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Raimunds und Klarissens Ehverbindung hatte ein so vernunftmäßiges Ansehen, daß ihnen jedermann das dauerhafteste Glück weissagte. Das, was jener für seine Verlobte empfand, hatte alles, was jeden andern als Klarissen bereden konnte, es für Liebe zu halten; nur sie konnt es nicht täuschen; denn sie war selbst frei und hatte Raimunds Charakter zu richtig gefaßt, um nicht zu sehen, daß er keiner enthusiastischen Liebe fähig sei. Dies war es eben, was sie entschlossen machte, seine Bewerbung zu begünstigen. Hätte er sie geliebt wie Mondor Selinden, schwerlich würde sie zu bewegen gewesen sein, ihm ihre Hand zu geben. Denn ihrer Denkart nach soll die Ehe nicht ein Werk des blinden Liebesgottes, sondern der ruhigen Überlegung, des besonnenen Wohlgefallens aneinander und des gegenseitigem Vertrauens sein; wobei denn doch auf beiden Seiten noch immer mehr oder weniger gewagt werden muß. Sie hatte keine wesentliche Einwendung gegen Raimund; und da sie es (sagte sie lächelnd) doch einmal mit einem der ungeschlachten Geschöpfe wagen müsse, so kenne sie keinen andern, zu dem sie mehr Zutrauen und Neigung fühle als zu ihm.
Bei Raimunden war es nicht völlig dasselbe. Wirklich war zu der Achtung für Klarissens Charakter und zu dem Wohlgefallen an ihrer Person und ihren Talenten noch etwas hinzugekommen, das seiner Bewerbung um sie etwas Leidenschaftliches gab, wiewohl er es sorgfältig vor ihr zu verheimlichen suchte. Sein Kunstsinn spielte nämlich hier die Rolle, die sonst dem Liebesgott zukommt. Er hatte über die damals ungewöhnliche vestalenmäßige Art, wie Klarisse sich kleidete, ich weiß nicht welchen kleinen Argwohn geschöpft und durch Bestechung des Kammermädchens Mittel gefunden, sich seiner Zweifel auf eine vollständigere Art, als er hätte hoffen dürfen, zu entledigen. Welche Entdeckung für einen Kunstfreund, der selbst Künstler ist! Von diesem Augenblick an schwor er sich, Klarisse müsse sein werden, und wenn sie an Jupiters goldner Kette zwischen Himmel und Erde schwebte.
Mit Mondors Leidenschaft für Selinden hatte es eine ganz andere Bewandtnis. Im ersten Augenblick war hier alles ausgemacht; denn auf den ersten Blick in ihr Engelsgesicht, in ihre himmlischen blauen Augen hatte ihm die reinste, schönste, liebenswürdigste aller weiblichen Seelen entgegengelächelt. Welchen Himmel voll überirdischer Seligkeit versprachen ihm diese Augen! Konnt er genug eilen, sich des Besitzes desselben zu versichern? Hätte Mondor (wie öfters der Fall ist) zwei oder drei Jahre am Spinnrocken der vollkommnen Liebe spinnen müssen, so würden sich ihm wahrscheinlich in so langer Zeit Gelegenheiten genug aufgedrungen haben, sich von der Menschlichkeit seiner Göttin zu überzeugen. Indessen ließ es sogar in der kurzen Zeit, die zwischen seiner Bewerbung und dem Hochzeittag verstrich, die unbefangene und mit ihrer Menschlichkeit sehr zufriedene Selinde nicht an solchen Gelegenheiten fehlen. Aber Selinde war Mondors erste Liebe, und die erste Liebe – wie ich einst von einem hochgelehrten Herrn, der sich auf ich weiß nicht welchen alten lateinischen Dichter berief, behaupten hörte –, die erste Liebe wirft einen gar seltsamen Zauber auf die Augen des Liebhabers, gibt allen Mängeln und Gebrechen der Geliebten sanfte, mildernde und verschönernde Namen und verwandelt sie in ebenso viele herzschmelzende Reizungen und Vollkommenheiten. Mondor sah an Selinden nichts, als was seine Glut zu einer immer höhern Flamme anfachte; und Selinde an ihrem Teil, sobald sie, dem Befehl ihrer Eltern gehorsam, die Seinige zu werden entschlossen war, begegnete ihm so gefällig und verbindlich, daß der ehrliche Schwärmer das alles für den reinsten Einklang ihrer Seele mit der seinigen und für das Unterpfand einer Gegenliebe ansah, die ihm keinen andern Wunsch übrigließ, als daß sie ewig dauern möchte.
