Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Neuntes Capitel.

Das artigste Abentheuer in diesem ganzen Buche.

Pedrillo hatte ungefehr zwo oder drey Stunden geschlafen, als er wieder aufwachte, und weil er sich wieder vollkommen munter befand, so stund er auf, und schlich aus seinem Busch hervor, um nach seinem Herrn zu sehen. Aber wie groß war sein Erstaunen über den Anblick, der sich ihm darstellte, da er näher hinzu kam! Eine spröde Schäferin, die in einer Sommerlaube schlummernd von den Freuden geträumt hat, so sie wachend verachtet, kan nicht bestürtzter seyn, wenn sie plötzlich auffahrend sich in die Arme eines kühnen Liebhabers verwickelt fühlt, als es Pedrillo war, da er zwoer junger Frauenzimmer gewahr wurde, welche halb vom Rosengebüsche versteckt neben seinem Herrn stunden, und ihn aufmerksam zu betrachten schienen.

Beyde waren wie Schäferinnen gekleidet, beyde schienen nicht über sechzehen Jahre alt zu seyn, und beyde däuchten ihn so schön, daß er eine gute Weile zweifelte, ob sie nicht von den Nymphen und Sylphiden seyen, die seinem Herrn so gern im Schlafe zu erscheinen pflegten. Träume ich etwan auch, dachte er bey sich selbst, und bilde mirs nur so ein, daß ich wache, oder sehe ich mit meinen leiblichen Augen? Halt einmal, wir wollen bald dahinter kommen; ich will mich in die Arme und in die Waden zwicken – – Gut, gut, ich bins selbst, das hat seine Richtigkeit – – das sind ja meine Augen? und ich mag sie reiben wie ich will, so zeigen sie mir doch immer diese zwo schöne Creaturen, wenn es anders Creaturen sind; aber ich glaube gänzlich, daß es Feen sind, und von den schönsten Feen, die man nur immer an einem Sommertag sehen kan.

Damit fieng er von neuem an mit weitofnen Augen und gähnendem Maul zu gaffen, als ob er es nicht satt werden könnte, und je mehr er sie betrachtete, desto mehr versicherte er sich, daß er in seinem Leben nichts so schönes gesehen habe.

Eine von beyden war etwas grösser und schlanker als die andre, und nicht über siebenzehn oder achtzehn Jahre alt; sie war ganz weiß gekleidet, und hatte an statt der natürlichen Blumen kleine Sträusse von lauter Edelsteinen im Haar und vor dem Busen stecken, deren funkelnder Schimmer jedoch von dem Glanz ihrer schönen Augen eben so sehr als die Weisse ihres Anzugs von dem blendenden Alabaster ihres Nackens und ihrer Arme übertroffen wurde.

Pedrillo, von so viel Glanz und Schimmer ganz geblendet, zweifelte keinen Augenblick, daß es die Fee Radiante selbst sey, und wurde noch mehr in diesem Gedanken bestärkt, da er in einiger Entfernung ein paar Edelknaben sahe, die so schön waren, und so sehr von Silber schimmerten, daß er sie für nichts geringers als ein paar Salamander halten konnte. In diesem Augenblick verschwanden alle die kleinen Zweifel, die ihm von Zeit zu Zeit über die Würklichkeit dieser Fee und der ganzen Geschichte, die davon abhieng, aufgestiegen waren; nur war in seinen Augen nichts gewissers, als daß der blaue Sommervogel eine Princeßin war, und die Erscheinung der Fee, von der, wie er nun gänzlich glaubte, die Entwicklung dieses Romans abhieng, versicherte ihn vollkommen, daß sein junger Herr in kurzer Zeit über alle Zwerge und Zwerginnen obsiegen, und der glücklichste Prinz von der Welt werden würde.

In diesen Hofnungsvollen Gedanken schlich er wiewohl zitternd und den Athem zurück haltend, näher hinzu, und da er merkte, daß sie mit einander redeten, so blieb er ganz nahe im Gebüsche stehen, und lauschte mit gerecktem Ohr, einem jungen Faunen nicht unähnlich, der ein paar Nymphen belauscht, die mit einander abreden, wo sie diese Nacht sich baden wollen.

Gestehen sie, (hörte er die kleinere sagen, eine lebhafte reiffe Brunette von vier und zwanzig Jahren, bey deren Anblick ihm das Herz pochte, wie es in seinem Leben noch nie gepocht hatte) Gestehen Sie, daß sie diesen liebenswürdigen jungen Menschen nicht ohne Bewegung ansehen? Wie schön er da liegt! was für Locken! was für ein reitzendes Gesicht, lauter Lilien und Rosen! Ich will nicht ehrlich seyn, wenn Endymion so schön war als dieser bezaubernde Schläfer. Sehen sie doch, gnädige Frau! Spüren sie nicht einen kleinen Beruf in sich, seine Diana zu werden?

