Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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22 Ob er zu viel gehofft soll kein Geheimniß bleiben.
Doch, ohne jetzt unnöthig zu beschreiben,
Wie drauf, nachdem der Imam das Gebet
Gesprochen, man beym Schall der Pauken und der Zinken
Zur Tafel sich gesetzt, erst Seine Majestät,
Dann rechter Hand die Braut, der Bräutigam zur linken,
Und hundert Dinge, die von selber sich verstehn,
Ist's Zeit, auch wieder uns nach Hüon umzusehn.
23 Der hatte, wie ihr euch erinnert, seine Nacht,
Von Ungeduld erhitzt, von Ahnungen umgaukelt,
Auf seiner Streue nicht viel sanfter zugebracht,
Als einer, den der Sturm in einem Mastkorb schaukelt.
Kaum aber hat dem Tag in seine goldne Bahn
Aurorens Rosenhand die Pforten aufgethan,
So senkt sich nebelgleich ein Dunst von Mohn- und Flieder-
Und Lilienduft auf seine Augen nieder.
24 Er schlummert ein, und schläft in Einem Zug
Noch immer fort, da schon des Sonnenwagens Flug
Den Himmel halb getheilt. Sein Alter ging indessen
Um von der Burg die Lage auszuspähn,
Und zum Entführungswerk das nöth'ge vorzusehn;
Derweil, am kleinen Herd, zu ihrem Mittagsessen
Die gute Wirthin Anstalt macht,
Halb mürrisch, daß ihr Gast so lange nicht erwacht.
25 Sie schleicht zuletzt, um wieder durch die Spalten
Zu gucken, an die Thür, und trifft (zu gutem Glück
Für ihren Vorwitz) just den ersten Augenblick,
Da Hüons Augen sich dem goldnen Tag entfalten.
Frisch, wie der junge May sich an den Reihen stellt
Wenn mit den Grazien die Nymfen Tänze halten,
Hebt sich mit halbem Leib empor der schöne Held,
Und rathet, was zuerst ihm in die Augen fällt?
26 Ein Kaftan, wie ihn nur die höchsten Emirn tragen,
Wenn sich der Hof zu einem Feste schmückt,
Auf goldbeblümtem Grund mit Perlen reich gestickt,
Liegt schimmernd vor ihm da, um einen Stuhl geschlagen;
Ein Turban drauf, als wie aus Schnee gewebt,
Und, um ihn her, den Emir zu vollenden,
Ein diamantner Gurt, an dem ein Säbel schwebt,
So reich, daß Scheid' und Griff ihm fast die Augen blenden.
27 Zum ganzen Putz, von Fuß zu Haupt,
Den Stiefelchen aus übergüld'tem Leder
Bis zu dem Demantknopf der hohen Straußenfeder
Am Turban, mangelt nichts. Der gute Ritter glaubt,
Ihm träume noch. Woher kann solcher Staat ihm kommen?
Die Alte steht erstaunt. Das geht durch Zauberey,
Ruft sie; ich hätte doch sonst was davon vernommen!
Der Zwerg, spricht Scherasmin, ist ganz gewiß dabey!
28 Der Ritter glaubt es auch, und denkt: Durch all' die Helden
Im Vorhof macht mir dieß zum Hochzeitsahle Bahn.
Und flugs ist Kaftan, Gurt, und alles umgethan;
Die Wirthin spudet sich, ihn recht heraus zu kleiden.
»Allein was fangen wir mit diesem Turban an?
Das schöne gelbe Haar sein'twegen abzuschneiden?
Nicht um die Welt! – Doch still! es geht ja wohl hinein;
Er scheint ja recht mit Fleiß dazu gewölbt zu seyn!«
29 Herr Hüon stand nunmehr, bis auf die lilienglatte
Bartlose Wange, wie ein wahrer Sultan da,
Indem das Mütterchen ihn um und um besah
Und immer noch an ihm zu putzen hatte.
Drauf, als der treue Scherasmin
Ihm was ins Ohr geraunt, beginnt er fortzugehen,
Reicht einen Beutel Gold der Wirthin freundlich hin,
Und nun, lebt wohl, auf Wiedersehen!
30 Nichts halb zu thun ist edler Geister Art.
Ein reich gezäumtes Roß steht vor der Thür der Alten,
Und neben ihm zwey Knaben, schön und zart,
In Silberstück, die ihm die goldnen Zügel halten.
Herr Hüon schwingt sich auf; die Knaben frisch voran,
Und führen ihn auf einem Seitenwege,
Am Strome hin, durch blühende Gehäge,
Bis sie der hohen Burg sich gegenüber sahn.
31 Schon ist er durch den ersten Hof gezogen,
Im zweyten steigt er ab, und geht zum dritten ein.
Er scheint ein Hochzeitgast vom ersten Rang zu seyn,
Und überall, von diesem Schein betrogen,
Macht ihm die Wache Platz. Er schreitet frey und stolz
Daher, und nähert sich dem Thor von Ebenholz.
Zwölf Mohren, Riesen gleich, stehn mit gezücktem Eisen
Die Unberechtigten vom Eingang abzuweisen.
32 Allein des Ritters Staat und königlicher Blick
Drückt, wie er sich der hohen Pforte zeiget,
Die Säbelspitzen schnell zurück,
Die fernher sich entgegen ihm geneiget.
Die Flügel rauschen auf. Hoch schlägt sein Heldenherz,
Indem sie hinter ihm sich wieder wehend schließen.