Wirklich war auch seiner Wonne während der ersten Tage und Wochen keine andre Wonne gleich. Aber ewig konnt er freilich nicht dauern, der süße Wahn. Der Besitz entkräftet unvermerkt den vorbesagten Zauber der ersten Liebe; seine Augen wurden aufgetan oder vielmehr in ihren natürlichen Stand hergestellt, und er fing an, allerlei an seiner Gemahlin wahrzunehmen, das seinen hochgespannten Erwartungen keineswegs zusagte. Er hatte gehofft, daß sie für ihn allein leben, mit ihm allein sich beschäftigen, allen zerstreuenden Ergetzlichkeiten, ja sogar ihren meisten gesellschaftlichen Verbindungen entsagen und ihr höchstes Glück in dem Bewußtsein, daß sie das seinige mache, finden werde. Aber so hatte es die schöne Selinde nicht gemeint; das hatte sie ihm nie versprochen, und der Gedanke, durch ihre Heirat in ihren Neigungen und Vergnügungen eingeschränkt zu werden, war so fern von ihr gewesen, daß sie dadurch erst recht in die Freiheit, nach ihrem eignen Sinne zu leben, gesetzt zu werden gehofft hatte. Sie war sich nichts Böses bewußt; was sie verlangte, war die unschuldigste Sache von der Welt; sie wollte nichts als gefallen und sich vergnügen. Mondor hatte sich über keinen Mangel an Zärtlichkeit und Gefälligkeit zu beklagen; sie liebte ihn, soviel sie lieben konnte, kurz, ihr Herz machte ihr keine Vorwürfe. Man denke also, wie sie erstaunte, als sie aus dem Munde des Mannes, der sie vor kurzem noch wie eine Gottheit angebetet, blindlings an sie geglaubt und sich mit allem, was sie sagte und tat, unendlich zufrieden gezeigt hatte – den ersten Widerspruch und, was noch schlimmer war, sehr bald auch die ersten Vorwürfe hören mußte. Nichts war in der Tat ihrem Erstaunen gleich – als das Erstaunen ihres Gemahls, in dieser sanften Engelsseele, die er in einen so reinen Einklang mit der seinigen gestimmt glaubte, einen Eigenwillen, eine Widersetzlichkeit, ja sogar einen kleinen Trotz zu finden, der ihrem schönen Gesichte zwar recht gut ließ und den ein Liebhaber bezaubernd gefunden hätte, der sie aber, in den Augen eines Ehemanns wie Mondor, von der Höhe, auf welche er sie in seiner Einbildung erhoben hatte, plötzlich herabstürzte und mit den gemeinen Erdetöchtern in eine Linie stellte.
Die ehlichen Mißverständnisse, die aus dem wechselseitigen Irrtum, den jedes in Ansehung des andern gehegt hatte, entstanden, wurden anfangs, nach einigem Wortwechsel und Widerstand auf beiden Seiten, immer noch unter Amors und Hymens unsichtbarem Einfluß in Güte beigelegt. Eine zärtliche Liebkosung, im Notfall eine kleine funkelnde Träne in Selindens schönen sanft bittenden Augen waren da noch hinlänglich, Mondors Herz zur Nachgiebigkeit zu schmelzen; und mehr als einmal machte sie sich noch ein Verdienst bei ihm daraus, wenn sie irgendeinen Ausflug, eine Tanzgesellschaft oder etwas dieser Art auf seine Bitte, den Abend ihm zu schenken, der ehlichen Gefälligkeit aufopferte. Aber sobald sie, nach Verfluß einiger Zeit, merkte, daß Mondor ihre zärtliche Nachgiebigkeit zum Nachteil ihrer Rechte mißbrauchen wolle; sobald er einen herrischen Ton annahm und Machtsprüche tat, weil seine Bitten immer seltner die verlangte Wirkung taten: da erinnerte sich Selinde, daß sie – ein Weib sei und, wo nicht den allgemeinen Beifall ihres eignen Geschlechts, doch