Närrisches Mädchen! versetzte die vermeynte Fee, was du für Einfälle hast! – – Und doch will ich dir gestehen, Laura – – In der That, er ist schön! – – aber wenn er aufwachen würde? – – das sicherste ist, wir gehen wieder – – – –

Da haben Eu. Gnaden recht, erwiederte die Kleinere mit einer boßhaften Mine, was machen wir auch hier? Er kan alle Augenblicke aufwachen, und was wird er denken, wenn er sieht, daß wir so vor ihm da stehen, und ihn angaffen, als ob wir noch nie keinen rothbackichten Buben gesehen hätten.

Aber, versetzte die Fee, ich möchte doch wissen, wer er ist? Seiner Gestalt und seinem Anzug nach scheint er nichts gemeines zu seyn – –

O! das versprech ich ihnen, sagte die Nymphe; eine Carmeliter-Nonne, die ihn an unserm Platz in diesem Rosen-Gebüsche angetroffen hätte, würde ihn zum wenigsten für einen kleinen Johann Baptist, oder gar für einen Engel angesehen haben.

Aber wer kan er dann seyn? Ich kenne in unsrer ganzen Gegend – – – –

Das glaub ich wohl, unterbrach sie die andre; es ist kaum drey Wochen, daß Eu. Gnaden in dieser Gegend sich aufhalten, und ihre Antipathie gegen die gewöhnliche Landadeliche Figuren hat ihnen noch nicht erlaubt, Bekanntschaften zu machen; sie haben ja ausser dem Licentiat Don Gabriel, den sie schon zu Valencia kannten, und ihrem Bruder, mit keiner Seele Umgang gehabt, als mit den Nachtigallen in ihrem Park, und den Lämmern auf ihrer Schäferey? – – – –

Rede nicht so laut, sagte die andre, ich besorge alle Augenblicke, daß er aufwachen möchte; ich wollte um alles in der Welt nicht, daß er uns sähe – – – – Aber sage mir einmal, Laura, begreifst du, was einen jungen Menschen, der dem Ansehen nach von Stande zu seyn scheint, so allein hieher gebracht haben kan?

Er ist nicht so allein, als ihr denkt, meine schöne Damen, rief Pedrillo, der sich nimmer länger halten konnte, da er merkte, daß die Fee eine gnädige Frau, und die Nymphe eine Art von Kammermädchen war.

Der kleine Schrecken, den diese Stimme unsern Schönen machte, weil sie nicht gleich sahen, woher sie kam, verschwand augenblicklich, wie sie den Pedrillo ansichtig wurden, der, ungeachtet seines nicht sehr schimmernden Aufzugs, ein junger Pursche von einer glücklichen Physionomie und von einer Figur war, die einem sprödern Mädchen als die schöne Laura zu seyn schien, hätte Anfechtungen machen können.

Ich sehe wohl, fuhr er fort, daß ihr gerne wissen möchtet, was für eine Gattung von Vögeln mein junger Herr ist, den ihr hier schlafend angetroffen habt. Wenn ihr mir versprecht, daß ihr es bey euch behalten wollt, denn es ist uns viel daran gelegen, daß eine gewisse alte Tante, die wir haben, nichts davon erfahre, wo wir hingekommen sind, es steckt ein Geheimniß darunter, versteht ihr mich? Aber ich denke, so hübschen jungen Damen kan ich es wohl sagen, denn ihr seht mir, beym Velten! weder Nichten noch Basen von der Fee Fanferlüsch gleich – – – –

Erklärt euch ein wenig deutlicher, mein Freund, sagte Laura mit einem Blick, den Pedrillo nicht auf die Erde fallen ließ, aber macht es kurz; wir möchten sonst euren Herrn vom Schlaf erwecken – – – –

O! darüber macht euch keine Sorgen, antwortete Pedrillo; Er hat die ganze verwichene Nacht kein Auge zugethan, und wenn er einmal ins Schlafen kommt, so könnte der Himmel einfallen, ehe er aufwachen würde. Er ist vor Mattigkeit eingeschlafen, denn wir haben seit gestern Nachts um zwölf Uhr wenigstens vier und zwanzig Meilen gemacht.

Vier und zwanzig Meilen; und zu Fuß, wie es scheint? sagte Laura, als ob sie sich sehr verwunderte.

Es geht gar schnell, meine schöne Jungfer, wenn man auf der Feerey reißt, antwortete Pedrillo, man kommt da aus dem Lande, man weißt selbst nicht wie, und ihr habt oft ein paar tausend Meilen gemacht, wenn ihr geschworen hättet, daß ihr nicht vom Fleck gekommen wäret.

Das gesteh ich! sagte Laura; aber was nennt ihr denn auf der Feerey reisen, wenn man fragen darf?

Sapperment! gnädiges Fräulein, erwiederte Pedrillo, das ist eine Frage, die sich nicht in einem Augenblick beantworten läßt. Aber um es kurz und gut zu geben, so suchen wir, unter uns gesagt, eine Princeßin, oder eigentlich zu reden, einen Schmetterling, in den mein Herr verliebt ist; und wenn wir ihn gefunden haben, so soll ihn mein Herr in eine Princeßin verwandeln, und heurathen, das ist das Ganze, seht ihr; aber ich bitte euch, haltet reinen Mund; wir müssen uns vor gewissen Zwergen in Acht nehmen, die einen Anspruch auf unsre Princeßin machen, und uns, wenn sie von unserm Vorhaben Wind bekämen, den ganzen Spaß verderben könnten.

