daß Jupiter solchen Untaten so gelassen zusehen kann!

Jupiter. Du tätest wohl, Serapis, wenn du es eben so machtest. Für einen Gott aus dem Pontus hast du die Ehre, vom Osten bis zum Westen angebetet zu werden, lange genug genossen, und du kannst nicht wohl verlangen, daß es deinen Tempeln besser gehe als den meinigen, oder daß dein Koloß länger daure als das göttliche Meisterwerk des Phidias. Du wirst doch nicht, wenn wir alle fallen, der einzige sein wollen, der aufrecht stehen bleibt?

Momus. Ei, ei, Jupiter? wo hast du deine berühmten Donnerkeile gelassen, daß du dich so geduldig in deinen Fall ergibst?

Jupiter. Wenn ich nicht wäre was ich bin, so würde ich dir mit einem von ihnen auf diese alberne Frage antworten, Witzling!

Quirinus zu Merkur . Du mußt es mir noch einmal sagen, Merkur, wenn ich dirs glauben soll. Mein Flamen wäre also abgeschafft? mein Tempel zugeschlossen? mein Fest würde nicht mehr gefeiert? und die entnervten, sklavischen, gefühllosen Quiriten wären bis zu diesem Grade der Undankbarkeit gegen ihren Stifter ausgeartet?

Merkur. Ich müßte dich betrügen, wenn ich dir eine andere Nachricht gäbe.

Viktoria. So brauche ich wohl nicht erst zu fragen, was aus meinem Altar und meiner Bildsäule in der Julischen Curia geworden sei? Es ist schon so lange, seit die Römer die Kunst zu siegen verlernt haben, daß ich nichts natürlicher finde, als daß sie sogar die Gegenwart meines Bildes nicht mehr ertragen konnten. Bei jedem Blicke, den sie darauf warfen, mußte ihnen sein, als ob es ihnen ihre schmähliche Ausartung vorrücke. Mit Römern, deren Name unter den Barbaren ein Schimpfwort, das nur Blut abwaschen kann, geworden ist, hat Viktoria nichts mehr zu schaffen.

Vesta. Bei so bewandten Umständen werden sie gewiß auch das heilige Feuer in meinem Tempel nicht länger brennen lassen? Himmel! was wird das Schicksal meiner armen Jungfrauen sein?

Merkur. O denen wird kein Haar gekrümmt werden, ehrwürdige Vesta! Man wird sie ganz ruhig – Hungers sterben lassen.

Quirinus. Wie sich die Zeiten ändern können! Ehemals war es ein entsetzliches Unglück für die ganze Römische Welt, wenn das heilige Feuer auf dem Altare der Vesta verlosch –

Merkur. Und jetzt würde mehr Lärm entstehen, wenn das profane Feuer irgend einer Römischen Garküche ausginge, als wenn die Vestalen das ihrige alle Wochen zweimal verlöschen ließen.

Quirinus. Aber wer soll denn künftig an meiner Statt Roms Schutzpatron sein?

Merkur. Sankt Peter mit dem Doppelschlüssel hat sich dieses Ämtchen ausbedungen.

Quirinus. Sankt Peter mit dem Doppelschlüssel? Wer ist der?

Merkur. Das weiß ich selbst nicht recht; frage den Apollo, vielleicht kann er dir darüber mehr Auskunft geben.

Apollo. Das ist ein Mann, Quirinus, der in seinen Nachfolgern achthundert Jahre lang die halbe Welt regieren wird, wiewohl er selbst nur ein armer Fischer war.

Quirinus. Wie? Die Welt wird sich von Fischern regieren lassen?

Apollo. Von einer gewissen Art von Fischern wenigstens: von Menschenfischern, die in einer sehr künstlichen Fischreuse, Dekretalen genannt, nach und nach alle Nationen und Fürsten Europens fangen werden. Ihre Befehle werden für Göttersprüche gelten, und ein Stück Schafleder oder Papier, mit Sankt Peters Fischerring besiegelt, wird die Kraft haben, Könige ein- und abzusetzen.

Quirinus. Dieser Sankt Peter mit dem Doppelschlüssel muß ein gewaltiger Zauberer sein!

Apollo. Nichts weniger! Es geht, wie du längst wissen solltest, mit den wunderlichsten und wunderbarsten Dingen in der Welt immer ganz natürlich zu. Die Lawine, die ein ganzes Dorf überschüttet, war anfangs ein kleiner Schneeball, und ein Strom, der große Schiffe trägt, ist in seinem Ursprung eine rieselnde Felsenquelle. Warum sollten die Nachfolger eines Galiläischen Fischers in einigen Jahrhunderten nicht Herren von Rom, und vermittelst einer neuen Religion, zu deren Oberpriestern sie sich aufgeworfen, und mit Hülfe einer ganz neuen Moral und Politik, die sie auf dieselbe zu bauen wissen, endlich gar eine Zeit lang Herren der halben Welt werden können? Hast du doch auch die Herden des Königs von Alba, der ein sehr kleiner Potentat war, gehütet, ehe du dich zum Haupt aller Banditen in Latium aufwarfst, und das kleine Raubnest zusammen flicktest, das in der Folge die Hauptstadt und Königin der Welt wurde. Sankt Peter machte in der Tat in seinem Leben keine große Figur: aber er wird die Zeit sehen, da Kaiser seinen Nachfolgern den Steigbügel halten, und Königinnen ihnen demütig die Füße küssen werden.

Quirinus. Was man nicht erlebt, wenn man unsterblich ist!

Apollo. Es gehört freilich viel Zeit und nicht wenig Kunst dazu, um es mit der Menschenfischerei so weit zu bringen: aber die Fische werden auch dumm genug sein, die sich von ihnen fangen lassen.

Quirinus. Inzwischen sind und bleiben wir alle abgesetzt, nicht wahr?

Merkur. Dabei wird es wohl vor der Hand sein Verbleiben haben.

Verschiedene Götter. Lieber nicht unsterblich sein, als solche Dinge zu erleben!


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