gewiß die Stimmen aller artigen jungen Männer und loyalen Ritter für sich habe. Von diesem Augenblick an war das zarte geistige Band, das Mondorn an sie gefesselt hatte, zerrissen; und wiewohl er sich zuweilen gestehen mußte, daß alles, was er ihr zum Verbrechen machte, in hundert andrer Männer Augen ganz gleichgültige Dinge oder höchstens sehr verzeihliche jugendliche Eitelkeiten wären, so konnt er doch nicht von sich erhalten, ihr die Beschämung vor sich selbst zu verzeihen, die er, bei dem Gedanken, sich so gröblich an ihr geirrt zu haben, auf seinen Wangen brennen fühlte. Ungleich waren indessen die Folgen des Risses, der, durch die immer häufigern, bald unbedeutenden, bald sehr ernsthaften Zwistigkeiten, zuletzt zwischen ihnen erfolgte. Denn der arme Mondor, dessen zärtliche Schwachheit für seine schöne Hälfte von Zeit zu Zeit mit allen Zufällen eines hitzigen Seelenfiebers wieder zurückkehrte, litt durch diese Trennung ihrer Gemüter wirklich stark an seiner Ruhe und befand sich oft sehr übel; Selinde hingegen, die den Mann, von welchem sie sich unverzeihlich beleidigt hielt, eigentlich nie geliebt hatte, fand sich durch die Freiheit, nach ihrer Phantasie zu leben, die er ihr gern oder ungern lassen mußte, reichlich entschädigt und hatte, als Überschuß, noch das unschuldige Vergnügen, ihn, sooft er seinem Vorsatz, sich nicht weiter um ihr Tun und Lassen zu bekümmern, ungetreu wurde, durch ihre kaltblütige Höflichkeit und Artigkeit beinahe zum Wahnsinn zu treiben.
Daß Klarisse, die mit ihrem eignen Manne auf einem sehr hübschen Fuß lebte, das Benehmen ihrer Freundin gegen den ihrigen nicht gebilliget haben könne, brauche ich kaum zu sagen. Wirklich versuchte sie bei ihr und ihm alles, was sich von ihrer Klugheit und dem warmen Anteil, so sie an ihnen nahm, erwarten läßt, um sie zu gegenseitiger Nachsicht und Gefälligkeit zu bewegen. Aber da jeder Teil immer recht haben wollte und alles Unrecht nur bei dem andern sah, so ließ sie endlich von ihnen ab und begnügte sich, durch ihren Einfluß über beide wenigstens so viel zu erhalten, daß es zu keinen Ausbrüchen kam, wodurch sie die Fabel der Stadt geworden wären.
Weil Mondor aus Veranlassung seiner ehlichen Drangsale öfters Gelegenheit bekam, die Gattin seines Freundes näher kennenzulernen, faßte er unvermerkt eine Achtung für sie, die anfangs die unschuldigste Sache von der Welt schien, aber in der Folge seiner Ruhe sehr nachteilig wurde. Jedesmal daß er sie sah, verwunderte er sich mehr, wie er so blind habe sein können, Klarissens auffallende Vorzüge vor Selinden nicht schon längst wahrzunehmen. ›Welch ein Weib ist diese Klarisse!‹ sagte er oft zu sich selbst. ›Frei von allen Schwächen und Unarten ihres Geschlechts, vereinigt sie mit allem, was an einem Weibe liebenswürdig ist, alles, was einen Mann hochachtenswürdig macht.‹ Und nun rechnete er sich ihre sämtlichen Vorzüge, Talente, Tugenden und Annehmlichkeiten, Stück vor Stück, vor, verglich sie mit allem, was an Selinden tadelhaft oder ihm wenigstens mißfällig war, und endigte immer mit einem tiefen Seufzer über das Glück des leichtsinnigen Raimunds, der den Wert des Schatzes, den er besaß, nicht einmal zu fühlen schien und mit jedem andern hübschen und gutartigen Weibe ebenso glücklich hätte leben können.
