Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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Vierter Gesang.

1 Der Paladin beginnt nun seine Traumgeschichte
Wie folget: Was du auch, mein guter Scherasmin,
Von dem, was ich dir itzt berichte,
Im Herzen denken magst, so ist's doch kein Gedichte,
Daß ich, Gott sey es Dank! noch stets an Leib und Sinn,
So wie du hier mich siehst, ein reiner Jüngling bin.
Nie hat vor diesem Tag in meinem ganzen Leben
Mein unbefangnes Herz der Liebe Raum gegeben.
2 Es waren zwar der schönen Jungfrauen viel
An meiner Mutter Hof, und an Gelegenheiten,
Die einen Knaben leicht zur Tändeley verleiten,
Gebrach es nicht, zumahl beym Pfänderspiel:
Da gab's wohl manchmahl auch ein Strumpfband aufzulösen;
Allein der schönste Fuß ließ meine Fantasey
In stolzer Ruh; und wär's Genevrens Fuß gewesen,
Es war ein Fuß, mehr dacht' ich nicht dabey.
3 Daß ich von Kindheit an so viele offne Busen
Und bloße Schultern sah, mocht' auch mit Ursach' seyn.
Gewohnheit gleicht in diesem Stück Medusen,
Und für das Schönste selbst verkehrt sie uns in Stein.
Allein, was half mir's, frey geblieben
Zu seyn bis in mein zweymahl zehntes Jahr?
Auch meine Stunde kam! Ach, Freund! mein Schicksal war
Im Traum zum ersten Mahl zu lieben.
4 Ja, Scherasmin, nun hab' ich sie gesehn,
Sie, von den Sternen mir zur Siegerin erkohren;
Gesehen hab' ich sie, und, ohne Widerstehn,
Beym ersten Blick mein Herz an sie verloren.
Du sprichst, es war ein Traum? Nein, Mann! ein Hirngespenst
Kann nicht so tiefe Spuren graben!
Und wenn du tausendmahl mich einen Thoren nennst,
Sie lebt, ich hatte sie, und muß sie wieder haben.
5 O hättest du den holden Engel doch
Gesehn wie ich! – Zwar, wenn ich mahlen könnte,
Ich stellte sie dir hin, so glühend wie sie noch
Vor meiner Stirne schwebt, und bin gewiß, sie brennte
Dein altes Herz zu einer Kohle aus.
O daß nur etwas mir geblieben wär', das Leben
Von ihr empfing! ach! nur der Blumenstrauß
An ihrer Brust! was wollt' ich nicht drum geben!
6 Denk dir ein Weib im reinsten Jugendlicht,
Nach einem Urbild von dort oben
Aus Rosengluth und Lilienschnee gewoben;
Gieb ihrem Bau das feinste Gleichgewicht;
Ein stilles Lächeln schweb' auf ihrem Angesicht,
Und jeder Reitz, von Majestät erhoben,
Erweck' und schrecke zugleich die lüsterne Begier:
Denk alles, und du hast den Schatten kaum von ihr!
7 Und nun, sanft angelockt von ihren süßen Blicken,
Dieß holde Weib, das nur die Luftgestalt
Von einem Engel schien, an meine Brust zu drücken,
Zu fühlen, wie ihr Herz in meines überwallt,
Ist's möglich, daß ich vor Entzücken
Nicht gar verging? – Nun komm, und sprich mir kalt,
Es war ein Traum! Wie schal, wie leer und todt ist neben
So einem Traum mein vorigs ganzes Leben!
8 Noch einmahl, Scherasmin, es war kein Schattenspiel
Im Sitz der Fantasie aus Weindunst ausgegohren!
Ein unbetrügliches Gefühl
Sagt mir, sie lebt, sie ist für mich geboren.
Vielleicht war's Oberon, der sie erscheinen ließ.
Ist's Wahn: o laß ihn mir! die Täuschung ist so süß!
Doch, nichts von Wahn! Kann solch ein Traum betrügen,
O so ist alles Wahn! so kann die Wahrheit lügen!
9 Der Alte wiegt sein zweifelreiches Haupt,
Wie wenn man euch ein Wunderding erzählet,
Wovon ihr nichts im Herzen glaubt,
Wiewohl euch Grund es wegzuläugnen fehlet.
Was denkst du? fragt der Ritter. – Das ist's just
Was mich verlegen macht, versetzt der Unverliebte:
Ich hätte freylich wohl zu manchem Einwurf Lust;
Allein was hälf's am End', als daß ich euch betrübte?
10 Nur, vor der Hand, weil euer fürstlich Wort
Euch einmahl gegen Karl verbindet,
So, dächt' ich, setzten wir den Zug nach Bagdad fort.
Vielleicht daß unterwegs der Zauber wieder schwindet;
Vielleicht daß Oberon dabey sein bestes thut,
Und unversehens sich die Traumprinzessin findet.
Inzwischen, lieber Herr, thut euch die Hoffnung gut,
So hofft! Man macht dabey zum mindsten rothes Blut.
11 Weil dieß der Knappe spricht, steht mit gesenkter Stirne
Der Ritter da; denn plötzlich hatte sich
In seinem liebeskranken Hirne
Die Scene umgekehrt. Ach, spricht er, täusche mich
Nicht auch mit falschem Trost! Feindselige Gestirne
Sind über mir. Was kann ich hoffen? Sprich!