Drauf führt ein Säulengang, an welchen Gärten stießen,
Ihn noch zu einer Thür von übergüld'tem Erz.
33 Ein großer Vorsahl war's, mit Sklaven aller Farben
Kombabischen Geschlechts erfüllt,
Die ewig hier am Quell der Freude darben,
Und, da ein Mann, von Emirsglanz umhüllt,
In ihre hohlen Augen schwillt,
Mit Blicken, die in Knechtsgefühl erstarben,
Die Arme auf die Brust ins Kreuz gefaltet, stehn,
Und kaum so muthig sind ihm hintennach zu sehn.
34 Schon tönen Cymbeln, Trommeln, Pfeifen,
Gesang und Saitenspiel vom Hochzeitsahle her;
Schon nickt des Sultans Haupt von Weindunst doppelt schwer,
Und freyer schon beginnt die Freude auszuschweifen;
Der Braut allein theilt sich die Lust nicht mit
Die in des Bräut'gams Augen glühet:
Als, eben da sie starr auf ihren Teller siehet,
Herr Hüon in den Sahl mit edler Freyheit tritt.
35 Er naht der Tafel sich, und alle Augenbrauen
Ziehn sich erstaunt empor, den Fremden anzuschauen.
Die schöne Rezia, die ihre Träume denkt,
Hält auf den Teller noch den ernsten Blick gesenkt;
Auch der Kalif, den Becher just zu leeren
Beschäftigt, läßt sich nichts in seinem Opfer stören:
Nur Babekan, den seines nahen Falls
Kein guter Geist verwarnt, dreht seinen langen Hals.
36 Sogleich erkennt der Held den losen Mann von gestern,
Der sich vermaß der Christen Gott zu lästern:
Er ist's, der links am goldnen Stuhle sitzt
Und seinen Nacken selbst der Straf' entgegen bieget.
Rasch, wie des Himmels Flamme, blitzt
Der reiche Säbel auf, der Kopf des Helden flieget,
Und hoch aufbrausend überspritzt
Sein Blut den Tisch, und den, der ihm zur Seite lieget.
37 Wie der Gorgone furchtbars Haupt
In Perseus Faust den wild empörten Schaaren
Das Leben stracks durch seinen Anblick raubt;
Noch dampft die Königsburg, noch schwillt der Aufruhr, schnaubt
Die Mordlust ungezähmt im Busen der Barbaren;
Doch Perseus schüttelt kaum den Kopf mit Schlangenhaaren,
So starrt der Dolch in jeder blut'gen Hand,
Und jeder Mörder steht zum Felsen hingebannt:
38 So stockt auch hier, beym Anblick solcher kecken
Verrätherischen That, des frohen Blutes Lauf
In jedem Gast. Sie fahren allzuhauf,
Als sähn sie ein Gespenst, von ihren Sitzen auf,
Und greifen nach dem Schwert. Allein, gelähmt vom Schrecken,
Erschlafft im Ziehn der Arm, und jedes Schwert blieb stecken;
Ohnmächt'gen Grimm im starren Blick,
Sank sprachlos der Kalif in seinen Stuhl zurück.
39 Der Aufruhr, der den ganzen Sahl empöret,
Schreckt Rezien aus ihrer Träumerey:
Sie schaut bestürzt sich um, was dessen Ursach' sey;
Und, wie sie sich nach Hüons Seite kehret,
Wie wird ihm, da er sie erblickt!
Sie ist's, sie ist's ruft er, und läßt entzückt
Den blut'gen Stahl und seinen Turban fallen,
Und wird von ihr erkannt, wie seine Locken wallen.
40 Er ist's, beginnt auch sie zu rufen, doch die Scham
Erstickt den Ton in ihrem Rosenmunde.
Wie schlug das Herz ihr erst, da er geflogen kam,
Im Angesicht der ganzen Tafelrunde
Sie liebeskühn in seine Arme nahm,
Und, da sie, glühend bald, bald blaß wie eine Büste,
Sich zwischen Lieb' und jungferlichem Gram
In seinen Armen wand, sie auf die Lippen küßte!
41 Schon hatt' er sie zum zweyten Mahl geküßt;
Wo aber nun den Trauring her bekommen?
Zum Glücke, daß der Ring an seinem Finger ist,
Den er im Eisenthurm dem Riesen abgenommen.
Zwar, wenig noch mit dessen Werth vertraut,
Schien ihm, dem Ansehn nach, der schlecht'ste kaum geringer;
Doch steckt er ihn aus Noth itzt an des Fräuleins Finger,
Und spricht: So eign' ich dich zu meiner lieben Braut!
42 Er küßt mit diesem Wort die sanft bezwungne Schöne
Zum dritten Mahl auf ihren holden Mund.
Ha! schreyt der Sultan auf, und knirscht und stampft den Grund
Vor Ungeduld, ihr leidet daß der Hund
Von einem Franken so mich höhne?
Ergreift ihn! Zaudern ist Verrath!
Und, tropfenweis' erpreßt, versöhne
Sein schwarzes Blut die ungeheure That!
43 Auf einmahl blitzen hundert Klingen
In Hüons Aug', und kaum erhascht er noch,
Eh' sie im Sturm auf ihn von allen Seiten dringen,
Sein hingeworfnes Schwert. Er schwingt es dräuend. Doch
Die schöne Rezia, von Lieb' und Angst entgeistert,
Schlingt einen Arm um ihn, macht ihre Brust zum Schild
Der seinigen – der andre Arm bemeistert
Sich seines Schwerts. Zurück, Verwegne, schreyt sie wild.

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