Indessen ging doch eine geraume Zeit hin, bevor Mondor sich selbst bei Gedanken und Wünschen überraschte, die mit dem, was er seinem Weibe und seinem Freunde schuldig war, nicht ganz verträglich schienen. Er suchte anfangs bei Klarissen bloß, was er immer bei ihr fand, Aufheiterung, Zerstreuung seines Unmuts, Unterhaltung des Geistes und zwangfreien Gedankentausch. Er ging immer ruhiger von ihr weg, als er gekommen war, und Selinde konnte es jedesmal an seiner guten Laune merken, wenn er ein paar Abendstunden bei ihrer Freundin zugebracht hatte. In der Folge – als er sich nicht länger verbergen konnte, daß seine Verehrung für Klarissen immer wärmer wie seine Besuche immer häufiger wurden – täuschte er sich noch eine Zeitlang mit dem schönen Hirngespenst der platonischen Seelenliebe, einem Selbstbetrug, der ihm um so leichter wurde, da selbst der scharfäugigste und tadelsüchtigste Belauscher an Klarissens Benehmen gegen ihn nicht das geringste wahrgenommen hätte, was die Phantasie hätte aufregen oder als eine stille Aufmunterung geheimer Wünsche ausgedeutet werden können. Aber eben diese Unbefangenheit, diese gänzliche Entferntheit von allen den kleinen spinnenartigen Künsten der weiblichen Koketterie – wovon selbst diejenigen unter uns, die sich keiner bestimmten Absicht dabei bewußt sind, nach dem Vorgeben der Männer nicht ganz frei sein sollen – mußte bei einem Manne wie Mondor gerade das Gegenteil von dem, was Klarisse vielleicht verhüten wollte, bewirken; denn gerade dies war es, was ein Weib in seinen Augen zum Engel machte. Kein Wunder also, daß aus dem, was eine Zeitlang die reinste Freundschaft gewesen war, auf seiner Seite endlich eine entschiedene Leidenschaft wurde, die um so größere Verwüstungen in seinem Innern anrichtete, weil er sich gezwungen sah, sie aufs sorgfältigste vor Klarissen zu verbergen.
Um diese Zeit ereignete sich ein kleiner Vorfall, der für den armen Mondor zu keiner ungelegnern hätte kommen können. Raimund hatte zu seinem eignen Vergnügen ein Gemälde in Lebensgröße verfertigt, welches die ewig jungfräuliche Göttin Pallas vorstellte, wie sie zufälligerweise von dem jungen Tiresias im Bade überrascht wird. Nie war etwas Schöneres gesehen worden, als was der junge Thebaner hier zu seinem Unglück – nicht sah; denn in ebendem Augenblick, da er die Göttin ansichtig wurde, erblindete der arme Mensch an beiden Augen. Dieses Gemälde hing schon seit geraumer Zeit in einem Seitenkabinett von Raimunds Zimmer, aber Mondor hatte es noch nie gesehen. Von ungefähr traf sich's einst, daß die Tür des Kabinetts halb offenstand, da Mondor seinen Freund auf seinem Zimmer besuchte. Ein heller Morgensonnenblick fiel gerade auf die Hauptfigur des Gemäldes und erregte Mondors Aufmerksamkeit und Neugier. Er mußte gestehen, weder in der Natur noch in der Kunst je eine so vollkommene Gestalt gesehen zu haben, und machte seinem Freunde große Komplimente über die Gunst, worin er bei den Bewohnern des Olympus stehe; denn notwendig müsse die Göttin ihm in Person zu diesem Bilde gesessen sein. Raimund, von einem Anfall unbesonnener Eitelkeit hingerissen, gestand, daß er durch unablässiges Bitten Klarissen endlich übermocht habe, das Modell zu dieser Pallas abzugeben. Er müßte, wiewohl er sich nichts ansehen ließ, so blind als Tiresias gewesen sein, wenn er nicht bemerkt hätte, wie Mondor bei dieser traulichen Eröffnung plötzlich so blaß wie ein Gipsbild und ebenso schnell wieder so feuerrot wie eine untergehende Herbstsonne wurde und sich so hastig aus dem Kabinett entfernte, als ob er ein Gespenst darin gesehen hätte. Von dieser Stunde an war der Gemütszustand des armen Mondors in der Tat mitleidenswert.