Was halten Eu. Gnaden von unserm Fund? sagte Laura seitwärts zu der schönen Dame; haben sie in ihrem Leben jemals so reden gehört? Man könnte sichs ja nicht närrischer träumen lassen – – – –

Aber wer ist denn dein Herr, fragte die Dame?

O! was das anbetrift, antwortete Pedrillo, er ist der beste, freundlichste, freygebigste, gutherzigste, gelehrteste und tapferste junge Edelmann in ganz Spanien, das könnt ihr mir glauben; ich muß es doch wohl wissen, weil wir miteinander aufgewachsen sind; er ist mein Milchbruder – – Gut, gut, fiel ihm die Dame ein, ich frage bloß nach seinem Namen, wie heißt er?

Don Sylvio von Rosalva, heißt er, sprach Pedrillo, sein Schloß ist nur drey kleine Stunden von Xelva, herwärts. Don Sylvio, wie gesagt; sein Vater hieß Don Pedro von Rosalva, er war mein Taufpathe, gnädiges Fräulein, und deßwegen wurde ich Pedro getauft; aber wie ich klein war, nannten sie mich Pedrillo, und nun heiß ich eben noch Pedrillo und werde wohl Pedrillo seyn und bleiben, so lang es GOtt gefällt; es wäre dann, daß mein gnädiger Herr seine Princeßin bald fände; denn da wollt ich keinem davor gut seyn, daß ich nicht ein Marquisat, oder eine von den Grafschaften davon tragen könnte, die sie meinem Herrn zum Brautschatz mitbringen wird.

Pedrillo sagte alles dieses mit solchem Ernst und mit einer so aufrichtigen Mine, daß unsre Schönen keinen Augenblick länger zweifelten, daß es mit diesen Leutchen nicht richtig stehen müsse. Hier ist ja noch mehr als Don Quixotte, sagte die Zofe zu ihrer Gebieterin; wenn der Herr in einen Schmetterling verliebt ist, und der Diener auf Marquisate Staat macht, so können wir noch Freude an ihnen erleben – – Aber, guter Freund, ihr sagtet uns von einem Schmetterling, in den euer Herr verliebt sey, und den er in eine Princeßin verwandeln soll? Ihr wolltet vermuthlich sagen, daß er in eine Princeßin verliebt sey, die von einem Zauberer in einen Schmetterling verwandelt worden?

Getroffen! rief Pedrillo, das ist eben die Sache, und jetzt soll sie wieder in eine Princeßin parafrasirt werden. Aber wenn ich euch die Wahrheit sagen soll, so däucht mich, unter uns, die Fee Rademante, die meinem gnädigen Herrn ihre Production versprochen hat, läßt sich die Sache nicht so angelegen seyn als sie wohl könnte, und ich besorge eben immer, es möchte am Ende noch auf ein La mi hinausgehen – – – –

Was ist denn das für eine Fee, fragt die Zofe; Rademante, sagt ihr? – – – –

O! sie mag heissen wie sie will, unterbrach sie die andre Dame mit einer Mine, die in einem minder anmuthigen Gesicht verdrießlich ausgesehen hätte; wir haben keine Zeit uns um Feen und Schmetterlinge zu bekümmern, es wird Nacht seyn, ehe wir zu Lirias sind; was wird mein Bruder von unserm Aussenbleiben denken?

Mit diesen Worten entfernte sie sich, nachdem sie noch einen Blick auf den schönen Schläfer geworfen hatte; einen Blick, der sich, wenn sie allein gewesen wäre, vielleicht in einen Kuß verwandelt hätte; wenigstens war dieses eine von den Anmerkungen, welche die schlaue Laura ganz in der Stille bey sich selbst machte.

Pedrillo hielt es für seine Schuldigkeit, diese schönen Damen bis an den Weg zu begleiten, wo sie ihre Maulthiere unter der Aufsicht der zween Edelknaben gelassen hatten; allein, die Wahrheit zu sagen, sein Herz hatte mehr Antheil an diesem Umstand als seine Höflichkeit. Die kleine Laura hatte in wenigen Augenblicken eine Veränderung in ihm gewürkt, woran die gute Dame Beatrix schon etliche Jahre mit wenig Erfolg gearbeitet hatte; Kurz, er war so verliebt, als es jemals ein Pedrillo gewesen ist. Es däuchte ihn, er hätte seiner schönen Unbekannten noch wer weißt wieviel zu sagen, aber das Herz war ihm so voll, daß er kein Wort heraus bringen konnte, und sie waren schon eine gute Weile unsichtbar geworden, da er noch immer wie an den Boden gefesselt stand, und mit unverwandtem Blick nach der Gegend hinsah, wo er sie aus den Augen verlohren hatte.


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