Der Sturm, der sie von meiner Brust gerissen,
Läßt, leider, mich zu viel von meinem Schicksal wissen.
12 Entrissen ward sie mir! Noch streckt sie aus der Flut
Die Arme gegen mich – noch stockt vor Angst mein Blut –
Und ach! wie an den Grund mit Ketten
Geschmiedet, stand ich da, ohnmächtig sie zu retten!
Das war im Traum, spricht Scherasmin: wofür
Euch ohne Noth mit schwarzer Ahnung grämen?
Ein Traum läßt nie von Art. Das beste, glaubet mir,
Ist's, sich daraus nur was uns freut zu nehmen.
13 Daß euch im Traum ein wohl gewogner Geist
Die künft'ge Königin von euerm Herzen weist,
Das hat er gut gemacht! So etwas läßt sich glauben,
Und kurz, wir nehmen's nun für bare Wahrheit an.
Allein den Strom, den Wirbelwind, die Schrauben
An Hand und Fuß, die hat der Traum hinzu gethan.
Mir selbst ist oft in meinen jüngern Jahren,
Wenn mich der Alp gedrückt, dergleichen widerfahren.
14 Da, zum Exempel, läuft ein schwarzer Zottelbär,
Indem ich wandeln geh', der Himmel weiß woher,
Mir in den Weg; ich greif' im Schrecken nach dem Degen
Und zieh', und zieh' – umsonst! Ein plötzlich Unvermögen
Strickt jede Sehne mir in allen Gliedern los;
Zusehens wird der Bär noch siebenmahl so groß,
Sperrt einen Rachen auf so gräßlich wie die Hölle;
Ich flieh' und ängst'ge mich, und kann nicht von der Stelle.
15 Ein andermahl, wenn ihr von einem Abendschmaus
Nach Haus zu gehen träumt, bey einem alten Gaden
Vorbey; auf einmahl knarrt ein kleiner Fensterladen,
Und eine Nase guckt heraus
So lang als euer Arm. Ihr sucht, halb starr vor Schrecken,
Ihr zu entfliehn, und vorn und hinten stehn
Gespenster da, die ins Gesicht euch sehn,
Und feur'ge Zungen weit aus langen Hälsen recken.
16 Ihr drückt in Todesangst euch seitwärts an die Wand
Die gegenüber steht – und eine dürre Hand
Fährt durch ein rundes Loch euch eiskalt übern Rücken,
Und sucht an euch herum, euch da und dort zu zwicken.
Ein jedes Haar auf euerm Kopfe kehrt
Die Spitz' empor, zur Flucht ist jeder Weg verwehrt,
Die Gasse wird zusehens immer enger,
Stets frostiger die Hand, die Nase immer länger.
17 Dergleichen, wie gesagt, begegnet oft und viel;
Allein, am End' ist's doch ein bloßes Possenspiel,
Das Nachtgespenster sich in unserm Schädel machen;
Die Nase sammt der Angst verschwindet im Erwachen.
Ich dächt' an euerm Platz dem Ding nicht weiter nach,
Und hielte mich an das, was mir der Zwerg versprach.
Frisch auf! Mir ahnet was! Es müßte übel enden,
Wenn wir die Dame nicht in Bagdad wiederfänden.
18 Bey diesem Worte springt der Ritter, angeweht
Von frischem Muth, empor, als hätt' ihm nichts geträumt.
Der Morgenluft entgegen wiehernd, steht
Sein Renner schon gesattelt und gezäumet.
Er schwingt sich auf, und wie er aus dem Feld
Zurücke schaut, verschwunden ist das Zelt:
In einem Wink erhob sich's aus dem Rasen,
In einem Wink war alles weggeblasen.
19 Sie zogen nun dem Lauf des hohen Eufrats nach,
Von Palmen und Gebüsch vorm Sonnenstrahl geborgen,
Durchs schönste Land der Welt, stillschweigend, keiner sprach
Ein Wort, wiewohl's an Stoff zum Reden nicht gebrach;
Denn jeder war vertieft in andre Sorgen.
Die reine Luft, der angenehme Morgen,
Der Vögel Lustgesang, des Stromes stiller Lauf,
Weckt beider Fantasie aus leisem Schlummer auf.
20 Der Ritter sieht in ihrem Zauberspiegel
Nichts sehenswerth als das geliebte Bild.
Er mahlt die Göttin sich auf seinen blanken Schild,
Erklimmt auf ihrer Spur des Taurus schroffsten Hügel,
Steigt, sie erfragend, bis in Merlins furchtbars Grab,
Bekämpft die Riesen und die Drachen,
Die um das Schloß, worin sie schmachtet, wachen,
Und kämpfte sie der ganzen Hölle ab.
21 Indessen er, in eingebildeter Wonne,
Die schwer errungne Braut an seinen Busen drückt,
Sieht unvermerkt ans Ufer der Garonne,
Wo er als Kind den ersten Strauß gepflückt,
Von Eufrats Ufern weg der Alte sich verzückt.
Nein, denkt er, nirgends scheint doch unsers Herrgotts Sonne
So mild als da, wo sie zuerst mir schien,
So lachend keine Flur, so frisch kein andres Grün!

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