Ich gestehe, daß ich Raimunden im Verdacht habe, er sei von einem geheimen Bewegungsgrund verleitet worden, bei diesem Anlaß den Kandaules mit seinem Freunde zu spielen. Denn ich kann nicht länger verbergen, daß zu ebender Zeit, da die Hochachtung Mondors für Klarissen sich von Stufe zu Stufe dem Punkt näherte, wo sie sich in die heftigste Leidenschaft verwandelte, zwischen Raimund und Selinde sich ebenfalls etwas der Liebe Ähnliches entspannen hatte, welches ernsthafter zu werden drohte, als es anfangs wohl die Meinung war. Der vertraute Umgang unter den beiden Freundinnen gab Raimunden häufige Gelegenheit, Selinden zu sehen und unvermerkt selbst auf einen vertraulichen Fuß mit ihr zu kommen. Nun warteten vielerlei Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen zwischen beiden vor. Selinde war ein sehr schönes Weib und Raimund ein sehr schöner Mann. Selinde war von sehr leichtem Sinn, immer fröhlich und eine leidenschaftliche Liebhaberin aller geselligen Vergnügungen; dabei voll Witz und lebhafter Einfälle, die nicht selten der Überlegung zuvorliefen. Das alles war Raimund auch. Keines von beiden war einer Liebe fähig, die das Glück oder Unglück des Lebens entscheidet; beide waren im Grunde, wie Rosalindens Narcissus und Narcissa, nur in sich selbst verliebt. Aber Selinde fand ihr größtes Vergnügen daran, Herzen zu umspinnen, wiewohl sie nicht wußte, was sie mit ihnen anfangen sollte; und Raimund konnte kein schönes Weib sehen, ohne zu wünschen, daß sie sein wäre, und er hätte aus bloßem Kunstsinn einen zahlreichem Harem gehalten als König Salomo, wenn er Macht und Vermögen dazu gehabt hätte. Mit so vielen Berührungspunkten war nichts natürlicher, als daß sie einander anzogen. Nun kamen aber noch Selindens Mißverhältnisse mit ihrem Tyrannen (wie sie ihren Mann scherzweise zu nennen pflegte) dazu, Raimunden ihr und sie Raimunden interessanter zu machen. Jener konnte durch Vergleichung seiner Artigkeit, Gefälligkeit und guten Laune mit Mondors trocknem Ernst, Ungeselligkeit, strengen Forderungen und überspannten Ideen bei Selinden nicht anders als gewinnen; diese wurde noch einmal so schön und liebreizend in Raimunds Augen, wenn er sah, daß gerade das, was ihn an ihr bezauberte, ihrem Gemahl das Mißfälligste an ihr war. Wie war es möglich, gegen eine solche Frau nicht die Gefälligkeit selbst zu sein? Mondor war sein Freund und würde ihn immer bereit gefunden haben, sein Leben für ihn zu wagen. ›Aber wär es nicht ein wahres Freundschaftsstück‹, sagte er oft lachend zu sich selbst, ›wenn ich ihm von einer Frau hülfe, die ihn mit aller ihrer Liebenswürdigkeit nur unglücklich macht?‹ Er sagte sich das so oft als einen bloßen Scherz, bis er es endlich in ganzem Ernst glaubte. ›Wenn wir unsre Weiber tauschen könnten‹, dachte er, ›dann wär uns beiden geholfen.‹ Aber die Frage, wie dies möglich zu machen wäre, konnt er sich mit allem seinem Witz nicht beantworten.
Zu gutem Glück erschien in Frankreich um ebendiese Zeit das berechtigte Gesetz, welches die Unauflöslichkeit der Ehe aufhob und die Scheidungen so leicht und willkürlich machte, als es der Leichtsinn und Wankelmut des lebhaftesten Volkes auf dem Erdboden nur immer wünschen konnte. Eine Menge übel zusammengejochter oder einander überdrüssiger Ehepaare eilten, was sie konnten, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen, und die Beispiele getrennter Ehen wurden in kurzem in den größern Städten so häufig, daß die Furcht vor dem öffentlichen Urteil niemanden mehr abschrecken konnte, zu tun, was sein Herz gelüstete.
Diese fast täglich verfallenden Ehescheidungen waren eine Zeitlang der beliebteste Gegenstand der Unterhaltung in Gesellschaften. Auch unsre beiden Freunde sprachen gern und öfters über das neue Gesetz; und wiewohl Mondor die Sache in einem ernsthaftern Lichte betrachtete als Raimund, so stimmte er am Ende doch immer, mit einem Seufzer, dem Letztern bei, der dieses Gesetz, insofern es nur nicht zu sehr mißbraucht würde, für das heilsamste unter allen hielt, an welchen die Revolution so fruchtbar war.
Mehr als einmal schien den beiden Freunden etwas zwischen den halboffnen Lippen zu schweben, das sie einander zu entdecken hätten; aber ebensooft drückte ich weiß nicht was das sich heraufarbeitende Geheimnis in ihre Brust zurück, bis es endlich beiden gleich unmöglich fiel, es länger verborgen zu halten.